Zur Frage der Rechtmäßigkeit von Hausdurchsuchungen in Ermittlungsverfahren des Glücksspielstrafrechts: Eine kritische Analyse der Praktiken von Staatsanwaltschaften und Strafrichtern

Rechtsanwalt Dr. Nik Sarafi

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Den Verfasser erreichen seit einiger Zeit immer wieder Informationen und auch Anfragen von Mandanten mit Glücksspielbezug, wonach es zu Hausdurchsuchungen in glücksspielstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren gekommen ist.

Zum Erlass eines Hausdurchsuchungsbeschlusses respektive zur Anordnung einer solchen Maßnahme müssen Regeln eingehalten werden, an die sich gemäß Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowohl die Strafrichter als auch die Staatsanwaltschaften und die Polizei halten müssen. Leider wird in der Praxis diese Vorgabe nicht selten missachtet, da für die Anordnung einer Hausdurchsuchung bzw. für den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses lediglich auf das Vorliegen eines Anfangsverdachtes abgestellt wird.

Allerdings ist es zwingend erforderlich, dass neben dem Vorliegen eines Anfangsverdachts auch das Kriterium der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt wird. Hierbei ist einerseits ein Blick auf die im Gesetz festgelegten Höchststrafen erforderlich, andererseits muss auch der tatsächliche Unrechtsgehalt der unter Strafe gestellten Handlungen sorgfältig bewertet werden. Bei den §§ 284ff. StGB ist ohnehin fraglich, ob der Gesetzgeber strafwürdiges Verhalten kriminalisiert hat.

Insbesondere § 285 StGB steht in Konflikt mit dem aus der Menschenwürde abgeleiteten Autonomieprinzip und dem Grundsatz der Straffreiheit eigenverantwortlicher Selbstgefährdung. Dies wird vor allem im Betäubungsmittelrecht deutlich, wo der Konsum auch harter Drogen straffrei ist. Die vorstehende Thematik wurde in der Literatur sowie durch den Autor selbst (vgl. „Die Kriminalisierung des Glücksspiels durch die §§ 284 ff. StGB unter strafverfassungsrechtlichen Gesichtspunkten“ und „Paternalismus im Glücksspiel und seine Folgen am Beispiel der geldwäscherechtlichen Verdachtsmeldungen durch Banken – Wenn Strafgesetze mehr schaden als schützen“) bereits hinlänglich erörtert, worauf an dieser Stelle erneut verwiesen wird.

Es ist auch bereits hier zu betonen, dass selbst das Bundesjustizministerium erkannt hat, dass mit den §§ 284ff. StGB kein strafwürdiges Verhalten kriminalisiert wird und am 23. November 2023 verkündet hat, die §§ 284ff. StGB aus dem Strafgesetzbuch streichen zu wollen.

Ein kürzlich ergangener Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - der zwar nicht direkt mit dem Glücksspielrecht in Verbindung steht, strafprozessual aber in vollem Umfang auf das Glücksspielstrafrecht zu übertragen ist - unterstützt die Rechtsauffassung nachdrücklich, dass beim Vorwurf der Teilnahme am unerlaubten Glücksspiel (§ 285 StGB) und Werbung für unerlaubtes Glücksspiel (§ 284 Abs. 4 StGB) keine Hausdurchsuchungen erfolgen dürfen. Zusätzlich spielt ein weiterer, ebenso kürzlich ergangener, Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Thema Durchsuchungen eine wichtige Rolle, um die Bedeutung der Verhältnismäßigkeit zu unterstreichen.

I. Zur Hausdurchsuchung im Allgemeinen

Wie jede Maßnahme, die in Grundrechte eingreift, benötigt auch die Durchsuchung eine Rechtsgrundlage.

Für Beschuldigte findet sich diese im § 102 der Strafprozessordnung (StPO). Laut § 103 Abs. 1 StPO dürfen Durchsuchungen auch bei „anderen Personen“ durchgeführt werden, wenn Tatsachen darauf hindeuten, dass sich die gesuchte Person, Spur oder Sache in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Unabhängig davon, ob es sich um Beschuldigte oder andere Personen handelt – eine Durchsuchung in Wohnräumen stellt stets „erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen“1 dar, namentlich die Grundrechte der Art. 2 GG und 13 GG.

Selbstredend ist eine Durchsuchung nicht per se verfassungswidrig, nur weil staatlicherseits in Grundrechte eingegriffen wird. Grundrechtseingriffe sind oftmals gerechtfertigt: Mit Ausnahme des Grundrechts der Menschenwürde dürfen unter gewissen Voraussetzungen staatliche Grundrechtseingriffe erfolgen („Verfassungsrechtliche Rechtfertigung“).

Das Problem bei Hausdurchsuchungen im Vergleich zu vielen anderen grundrechtseingreifenden staatlichen Maßnahmen ist allerdings, dass hier bereits der Anfangsverdacht ausreicht. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 102 StPO, wonach es ausreichend ist, dass eine Person einer Straftat „verdächtig“ ist.

Dies ist deswegen besonders, da der Anfangsverdacht die niedrigste der drei Verdachtsstufen der deutschen Strafprozessordnung ist und vom hinreichenden Tatverdacht sowie vom dringenden Tatverdacht abzugrenzen ist, obwohl die Maßnahme selbst einen „erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre“2 darstellt. Hierbei muss man sich stets vor Augen halten, dass der Anfangsverdacht die Verdachtsstufe ist, mit der die Ermittlungen überhaupt erst eingeleitet werden (vgl. § 152 Abs. 2 StPO).

Mithin kann bereits eine einfache Strafanzeige – womit in der Regel der Anfangsverdacht einhergeht – eine Hausdurchsuchung rechtfertigen. Jedoch ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwingend zu wahren, ein Prinzip, das von Ermittlungsbehörden und Richtern in der Praxis leider oft vernachlässigt wird. Dieser Aspekt wird unten noch genauer erörtert.

Zum Verständnis des Strafverfahrens: Bei einem Anfangsverdacht der Begehung einer Straftat beginnt das Ermittlungsverfahren gegen einen Beschuldigten, um zu überprüfen, ob sich der Anfangsverdacht zu einem hinreichenden Tatverdacht verdichtet. Erst bei einem hinreichenden Tatverdacht ist eine Anklageerhebung oder ein Strafbefehl möglich (vgl. § 170 Abs. 1 StPO). In dieser Phase sind die Ermittlungsbehörden gefordert, Beweise zu sammeln und den Fall gründlich aufzuklären, wobei gemäß § 160 Abs. 2 StPO stets neutral zu ermitteln ist.

Der Anfangsverdacht besteht in der Wahrscheinlichkeit, dass eine Straftat begangen oder versucht, jedoch nicht nur vorbereitet wurde. Der Verdacht darf dabei nicht bloß vage oder auf Vermutungen basieren, sondern es muss im Bereich des Möglichen liegen, dass der Verdächtige durch sein vorgeworfenes Verhalten eine Straftat begangen hat.

Ein entscheidender und äußerst wichtiger Aspekt, der jedoch in der Praxis häufig vernachlässigt wird, ist folgender:
Je unkonkreter der Anfangsverdacht und je geringer das Gewicht des Tatvorwurfs, desto höher sind die Anforderungen an die Prüfung und Darlegung der Verhältnismäßigkeit.

Zusammengefasst löst ein Anfangsverdacht das Ermittlungsverfahren überhaupt aus. Verdichtet sich der Verdacht zum hinreichenden Tatverdacht, leitet die Staatsanwaltschaft den Fall an das Strafgericht weiter. Erhärtet sich der Verdacht nicht, ist das Verfahren einzustellen (vgl. § 170 Abs. 2 StPO).

II. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip

1. Allgemeines

Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit müssen alle staatlichen Maßnahmen zunächst einem legitimen Zweck dienen. Der Gesetzgeber hat bei der Festlegung der Zwecke und Ziele seiner Gesetze einen großen Beurteilungs- und Entschließungsspielraum3. Dieser Punkt stellt in der Praxis regelmäßig keine großen Schwierigkeiten dar.

Der mit der Maßnahme verbundene Eingriff in die Grundrechte muss geeignet sein, den verfolgten Zweck zu erreichen oder zu fördern (Geeignetheit). In der Regel stellt auch dieser Punkt keine großen Schwierigkeiten dar.

Die Maßnahme muss zudem erforderlich sein, um den Zweck zu erreichen. Das heißt, es darf kein anderes Mittel geben, das gleich gut oder sogar besser geeignet wäre, das angestrebte Ziel zu erreichen (Erforderlichkeit).

Die Maßnahme darf weiterhin nicht außer Verhältnis zum Ziel und dem Zweck stehen, was bedeutet, dass die Nachteile, die für die betroffene Person durch die Maßnahme entstehen, in einer angemessenen Relation zu den Vorteilen stehen müssen, die durch die Erreichung des Ziels erhofft werden (Angemessenheit oder Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne).

Die beiden letzten Punkte sind von erheblicher Bedeutung:

2. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei Durchsuchungen

Bei Durchsuchungen muss der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besonders beachtet werden, wie das Bundesverfassungsgericht immer wieder betont:

„Diese Zwangsmaßnahmen, deren Anordnung in das Ermessen des Richters oder der sonst zuständigen Stellen gestellt ist, enthalten schon ihrer Natur nach regelmäßig einen erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebensphäre des Betroffenen, namentlich die Grundrechte der Art. 2 und 13 GG: Ihre Anwendung steht daher von vornherein unter dem allgemeinen Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit (…). Der jeweilige Eingriff muß in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des bestehenden Tatverdachts stehen (…).“4 (Hervorhebung d. den Autor)

Aus den hiesig bekannten Verfahren entsteht der Eindruck, dass sowohl bei Staatsanwälten, die einen Durchsuchungsbeschluss beantragen, als auch bei Richtern, die diesen bewilligen, häufig weniger eine kritische Prüfung der Einhaltung der Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes stattfindet.

Angesichts der Tatsache, dass der Anfangsverdacht in der Regel schon allein aufgrund des Bestehens eines Ermittlungsverfahrens zu bejahen ist, müsste jedoch sorgfältig geprüft werden, ob die geplante Durchsuchung nicht nur geeignet, sondern ob sie auch erforderlich und ob sie angemessen ist.

Um die Bedeutung dieser Aspekte zu verdeutlichen, sollen zwei hochaktuelle Fälle von rechtswidrigen Durchsuchungen vorgestellt werden, die vom Bundesverfassungsgericht wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als verfassungswidrig erklärt wurden:

a) Erforderlichkeit

Es gibt wiederholt Fälle, in denen Durchsuchungen durchgeführt werden, lediglich mit dem Ziel, „persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse des Angeklagten im Rahmen der Festsetzung der Tagessatzhöhe“ zu ermitteln.

Solche Maßnahmen sind in der Regel wegen der fehlenden Erforderlichkeit unverhältnismäßig, da die Behörden heutzutage z.B. problemlos Einblick in die Konten der Beschuldigten erhalten können.

Dies macht eine Durchsuchung nicht erforderlich, da ein weniger eingreifendes Mittel verfügbar ist. Es existieren offensichtlich immer Ausnahmefälle, doch wie ein aktueller Fall beweist, wird auch in diesem Hinblick teilweise nachlässig vorgegangen.

In einem Fall wurde gegen einen Beschuldigten wegen des Verdachts der Beleidigung von zwei Polizeibeamten ermittelt. Um Informationen über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu gewinnen, ordnete das Amtsgericht die Durchsuchung seiner Wohnung an. Der Betroffene legte dagegen Beschwerde ein. Bedauerlicherweise blieb diese Beschwerde zunächst bei den Strafgerichten erfolglos, sie wurde allerdings bis zum Bundesverfassungsgericht fortgeführt, der dieser grundrechtswahrend statt gab.

Mit Beschluss vom 15. November 2023 hat das Bundesverfassungsgericht zum Aktenzeichen 1 BvR 52/23 die Verfassungswidrigkeit des Durchsuchungsbeschlusses wegen Unverhältnismäßigkeit festgestellt:

„Allerdings war die Anordnung der Durchsuchung hier unverhältnismäßig. Angesichts grundrechtsschonender, alternativer Ermittlungshandlungen stand eine Durchsuchung beim Beschwerdeführer außer Verhältnis zur Schwere der hier verfolgten Straftat.

Naheliegend und grundrechtsschonend wäre es gewesen, zunächst den Beschwerdeführer über seinen Verteidiger zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu befragen. Eine solche Nachfrage hätte im Streitfall aus der ex ante-Perspektive mit realistischer Wahrscheinlichkeit zur Erlangung ausreichender Informationen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen geführt. Auch die Gefahr eines Beweismittelverlustes bestand nicht.“5

b) Angemessenheit

Von Bedeutung ist auch der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Dezember 2023 zum Aktenzeichen 2 BvR 1749/20.

In dem Fall ging es darum, dass eine Person von der Polizei in (crimine) flagranti erwischt wurde, wie sie einen Schaukasten öffnete, um ein Werbeplakat der Bundeswehr herauszunehmen und dieses durch ein optisch sehr ähnliches, verfälschtes bundeswehrkritisches Plakat zu ersetzen.

Nachdem die Polizei im Stadtgebiet ähnliche Fälle veränderter Werbeplakate der Bundeswehr feststellte, ordnete das Amtsgericht die Durchsuchung der Wohnung der Person, die zuvor erwischt worden war, an. Ziel der Durchsuchung war es zu überprüfen, ob die zuvor erfasste Person möglicherweise auch für die anderen Vorfälle verantwortlich war.

Die dagegen eingelegte Beschwerde blieb in den unteren Gerichtsinstanzen – leider auch hier – ohne Erfolg.

Erst das Bundesverfassungsgericht stellte die Verfassungswidrigkeit dieser Maßnahme fest und betonte dabei, dass zwar auf der ersten Stufe der Anfangsverdacht zu bejahen sei. Jedoch verstoße die Maßnahme gegen den Grundsatz des Verhältnismäßigkeitsprinzips.

a) „Zwar bestand im Zeitpunkt der Durchsuchung der Verdacht, dass die Beschwerdeführerin eine Straftat begangen hatte. Vor diesem Hintergrund war die Beschwerdeführerin zumindest verdächtig, am 13. Mai 2019 einen versuchten (einfachen) Diebstahl begangen zu haben, weil sie dabei beobachtet worden war, wie sie aus einem Schaukasten ein Werbeplakat entnommen hatte. Der Anfangsverdacht hinsichtlich der Begehung einer vollendeten Sachbeschädigung an dem mitgebrachten, verfremdeten Plakat erweist sich allenfalls als schwach.

b) Die Durchsuchungsbeschlüsse entsprechen jedoch nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Anordnung der Durchsuchung war unangemessen, da die Schwere des Eingriffs außer Verhältnis zu dem mit ihm verfolgten Zweck steht.

Im Rahmen einer umfassenden Gesamtabwägung, die die hohe Bedeutung der Unverletzlichkeit der Wohnung in den Blick nimmt, sprechen der allenfalls schwache Anfangsverdacht der vollendeten Sachbeschädigung, die fehlende Schwere der Taten, die geringe Wahrscheinlichkeit des Auffindens der erhofften Beweismittel und deren untergeordnete Bedeutung für das Strafverfahren gegen die Angemessenheit der Durchsuchungsanordnungen.

Die angegriffenen Entscheidungen setzen sich mit der Schwere der Taten und der zur erwartenden Strafe nicht hinreichend auseinander. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit kann lediglich berücksichtigt werden, welche Strafe hinsichtlich der konkreten Tat zu erwarten war, die durch die Durchsuchung aufgeklärt werden sollte. Die Durchsuchungsanordnung beschränkt den Durchsuchungszweck auf die Aufklärung der Geschehnisse vom 13. Mai 2019. Ob die Durchsuchung zur Aufklärung bislang ungeklärter Fälle des „Adbustings“ hätte beitragen können, muss bei der Frage nach der Schwere der Tat daher außer Betracht bleiben. Die zu erwartende Strafe – hätte sich der Tatverdacht des versuchten Diebstahls und der vollendeten Sachbeschädigung im Rahmen der Durchsuchung bestätigt – wäre voraussichtlich niedrig ausgefallen.

Zudem ist äußerst unwahrscheinlich, dass die Durchsuchung tatsächlich zum Auffinden von Beweismitteln geführt hätte, die den Verdacht hinsichtlich der Vorgänge vom 13. Mai 2019 hätten erhärten können. Selbst wenn in der Wohnung der Beschwerdeführerin andere Werbeplakate, Werkzeuge zum Öffnen der Schaukästen, Schablonen und sonstige Materialien zur Umgestaltung von Plakaten sowie Mobiltelefone oder Tablets, die die Umgestaltung der Plakate dokumentierten, gefunden worden wären, so könnten diese Gegenstände allenfalls belegen, dass die Beschwerdeführerin wohl für die „Adbusting“-Szene aktiv ist. Einen Rückschluss darauf, dass die Beschwerdeführerin am 13. Mai 2019 in Zueignungsabsicht gehandelt hat, ließen diese Gegenstände hingegen kaum zu.“

Ob es Zufall ist, dass in Fällen wie „Beleidigung gegen die Polizei“ und „bundeswehrkritischen“ Aktionen derartige Durchsuchungsmaßnahmen erfolgten, weil möglicherweise eine „Untreue dem Staat gegenüber“ vermutet wurde, bleibt spekulativ. Es ist jedoch evident, dass solche Beschlüsse nicht hätten erlassen werden dürfen, da die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen offenkundig ist.

Der Autor erachtet es als durchaus bedenklich, dass in vielen Fällen die Gerichte auf dem Instanzenweg zum Bundesverfassungsgericht derartigen Beschwerden nicht stattgeben.

Es ist besonders bemerkenswert, dass die Betroffenen in diesen Fällen bis zum Bundesverfassungsgericht durchgehalten haben, um dort Recht zu bekommen. Die meisten Verfassungsbeschwerden scheitern schon daran, dass das Bundesverfassungsgericht sie gar nicht erst zur Entscheidung annimmt. Diese Ablehnungen müssen oft aufgrund gesetzlicher Bestimmungen – siehe § 93d Abs. 1 BVerfGG – nicht einmal begründet werden, was die Situation für die Betroffenen zusätzlich erschwert.

Demzufolge ist davon auszugehen, dass die Mehrheit der Bundesbevölkerung - ob aufgrund mangelnder Mittel oder Vertrauen in das deutsche Rechtssystem - gegen Maßnahmen wie derartige Hausdurchsuchungen gar keine Beschwerde einreicht. Noch seltener wird ein solcher Fall bis zum Bundesverfassungsgericht weiterverfolgt.

Entsprechend ist die Zahl der Fälle, in denen rechtswidrige Hausdurchsuchungen nicht juristisch bekämpft und bis zum Bundesverfassungsgericht gebracht werden, deutlich höher als jene Fälle, die tatsächlich vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt werden.

3. Zwischenergebnis

Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei Durchsuchungsbeschlüssen eine herausragende Rolle spielt. Dies liegt daran, dass für solche Beschlüsse lediglich ein Anfangsverdacht erforderlich ist, der in der Regel gegeben sein wird. Gleichzeitig stellen derartige Beschlüsse einen erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre der Bürgerinnen und Bürger dar.

Bei der Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit muss stets sowohl die zu erwartende Strafe als auch die Schwere der Taten in Betracht gezogen werden.

Dies gilt selbstverständlich auch für Sachverhalte im Bereich des Glücksspielstrafrechts.

III. Hausdurchsuchungen im glücksspielrechtlichen Kontext

Es stellt sich die Frage, wie die zuvor genannten Grundsätze im Kontext des Glücksspielrechts zu bewerten sind.

1. Keine hohe Straferwartung

Wie zu Beginn schon darauf hingewiesen, spielt die Straferwartung eine Rolle bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Das Bundesverfassungsgericht führte in seinem Beschluss aus:

„Die zu erwartende Strafe – hätte sich der Tatverdacht des versuchten Diebstahls und der vollendeten Sachbeschädigung im Rahmen der Durchsuchung bestätigt – wäre voraussichtlich niedrig ausgefallen.“6

Bei der „Sachbeschädigung“, worum es in dem vorgenannten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Dezember 2023 zum Aktenzeichen 2 BvR 1749/20 ging, sieht das Strafgesetzbuch eine Höchststrafe von zwei Jahren Freiheitsstrafe vor (§ 303 Abs. 1 StGB).

Auch beim „Diebstahl“, der dem vorgenannten Fall zugrunde lag, sieht der Gesetzgeber gemäß § 242 Abs. 1 StGB eine Höchststrafe von fünf Jahren vor.

Wichtig ist auch, dass der „Versuch“ nicht immer milder bestraft werden muss, denn § 23 Abs. 2 StGB stellt klar: „Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat“. Das bedeutet, dass es keine gesetzliche Pflicht gibt, einen Versuch milder zu bestrafen.

In dem betrachteten Fall stehen zwei Straftaten im Raum, bei denen die Höchststrafen einmal zwei und einmal fünf Jahre betragen.

Das Bundesverfassungsgericht stellte klar, dass die zu erwartende Strafe zu niedrig sei, um eine Hausdurchsuchung zu rechtfertigen.

Die Höchststrafen des § 285 StGB und des § 284 Abs. 4 StGB sind deutlich geringer als die Höchststrafen für Sachbeschädigung oder für Diebstahl.

  • Gemäß § 285 StGB kann eine Freiheitsstrafe von maximal „sechs Monaten“ verhängt werden.

  • Gemäß § 284 Abs. 4 StGB kann eine Freiheitsstrafe von maximal „einem Jahr“ verhängt werden.

Mithin dürfte es – selbst unter der Annahme, dass Umstände für eine maximale Strafe sprechen würden, was normalerweise nicht der Fall ist und daher oft eine Geldstrafe ausgesprochen wird – grundsätzlich und per se schon allein wegen der zu erwartenden Strafe verfassungswidrig sein, eine Hausdurchsuchung bei einem Beschuldigten wegen des Vorwurfs der Teilnahme am unerlaubten Glücksspiel oder der Werbung für unerlaubtes Glücksspiel durchzuführen oder gar einen entsprechenden Beschluss zu erwirken oder zu erlassen.

Dies sollten sich sowohl Staatsanwälte als auch Richter vergegenwärtigen, wenn sie sich rechtsstaatlich verhalten wollen.

2. Keine Schwere der Taten („Strafwürdigkeit“)

Neben der Straferwartung spielt auch die Schwere der Strafe und mithin die Strafwürdigkeit – also der materielle Unrechtsgehalt des Verhaltens – eine Rolle.

a) Strafrechtsdogmatik und Verfassungsrecht

In der rechtswissenschaftlichen Literatur sowie durch den Autor selbst (vgl. „Die Kriminalisierung des Glücksspiels durch die §§ 284 ff. StGB unter strafverfassungsrechtlichen Gesichtspunkten“ und „Paternalismus im Glücksspiel und seine Folgen am Beispiel der geldwäscherechtlichen Verdachtsmeldungen durch Banken – Wenn Strafgesetze mehr schaden als schützen“) wurde bereits ausführlich und rechtsdogmatisch dargelegt, dass die Existenz der §§ 284ff. StGB, insbesondere § 285 StGB, rechtstaatlich nicht haltbar ist.

Dies liegt darin begründet, dass die §§ 284ff. StGB nicht dem Schutz fremder Rechtsgüter dienen. Es existieren bereits Strafgesetze, die solche Rechtsgüter - wie zum Beispiel das Vermögen der Spieler - vor Betrug und Manipulation schützen. Vor allem aber soll mit § 285 StGB der Täter vor sich selbst geschützt werden, was gegen das aus der Menschwürde abgeleitete Autonomieprinzip und das daraus entstammende Prinzip der Straffreiheit bei eigenverantwortlicher Selbstgefährdung verstößt.

Das verdeutlicht, dass die kriminalisierten Handlungen – losgelöst von der Erfüllung der Strafgesetze – abstrakt betrachtet keinen materiellen Unrechtsgehalt enthalten.

b) Wertung des Bundesjustizministeriums

Die zuvor dargelegten Argumente haben auch das Bundesjustizministerium erreicht. Aktuell plant das Ministerium, die §§ 284ff. StGB vollständig aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.

In einem Eckpunktepapier zur Modernisierung des Strafrechts, das das Bundesjustizministerium am 23. November 2023 veröffentlicht hat, werden entsprechende Absichten und Überlegungen dargelegt. Dieses Dokument ist hier abrufbar und bietet Einblicke in die geplanten Änderungen und die zugrundeliegenden Gründe für die vorgeschlagene Streichung dieser Paragraphen.

Das Bundesjustizministerium führt wortwörtlich aus:

„Die §§ 284, 285, 287 StGB stellen es insbesondere unter Strafe, ohne behördliche Erlaubnis ein Glücksspiel, eine Lotterie oder eine Ausspielung zu veranstalten. Es ist aber kein Rechtsgut erkennbar, das die Aufrechterhaltung dieser Strafnormen rechtfertigen würde. Entsprechende Verstöße können schon heute als Ordnungswidrigkeit gemäß § 28a des Glücksspielstaatsvertrags der Länder geahndet werden, was nach Maßgabe des Ultima-Ratio-Grundsatzes ausreichend ist. Strafwürdiges Verhalten ist auch künftig strafbar. Wer ein Spiel manipuliert, macht sich wegen Betruges (§ 263 StGB) strafbar. Daneben kann abhängig von den Umständen des Einzelfalls insbesondere eine Steuerhinterziehung (§ 370 der Abgabenord- nung) vorliegen. Die §§ 284, 285, 286 (Vorschrift zur Einziehung) und 287 StGB sollen daher aufgehoben werden.“

Das verdeutlicht, dass die hier dargelegte Ansicht mittlerweile auch vom Bundesjustizministerium geteilt wird und keineswegs eine „glücksspielfreundliche“ Auffassung darstellt.

Daraus folgt, dass mittlerweile auch staatlicherseits anerkannt wird, dass die §§ 284ff. StGB Verhaltensweisen kriminalisieren, die keinen materiellen Unrechtsgehalt besitzen, der eine strafrechtliche Verfolgung rechtfertigen würde. Daher kann auch eine Durchsuchung nicht gerechtfertigt sein, da die notwendige „Schwere der Taten“ nicht vorliegt.

IV. Ergebnis

Die rechtliche Situation bezüglich § 285 StGB und § 284 Abs. 4 StGB ist klar: Sie bieten keine ausreichende Grundlage für eine Hausdurchsuchung.

Die zu erwartenden Strafen bei diesen Strafgesetzen sind so gering, dass sie ein Eindringen staatlicher Organe in die verfassungsrechtlich geschützten Räume eines Beschuldigten nicht rechtfertigen. Diese Einschätzung bestätigen die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts.

Berücksichtigt man zudem, dass diese Strafgesetze nach aktueller rechtswissenschaftlicher und ministerieller Einschätzung keine strafverfassungsrechtliche Legitimation besitzen, verstärkt sich die Argumentation gegen die Rechtmäßigkeit von Hausdurchsuchungen in diesem Kontext.

Es stellt sich auch die Frage, inwiefern offensichtlich rechtswidrige Beschlüsse bzw. Vollziehungen von Hausdurchsuchungen unter dem Vorwand „Gefahr in Verzug“ durch Strafverfolgungsbehörden und Strafrichter als eine Beteiligung am Hausfriedensbruch gemäß § 123 StGB gewertet werden könnten.

Es wird hiesig die Rechtsauffassung vertreten, dass Personen, die Hausdurchsuchungen beim Vorwurf der Teilnahme am unerlaubten Glücksspiel (§ 285 StGB) und der Werbung für unerlaubes Glücksspiel (§ 284 Abs. 4 StGB) beantragen, anordnen oder aufgrund angeblicher Gefahr in Verzug sogar ohne richterliche Anordnung durchführen, sich selbst strafrechtlich exponieren könnten.

Jedenfalls wirft es ernsthafte rechtsstaatliche Bedenken auf, wenn Hausdurchsuchungen unbedacht und leichtfertig durchgeführt werden, bloß weil jemand in seiner Freizeit am Glücksspiel seiner Wahl teilgenommen hat (§ 285 StGB) oder wegen des Vorwurfs der strafrechtlichen (§ 284 Abs. 4 StGB) Werbung ins Visier der Ermittlungsbehörden gerät. Beim Vorwurf der unerlaubten Werbung nach § 284 Abs. 4 StGB wird im Übrigen oft nicht zwischen dem verwaltungsrechtlichen und strafrechtlichen Werbebegriff unterschieden.

Streamern, die lediglich ihr Spielgeschehen, übertragen, wird fälschlicherweise strafrechtliche Werbung unterstellt, auch wenn sie nicht explizit zur Teilnahme am Spiel auffordern oder andere Vorteile in Aussicht stellen. Es ist problematisch, solches Handeln als strafrechtliche Werbung zu klassifizieren. Die bloße Echtzeit-Übertragung des Spielens, weder für GTA noch für FIFA, aber auch nicht des Glücksspiels, stellt an sich keine Werbung dar. Eine unterschiedliche Bewertung könnte sich ergeben, wenn Zuschauer explizit oder konkludent zur Teilnahme aufgefordert oder Vorteile in Aussicht gestellt werde. In den meisten Fällen beschränken sich Streamer jedoch darauf, ihr Spiel zu übertragen und dabei von anderen Personen beobachtet zu werden.

Daran vermag auch nichts zu ändern, dass das Streamen der Teilnahme am Glücksspiel nach der Einschätzung des OVG Sachsen-Anhalt (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschlüsse vom 15. Juni 2023 - 3 M 11/23, 3 M 14/23, 3 M 19/23, 3 M 24/23, 3 M 25/23) als verwaltungsrechtliche Werbung eingestuft wurde. Denn daraus folgt noch lange nicht, dass eine strafrechtliche Werbung anzunehmen ist.

Das Szenario, in dem Polizeibeamte unvermittelt in die Privatsphäre eines Bürgers eindringen und dessen Wohnräume durchsuchen, stellt einen erheblichen Eingriff in grundrechtlich geschützte Freiheiten dar und sollte in einem Rechtsstaat, besonders bei Bagatellfällen, nicht leichtfertig erfolgen. Dies gilt umso mehr, wenn die zugrunde liegenden Strafgesetze keinen materiellen Unrechtsgehalt aufweisen und daher nicht strafwürdig sind. Solche Vorgehensweisen, die die Grenzen der Verhältnismäßigkeit überschreiten, verletzen die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen und die Unverletzlichkeit der Wohnung. Besonders bedenklich ist es, wenn Ermittler persönliche Gegenstände wie PCs und Handys beschlagnahmen, die die Bürgerinnen und Bürger heutzutage tagtäglich nutzen.

Diese Praktiken verletzen nicht nur die Rechte der Betroffenen, sondern untergraben auch das Vertrauen in rechtsstaatliche Prinzipien und Prozesse.

Abschließend lässt sich festhalten: In Fällen, in denen unbescholtene Bürger lediglich in ihrer Freizeit an Glücksspielen teilnehmen, bei denen die Anbieter keine deutsche Erlaubnis besitzen oder wenn etwa Influencer oder Streamer mit Glücksspielanbietern in Kontakt kommen, ohne dass klar ist, ob ihr Handeln über verwaltungs- und wettbewerbsrechtliche Unlauterkeit hinausgeht und ihnen ohne Weiteres strafrechtliche Werbung unterstellt werden soll, sollten bei Vorwürfen der Teilnahme am unerlaubten Glücksspiel (§ 285 StGB) sowie der Werbung hierfür (§ 284 Abs. 4 StGB) grundsätzlich keine Hausdurchsuchungen erfolgen. Jedoch hängt, wie so oft, alles von den spezifischen Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab.

1) BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 05. Dezember 2023 - 2 BvR 1749/20 -, Rn. 1-40,
2) BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 05. Dezember 2023 - 2 BvR 1749/20 -, Rn. 1-40,
3) https://www.bmj.de/DE/rechtsstaat_kompakt/rechtsstaat_grundlagen/verhaeltnismaessigkeit/... (zuletzt abgerufen am: 28.12.2023).
4) BVerfG, Teilurteil vom 5. August 1966 – 1 BvR 586/62, 610/63, 512/64 = NJW 1966, 1603, 1607.
5) BVerfG, Beschluss vom 15.11.2023, 1 BvR 52/23
6) BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2023, 2 BvR 1749/20