Ein Artikel von Rechtsanwalt Dr. Carsten Bringmann und Rechtsanwältin Elena Marks
A. Einleitung
Digitale Spiele sind ein fester Bestandteil im Alltag junger Menschen. Laut der „Jugend, Information, Medien“ (JIM)-Studie 2024 spielen rund 73 % der 12- bis 19-Jährigen in Deutschland täglich oder mehrmals pro Woche Games und verbringen werktags durchschnittlich 91 Minuten damit. Was Eltern, Pädagogen und Suchtexperten beunruhigt: Viele dieser Spiele enthalten sog. Lootboxen, wörtlich übersetzt „Beutekisten“, und andere Mechanismen, die stark an Glücksspiel erinnern und potenziell gravierende Folgen für Jugendliche haben können. Schon seit längerer Zeit fordern Sucht- und Rechtsexperten daher eine Regulierung dieser „virtuellen Beutekisten“. Das Saarland und Mecklenburg-Vorpommern bringen nun mit dem Antrag zur „Entschließung des Bundesrates zur Reduzierung der Suchtgefahr durch eine verbesserte Regulierung von Lootboxen und anderen glücksspielähnlichen Mechanismen in Videospielen“ (BR-Drs. 517/2025) vom 24.09.2025 den regulatorischen Stein ins Rollen. Dieser Beitrag gibt zunächst einen kurzen Überblick über den Status Quo der Regulierung von Lootboxen (dazu B.), stellt den Inhalt des Entschließungsantrages dar (dazu C.) und bewertet, was von diesem Vorstoß zu erwarten ist (dazu D.).
B. Status Quo der Regulierung von Lootboxen
Bei Lootboxen handelt es sich um virtuelle Behältnisse, die gegen Entgelt erworben werden können und einen oder mehrere Gegenstände enthalten, etwa Skins, Waffen oder Ausrüstungsobjekte, die im Spiel verwendet werden können. Welche Gegenstände eine Lootbox konkret enthält, ist dem Spieler im Voraus nicht bekannt; der Inhalt wird vielmehr zufällig oder anhand zuvor festgelegter Wahrscheinlichkeiten generiert. Die Risiken solcher Spielfunktionen liegen auf der Hand: Kinder und Jugendliche könnten zu problematischem Spielverhalten verleitet werden, ihre finanziellen Interessen könnten Schaden nehmen, und nicht zuletzt besteht die Gefahr, dass sie über diese Form des simulierten Glücksspiels an echtes (Online-)Glücksspiel herangeführt werden.
Schon vor Inkrafttreten des Staatsvertrags zur Neuregulierung des Glücksspielwesens in Deutschland („GlüStV 2021“) war in der rechtswissenschaftlichen Literatur umstritten, ob Lootboxen unter den Glücksspielbegriff fallen. Der GlüStV 2021 hat diese Streitfrage nicht abschließend geklärt. Der Hinweis in den Erläuterungen zum GlüStV 2021, wonach „simuliertes Glücksspiel“, wie es teilweise in Computer- und Videospielen vorkomme, nicht unter den Glücksspielbegriff falle, hat nicht zur Klärung beigetragen. Denn sogleich wird diese scheinbar klare Aussage eingeschränkt, wenn es heißt „soweit allerdings Elemente in Computer- und Videospielen angeboten werden, welche die Definition des Glücksspiels […] erfüllen, findet dieser Staatsvertrag einschließlich des Erlaubnisvorbehalts […] Anwendung” (siehe Erläuterungen zum GlüStV 2021). Richtigerweise können Lootboxen Glücksspiel sein, müssen es aber nicht sein. In diesem Sinne ist auch der Hinweis in den Erläuterungen zu verstehen. Die juristische Einordnung einer Lootbox als Glücksspiel hängt ganz maßgeblich von ihrer Ausgestaltung im Einzelfall ab. Entscheidend ist dabei insbesondere, ob der erspielten Beute ein Vermögenswert zukommt und nach welchen Kriterien sich dieser überhaupt bestimmen lässt.
Unabhängig davon stellt sich jedoch die grundsätzliche Frage, ob das Glücksspielrecht überhaupt den geeigneten Ordnungsrahmen für die Regulierung von Lootboxen bietet oder ob eine solche Regulierung nicht vielmehr im Jugendschutzrecht verankert werden müsste. Klar ist jedenfalls: Andere Staaten, wie etwa Spanien, haben bereits Regelungen erlassen, die ausdrücklich auf Lootboxen abzielen und deren Nutzung regulieren. Die Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland versuchen nun mit ihrem Vorstoß, Druck auf die Bundesregierung auszuüben, um auch eine Regulierung der Lootboxen in Deutschland auf Bundesebene zu erreichen.
C. Der Entschließungsantrag
Der Entschließungsantrag sieht vor, dass der Bundesrat die Bundesregierung bittet, eine Harmonisierung des Jugendschutzrechtes mit dem Glücksspielrecht der Länder zu prüfen und dabei sechs aufgezählte verhältnis- und verhaltenspräventive Maßnahmen in den Blick nimmt:
Erstens soll die Bundesregierung unter Einbindung der Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder („GGL“) prüfen, ob und wie glücksspielähnliche Mechanismen, wie sie insbesondere bei Lootboxen vorkommen, aufgrund vergleichbarer Wirkmechanismen und Gefährdungspotenziale dem Glücksspiel im Sinne von § 3 GlüStV 2021 gleichgestellt und ähnlich reguliert werden können.
Dieser Vorschlag überrascht insofern, als weder die Bundesregierung noch der Bundestag Urheber des GlüStV 2021 sind. Die Bundesregierung könnte daher weder die Vorschriften des § 3 GlüStV 2021 eigenständig ändern oder eine Änderung initiieren, noch könnte sie der GGL vorgeben, wie diese staatsvertragliche Norm auszulegen ist. Gemeint ist mit diesem Vorschlag daher wohl eher eine Form der informellen Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, repräsentiert durch die GGL, etwa im Rahmen eines Arbeitskreises.
Zweitens soll geprüft werden, ob für alle Spiele mit Lootboxen eine verbindliche Altersverifikation ab 18 Jahren eingeführt werden kann, um Minderjährige effektiv zu schützen. Diese Prüfung stützt sich auf eine Empfehlung der Europäischen Kommission vom 14. Juli 2025, in der gefordert wird, Minderjährige wirksam vor kostenpflichtigen Lootboxen und anderen glücksspielähnlichen Mechanismen zu schützen.
Im Gegensatz zum ersten Vorschlag gibt es hier kein Kompetenzproblem: Eine entsprechende Altersverifikationsregelung könnte tatsächlich auf Bundesebene im Jugendschutzgesetz (JuSchG) umgesetzt werden.
Drittens soll die Bundesregierung prüfen, inwiefern die Anbieter verpflichtet werden können, die Gewinnwahrscheinlichkeiten transparent offenzulegen und Warnhinweise zu den Gefahren glücksspielähnlicher Mechanismen bereitzustellen. Für herkömmliche Glücksspiele werden solche Transparenz- und Warnhinweispflichten insbesondere in den Inhalts- und Nebenbestimmungen der jeweiligen glücksspielrechtlichen Erlaubnis geregelt.
In diesem Zusammenhang ist auch die vierte Forderung zu lesen, dass die Bundesregierung prüfen soll, ob und inwiefern sich die Lizenzpflicht für Glücksspielanbieter auf Videospiele ausweiten lassen kann. Auch hier ist wiederrum aus kompetenzrechtlicher Sicht Vorsicht geboten: Der Bund kann nicht ohne weiteres ein landesrechtliches Lizensierungssystem erweitern. Er könnte aber sehr wohl unter Rückgriff auf den bundesgesetzlichen Kompetenztitel Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 (öffentliche Fürsorge) und Nr. 11 (Recht der Wirtschaft) GG ein eigenes Lizensierungssystem für Lootboxen errichten. Ob eine solche Lizenzpflicht für die zahlreichen betroffenen Spiele überhaupt praktisch umsetzbar ist, steht auf einem anderen Blatt.
Fünftens soll die Bundesregierung prüfen, inwieweit die Nationalen Gesundheitsziele um den Aspekt „Gesundheitsschutz im digitalen Raum“ erweitert werden können. Die Gesundheitsziele sind ein ergänzendes Steuerungsinstrument im Gesundheitswesen. Sie verfolgen das Ziel, die Gesundheit Einzelner oder bestimmter Gruppen in definierten Bereichen und gleichzeitig die Stärkung gesundheitsfördernder Strukturen zu verbessern. Seit 2003 werden die Gesundheitsziele unter Mitwirkung von Bund, Ländern, gesetzlicher Kranken- und Rentenversicherung, privater Krankenversicherung, Ärzten, weiteren Leistungserbringern sowie Patientenvertretern und Selbsthilfegruppen kontinuierlich weiterentwickelt. So besteht etwa das Ziel, den Tabakkonsum zu reduzieren, seit 2003; das Ziel, den Alkoholkonsum zu verringern, seit 2015. Ein neues Ziel zur Stärkung der Gesundheit im digitalen Raum erscheint vor diesem Hintergrund nicht fernliegend.
Sechstens und letztens soll die Bundesregierung dem Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) die Aufgabe übertragen, zielgruppengerechte Informationsmaterialien zu Lootboxen für Kinder, Jugendliche, Eltern sowie Akteure im Gesundheits- und Sozialbereich zusammenzustellen. Für das herkömmliche Glücksspiel stellt das BIÖG bereits entsprechende Materialien bereit (z.B. die Seite https://www.check-dein-spiel.de/).
D. Fazit und Ausblick
Der Entschließungsantrag könnte den Startpunkt für eine zielorientierte Regulierung von Lootboxen und anderen glücksspielähnlichen Mechanismen bilden. Zunächst wird in den Ausschüssen des Bundesrates über den Antrag beraten. Sollte der Antrag nach den Beratungen positiv beschieden werden, wäre der Blick auf die Bundesregierung zu richten. Da Entschließungen rechtlich unverbindlich sind, wäre die Bundesregierung faktisch nicht zu einem Handeln verpflichtet. Es entstünde jedenfalls ein politischer Regulierungsdruck, der die Debatte um die Regulierung von Lootboxen erneut befeuern könnte.
Inhaltlich bleibt der Entschließungsantrag vage, was gerade dem Charakter des rechtlich unverbindlichen Entschließungsantrags geschuldet sein dürfte. Dass die Bundesregierung verpflichtet werden soll, den landesgesetzlichen Glücksspielbegriff sowie die Übertragung des landesrechtlichen Lizenzierungssystems auf Lootboxen zu prüfen, ist aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht zumindest unglücklich. Die im Entschließungsantrag behandelten Themen wurden bereits in politischen Vorstößen auf Landesebene, zuletzt bspw. im Niedersächsischen Landtag (vgl. LT-Drs 19/6617), sowie unter anderem von den Autoren in juristischen Fachkreisen als möglicher Inhalt einer gesetzlichen Regulierung berücksichtigt. Soll die Bundesregierung tatsächlich zu einem Handeln motiviert werden, wäre es möglicherweise zielführender, einen konkreten Regulierungsvorschlag – ggf. auch im Rahmen einer verbindlichen Gesetzesinitiative – vorzulegen.
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