Urteil VG Gelsenkirchen: Beitreibung von bereits festgesetztem Zwangsgeld nach Erfüllung einer Unterlassungspflicht nicht mehr zulässig

Rechtsanwalt Guido Bongers

Rechtsanwaltskanzlei Bongers
Landgrafenstraße 49
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Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat in einem durch unsere Kanzlei geführten Verfahren mit Urteil vom 13.08.2015 – 5 K 4117/15 – entschieden, dass ein gegen den Betreiber eines Wettbüros festgesetztes Zwangsgeld nicht mehr von der Behörde beigetrieben werden dürfe, wenn dieser der Untersagungsverfügung nachgekommen sei, das Zwangsgeld aber schon festgesetzt worden sei. Das Gericht hat der Feststellungsklage des Klägers stattgegeben, wonach der Kläger die Feststellung begehrte, dass sich die Zwangsgeldfestsetzung gegen ihn erledigt habe.

Dabei bestätigt das Gericht zunächst ein berechtigtes Feststellungsinteresse und hält die Klage dann inhaltlich auch für begründet, weil sich die Zwangsgeldfestsetzung unabhängig von der Frage, ob das Zwangsgeld gegenüber dem Kläger überhaupt festgesetzt werden durfte, materiell erledigt hatte.

Die Entscheidung ist deshalb von erheblicher Bedeutung, weil in Nordrhein-Westfalen, im Gegensatz zu anderen Bundesländern, eine besondere gesetzliche Regelung im Verwaltungsvollstreckungsgesetz NRW (VwVG NW) besteht, wonach ein Zwangsgeld gem. § 60 Abs. 2 S. 2, 2 Halbsatz VwVG NRW immer noch dann beigetrieben werden dürfe, wenn der Duldungs- oder Unterlassungspflicht zuwidergehandelt worden sei, deren Erfüllung durch die Androhung des Zwangsgeldes erreicht werden sollte. Im vorliegenden Fall hatte der Kläger nach Auffassung des Gerichts einer Unterlassungspflicht zuwidergehandelt. Er hatte entgegen einer bestandskräftigen Ordnungsverfügung aus Sicht des Gerichts weiterhin ein Wettbüro betrieben. Damit hatte er gegen die Unterlassung der Nutzung aus Sicht des Gerichts verstoßen.

Nach Festsetzung von Zwangsgeldern gegen den Kläger wollte die Behörde das zuletzt festgesetzte Zwangsgeld von 5.000,00 € dann auch gegenüber dem Kläger beitreiben.

Das Verwaltungsgericht hat auf den Antrag des Klägers aber nunmehr festgestellt, dass dies nicht mehr zulässig ist. Dabei setzt sich das Verwaltungsgericht zutreffend mit der Besonderheit der Regelung des § 60 Abs. 3 VwVG NRW auseinander.

So stellt das Verwaltungsgericht heraus, dass durch den Zusatz „jedoch“ in § 60 Abs. 3 S. 2, 2. Halbsatz VwVG NRW und das Verhältnis zum 1. Halbsatz des Abs. 3, wonach die Beitreibung unterbleibt, sobald der Betroffene die gebotene Handlung ausführe oder die zu duldende Maßnahme gestatte, deutlich werde, dass die Vorschrift eine absolute Ausnahme von der grundsätzlichen Verpflichtung zur Einstellung der Zwangsvollstreckung bei Erfüllung der Ordnungspflichten für den Fall der Zuwiderhandlung gegen eine Duldungs- oder Unterlassungspflicht enthalte. Der Ausnahmecharakter hinsichtlich der Möglichkeit der Betreibung trotz Erfüllen der Unterlassungspflicht komme auch in § 65 Abs. 3 S. 2 VwVG NRW zum Ausdruck. Nach S. 1 dieser Vorschrift, der die allgemeinen Grundsätze enthalte, sei der Vollzug einzustellen, sobald sein Zweck erreicht worden sei, dem Betroffenen die Erfüllung der zu erzwingenden Leistung unmöglich geworden ist oder die Vollstreckungsvoraussetzungen nachträglich weggefallen seien. Da der 2. Satz des Abs. 3 jedoch vorsehe, dass § 60 Abs. 3 VwVG NRW unberührt bleibe, also eine Beitreibung des Zwangsgeldes ungeachtet der Zweckerreichung, der Unmöglichkeit der Erfüllung der Grundverfügung oder des Wegfalls der Vollstreckungsvoraussetzungen zu erfolgen habe, werde auch hierdurch deutlich, so das Gericht, dass es sich bei § 60 Abs. 3 S. 2, 2. Halbsatz VwVG um eine Ausnahmevorschrift zu dem allgemeinen Grundsatz handele, wann der Vollzug einzustellen sei.

Der Ausnahmecharakter der Vorschrift des § 60 Abs. 3 S. 2 VwVG NRW werde auch durch die Vorschrift des § 57 Abs. 3 S. 1 VwVG NRW zum Ausdruck gebracht. Insofern kommt das Gericht zu der zutreffenden Einschätzung, dass die Vorschrift grundsätzlich sehr eng auszulegen sei, wobei neben der engen Auslegung auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aus § 58 VwVG NRW zu beachten sei. Nach dieser Regelung müsse das Zwangsmittel in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck stehen. Damit normiere das Verwaltungsverfahrensgesetz NRW die Eckpunkte des verfassungsrechtlichen Gebotes der Verhältnismäßigkeit hoheitlicher Eingriffe, wonach dieser auf einen gesetzeslegitimierenden Zweck zurückgeführt und hierfür geeignet, erforderlich und angemessen, also verhältnismäßig im engeren Sinne, sein müssen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei auf jeder Stufe der Zwangsvollstreckung und damit auch bei der Betreibung uneingeschränkt zu berücksichtigen. Dies habe zur Folge, dass jede Vollstreckungsmaßnahme des gestuften Zwangsgeldverfahrens gem. § 58 Abs. 1 VwVG NRW einem legitimen Zweck dienen müsse. Das wiederum bedeute, dass die Anforderungen der Verhältnismäßigkeit auf jeder Stufe bzw. dem hiermit korrelierenden Zeitpunkt gesondert zu beachten seien. Dies gelte insbesondere bei der Beitreibung des Zwangsgeldes, welche sich faktisch als „Griff ins Portemonnaie“ den schwerwiegendsten Eingriff in die Rechte des Vollstreckungsschuldners beinhalte. Zudem setze die Verhältnismäßigkeit nach § 58 Abs. 1 VwVG NRW einen legitimen Zweck der jeweiligen Verwaltungsvollstreckungsmaßnahme voraus. Zweck der Festsetzung eines Zwangsgeldes sei aber die Beugung des Willens des Ordnungspflichtigen, wohingegen die Regelung gerade keinen Sanktionscharakter habe. Das Gericht verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Gesetzesbegründung gem. der Landtagsdrucksache Nr. 13/3192 vom 07.11.2002.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts erfüllt daher die Betreibung eines festgesetzten Zwangsgeldes nach Befolgen der Unterlassungspflicht nicht mehr dem legitimen Zweck der Willensbeugung und sei daher grundsätzlich unverhältnismäßig.

Die Kammer hebt dabei hervor, dass sie sich einer früheren Rechtsprechung des OVG Münster nicht anschließe und hat insoweit in seiner Entscheidung auch die Berufung zum Oberverwaltungsgericht Münster ausdrücklich zugelassen. Insgesamt ist also festzuhalten, dass es in Nordrhein-Westfalen eine Sonderreglung im Verwaltungsvollstreckungsgesetz gibt, wonach ein Zwangsgeld auch dann noch beigetrieben werden kann, wenn einer Unterlassungspflicht endgültig durch den betroffenen Bürger nachgekommen worden ist. Da es sich bei Zwangsgeldern nicht um eine strafrechtliche Sanktion, sondern lediglich um ein Beugemittel handelt, stellt das Verwaltungsgericht aus unserer Sicht völlig zutreffend fest, dass eine Auslegung auch der vorbeschriebenen gesetzlichen Regelungen des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes NRW, die ohnehin von den Regelungen anderer Bundesländer abweicht, nur in der Weise in verfassungskonformer Form erfolgen kann, dass in einem solchen Fall ein solches Zwangsgeld auch nicht mehr beigetrieben werden darf. Die Regelung des § 60 Abs. 3 S. 2, 2. Halbsatz VwVG NRW wird damit aus unserer Sicht zutreffend ausgelegt. Das Gericht hatte in dieser Sache ergänzend festgestellt, dass auch eine Wiederholungsgefahr nicht mehr in Betracht komme, da der dortige Kläger zur Überzeugung des Gerichts dargelegt hatte, dass er die Nutzung der Räumlichkeiten endgültig aufgegeben habe. Es bleibt nun abzuwarten, ob das Oberverwaltungsgericht diese Rechtsauffassung in einer solchen Konstellation bestätigt. Die beklagte Behörde hat Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen eingelegt.

Bedeutsam ist die Entscheidung vor allem deshalb, weil es bereits sehr häufig Fälle von Wettanbietern und deren Vermittlern oder auch anderen Unternehmen gegeben hat, bei denen einer Verfügung erst nachgekommen wurde, nachdem ein Zwangsgeld festgesetzt wurde. Die Behörden, gerade in NRW haben häufig versucht, dann trotz Einstellung der Tätigkeit das festgesetzte Zwangsgeld noch beizutreiben und zu vollstrecken, was für den Betroffenen sehr teuer werden konnte. Die ist nach Auffassung des Gerichts in solchen Konstellationen nicht zulässig, auch nicht in NRW, wo die vorgenannte, besondere Gesetzeslage besteht.