Stellungnahme zur geäußerten Kritik verschiedener Verbände gegen die Pläne des Bundesjustizministers zur Aufhebung der Straftatbestände der §§ 284ff. StGB

Rechtsanwalt Dr. Nik Sarafi

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1. Zur Kriminalisierung von Handlungen

Die Kriminalisierung von Verhalten stellt immer einen Eingriff u.a. in die grundrechtliche geschützte Allgemeine Handlungsfreiheit und in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Menschen dar.

Es muss stets im Hinterkopf behalten werden, dass der Staat als übergeordnete Institution von den Menschen nur deshalb gegründet worden ist, um das friedliche Zusammenleben zu gewährleisten und um eine Anarchie zu verhindern, wonach das Recht des Stärkeren sich durchsetzt.

Deswegen sollte in einem Rechtstaat nur strafwürdiges Verhalten mit dem Schwert des Strafrechts bekämpft werden: Immer, wenn ein Verhalten die Rechtsgüter eines anderen verletzt, darf überhaupt ein Verbot in Frage kommen. Dies stellt gerade den Unterschied zu diktatorischen Herrschaftsformen dar, in dem der Tyrann nach Gutdünken den Menschen gewisse Handlungsformen verbietet, um in der Regel eigene Interessen zu sichern.

In einem Rechtstaat, in dem die Freiheitsgewährung die größte staatliche Maxime sein muss, sollte mit dem Strafrecht nicht zu inflationär umgegangen werden. Das heißt, dass das geltende Recht nach objektiven Kriterien und im Sinne einer größtmöglichen Freiheitsgewährung „gerecht“ gestaltet werden muss. Das folgt aus dem Grundgesetz: Art. 20 Abs. 3 GG, der durch die Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG auf alle Ewigkeiten vor Abschaffung und Veränderungen geschützt ist, schreibt vor, dass die staatlichen Institutionen und ausdrücklich auch die Gesetzgebung sich an „Recht und Gesetz“ zu halten haben. Hierbei bezieht sich „Gesetz“ auf das positiv gesetzte Recht und „Recht“ auf das Naturrecht.

Das heißt, es muss bei der Kriminalisierung auf ein materielles Unrechtsgehalt eines Verhaltens abgestellt werden. Würde man behaupten, etwas ist illegal, weil es gegen ein Strafgesetz verstößt, würde man damit Tür und Tor für eine uferlose Kriminalisierung öffnen. Ein verbotenes Verhalten sollte daher nicht damit begründet werden, dass es ein Strafgesetz verletzt, sondern ein Strafgesetz sollte immer ein Verhalten verbieten, das abstrakt gesehen ein strafrechtliches Verbot auch notwendig erscheinen lässt.

Das Bundesverfassungsgericht führt in diesem Zusammenhang aus:

„Es gebietet, dass die Freiheit der Person nur beschränkt werden darf, soweit dies im öffentlichen Interesse unerlässlich ist“.1

Festzuhalten bleibt, dass ein Verhalten gravierendes Unrecht herbeiführen und dessen Unterbindung mit dem Strafrecht „unerlässlich“ sein muss.

2. Zu den §§ 284ff. StGB

Mit den §§ 284–287 StGB ist nahezu jeder Umgang mit dem Glücksspiel unter Strafandrohung verboten. Es wird auf den Artikel „Die Kriminalisierung des Glücksspiels durch die §§ 284 ff. StGB unter strafverfassungsrechtlichen Gesichtspunkten“ verwiesen.
Kurz gesagt: Dort, wo Rechtsgüter Dritter mit den §§ 284ff. StGB geschützt werden sollen, existieren bereits Strafgesetze. Werden keine fremden Rechtsgüter geschützt, verbietet sich generell eine Kriminalisierung.

Im Zusammenhang mit dem Glücksspiel sind die Rechtsgüter hinreichend durch andere Strafgesetze geschützt. Zum Beispiel wird Betrug durch § 263 Abs. 1 StGB abgedeckt. Zur Bekämpfung organisierter Kriminalität steht § 129 StGB zur Verfügung. Bei Delikten wie Körperverletzung, Raub oder Erpressung greifen ebenfalls bestehende Strafgesetze.

Es ist zudem zu berücksichtigen, dass verbotenes Verhalten häufig mit Begleitkriminalität einhergeht. Diese Begleitdelikte sind häufig direkte Konsequenzen der Kriminalisierung und spiegeln die Versuche wider, die durch das Verbot entstandene Nachfrage durch einen Schwarzmarkt zu befriedigen. Dadurch entsteht ein Kreislauf, in dem die Kriminalisierung selbst zur Quelle neuer Delikte wird. Dieser Aspekt erscheint als äußerst wichtig in der Debatte um die Entkriminalisierung, wie unten gezeigt wird.

Hervorzuheben ist aber v.a. § 285 StGB, bei dem der Täter vor sich selbst geschützt werden soll, was evident verfassungswidrig ist. Auch dies wurde bereits hinlänglich besprochen.

3. Zum ministerialen Vorhaben des Bundesministeriums für Justiz (BMJ)

Das Bundesministerium für Justiz (BMJ) hat die Notwendigkeit einer Überprüfung der Relevanz bestimmter Strafnormen, in Hinblick auf das unter 1. und 2. Gesagte, erkannt und plant daher die Streichung der §§ 284ff. StGB, die Glücksspiel betreffen, aus dem Strafgesetzbuch.

Die Begründung des BMJ dafür liegt darin, dass kein spezifisches Rechtsgut identifiziert werden kann, das die Beibehaltung dieser Strafnormen rechtfertigen würde. So wird argumentiert, dass Fälle von Spielmanipulation bereits durch den Betrugstatbestand des § 263 StGB abgedeckt sind. Zudem kann, abhängig von den spezifischen Umständen eines Falls, auch eine Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO relevant sein.

Es wird zutreffend hervorgehoben, dass das Ordnungswidrigkeitenrecht im Sinne der Verhältnismäßigkeit ein angemesseneres und milderes Mittel darstellt, als auf das ultima ratio, also die äußerste Maßnahme des Strafrechts, zurückzugreifen.

4. Zur Kritik gegenüber dem Vorhaben der Entkriminalisierung

Deutsche Automatenwirtschaft (DAW)

Die Deutsche Automatenwirtschaft hat Einwände gegen die Pläne des Bundesjustizministers, die Straftatbestände im Zusammenhang mit der Bekämpfung des illegalen Glücksspiels aufzuheben.

Sie argumentiert wie folgt:

„Der illegale Glücksspielmarkt in Deutschland wächst in alarmierendem Tempo! Mittlerweile ist schätzungsweise jedes dritte Geldspielgerät illegal. Menschen, die in diese Strukturen geraten, spielen ohne jeden Spieler- und Jugendschutz, ohne Einsatzbegrenzung, ohne die Beaufsichtigung durch fachlich geschultes Personal. Zudem geraten sie dort leicht in Kontakt mit Beschaffungskriminalität und somit in einen gefährlichen Strudel. Hinzu kommt, dass der illegale Glücksspielmarkt eine unerträgliche Konkurrenz für die legalen ordentlichen Unternehmen der Deutschen Automatenwirtschaft darstellt.“

Dem lässt sich entgegnen:

Leider wird hier die Kernfrage übersehen. Sie betrifft die (straf)verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Strafgesetzen.

Der Verstoß gegen ein Strafgesetz stellt – formal betrachtet – immer eine kriminelle Handlung dar. Es kann daher nicht damit argumentiert werden, dass es Verstöße gegen ein Strafgesetz gibt und daher das Strafgesetz nicht gestrichen werden sollte. Die Frage ist, ob das Strafgesetz eine rechtsstaatliche Legitimation für sich beanspruchen kann und ob die Verstöße der Menschen gegen ein Strafgesetz nicht gerade die Konsequenz sind, dass es etwas nicht strafwürdiges pönalisiert ist.

Das beschriebene Argumentationsmuster des DAW ist ein Paradebeispiel für einen logischen Fehlschluss, genauer gesagt, einen „Zirkelschluss“ oder „Petitio Principii“.

Wenn ein Strafgesetz (straf)verfassungsrechtliche keine Rechtfertigung aufweist, verliert das Argument des „wachsenden illegalen Marktes“ seine Gültigkeit. In diesem Fall entsteht ein zirkuläres Argument, bei dem die Begründung auf sich selbst zurückverweist.

Tatsächlich scheint die Zunahme des illegalen Marktes eher mit einem als illegitim wahrgenommenen Verbot zusammenzuhängen.

Würde der Konsum von Alkohol verboten oder stark eingeschränkt, etwa indem nur der Staat alkoholische Getränke mit einem maximalen Alkoholgehalt von z.B. 2% verkaufen dürfte, würde dies unweigerlich zur Entstehung eines illegalen Marktes führen. Dieser Markt würde sich u.a. darauf konzentrieren, den Bedarf an hochprozentigen alkoholischen Getränken zu decken, um die Nachfrage der Konsumenten zu befriedigen, die nach stärkeren Alkoholika verlangen.

Genauso verhält es sich mit dem Glücksspiel. Unabhängig von moralischen oder ethischen Bewertungen des Glücksspiels ist die Realität, dass viele Menschen sich nicht vorschreiben lassen möchten, wie sie ihre Freizeit gestalten oder bei welchem Anbieter sie an Glücksspielen teilnehmen. Dieses Phänomen wird oft als „Fehlkanalisierung“ bezeichnet, da restriktive Regelungen dazu führen können, dass Spieler sich an nicht-regulierte oder „illegale“ Angebote wenden, um ihren Wünschen nachzugehen.

Es könnte der Eindruck entstehen, dass es dem DAW in dieser Diskussion primär darum geht, den wachsenden Online-Markt einzudämmen, der für den terrestrischen Markt eine Herausforderung darstellt.

Deutscher Richterbund (DRB)

Der Deutsche Richterbund äußert insbesondere Bedenken gegen die Abschaffung des § 284 Abs. 3 StGB, der die bandenmäßige oder gewerbsmäßige Begehung von Delikten nach § 284 Abs. 1 StGB mit einer Strafverschärfung sanktioniert. Sie argumentieren, dass illegales Glücksspiel ein spezifischer Bereich der organisierten Kriminalität ist und eine wichtige Einnahmequelle für organisierte Straftätergruppen darstellt.

„(…) das illegale Glückspiel [ist] nach der bisherigen gesetzgeberischen Einschätzung – die der Deutsche Richterbund teilt – ein spezifischer Deliktsbereich der Organisierten Kriminalität und stellt eine bedeutende Einnahmequelle organisierter Straftätergruppen dar.“

Dem kann entgegnet werden, dass das eigentliche Rechtsgut, das hier geschützt werden soll, bereits durch § 263 Abs. 1 StGB und die Bestimmungen zur Steuerhinterziehung hinreichend abgesichert ist. Darüber hinaus erfasst § 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB bereits die gewerbsmäßige oder bandenmäßige Begehungsweise von Straftaten.

Die organisierte Kriminalität ist im Übrigen selbst ein Straftatbestand: § 129 StGB stellt die Bildung krimineller Vereinigungen unter Strafe.

Das bedeutet, dass auch hier die Kernfrage – die strafverfassungsrechtliche Legitimation der §§ 284ff. StGB – nicht berücksichtigt wird. Auch hier gilt, dass wenn natürliche Bedürfnisse der Menschen kriminalisiert werden, stets Gruppen entstehen, die diese Bedürfnisse auf einem Schwarzmarkt nachkommen.

Gewerkschaft der Polizei (GdP)

Die Gewerkschaft der Polizei trägt vor:

„Illegales Glücksspiel sei zudem zum größten Teil mit der Organisierten Kriminalität verwoben. Die damit einhergehende „Begleitkriminalität“ - zum Beispiel die Erpressung säumiger Spieler, Gewaltdelikte oder Beschaffungskriminalität - sei bedauerlicherweise „bereits heute kaum im Fokus der Ermittlungsbehörden“.“

Auch hier lässt sich argumentieren, dass die genannten Delikte bereits durch bestehende Gesetze kriminalisiert sind.

Erpressung wird durch § 253 StGB abgedeckt;
Gewaltdelikte fallen unter die §§ 223ff. StGB.
Zudem spielt Betrug nach § 263 Abs. 1 StGB eine Rolle in diesem Kontext.

Es ist auch hier wieder darauf hinzuweisen, dass die Kriminalisierung bestimmter Handlungen häufig zur Bildung von „Begleitkriminalität“ führt.

Wäre beispielsweise der Handel mit Alkohol kriminalisiert, könnten ähnliche Begleitdelikte wie Erpressung, Gewaltdelikte und Beschaffungskriminalität entstehen. Das Gleiche würde gelten, wenn das Rauchen von Zigaretten kriminalisiert würde.

Die Probleme, die mit dem illegalen Glücksspiel und anderen verbotenen Aktivitäten verbunden sind, sind tatsächlich eher als Folge der Kriminalisierung zu verstehen.

5. Fazit

Der Autor bleibt überzeugt, dass in einem Rechtsstaat ein maßvoller Umgang mit Kriminalisierung nicht nur essenziell ist, sondern den Bürgern geschuldet wird.

Das ist gerade das wesentliche Merkmal, das freiheitlich-demokratische Strukturen von diktatorischen Regimen unterscheidet.

Im Übrigen sieht der Autor eine staatliche Pflicht zur Entkriminalisierung, wenn der Gesetzgeber fälschlicherweise nicht strafwürdiges Verhalten kriminalisiert hat. So sei z.B. daran erinnert, dass bis 1994 gemäß § 175 StGB a.F. sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe standen und eine staatliche Verfolgung homosexueller durch § 175 StGB a.F. ermöglicht wurde. Auch ein Verstoß gegen § 175 StGB a.F. wäre bis 1994 als „illegale Handlung“ kategorisiert worden, was heute unvorstellbar ist.

Die Argumente gegen die Entkriminalisierung wirken nicht stichhaltig, da sie sich hauptsächlich auf den Schutz von Rechtsgütern beziehen, die bereits durch existierende Strafgesetze abgedeckt sind oder die aus dem Verbot resultierende Begleitkriminalität betonen.

Begleitkriminalität entsteht, weil trotz Verboten ein starker Bedarf für bestimmte Aktivitäten in der Bevölkerung besteht. Diese Argumentation gegen die Entkriminalisierung kehrt Ursache und Wirkung um, indem die durch das Verbot hervorgerufenen Probleme fälschlicherweise als Gründe für die Aufrechterhaltung des Verbots oder als Argumente gegen dessen Aufhebung verwendet werden. Tatsächlich sind diese Probleme, wie die Entstehung von Begleitkriminalität und illegalen Märkten, direkte Folgen des Verbots, da die Nachfrage nach den verbotenen Aktivitäten fortbesteht.

Es wurde bereits dargelegt, dass die §§ 284ff. StGB keine ausreichende strafverfassungsrechtliche Rechtfertigung aufweisen. Dies wurde vom Bundesjustizministerium richtigerweise erkannt.

Die geplanten Vorhaben sind daher unter strafverfassungsrechtlichen Aspekten nicht nur zu begrüßen, sondern längst überfällig.


1) st. Rspr. d. BVerfG, z.B. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22.06.2012 – 2 BvR 22/12.