C-429/22 – Maltesisches Recht bei Spielerklagen

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Dr. Fabian Maschke, Rechtsanwalt Rolf Karpenstein und Rechtsanwaltsanwärter Simon Wallner

Ein Spieler verstößt gegen wesentliche Bestandteile der allgemeinen Geschäftsbedingungen und erhält aus diesem Grund seinen Gewinn nicht ausbezahlt. Daraufhin bringt er Klage ein und verliert das Verfahren in erster Instanz. Die Geltendmachung derartiger Anprüche ist nach österr. sowie deutschem Recht ausgeschlossen.

Das Berufungsgericht (OLG Wien) legte mit Beschluss vom 22. Juni 2022 zur GZ: 33 R 4/22h nachstehende Frage dem EuGH gem. Art 267 AEUV zur Vorabentscheidung vor:

„Ist Art 6 Abs 1 der Verordnung (EG) Nr 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO) dahin auszulegen, dass das Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, dann nicht anzuwenden ist, wenn das nach Art 4 Rom I-VO anzuwendende Recht, dessen Anwendung der Kläger begehrt und das anzuwenden wäre, wenn dem Kläger die Verbrauchereigenschaft fehlen würde, für den Kläger günstiger ist?“

Diese Vorlagefrage ist für Spielerklagen, also Klagen in denen der Spieler seine Verluste einklagt mehr als relevant. Es geht nämlich um die Frage welches Recht anzuwenden ist.

In Spielerklagen wird von der klagenden Partei die Anwendung österreichischen Rechts aber auch für Klagen in Deutschland die Anwendung deutschen Rechts damit begründet, das gem. Art 6 Abs. 1 lit b ROM-I-VO die beklagte Partei (= das Online Casino) ihre Tätigkeit auf Österreich und/oder Deutschland ausrichtet und somit das Recht jenes Staates zur Anwendung gelangt, in dem die klagende Partei als Verbraucherin ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (somit Österreich bzw. Deutschland).

Meistens wird keine Rechtswahl zwischen Spieler und Casino getroffen, weshalb die in Art 6 Abs. 2 ROM-I-VO enthaltene Günstigkeitsprüfung nicht zur Anwendung gelangt. Es wird also nicht geprüft ob die fixe Anwendung des Rechts für die schwächere Vertragspartei besser oder schlechter ist. Genau diese Tatsache hat das OLG Wien veranlasst die Vorlagefrage zu stellen. Ganz zu Recht.

Es geht im Kern der Sache immer und ausschließlich um die Frage wer schützenswerter ist. Dies unabhängig von der Einstufung als Unternehmer oder Privater (= Verbraucher).

Naturgemäß ist das Ziel eines jedes Rechtssystem der Schutz der schwächeren Partei.

Dies ist jedoch nicht automatisch der Verbraucher. In den Erläuterungen zu Art 6 KSchG (österr. Konsumentenschutzgesetz) finden sich ebenfalls keine Hinweise darauf, dass alleine die Eigenschaft als Verbraucher ausreicht um immer als der Schwächere angesehen zu werden. Hier wird beispielsweise davon gesprochen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers der gesetzliche Schutz der Verhinderung unfairer Vertragsbestimmungen dienen sollte. In der Regel soll der schwächere Vertragspartner gegen einen Missbrauch der Privatautonomie durch einen typischerweise überlegenen Vertragspartner geschützt werden (vgl. 10Ob125/05p).

Es ist daher eine Tatsache, dass es im Vorabentscheidungsverfahren zu C-429/22 nicht rein um die Frage geht ob eine Verbraucherbestimmung anzuwenden ist sonder um den Telos der Rom-I-VO, nämlich ob sich die bei Verträgen schwächere Partei auf ein für sie günstigeres Recht berufen kann, auch wenn grundsätzlich nach der ROM-I-VO das Recht ihres Aufenthaltsstaates zur Anwendung gelangen würde.

Diese Frage stellt sich auch bei „klassischen“ Spielerklagen.

Die in der ROM-I-VO enthaltenen Bestimmungen sind von dem Bestreben getragen, grundsätzlich den schwächeren Vertragspartner zu schützen, weshalb diesem daher der Entschluss zur gerichtlichen Wahrnehmung seiner Rechte nicht dadurch erschwert werden darf, dass er bei den Gerichten und unter den Rechtsvorschriften des Staates klagen muss, in dessen Hoheitsgebiet sein Vertragspartner seine Niederlassung hat. Dies ergibt sich auch aus Erwägungsgrund 24 und 25 der ROM-I-VO (vgl. auch RS0112279).

In Erwägungsgrund 24 wird beispielsweise ausgeführt, dass insbesondere bei Verbraucherverträgen die Kollisionsnormen es ermöglichen sollten, die Kosten für die Beilegung von Rechtsstreitigkeiten zu senken, die häufig einen geringen Streitwert haben, und der Entwicklung des Fernabsatzes Rechnung zu tragen.

Vorrangiger Sinn und Zweck der ROM-I-VO - wie sich aus Erwägungsgrund 23 ergibt – ist die schwächere Partei zu schützen und dem für sie günstigeren Recht zum Durchbruch zu verhelfen unabhängig von der Stellung als Verbraucher oder Unternehmer.

Die im Moment zahlreich anhängigen Klagen von Spielern die ihre Verluste vom Anbieter rückfordern zeichnen ein klares Bild. Der Spieler ist unabhängig seiner Eigenschaft als Verbraucher in diesen Verfahren die stärkere Vertragspartei.

Dies u.a. aus folgenden Gründen:

  1. Der Spieler kann sich aufgrund der Omnipräsenz der Werbungen, Berichterstattungen etc. in den letzten Jahren über die Möglichkeit der Rückforderung von Spielverlusten, nicht darauf berufen, rechtlich unerfahren zu sein;

  2. Es besteht nicht das Risiko hoher Prozesskosten für den Spieler, zumal das von ihm angestrengte Verfahren in den meisten Fällen prozessfinanziert ist; Aber auch wenn das nicht der Fall wäre ist das Prozesskostenrisiko geringer als zB in Österreich. Regelungen zur Kostenverteilung vor maltesischen Gerichten finden sich insbesondere im Gerichtsverfassungs- und Zivilprozessgesetzbuch Maltas (Code of Organization and Civil Procedure). Ein Vergleich mit Österreich zeigt, dass sowohl die Gerichtsgebühren als auch der Anwaltskostenersatz nach maltesischem Recht billiger sind.

  3. Es besteht auch kein wirtschaftliches Ungleichgewicht, da der Spieler aufgrund der hohen Auszahlungsquoten (mindestens 85% bei maltesischen Kozessionen) die Möglichkeit hatte, hohe Geldsummen zu gewinnen und damit in eine im Vergleich zum Online Casino starke wirtschaftliche Position versetzt wird.

  4. Der Spieler wird durch strenge Kontrollmaßnahmen nach maltesischen Recht geschützt (Auszahlung des Gewinns binnen 5 Tagen; Spielerschutz etc…)

Das anhängige Vorabentscheidungsverfahren kann also nur eine dem Sinn der ROM-I-VO entsprechende Antwort liefern:

Es muss bei der Frage welches Recht anzuwenden ist auf die Stellung als schwächere oder stärkere Vertragspartei abgestellt werden und nicht auf die starre Eigenschaft als Unternehmer oder Verbraucher. Die dem Telos der ROM-I-VO entsprechende Rechtsanwendung führt bei Klagen auf Rückforderung von Verlusten der Spieler gegen Online Casinos zur Anwendung von maltesischem Recht.

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