Ein Artikel von Rechtsanwalt Dr. Thomas Bartholmes
Anmerkung zu OLG Karlsruhe, Urt. v. 01.10.2019, 19 U 70/18, und BGH, Beschl. v. 23.07.2020, I ZR 211/19
Normalerweise berichten an dieser Stelle Anwälte über aktuelle Gerichtsentscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung, die sie für ihre Mandanten erstritten haben. Daher mag es zunächst verwundern, wenn der Verfasser über mehr als drei Jahre alte Entscheidungen berichtet, die zulasten seiner Mandantin ergangen sind. Der Grund: Speziell im - bis heute unveröffentlichten - Berufungsurteil des OLG Karlsruhe vom 01.10.2019 (19 U 70/18), mit dem ein österreichisches Buchmacherunternehmen zur Auszahlung von Sportwettgewinnen in Höhe von über 25.000 Euro verurteilt worden ist, sind Aussagen enthalten, die damals so selbstverständlich wirkten, dass niemand Veranlassung sah, die Öffentlichkeit darüber zu informieren. Leider sind diese Aussagen heute nicht mehr so selbstverständlich, nachdem eine Reihe Landgerichte - durchweg in Unkenntnis des Urteils OLG Karlsruhe 19 U 70/18 – die Frage der Rechtswirksamkeit von Wettverträgen aus der Zeit bis zum 09.10.2020, als deutsche Sportwettkonzessionen generell nicht zu erlangen waren, gegenteilig entschieden haben. Interessant ist der Fall auch deshalb, weil er möglicherweise bis heute der einzige ist, in dem sich der BGH mit der Frage der Einklagbarkeit von Wettgewinnen bei EU-ausländischen Sportwettveranstaltern aus jener Zeit konfrontiert sah.
Zum Fall: Ein Wettkunde machte 2017 gegen ein österreichisches Buchmacherunternehmen, das im deutschen Konzessionsvergabeverfahren 2012-14 die Mindestanforderungen für eine Konzession nachgewiesen hatte, Ansprüche auf Auszahlung von Gewinnen aus Fußballwetten in Höhe von mehr als 25.000 Euro geltend. Das Buchmacherunternehmen hat die Auszahlung im Hinblick auf geldwäscheverdächtige Umstände der Spielteilnahme verweigert und Strafanzeige erstattet. Die Staatsanwaltschaft konnte jedoch auch nach einer Durchsuchung der Wettannahmestelle keine Beweise finden, die den Verdacht bestätigt hätten, und stellte daher das Ermittlungsverfahren gegen den Spieler ein.
Nachdem bereits das Landgericht Karlsruhe das Buchmacherunternehmen zur Auszahlung der eingeklagten Wettgewinne verurteilt hatte, bestätigte auch das OLG Karlsruhe die Zahlungsverpflichtung. Anders als das Landgericht setzte sich das OLG Karlsruhe explizit mit der Frage auseinander, ob das Fehlen einer deutschen Erlaubnis für das beklagte Buchmacherunternehmen der Durchsetzbarkeit der Forderung entgegensteht. Wörtlich führt es hierzu aus (UA S. 8-10):
„Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Auszahlung des Wettgewinns in Höhe von 25.935,53 EUR aus § 763 BGB in Verbindung mit den geschlossenen Wettverträgen zu.
a)
Auf die streitgegenständlichen Wettverträge ist § 763 Satz 1 BGB entsprechend anwendbar.Nach § 763 Satz 1 BGB ist ein Lotterie- oder Ausspielvertrag verbindlich, wenn die Lotterie oder die Ausspielung staatlich genehmigt ist; andernfalls wäre § 762 BGB mit der Folge anwendbar, dass keine klagbare Verbindlichkeit auf eine Gewinnauszahlung bestehen würde.
Auf staatlich genehmigte Sportwetten ist § 763 BGB jedenfalls entsprechend anwendbar (BGH NJW 1999, 54 juris LS und Rn. 16). Damit stimmt überein, dass nach der Begriffsbestimmung in § 3 des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland vom 15.11.2011 (GlüStV) ein Sportwette eine Lotterie ist. Diese wird dort veranstaltet, wo dem Spieler die Möglichkeit zur Teilnahme eröffnet wird (§ 3 Abs. 4 GlüStV).
Anders als vom Landgericht erörtert, setzt eine staatliche Genehmigung i.S.d. § 763 BGB allerdings grundsätzlich eine in Deutschland erteilte Genehmigung voraus. Die Beklagte hat jedoch keine deutsche staatliche Genehmigung, sondern eine solche aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, nämlich aus Österreich. Diese genügt unter den besonderen Umständen der im April 2017 gegebenen (und derzeit noch fortbestehenden) Rechtslage aber, um einen Anspruch aus § 763 BGB zu begründen. Denn insoweit wird das nationale Recht von dem Unionsrecht überlagert mit der Folge, dass die streitgegenständlichen Wettverträge nicht als unverbindlich i.S.d. § 762 BGB anzusehen sind.
Die Zuständigkeit für die Erteilung der staatlichen Genehmigung von Sportwetten liegt in Deutschland bei den Bundesländern. In Baden-Württemberg sind die Voraussetzungen [S. 9] im Landesglücksspielgesetz vom 20.11.2012 geregelt (LGlüG BW). Dieses Gesetz dient der Ausführung des zwischen den deutschen Bundesländern geschlossenen Staatsvertrags zum Glücksspielwesen in Deutschland vom 15.12.2011 (GlüStV). Vorgesehen ist eine beschränkte Zulassung privater Anbieter von Sportwetten im Rahmen einer sogenannten Experimentierklausel (§ 10a GlüStV). Damit haben die Bundesländer darauf reagiert, dass das davon in Deutschland vorhandene staatliche Monopol auf Sportwetten und Lotterien in seiner konkreten Ausgestaltung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbar war (BVerfGE 115, 276). Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergibt sich im Zusammenhang mit dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass das Monopol in seiner konkreten Ausgestaltung auch mit dem Unionsrecht nicht zu vereinbaren ist (EuGH NVwZ 2010, 1409; 2010, 1422 - Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit, Art. 49, 56 AEUV; ehemals Art. 43, 49 EGV; vgl. dazu auch BGHZ 205, 63, juris Rn. 24).
Eine staatliche Erlaubnis zur Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten ist privaten Anbietern seitdem trotzdem nicht erteilt worden. Nach § 9a Abs. 2 Nr. 3 GlüStV erteilt die Glücksspielaufsichtsbehörde des Landes Hessen die Konzessionen (nach § 4a GlüStV), wobei zur Erfüllung dieser Aufgabe nach § 9a Abs. 5, 6 GlüStV ein Glücksspielkollegium der Länder gebildet wird. Zu dieser Regelung hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof in einem Eilrechtsverfahren entschieden, dass sie mit dem Grundgesetz nicht vereinbar und das konkret durchgeführte Auswahlverfahren zur Erteilung von staatlichen Genehmigungen für private Veranstalter von Sportwetten nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden ist (NVwZ 2016, 171).
Das hat zur Folge, dass das mit dem Unionsrecht nicht zu vereinbarende staatliche Monopol faktisch fortbesteht (vgl. auch Mitteilung der Landesregierung Baden-Württemberg zur Information über Staatsvertragsentwürfe; Landtag Baden-Württemberg, Drucksache 16/5894). Für diese Situation hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften entschieden, dass Art. 56 AEUV einen Mitgliedstaat daran hindert, die ohne Erlaubnis erfolgte Vermittlung von Sportwetten in seinem Hoheitsgebiet an einen Wirtschaftsteilnehmer zu ahnden, der in einem anderen Mitgliedstaat eine Lizenz für die Veranstaltung von Sportwetten innehat (NVwZ 2016, 369, juris LS 3, Rn. 95).
[S. 10] Für diese faktische Sach- und Rechtslage - die auch im April 2017 bestand - hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass in den Fällen, in denen die Erlaubnispflicht vom Anwendungsvorrang des Unionsrechts verdrängt wird, ein deutsches Verwaltungsgericht die Feststellung treffen darf, dass ein Wettvermittler keiner Erlaubnis bedürfe, obwohl das Landesrecht die Vermittlungstätigkeit erlaubnispflichtig macht (Beschl. v. 18.6.2018 - 8 B 12/17, juris Rn. 5; vgl. auch BVerwGE 155, 261, juris Rn. 28).
Für den vorliegenden Fall bedeutet das folgendes:
Die Beklagte, die über eine staatliche Erlaubnis für die Veranstaltung von Sportwetten in Österreich verfügt hat, hat im April 2017 den Anwendungsvorrang des Unionsrechts genutzt, um in Deutschland in Wettannahmestellen über Vermittler Sportwetten anzubieten (hier: in der T. Sportsbar in W.). Das ist ihr von den zuständigen Behörden auch nicht aus anderen Gründen untersagt worden. Führt der Anwendungsvorrang des Unionsrechts dazu, dass die Beklagte trotz der nur in Österreich erteilten staatlichen Genehmigung auch in Deutschland Sportwetten anbieten konnte, ist § 763 BGB dahin auszulegen, dass diese Genehmigung auch die Voraussetzungen einer staatlichen Genehmigung i.S.d. § 763 BGB für die hier streitgegenständlichen Ansprüche erfüllt.
b)
Zutreffend hat das Landgericht festgestellt, dass die Parteien die streitgegenständlichen Wettverträge wirksam geschlossen haben. (...)“
Mit Beschluss vom 23.07.2020 (I ZR 211/19) entschied sodann der Bundesgerichtshof:
„Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe - 19. Zivilsenat - vom 1. Oktober 2019 wird zurückgewiesen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die auf die Verletzung von Verfahrensgrundrechten gestützten Rügen nicht durchgreifen und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts auch im Übrigen nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen“.
Der Fall belegt, dass es Wettkunden in den Jahren 2012 bis 2019 faktisch möglich war, Gewinne aus allgemeinen Sportwetten bei EU-ausländischen Wettunternehmen, die nicht über eine Erlaubnis einer deutschen Behörde verfügt haben, vor deutschen Gerichten auch bei Durchschreiten des vollen Instanzenzuges mit Erfolg einzuklagen, ohne dass die §§ 762, 763 BGB oder gar § 134 BGB ein Hindernis gewesen wären. Häufig mussten sich deutsche Gerichte wohl nicht mit Spielerklagen auf Auszahlung von Wettgewinnen befassen, und wo doch, hat dies keine Spuren in der veröffentlichten Rechtsprechung hinterlassen - was aber der Fall gewesen wäre, wenn Gerichte schon damals trotz jahrelanger rechtswidriger Blockade des Konzessionsverfahrens der Ansicht gewesen wären, die Wettverträge unterfielen § 134 BGB und seien nicht durchsetzbar.
Erst zu einem Zeitpunkt, als der konzessionslose Zustand längst beendet war, kamen einige deutsche Landgerichte erstmals auf die Idee, Wettverträgen deutscher Verbraucher mit Wettunternehmen in anderen EU-Staaten, denen zwischen 2012 und 2020 eine deutsche Konzession nach den §§ 4a ff. GlüStV rechtswidrig verweigert worden ist, die Anerkennung zu versagen. Das ist nur vermeintlich „spielerfreundlich“. Spieler könnten nicht nur verspielte Einsätze zurückverlangen, sondern wären auch im umgekehrten Fall eines Streits um die Gewinnauszahlung vor deutschen Gerichten rechtsschutzlos gestellt gewesen. Bei Insolvenz des Wettveranstalters müssten sie sogar fürchten, der Insolvenzverwalter werde sie auf Rückzahlung ausbezahlter Wettgewinne in Anspruch nehmen. Obergerichtlich hat diese Rechtsprechung im Wettbereich bislang keinen Anklang gefunden (gegenteilig: OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 19.01.2023, 8 U 102/22)
Die Anwendung des § 134 BGB auf Spielverträge nicht konzessionierter Anbieter dient nicht etwa dem Schutz des Spielers, der selbst objektiv den Straftatbestand des § 285 StGB erfüllt, soweit nicht der Anwendungsvorrang des Unionsrechts eingreift. Vielmehr geht es um eine Form der Sanktionierung eines Verstoßes gegen einen primär im öffentlichen Interesse bestehenden Erlaubnisvorbehalt. Allerdings wurde im relevanten Zeitraum 2012-20 der Erlaubnisvorbehalt faktisch nahezu bundesweit nicht durchgesetzt, und durfte im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverwaltungsgerichts auch nicht durchgesetzt werden. Weder Exekutive noch Legislative haben ein sonderliches Interesse an einer raschen Beendigung des seit 2012 klar den Intentionen des GlüStV widersprechenden Zustand flächendeckender Erlaubnislosigkeit des Sportwettenmarktes gezeigt. Im Hinblick auf die in jenen Jahren faktisch bestehende Möglichkeit, in Deutschland auch ohne deutsche Erlaubnis Sportwetten anzubieten, hat das OLG Karlsruhe aus unionsrechtlichen Gründen heraus zurecht die österreichische Erlaubnis als solche i.S.d. § 763 BGB gelten lassen und § 134 BGB konsequenterweise gar nicht erst in Erwägung gezogen.
Es bleibt somit die Frage, welche öffentlichen Interessen es angesichts der Rechtslage und Rechtspraxis in der Zeit vor dem 09.10.2020 denn ernstlich rechtfertigen könnten, im Nachhinein europäischen Wettunternehmen, die im Hinblick auf die vom OLG Karlsruhe zitierte höchstrichterliche Rechtsprechung und mit Duldung der deutschen Behörden allgemeine Sportwetten auf dem deutschen Markt angeboten haben, den wirtschaftlichen Erfolg ihrer Tätigkeit zu nehmen zugunsten von Personen, die zunächst nach dem Motto „legal - illegal - sch***egal“ wahllos an Glücksspielen jedweder Art teilgenommen haben, bevor sie sich von ihren Anwälten aus der Rückschau als Opfer der Glücksspielindustrie präsentieren lassen. Diese Personen sollten eigentlich dankbar dafür sein sollten, dass (nicht zuletzt aus unionsrechtlichen Gründen heraus!) niemand auf die Idee kommt, ihre eigenen Gewinne als Taterträge nach §§ 285 i.V.m. 73, 73c StGB einzuziehen. Genau das wäre nämlich passiert, wenn sie, statt im virtuellen Raum, im Hinterzimmer einer Gaststätte gezockt hätten und dabei mit fetten Gewinnen erwischt worden wären.
Wer sich übrigens mangels grenzüberschreitendem Bezug von vornherein nicht auf die unionsrechtlichen Freiheiten berufen kann: die ODDSET Sportwetten GmbH, die Lotto-Vertriebsorganisation und deren inländische Kunden. Der GlüStV in der Fassung des 3. Änderungsstaatsvertrags, gültig ab dem 01.01.2020, gibt (anders als die Vorgängerfassung) gleichwohl keine Handhabe für die übergangsweise Erteilung von Sportwetterlaubnissen abseits des bundesweiten Konzessionsverfahrens, das bekanntlich aber erst am 09.10.2020 zur Erstvergabe führte. Trotzdem wurde die Sportwette ODDSET auch in der Zwischenzeit in einer Reihe Bundesländer weiter angeboten. Ob einige Länder trotz fehlender Rechtsgrundlage gleichwohl neue Erlaubnisse erteilten oder alte Erlaubnisse verlängerten, oder aber darauf vertrauten, im Bedarfsfalle (z.B. sich häufenden Spielerklagen auf Einsatzrückgewähr) rückwirkende Erlaubnisse, eventuell mithilfe rückwirkender Gesetze, zugunsten der Sportwette ODDSET erteilen zu können, während der Rest der Branche auf sich allein gestellt bliebe, ist dem Verfasser unbekannt. Spieler hätten jedenfalls noch mindestens bis Jahresende Zeit, um auszuprobieren, wie die Gerichte auf Klagen auf Rückzahlung ihrer ODDSET-Spieleinsätze aus dem Jahre 2020 reagieren würden - vermutlich aber auch darüber hinaus, da man als Kunde in der Lotto-Annahmestelle nicht unbedingt mit einer fehlenden Erlaubnis des staatlichen Anbieters rechnen muss.
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Rechtsanwalt Dr. Thomas Bartholmes
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