Einordnung der Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) vom 28. März 2024 zur bevorstehenden Entkriminalisierung der §§ 284 ff. StGB

Rechtsanwalt Dr. Nik Sarafi

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Dass den §§ 284 ff. StGB die Verfassungswidrigkeit geradezu auf die Stirn geschrieben steht, ist eine Auffassung, die der Autor – wie auch die Literatur – seit Jahren vertritt, denn letztlich kriminalisieren sie, insbesondere der § 285 StGB (Teilnahme) kein verwerfliches, schädliches oder sonst strafwürdiges Verhalten. Nunmehr, im November 2023, hat sich das Bundesjustizministerium dieser Auffassung – zwar überraschend, aber dennoch folgerichtig – angeschlossen und die Streichung der §§ 284 ff. StGB angekündigt.

Nachdem sich einige Stellen für die Beibehaltung der Kriminalisierung ausgesprochen haben, arbeitete der Autor in einer eigenen Stellungnahme noch einmal heraus, weshalb diese Beibehaltung aus verfassungsrechtlicher Sicht keinen Platz hat. Insbesondere ist der bezweckte Rechtsgüterschutz, durch andere Straftatbestände ohnehin bereits abgedeckt. Wenn es etwa darum geht, betrügerischen Aktivitäten in Schwarzmärkten zu begegnen, wäre ein solcher etwaiger Betrug schon nach § 263 StGB strafbar. Will man kriminelle Vereinigungen, die dem Glücksspiel oft nachgesagt werden, mit den §§ 284ff. StGB begegnen, so gibt es hierfür bereits § 129 StGB. Für eine Vorverlagerung der Strafbarkeit durch die §§ 284ff. StGB bleibt angesichts der weitreichenden Nebeneffekte – insbesondere die jahrelange Kriminalisierung von in EU-Mitgliedsstaaten konzessionierten Glücksspielanbietern einerseits und die Kriminalisierung der Spieler andererseits – indes kaum mehr Raum.

Seit Beginn des Jahres sind einige Fachbeiträge erschienen, in denen die Entkriminalisierung als notwendig begrüßt wurde.1

Nunmehr hat auch die Bundesrechtsanwaltskammer am 28. März 2024 eine Stellungnahme zu den vom Bundesjustizministerium im November 2023 veröffentlichten Eckpunkten zur Modernisierung des Strafrechts veröffentlicht:2

„Die §§ 284 - 287 StGB stellen unter Strafe, ohne behördliche Erlaubnis ein Glücksspiel, eine Lotterie oder eine Ausspielung zu veranstalten. Wie das Eckpunktepapier zutreffend ausführt, ist jedoch ein Rechtsgut nicht erkennbar, das die Aufrechterhaltung dieser Strafnormen rechtfertigen würde, zumal entsprechende Verstöße schon heute als Ordnungswidrigkeit gemäß § 28a des Glücksspielstaatsvertrags der Länder geahndet werden können. Strafwürdiges Verhalten bliebe auch bei Streichung der §§ 284-287 StGB künftig strafbar, etwa in den Fällen der Manipulation eines Spiels (§ 263 StGB).

Der Deutsche Richterbund spricht sich gegen die Streichung von § 284 und § 287 StGB aus, Suchtprävention und Jugendschutz seien zu berücksichtigen. § 285 StGB könne indes gestrichen werden, da eine Strafbarkeit des Verhaltens nicht erforderlich sei.

§ 284 StGB stellt das ungenehmigte Veranstalten und Durchführen (Halten) von Glücksspielen sowie darauf gerichtete Vorbereitungs- und Unterstützungs­handlungen (Bereitstellen von Einrichtungen, Werben) unter Strafe. Das Spielen selbst erfasst § 285 StGB. Das Glücksspielrecht zeichnet sich durch eine Verschränkung straf- und öffentlich-rechtlicher und damit bundes- (z.B. Rennwett- und LotterieG) und landesrechtlicher Vorschriften (insbes. Glücksspielstaatsvertrag [GlüStV] mit AusführungsG) aus, nachdem das BVerfG das ursprüngliche staatliche (Sport-)Wettmonopol für verfassungswidrig erklärt hatte. Hinzu kommt, dass der EuGH das nationale (bislang nicht harmonisierte) Glücksspielrecht auf seine Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten überprüft. Verkürzt gilt, dass zwar jeder Mitgliedstaat berechtigt ist, zu entscheiden, ob es erforderlich ist, bestimmte Glücksspielangebote ganz oder teilweise zu verbieten. Eine Monopolregelung, die mit der Bekämpfung der Spielsucht und dem Spielerschutz begründet wird, ist aber nur verhältnismäßig, wenn sie (ebenso wie ihre Anwendung in der Praxis) kohärent und systematisch zur Begrenzung der Wetttätigkeiten beiträgt. Im März 2017 kam es schließlich zur Unterzeichnung des Zweiten Glücksspieländerungsstaatsvertrags; hiernach soll die Veranstaltung von Sportwetten durch Konzessionsbewerber, die bestimmte Mindestanforderungen erfüllen, vorläufig erlaubt sein. Die Rechtsentwicklung ist im Übrigen in den letzten Jahren vor allem durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit geprägt worden, während es recht wenige veröffentlichte strafgerichtliche Entscheidungen zu § 284 StGB gibt.10 Die Frage, ob eine derart komplexe Rechtslage mit dem Sinngehalt des Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar ist, liegt auf der Hand (zumal der BGH – zu recht – eine Staatshaftung für rechtswidrige Untersagungsverfügungen mangels eines hinreichend qualifizierten Rechtsverstoßes abgelehnt hat). In der Praxis hat man sich z.T. mit einer recht großzügigen Anwendung des § 17 StGB oder einer Einstellung nach den §§ 153 ff. StPO beholfen.

Die verfassungsrechtlichen Bedenken verdichten sich angesichts der heterogenen Meinungslage, welches Rechtsgut geschützt sein könnte. Der Schutzzweck des § 284 StGB soll etwa in der straf-rechtlichen Absicherung der durch außerstrafrechtliche Normen konkretisierten staatlichen Befugnis zur Regulierung des grundrechtlich geschützten Glückspielbetriebs bestehen. Dieses Recht selbst sei Schutzgegenstand, nicht hingegen etwaige Individualrechte oder Allgemeinrechtsgüter. Der Schutz allgemeiner Moralvorstellungen oder der Schutz vor einer eigenverantwortlichen Selbst-gefährdung dürfte jedenfalls zu kurz greifen. Am ehesten dürfte die personale Rechtsgutskonzeption im Vorfeld eines Betruges zutreffend sein, welche das Vertrauen des Einzelnen in die Gewährleistung einer manipulationsfreien Spielchance oder den Schutz des Einzelnen vor Entwertung dieser Spielchance in den Vordergrund rückt, was teilweise zusätzlich in Verbindung mit dem Vermögensschutz des „Spielers“ und der „Sozialfürsorge“ gebracht wird. Ein strafrechtlicher Schutz im „Vorfeld des Betruges“ ist jedoch gerade nicht erforderlich und widerspricht dem Ultima Ratio-Gedanken. Zusammenfassend vertritt die Bundesrechtsanwaltskammer den Standpunkt in Überein-stimmung mit dem Eckpunktepapier, dass § 284 StGB zu streichen ist; konsequenterweise ist auch die Einziehungsvorschrift gem. § 286 StGB und der gegenüber § 284 StGB speziellere Tatbestand des § 287 StGB mit identischer Schutzrichtung zu streichen.

§ 285 StGB soll angeblich wie auch § 284 StGB die durch Gesetz dem Staat eingeräumte Befugnis zur Glücksspielregulierung schützen und stellt (sogar) das Spielen selbst unter Strafe. Demnach handelte es sich ebenfalls um ein Tätigkeits- und abstraktes Gefährdungsdelikt. Dass die staatliche Regulierungsbefugnis ihrerseits nach allen vertretenen Meinungen im Wesentlichen zum Schutz der einzelnen Individuen besteht, verdeutlicht bereits prima facie, dass der Spieler das tatbestandlich geschützte Rechtsgut des § 284 StGB nicht verletzen kann. Ein legitimes Rechtsgut ist nicht erkennbar. In Wahrheit ist § 285 StGB schlicht verfassungswidrig und stellt eine illegitime Pönalisierung des sich selbst schädigenden Opfers dar. Der sich selbst schädigende Konsum „verbotener Dinge“ darf aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht unter Strafe gestellt werden, auch wenn durch diesen Konsum das verbotene Tun Anderer stabilisiert und das Verbot selbst dadurch destabilisiert wird. § 285 StGB muss ersatzlos gestrichen werden.“

Diese zutreffende und schlussendlich erfreuliche Stellungnahme, immerhin von namhaften Rechtsprofessoren verfasst, zeigt, dass – abseits von rechtspolitischen Gedanken und von den wirtschaftlichen Interessen der Prozessfinanzierer – eine strafrechtsdogmatische und strafverfassungsrechtliche Betrachtungsweise zu einer Neudefinition von Gerechtigkeit führen kann, die es verbietet, Menschen ohne ersichtlichen Grund zu kriminalisieren. Mit der bevorstehenden Änderung wird, insbesondere mit Blick auf den harmlosen Spieler, der im Grunde nichts Unrechtes getan hat, außer zu spielen – sich aber plötzlich Ermittlungsverfahren wegen des offensichtlich verfassungswidrigen § 285 StGB ausgesetzt sieht, damit einhergehend auch in Verdacht wegen Geldwäsche gerät und demzufolge auch Hausdurchsuchungen an der Tagesordnung stehen – der Geltungsanspruch der Autonomiefreiheit, wonach Menschen in ihrer Freiheit tun und lassen können, was sie wollen, so sie damit keinem anderen schaden, endlich anerkannt.

Wenngleich es nun doch so lange gedauert hat, die Position von einem rechtspolitischen und von wirtschaftlichen Interessen getriebenen Maßstab hin zu einem objektiven und die Realität und Grundrechte anerkennenden zu verschieben, obwohl das seit jeher eine strafrechtspolitische wie strafverfassungsrechtliche Selbstverständlichkeit hätte sein sollen, ist zwar schade – doch andererseits hätte es noch viel länger dauern können.

1 Oğlakcıoğlu/Kudlich,  Frühjahrsputz im StGB? Ja zur Entkriminalisierung ... aber mit System!, ZRP 2024, 47; Liesching, Entkriminalisierung des Glücksspielrechts, MMR 2024, 131; Gierok/Tsambikakis - Entkriminalisierung des Glücksspiels – geht bald alles?, HRRS Heft 2/2024, S. 42

2 Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK): Stellungnahme Nr. 19: Zu den vom Bundesjustizministerium im November 2023 veröffentlichten Eckpunkten zur Modernisierung des Strafrechts, März 2024, URL: https://www.brak.de/fileadmin/05_zur_rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-deutschland/2024/stellungnahme-der-brak-2024-19.pdf (abgerufen am 28. März 2024).