Ein Artikel von RA Dr. Fabian Maschke, RA Rolf Karpenstein, RAA Mag. Simon Wallner
Wie bereits auf ISA-Guide berichtet wurde ist beim EuGH das Verfahren zu C-429/22 anhängig. Zurecht wurden nunmehr 2 Verfahren in Spielerklagen gemäß Paragraph 190 ZPO unterbrochen. Dies vom BG Klagenfurt (28 Cg 66/22z) sowie von BG Tamsweg (2 C 386/22v).
Das von uns vertretene Casino stellte einen Antrag auf Unterbrechung der Verfahren bis zur Entscheidung im ebenfalls von uns betreuten Verfahren vor dem EuGH zu C-429/22. Die Gerichte teilten die vorgebrachten Argumente welche wie folgt vorgertragen wurden:
Mit Beschluss vom 22. Juni 2022 zur GZ: 33 R 4/22h legte das OLG Wien nachstehende Frage dem EuGH gem. Art 267 AEUV zur Vorabentscheidung vor (GZ EuGH C-429/22):
„Ist Art 6 Abs 1 der Verordnung (EG) Nr 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO) dahin auszulegen, dass das Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, dann nicht anzuwenden ist, wenn das nach Art 4 Rom I-VO anzuwendende Recht, dessen Anwendung der Kläger begehrt und das anzuwenden wäre, wenn dem Kläger die Verbrauchereigenschaft fehlen würde, für den Kläger günstiger ist?“
Ausgangspunkt dieses Verfahrens ist die Klage eines Spielers auf Auszahlung seiner Gewinne vor dem HG Wien gegen ein Casino, das ebenso über eine maltesische Glücksspielkonzession zum Anbieten von Online-Glücksspielen verfügt.
Die in diesem Verfahren an den EuGH vorgelegte Frage ist auch für klassische Spielerklagen präjudiziell.
Bei Spielerklagen wird von den Spielern und im Grundverfahren des EuGH Verfahrens zu C-429/22 die Anwendung österreichischen Rechts damit begründet, als gem. Art 6 Abs. 1 lit b ROM-I-VO das Casino seine Tätigkeit auf Österreich ausrichtet und somit das Recht jenes Staates zur Anwendung gelangt, in dem der Spieler als Verbraucher(in) ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (somit Österreich).
In allen von uns betreuten Verfahren wurde keine Rechtswahl getroffen, weshalb die in Art 6 Abs. 2 ROM-I-VO enthaltene Günstigkeitsprüfung nicht zur Anwendung gelangt.
In dem Verfahren welches vor dem EuGH anhängig ist, brachte der Spieler jedoch vor (hier wurde Gewinn eingeklagt – was nach der österr. Rechtsprechung nicht möglich ist), dass für ihn die Anwendung österreichischen Rechts aufgrund der Bestimmung des § 1271 ABGB ungünstiger ist als jene des maltesischen Rechts, da er hiernach seine Gewinne vom maltesischen Casino zurückfordern könnte. Da der Spieler im Verfahren vor dem EuGH jedoch Verbraucher ist, kann er sich grundsätzlich nicht auf Art 4 Abs.1 lit b Rom-I-VO stützen, wonach bei Dienstleistungsverträgen das Recht des Staates zur Anwendung gelangt, in dem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat und der nur für Nicht-Verbraucher gilt. Aus diesem Grund stellt sich für das OLG Wien die zuvor zitierte Frage, insbesondere aus dem Grund - wie das OLG Wien in seinem Beschluss auf Seite 4 ausführt - als in Erwägungsgrund 23 der Rom-I-VO ausgeführt wird, dass bei Verträgen, bei denen die eine Partei als schwächer angesehen wird, die schwächere Partei durch Kollisionsnormen geschützt werden sollte, die für sie günstiger sind als die allgemeinen Regeln.
Es geht somit im Kern der Sache immer und ausschließlich um die Frage wer schützenswerter ist. Naturgemäß die schwächere Partei. Dies ist nicht automatisch der Verbraucher. Zwar wird allgemein angenommen das die Eigenschaft als Verbraucher diesem im Vergleich zum Unternehmer in eine unterlegene Position bringt das aber eben aus den bekannten Gründen welche sich auch zB in den Erläuterungen zu Art 6 KSchG finden. Hier wird beispielsweise davon gesprochen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers diese Bestimmung der Verhinderung unfairer Vertragsbestimmungen dienen sollte und in der Regel schwächere Vertragspartner gegen einen Missbrauch der Privatautonomie durch einen typischerweise überlegenen Vertragspartner schützen sollte (vgl. 10Ob125/05p).
Es geht im EuGH Verfahren zu C-429/22 nicht alleine um die Frage ob eine Verbraucherbestimmung anzuwenden ist sonder vielmehr um den telos der Rom-I-VO, nämlich ob sich die bei Verträgen schwächere Partei auf ein für sie günstigeres Recht berufen kann, auch wenn grundsätzlich nach der ROM-I-VO das Recht ihres Aufenthaltsstaates zur Anwendung gelangen würde.
Diese Frage stellt sich auch in allen anderen Verfahren betreffend Spielerklagen bzw. führt die Bejahung dieser Frage dazu, dass auch bei klassischen Spielerklagen nicht österreichisches, sondern maltesisches Recht zur Anwendung gelangt. Dies aus nachstehenden Gründen:
Die in der ROM-I-VO enthaltenen Bestimmungen sind von dem Bestreben getragen, grundsätzlich den Verbraucher als den wirtschaftlich schwächeren und rechtlich weniger erfahrenen Vertragspartner zu schützen, weshalb diesem daher der Entschluss zur gerichtlichen Wahrnehmung seiner Rechte nicht dadurch erschwert werden darf, dass er bei den Gerichten des Staates klagen muss, in dessen Hoheitsgebiet sein Vertragspartner seine Niederlassung hat. Dies ergibt sich auch aus Erwägungsgrund 24 und 25 der ROM-I-VO (vgl. auch RS0112279).
In Erwägungsgrund 24 wird beispielsweise ausgeführt, dass insbesondere bei Verbraucherverträgen die Kollisionsnormen es ermöglichen sollten, die Kosten für die Beilegung von Rechtsstreitigkeiten zu senken, die häufig einen geringen Streitwert haben, und der Entwicklung des Fernabsatzes Rechnung zu tragen.
Wie bereits angeführt, ist ein vorrangiger Sinn und Zweck der ROM-I-VO - wie sich aus Erwägungsgrund 23 ergibt - eine schwächere Partei zu schützen und dem für sie günstigeren Recht zum Durchbruch zu verhelfen unabhängig von der Stellung als Verbraucher oder Unternehmer. Hierbei handelt es sich nicht um eine gerade erst geborene gewagte Interpratation sondern um eine europarechtliche Tatsache. In diesem Zusammenhang wurde in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union festgestellt, dass die in der europäischen Regelung enthaltenen Rechtsbegriffe eigene und autonome Begriffe des Rechts der Europäischen Union sind, die anhand der Grundsätze des Unionsrechts selbst, niemals aber anhand innerstaatlicher Grundsätze, Begriffe oder Vorschriften auszulegen sind (Urteil vom 17. Dezember 1970, Handelsgesellschaft, 11/70,). Hierbei ist ebenfalls auf das EuGH Verfahren zu C-821/21 zu verweisen.
In allen im Moment anhängigen „Spielerklagen“ ist nicht der Spieler in seiner Eigenschaft als Verbraucher, sondern eben gerade das Casino in seiner Eigenschaft als Unternehmer die in der Vertragsbeziehung schwächere Partei.
Dies aus folgenden Gründen:
1. Der Spieler / die Spielerin kann sich aufgrund der Omnipräsenz der Werbungen, Berichterstattungen etc. in den letzten Jahren über die Möglichkeit der Rückforderung von Spielverlusten, nicht darauf berufen, rechtlich unerfahren zu sein;
2. Es besteht nicht das Risiko hoher Prozesskosten für die Spieler, zumal das von ihnen angestrengte Verfahren fast in 100% der Fälle prozessfinanziert ist; Aber auch wenn das nicht der Fall wäre ist das Prozesskostenrisiko geringer als in Österreich. Regelungen zur Kostenverteilung vor maltesischen Gerichten finden sich insbesondere im Gerichtsverfassungs- und Zivilprozessgesetzbuch Maltas (Code of Organization and Civil Procedure). Grundsätzlich muss die im Rechtsstreit unterlegene Partei alle Anwalts- und Gerichtskosten tragen (Artikel 223 Absatz 1 Code of Organization and Civil Procedure).
Im Hinblick auf die Höhe von Gerichtskosten und Rechtsanwaltsgebühren finden sich grundsätzliche Regelungen in den Artikeln 1004 bis 1006 des Code of Organization and Civil Procedure.
Vom Ergebnis des Rechtsstreites abhängige Anwaltshonorare (sogenannte quotae litis-Vereinbarungen) sind generell nicht erlaubt (Artikel 83 Code of Organization and Civil Procedure, Artikel 5 Absatz 1 i.V.m. 5 lit. j Statute of the Chamber of Advocates und Kapitel 4 Regel 3 Code of Ethics and Conduct for Advocates).
Ein direkter Vergleich bei einem hypothetischen Streitwert von EUR 20.000,-- zeigt deutlich, dass einen derartigen Prozess in Österreich zu führen deutlich teurer ist als in Malta.
Darüber hinaus bleibt auch bei Verfahren nach maltesischem Recht die Verfahrenssprache weiterhin die deutsche Sprache, da sich der Gerichtsstand ja nicht ändern würde.
3. Bereits bei Vertragsabschluss zwischen der klagenden Partei und der beklagten Partei stand, unabhängig von einem allfälligen Wissen der klagenden Partei über die Möglichkeit der Rückforderung allfälliger Spielverluste, fest, dass Spielverluste, die bei der hier beklagten Partei erlitten werden, aufgrund der derzeit in Österreich bestehenden und aus rechtlich richtier Sicht der Casinos unrichtigen Rechtsprechung im Moment zurückgefordert werden können, was dazu führt, dass die Casinos automatisch bereits bei Vertragsabschluss in eine schwächere Position versetzt werden und die Spieler bereits vor der Leistung eines Einsatzes der überlegene Vertragspartner sind.
4. Es besteht weiters auch kein wirtschaftliches Ungleichgewicht, da die Spieler aufgrund der hohen gesetzlichen Auszahlungsquoten in Malta die Möglichkeit hatten, hohe Geldsummen zu gewinnen und damit in eine im Vergleich zu den Casinos starke wirtschaftliche Position versetzt werden. Die Ausschüttungsquoten der meisten Casinos liegen bei deutlich über 90%. Gesetzlich vorgeschrieben sind nach maltesischem Recht 85%. Bereits daher muss sich der Spieler den Einwand gefallen lassen, dass der Rückforderungsanspruch – die Spieler machen die Rückforderung sämtlicher Verluste geltend – zumindest um 85% überhöht ist. Demnach besteht schon aus diesem Grund der Anspruch zu einem Teil von gesetzlich geregelt zumindest 15% (mindest Ausschüttungsquote = 85%) nicht zu Recht.
Die Ausschüttungsquote verbleibt logischerweise nicht beim Casino sondern geht direkt weiter an einen Spieler der gewinnt, weshalb die Casinos um diese Summe auch nicht bereichert sein können.
5. Ebenso gibt es Beispiele aus der aktuellen Lehre (zB der strukturell unterlegene Unternehmer im internationalen Privat- und Verfahrensrecht, Mathäus Mogendorf 2016). Die juristische Unerfahrenheit ist aufgrund einer Einzelfallbetrachtung zu ermitteln hierbei spielt das Abschätzen von Chancen und Risiken eine Rolle. Wie bereits ausgeführt kann der Verbraucher als Spieler von vornherein seine Chancen und Risiken aufgrund der massiven Werbung betreffend der Rückforderbarkeit abschätzen. Kein Spieler kann behaupten nicht zumindest einmal über eine Werbung eines Prozessfinanzierers „gestolpert“ zu sein. Das ergibt sich alleine aus der Funktionsweise des Internet bzw. der dort eingesetzten Algorythmen.
Eine strukturell nachteilige Beziehung zu Lasten der schwächeren Partei ergibt sich laut herrschender Lehre primär dann wenn sie im Vertragsgefüge eine austauschbare Rolle übernimmt. Dies ist bei Klagen eines Spielers gegen ein Casino immer der Fall, da es nicht darauf ankommt bei welchem ausländischen Casino der Spieler spielt. Aufgrund der rechtlich unrichtigen aber momentan existenten höchstgerichtliche Rechtsprechung des OGH würde der Spieler ohnehin von jedem ausländischen Casino seine Einsätze zurückerhalten.
All diese erwähnten Umstände führen dazu, dass das Casino in der Vertragsbeziehung mit dem Spieler die schwächere Partei ist und daher durch die ROM-I-VO geschützt werden muss.
Sollte die dem EuGH in der RS C-429/22 vorgelegte Frage somit bejaht werden, führt dies vor dem Hintergrund des in Erwägungsgrund 23 genannten Sinn und Zweckes der ROM-I-VO und der eben erläuterten Umstände dazu, dass im gegenständlichen Fall maltesisches Recht zur Anwendung gelangt.
Klar ist, dass durch die Anwendung maltesischen Rechts der Anspruch Spieler ins Leere geht, da in den von uns vertretenen Fällen immer eine maltesische Konzession exisitiert und somit der Klagegrund wegfällt. Die Verfahren wurden daher rechtsrichtig unterbrochen. Ein wichtiger und richtiger Schritt in Kampf gegen den steigenden Rechtsmissbrauch durch Spieler die in den unzähligen Klagen eine Einnahmequelle sehen.
Kontakt:
Rechtsanwalt Dr. Fabian Maschke
RAA Mag. Simon Wallner
Dominikanerbastei 17/11, 1010 Wien
Rechtsanwalt Rolf Karpenstein
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