Der Entwurf der Länder zum neuen Glücksspielstaatsvertrag hat heftige Reaktionen hervorgerufen: Rechtsexperten sind entsetzt, viele private Wettenanbieter wenden sich mit Grausen ab. Alle Hoffnungen ruhen jetzt auf Schleswig-Holstein.
Autor: Tobias Kuske
Die Lösung klingt einfach und ein wenig nach Wildem Westen: „Wenn die Ministerpräsidenten der Länder nicht von ihrem Entwurf für den neuen Glücksspielstaatsvertrag abrücken, gehen wir eben nach Schleswig-Holstein und beantragen dort zu besseren Bedingungen eine Lizenz, um legal Sportwetten anzubieten.“ Der so Zitierte ist mitnichten ein Cowboy oder Einfaltspinsel: Jörg Wacker, Direktor des größten Online-Sportwettenanbieters Bwin, weiß genau, was er den Medien gegenüber sagt. Auch weiß der gelernte Sportjournalist, dass knackige Aussagen gern gedruckt werden.
Zum Entwurf des neuen Glücksspielstaatsvertrags, den die Länder Anfang April in Berlin aushandelten und der am 9. Juni ratifiziert werden soll, fällt es Wacker leicht, weitere starke Zitate zu liefern. Der Plan sei „realitätsfremd und zum Scheitern verurteilt“, donnert er merklich angesäuert.
De facto bedeute das Modell die Fortführung des staatlichen Monopols und eben nicht wie angekündigt eine Liberalisierung des Sportwettenmarktes. Sollte der Vertrag der 15 Bundesländer ratifiziert werden, werde Bwin alle rechtlichen Mittel ausschöpfen, um dagegen vorzugehen. Deutlicher geht es kaum.
In Wackers Worten klingt auch eine Portion Enttäuschung mit. Verständlich, denn nachdem es lange so aussah, dass die SPDgeführten Länder eisern eine Liberalisierung des Sportwettenmarktes blockierten, deutete sich im März überraschend eine Kehrtwende an. Plötzlich signalisierten auch Länder wie Rheinland-Pfalz, den deutschen Milliardenmarkt öffnen zu wollen.
Für kommerzielle Wettenanbieter wie das aktiennotierte Unternehmen Bwin war das die nächste positive Nachricht, nachdem im vergangenen September bereits der Europäische Gerichtshof (EuGH) das staatliche Glücksspielmonopol gekippt hatte. Im März schien nun die Tür zu einem kräftigen Neugeschäft vollends offen.
Denn, so meint etwa Henry Birch, CEO des britischen Wett-Riesen William Hill Online, Deutschland habe großes Potenzial und könne „mit den richtigen Rahmenbedingungen schnell zum Markt Nummer eins für Sportwetten in ganz Europa aufsteigen“ – noch vor Großbritannien, wo Birchs Firma 2010 mit Sportwetten und Casino- sowie Pokerspielen allein im Internet umgerechnet 287 Millionen Euro umsetzte.
Doch es kam anders als erhofft, die Eckpunkte des im April vorgestellten Entwurfs entsprachen überhaupt nicht den Vorstellungen von William Hill und Co. – ein Schock für die Branche, die Bwin-Aktie verzeichnete passend zur Gemütslage der Glücksspielunternehmen einen Kursverlust im zweistelligen Prozentpunktebereich.
Rechtliches Chaos droht
Schon wenige Stunden nach der Vorstellung des Entwurfs war denn auch die erste harsche Kritik zu hören. Die vorgesehene Begrenzung auf sieben bundesweite Konzessionen bezeichnet etwa der Glücksspielrechtsexperte Wulf Hambach von der Kanzlei Hambach und Hambach als „kartellrechtlich und vergaberechtlich absoluten Nonsens“. Eine Limitierung sei nur möglich, wenn sie – wie bei dem UMTS-Netz – naturgegeben sei. Auch Axel Freiherr von dem Bussche von der Kanzlei Taylor Wessing glaubt, dass gegen den neuen Glücksspielstaatsvertrag ein Vertragsverletzungsverfahren durch die EU-Kommission eröffnet werden könnte oder der novellierte Vertrag innerhalb von drei Monaten dem EuGH zur Prüfung vorliegen werde. Denn deutsche Gerichte würden schnell konstatieren, dass hier eine Regelung vorliegen könnte, die nicht konform mit EU-Recht ist, und daher diese Frage vom EuGH klären lassen.
Bis der EuGH urteile, könne es aber dauern, sagt von dem Bussche. Bis zu eineinhalb Jahre – also circa Spätsommer 2013. Bis dahin drohe aus rechtlicher Sicht ein Chaos.
Einen nicht ganz so eindeutigen Verstoß des Entwurfes der Länder gegen EU-Recht erkennt hingegen Martin Ahlhaus von der Kanzlei Noerr und bildet damit die seltene Ausnahme. Ob das vorgesehene Modell mit der Begrenzung auf sieben Konzessionen diskriminierend ist, hängt dem Münchner Juristen zufolge von der Ausgestaltung der Modalitäten und Zuschlagskriterien ab.
„Die Auswahlkriterien müssen diskriminierungsfrei sein – das ist entscheidend“.
Unklare Vergabekriterien
Was die privaten Anbieter tun müssen, um eine der sieben Lizenzen zu erhalten, ist momentan noch völlig unklar. Fest steht dafür, was sie nicht tun dürften, wenn sie eine Konzession besäßen: Werbung im Fernsehen wäre verboten, zulässig wäre nur Trikot- und Bandenwerbung. Das scheint einer der wenigen Punkte zu sein, der keine Kritik hervorruft. Hingegen ist die Vorschrift, dass keine Casino- oder Pokerspiele angeboten werden dürfen, auch nicht online, für die meisten Anbieter eine zu bittere, weil zu teure Pille. Zwar generieren die Anbieter mit Sportwetten die meisten Umsätze, doch entfallen zum Beispiel im seit Jahren liberalisierten britischen Glücksspielmarkt auf den Bereich Casino derzeit immerhin 14 Prozent aller Einnahmen.
Als wäre das nicht genug zum Schlucken, wollen die Länder zudem 16,67 Prozent Steuern auf den Spielumsatz erheben. Experten wie Hambach sind sich sicher: „Das ist viel zu hoch. Damit wird kein privater Anbieter zurechtkommen.“
Jörg Wacker stimmt in das Klagelied ein und rechnet vor: Bei einem Spieleinsatz von 100 Euro würde Bwin derzeit circa 10 Euro Gewinn erzielen. Nach dem Willen der Länder sollen aber 16 Euro Steuern gezahlt werden. Rechnen würde sich das nur noch, wenn die Gewinnquote verändert würde. Doch dann, sagt Wacker, wäre Bwin nicht mehr konkurrenzfähig gegenüber Anbietern ohne Konzession, die ihre Wetten weiter über das Internet offerieren. Genau dieses Schicksal hat der staatliche Anbieter Oddset erlitten, der heute nur noch ein Außenseiter im Wettgeschäft ist. Via Internet dominieren Anbieter aus Steueroasen wie Malta oder Gibraltar den Markt. Auch Bwin kann sich wegen seines Sitzes in Gibraltar bessere Quoten leisten als Oddset.
Netzsperren keine Lösung
Diese Problematik haben auch die Länder vorausgesehen und sich flugs gedacht: Sperren wir doch die Internetseiten dieser illegalen Anbieter. Für Beobachter nur noch ein Grund mehr, sich mit der flachen Hand vor die Stirn zu schlagen.
Erst kürzlich hat die Bundesregierung endgültig den hehren, aber hilflosen Versuch begraben, Internetseiten mit kinderpornografischem Inhalt zu sperren. Neben der technischen Problematik gibt es gesellschaftsrechtliche Bedenken, die von Wacker auf den Punkt gebracht werden: Internetsperren seien in einem demokratischen Staat wie Deutschland nicht durchsetzbar. „Wir sind doch nicht in China oder Iran.“
Eingeweihte wundern sich indes über nichts mehr. Der Entwurf sei ein typischer politischer Kompromiss, der unter Zeitdruck zusammengeschustert wurde und zu dessen möglichen Folgen keinerlei Experten angehört wurden.
Letztendlich würde insbesondere die hohe Besteuerung dafür sorgen, dass die Anbieter weiter in den Schwarzmarkt gedrängt würden, glauben Experten wie Hambach. Es könnte so kommen wie in Frankreich, wo der Sportwettenmarkt ebenfalls mit zu hohen Steuern liberalisiert wurde und deswegen bereits Anbieter wie William Hill ihre Lizenzen zurückgegeben haben. Auch Bwin soll in Frankreich zuletzt tiefrote Zahlen geschrieben haben.
Dasselbe will Wacker in Deutschland nicht erleben. Daher hat er wie andere Konkurrenten beschlossen: „Ich setze auf die Karte Schleswig-Holstein.“ Die dortige Regierung hat gegen den Willen der anderen 15 Bundesländer einen eigenen Entwurf zur Prüfung an die EU-Kommission gesandt und will bereits in den kommenden Monaten Lizenzen ausgeben. An so viele Anbieter wie wollen. Und es wollen einige. Denn die veranschlagten Abgaben sind mit 20 Prozent auf den Rohrertrag deutlich geringer und gelten als tragbar; zudem sind Casino- und Pokerspiele erlaubt.
Insgeheim hoffen viele private Anbieter, dass die übrigen Länder noch begreifen, dass die Kieler Lösung nicht nur die einfachere, sondern auch die bessere ist. Eine Übernahme des schleswig-holsteinischen Entwurfs wäre möglich. Noch.
Zur Not würden die Kieler den Alleingang wagen. Schon einmal, 2008, soll Schleswig-Holstein das versucht haben, und ist am Ende doch noch eingeknickt. Wegen des Länderfinanzausgleichs. Diesmal, heißt es aus Kieler Kreisen, könne dieser nicht als Druckmittel herhalten, er ist noch bis 2019 festgeschrieben. Man werde standhaft bleiben, schließlich gehe es um Hunderte neue Arbeitsplätze durch Ansiedelungen der Anbieter und Steuereinnahmen von geschätzt über 200 Millionen Euro pro Jahr. Auf die neue Standfestigkeit könne man ruhig eine Wette abschließen.
Quelle: TIME Law News 2/2011 - Hambach & Hambach Rechtsanwälte