Vorausgegangen waren bereits verfahrenskritische Zwischenregelungsbeschlüsse des VG Wiesbaden und des Hessischen VGH sowie ein Eilbeschluss gegenüber einem auf der zweiten Stufe gescheiterten Bewerber (5 L 1448/14 – Rechtsanwalt Rolf Karpenstein) vor wenigen Wochen (siehe ISA Beitrag Arendt vom 23.04.2015). Die hessischen Gerichte setzen ihre dem Sportwettkonzessionsverfahren gegenüber zu Recht kritische Rechtsprechung damit konsequent fort.
Die Gründe des VG Wiesbaden sind so sorgfältig abgefasst und so grundlegender Natur, dass viel dafür spricht, dass der Hessische Verwaltungsgerichtshof dem Beschluss in einem etwaigen Beschwerdeverfahren folgen dürfte. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, ist schon jetzt absehbar, dass vor dem Jahresende 2016 kaum mit der Erteilung von Konzessionen gerechnet werden könnte, weil das Land es versäumt hat, in einem Frühstadium des Verfahrens die Schwärzung der Akten zu gewährleisten und die Streitigkeiten allein hierum durch zwei Instanzen bis zur ersten Jahreshälfte 2016 anhalten werden. Erst im Anschluss daran könnten Sachentscheidungen im Eilverfahren getroffen werden, die für den jeweiligen Einzelfall die Auswahl beurteilen würden.
Diese Misere des Konzessionsverfahrens lässt sich nur grundlegend reparieren. Das Land müsste das Verfahren auf Null zurückdrehen und die unzureichende seinerzeitige Bekanntmachung und die Transparenzmängel beheben, um nicht überflüssige weitere Verzögerungen für die Bewerber in Kauf zu nehmen. Geltend gemacht wird dies von Anbietern bereits seit Herbst 2012 (!). In den entsprechenden Klageverfahren dürfte mit einer Terminierung in Kürze zu rechnen sein.
Dem Eilbeschluss ist anzumerken, dass dem Verwaltungsgericht die grundlegende Tragweite seiner Entscheidung bewusst ist. Nicht von ungefähr stellt das Verwaltungsgericht seinen Entscheidungsgründen eine sehr ausführliche Sachverhaltsdarstellung voran, die für ein Eilverfahren ungewöhnlich ist. Dies dürfte bewusst geschehen sein, um sich von der Handhabung anderer Gerichte abzugrenzen, die erkennbar unzureichend über den eigentlichen Verlauf des Verfahrens unterrichtet waren, was freilich weniger den Gerichten als vielmehr dem Prozessvortrag des Landes zuzuschreiben sein dürfte.
Die Brisanz der Entscheidung erhöht sich dadurch, dass ihre Grundtendenz sich mit den Zwischenregelungsbeschlüssen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts deckt, auf die ausdrücklich Bezug genommen wird, und die Beurteilung der Bekanntmachung des Verfahrens als intransparent durch die Stellungnahme der Europäischen Kommission im EuGH-Verfahren Ince gestützt wird (C-336/14). Diese wiederum beruft sich auf die einschlägige EuGH-Rechtsprechung. Von daher spricht sehr viel dafür, dass sich an dem Ergebnis nichts mehr ändern wird.
An dieser Stelle könnte daher nunmehr die Politik gefordert sein, die sich fragen muss, wie lange sie die Agonie des Sportwettkonzessionsverfahrens noch weiter hinnehmen will.
Im Einzelnen ist zu dem Beschluss folgendes anzumerken:
- Das VG Wiesbaden stellt seinen Entscheidungsgründen – für ein Eilverfahren ungewöhnlich – eine sehr ausführliche Sachverhaltsdarstellung voran. Das Konzessionsverfahren wird in seinem Ablauf detailliert dargestellt. Dies ist normalerweise eher in Hauptsacheverfahren üblich. Die Kammer dürfte dieses Vorgehen mit Bedacht gewählt haben. Der Beschluss hebt sich insoweit nämlich wohltuend ab von einem vorausgegangenen Beschluss des VG München und einer Hauptsacheentscheidung des VG Gelsenkirchen für einen auf der zweiten Stufe erfolglosen Bewerber, die sich mit dem Verfahrenshergang erkennbar nicht näher befasst haben.
- Die Kammer bewertet das Konzessionsverfahren als fehlerhaft und rechtswidrig. Wörtlich heißt es hierzu:
„Das bisherige Konzessionsverfahren ist daher von seiner Konzeption, seinen Anforderungen und vom Verfahrensablauf her als intransparent und fehlerhaft zu bewerten und erfüllt nicht die Anforderungen an eine zulässige Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit.“
Die Kammer hält damit nicht die tatsächliche Bewertung des Einzelfalls für entscheidend, sondern setzt viel grundlegender an. Es hebt darauf ab, dass
„[…] eine in einem mit Fehlern behafteten Verwaltungsverfahren abgegebene Bewerbung […] nicht Gegenstand einer rechtmäßigen behördlichen Beurteilung sein [kann]. Insoweit sind auch die übrigen Argumente, die die Beteiligten vorgetragen haben, nicht mehr entscheidungserheblich.“
- Das Verwaltungsgericht versteht den Beschluss damit als Leitentscheidung. Es hält rechtlich die komplette Wiederholung des Konzessionsverfahrens für angezeigt und spricht dies offen aus. Die Kammer erläutert mit Blick auf das Hauptsacheverfahren, dass hier
„[…] regelmäßig nur die Verpflichtung zur Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts bei erneuter Durchführung des Verfahrens unter Vermeidung fehlerhafter Verfahrensschritte erreicht werden [kann].“
- Ausführlich widmet sich der Beschluss den unionsrechtlichen Aspekten und erkennt eine wesentliche nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit der Antragstellerin schon in der unzureichenden Transparenz des Auswahlverfahrens. Nicht alle Kriterien für die Konzessionierung seien im Rahmen der seinerzeitigen Bekanntmachung im Voraus veröffentlicht worden, wie das Gesetz dies verlangt (Urteilsausdruck S. 19 und 20). In diesem Zusammenhang wird zugleich offen der Vorwurf ausgesprochen, dass das Land genügend Zeit gehabt hätte, nach der Unterzeichnung des Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrages ein entsprechendes Verfahren vorzubereiten.
Die Intransparenz des Verfahrensverlaufs ergibt sich nach den Ausführungen des VG Wiesbaden auch aus dem umfangreichen Fragen-/Antwortenkatalog. Demnach reicht der erhebliche Umfang der von den Bewerbern gestellten Fragen bereits als Indiz für eine von vornherein bestehende Intransparenz und Unverständlichkeit des Verfahrens. Auch interessierte „externe“ Bewerber seien unverhältnismäßig dadurch in ihrer Dienstleistungsfreiheit eingeschränkt worden.
- Zudem stelle die Ausschreibung unzutreffend gesetzeswidrig auf das „wirtschaftlich günstigste Angebot“ als einziges Auswahlkriterium ab.
- Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass das VG Wiesbaden das prozessuale Verhalten des Landes Hessen dahin bewertet, die zuständige Behörde habe sich weder im Verwaltungsverfahren noch im gerichtlichen Streitverfahren mit dem Ziel auseinandergesetzt,
„[…], die behördliche Sachentscheidung nochmals auf den Prüfstand zu stellen. Vielmehr diente der Vortrag ausschließlich dazu, das Eilverfahren „zu gewinnen“ und den aus seiner Sicht unberechtigten Anspruch zurückzuweisen.“
- Eindeutig verhält sich der Beschluss auch zur verfassungswidrigen Gestaltung der Rolle des Glücksspielkollegiums. Es bezieht sich hierbei auch auf dessen Stellung als dritte Ebene im Bundesstaat und sieht darin zu Recht eine Verletzung des Demokratieprinzips und der Regelungen der Artikel 83 ff. zur Bundes- und Länderverwaltung, wie die Kammer unter Bezugnahme auf einem früheren Beschluss vom 11.06.2013 –
5 K 63/13WI (Rechtsanwälte Redeker) bekräftigt. Die Kammer deutet an, dass die im Gesetz bestimmte Rolle des Glücksspielkollegiums möglicherweise verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden könne, dass das das Glücksspielkollegium ausschließlich beratende Rolle hätte. Für diesen Fall sei jedoch die komplette Verfahrensführung und Beschlussfassung des Glücksspielkollegiums intransparent und inhaltlich nicht nachvollziehbar (Beschlussausdruck S. 23. Das wirkt sich auf die Überprüfbarkeit der Beurteilung aus (Beschlussausdruck S. 25).
- Was die Beurteilung der Ausgangsbekanntmachung des Verfahrens und dessen Intransparenz anbetrifft, deckt sich der Beschluss mit der Stellungnahme der Europäischen Kommission im EuGH-Verfahren. Aufgrund der erheblichen – auch politischen Signalwirkung des Beschlusses erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die Europäische Kommission diesen zum Anlass nimmt, das – derzeit ruhende – deutsche Vertragsverletzungsverfahren wieder aufzunehmen. Letztlich läge dies im allseitigen Interesse. Denn es besteht dringender Handlungsbedarf zur Beseitigung des Regulierungsdefizits oder des Ziels der Kanalisierung des Glücksspielstaatsvertrags endlich einen funktionierenden Rahmen für ein gesetzlich und behördlich geordnetes Glücksspiel zu schaffen. Würde die Bundesrepublik Deutschland hier zur Stellungnahme aufgefordert, würde dies den Druck auf die Länder erhöhen, ihre bisherige Regulierung zu überdenken.
Derzeit laufen die Schutzziele des Koalitionsvertrages der Bundesregierung, die Integrität des Sports zu wahren und den Sport vor Manipulationen zu schützen, vollständig ins Leere. Solange es kein erlaubtes und reguliertes Sportwettangebot gibt, besteht kein Handlungsrahmen, in dem auf Maßnahmen von Adressaten gedrungen werden kann.
- Gegen den Beschluss ist die Beschwerde für das Land eröffnet. Da der Beschluss sich in der Tendenz mit Grundaussagen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in einem Urteil aus dem vergangenen Jahr zu Dienstleistungskonzessionen deckt, spricht viel dafür, dass der Hessische Verwaltungsgerichtshof die rechtliche Beurteilung des VG teilt.
- Aber selbst wenn der Hessische VGH die Bedenken im Beschwerdeverfahren nicht aufrechterhalten sollte, würde dies das Verfahren nicht beschleunigen. Er müsste dann eine Einzelfallbeurteilung zur Auswahlentscheidung fällen. Dies wiederum würde eine Vorlage der Verwaltungsvorgänge voraussetzen. Die Verwaltungsvorgänge enthalten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, die konkurrierenden Bewerbern offenbart werden müssten. Hierzu sind gerichtliche Auseinandersetzungen zum Geschäftsgeheimnisschutz anhängig, die erst abgewickelt werden müssen, bevor Einzelfallentscheidungen der Konzessionsbewerber überhaupt gefällt werden können. Derzeit durchlaufen sie nur eine erste Runde, in der keine Klärung erfolgen kann, weil es an der Erforderlichkeit der Vorlage fehlte. Die eigentlichen Geheimschutzverfahren, die sich im Falle der Erforderlichkeit anschließen würden, wiederum müssen zwei Instanzen (Hessischer Verwaltungsgerichtshof und Bundesverwaltungsgericht) durchlaufen. Erst danach könnte über die Eilverfahren entscheiden werden.
Angesichts dieser Entwicklung stellt sich einmal mehr die Frage, ob die deutschen Bundesländer nach 20 Jahren vergeblichen Bemühens um ein rechtliches und – seit dem 01.07.2012 durch die Übergangsregelung des § 29 GlüStV i.V.m. mit dem auf Jahre angelegten Konzessionsverfahren geschickt verkapptes – fakisches Sportwettmonopol, das sich stets als verfassungs- oder unionsrechtswidrig erwiesen hat, sich endlich um einen ordentlich regulierten Sportwettmarkt bemühen wollen.