Ein Artikel von Rechtsanwalt Dr. Thomas Bartholmes
Das bisherige absolute Verbot des Betriebs von Wettvermittlungsstellen im Saarland aufgrund der Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (VO-CP) ist mit dem in der Verfassung des Saarlandes enthaltenen Grundrecht der Gewerbefreiheit in Verbindung mit dem Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 44 i.V.m. Art 12 SVerf) nicht vereinbar. Dies entschied der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes am 01.03.2021 auf eine vom Verfasser dieses Beitrags für eine Betreiberin mehrerer saarländischer Wettvermittlungsstellen erhobene Verfassungsbeschwerde (Lv 5/21).
Vorausgegangen waren zwei erfolglose Eilverfahren vor dem Oberverwaltungsgerichts Saarlouis. Im zweiten Eilverfahren war beantragt worden, das umfassende Verbot für eine an „Click & Collect“ angelehnte Einzelbedienung von Kunden teilweise außer Vollzug zu setzen, nach dem Vorbild des zuvor vom Verfasser erstrittenen Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg vom 27.01.2021 (1 S 124/21). Dies hatte das OVG Saarlouis mit Beschluss vom 11.02.2021 (2 B 32/21) abgelehnt. Das VerfGH hat nun den Beschluss mit der Maßgabe abgeändert, dass bis zur Neuregelung (die zum 08.03.2021 ohnehin notwendig war) § 7 Abs. 6 und § 7 Abs. 3 S. 1 in Verbindung mit S. 2 Nr. 2 VO-CP vom 18./26.02.2021 verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass Wettannahmestellen privater Anbieter vorerst betrieben werden dürfen, wenn
a.) sie keinen physischen Zugang zu Innenräumen gewähren und auch keinen Einblick in Innenräume und auf dortige Einrichtungen gewähren,
b.) lediglich Urkunden (Wettscheine, Karten, Quittungen) oder Zahlungsmittel durch Öffnungen hindurchgereicht werden,
c.) Kundinnen und Kunden einen ihnen nach vorheriger Anmeldung und Gewährleistung der Kontaktnachverfolgung zur Verfügung gestelltes Zeitfenster zur Abwicklung des Wettgeschäfts nutzen,
d.) durch den privaten Wettanbieter gewährleistet wird, dass nicht mehr als vier Kundinnen und Kunden zeitgleich vor der Wettannahmestelle warten,
e.) durch den privaten Wettanbieter gewährleistet wird, dass der Abstand von wartenden Kundinnen und Kunden mindestens 1,5 Meter beträgt,
f.) ein und dieselbe Person frühestens zwei Stunden nach ihrer Bedienung erneut bedient wird, und
h.) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Wettannahmestelle sowie Kunden während des Kontakts zumindest eine medizinische Maske tragen.
Die Verordnung zur Änderung infektionsrechtlicher Verordnungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vom 06.03.2021 hat den Beschluss des VerfGH in § 7 Abs. 6 S. 4 VO-CP wörtlich umgesetzt. Hierzu gehört auch das Verbot, Einblick in Innenräume der Wettvermittlungsstelle zu gewähren – obwohl die Landesregierung noch am 02.12.2020 einen Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht hat, nach dem Wettvermittlungsstellen künftig „von außen gut einsehbar“ sein müssen (§ 11 Abs. 8 S. 1 Entwurf AGGlüStV-Saar). Die Neuregelung in § 7 Abs. 6 S. 4 VO-CP betrifft sowohl Wettvermittlungsstellen der Konzessionsnehmer, die als reine Wettannahmestelle betrieben werden, als auch sonstige Wettannahmestellen privater Anbieter.
Der VerfGH begründete die Verfassungswidrigkeit des bisherigen absoluten Verbots mit der Ungleichbehandlung von Wettannahmestellen privater Anbieter sowohl gegenüber den Lotto-Annahmestellen (so zuvor schon OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 27.11.2020, 3 R 226/20) als auch gegenüber nicht privilegierten Einzelhandelsgeschäften, die zumindest einen Abholservice anbieten dürfen. Das OVG versage der Beschwerdeführerin
„die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit, die sich nach ihrer konkreten Konzeption infektionsschutzrechtlich nicht von beruflichen Tätigkeiten unterscheidet, die bei Anderen, vor allem staatlichen Glückspielbetreibern, weiterhin hingenommen werden“.
Wettvermittlungsstellen dürften nicht wegen einer geringeren „Wertigkeit“ der Wettannahme oder wegen unterschiedlicher Vorgaben im Glücksspiel- oder Baunutzungsrecht, sondern nur aus infektionsschutzrechtlichen Gründen abweichend von anderen vergleichbaren Dienstleistungsangeboten behandelt werden. Es sei nicht erkennbar,
„aus welchen Gründen „Wettvermittlungsstellen“, wenn sie als reine Wettannahmestellen mit kontaktminimiertem Kundenverkehr außerhalb von Geschäftsräumen unter Beachtung aller übrigen sonst angeordneten Hygienevorkehrungen betrieben werden, signifikant andere Infektionsrisiken nach sich ziehen sollen als sonstige, im „click and collect-System“ tätige Ladengeschäfte“.
Der Beschluss ist insoweit von bundesweiter Relevanz, als der Verfassungsgerichtshof darin klarstellt, dass von allen Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung dienen, allein die Wettvermittlungsstellen Dienstleistungen erbringen, die nicht nur vor Ort innerhalb der Geschäftsräume oder eines umfriedeten Besitztums, sondern zumindest theoretisch auch – unter weitgehender Vermeidung eines Kontaktes mit anderen Interessenten – „an“ oder vor Geschäftsräumen erbracht werden können. Das unterscheidet sie daher von den anderen Unternehmungen, die § 7 Abs. 6 VO-CP untersagt, und kann dazu führen, das Infektionsrisiko anders einzuschätzen als es für sonstige Dienstleistungen der Freizeitgestaltung gilt (S. 17).
Darüber hinaus ist der Verfassungsgerichtshof dem in der amtlichen Begründung enthaltenen Argument entgegengetreten, ein Verbot ließe sich mit zusätzlichen Sozialkontakten bei der An- und Abreise von Personen rechtfertigen. Hierzu heißt es (S. 17 f.):
„Solche Risiken bestehen aber in nicht geringerem Maße in Fällen des „click and collect“-Systems des nicht der Daseinsvorsorge dienenden Einzelhandels. Ist es aber – grundrechtlich betrachtet – unzulässig, zwischen der Wertigkeit oder der Breite der gesellschaftlichen Anerkennung eines gewerblichen – rechtlich nicht aus anderen Gründen untersagten – Unternehmens zu unterscheiden, bestehen keine nachvollziehbaren Gründe, lediglich private Sportwetten anbietende Unternehmen infektionsschutzrechtlich zu untersagen. Dass dem „Shoppingerlebnis“ des Aufsuchens eines Einzelhandelsgeschäfts – vor allem ab Geltung der zu einer Teilöffnung führenden Verordnung vom 26.02.2021 – ein infektionsschutzrechtlich beachtlicher anderer Freizeitwert zukäme als dem „Wetterlebnis“ vor den Räumlichkeiten einer Wettvermittlungsstelle ist zumindest verfassungsrechtlich nicht nachvollziehbar.
Das gilt aber vor allem im Hinblick auf das bestehende Angebot staatlicher Sportwetten- und Lotterieanbieter. Dass sie als „Nebengeschäft“ in geöffneten Kiosken, Zeitungsläden aber auch großflächigen Handelsbetrieben angeboten werden, entkräftet den Vergleich nicht, sondern kennzeichnet die Ungleichbehandlung besonders. Solche „Nebengeschäfte“ stärken die Attraktivität des Hauptgeschäfts – sonst würden sie nicht betrieben –, sind also geeignet, eine zusätzliche Zahl von Kundinnen und Kunden anzulocken und in Innenräumen verweilen zu lassen. Durch die Schließung von privaten Wettvermittlungsstellen kann sogar eine zusätzliche Konzentration von Wettinteressenten und spielaffinen Personen in den Geschäftslokalen eintreten, die auch Toto- und Lottoannahmestellen unterhalten“.
Die weiteren in der gesetzlich erforderlichen Begründung des § 7 Abs. 6 VO-CP (Amtsbl. I S. 500 f.) genannten Gründe könnten von vornherein nicht tragen, wenn man das Zusammentreffen mehrerer Menschen in den Geschäftsräumen der Wettvermittlungsstellen ausschließt.
Auch das Argument, die Beachtung der Hygieneregeln des Betriebs sei schwer kontrollierbar, trage nicht. Wenn sich die Kunden ausschließlich draußen aufhalten dürfen, sei die Kontrolle sogar wesentlich leichter als bei Toto- und Lottoannahmestellen, die von Kunden betreten werden dürfen. Zudem dürften Grundrechte nicht deshalb eingeschränkt werden, weil das eine Kontrolle der Schranken der Ausübung von Grundrechten erleichtert.
Schließlich dürften Wettvermittlungsstellen auch aus infektionsschutzfremden Erwägungen heraus nur gegenüber Betrieben, die der Daseinsvorsorge dienten, benachteiligt werden.
Mit dem Beschluss des Verfassungsgerichtshofes ist der Betrieb von Wettannahmestellen privater Anbieter nunmehr in sieben Bundesländern (Baden-Württemberg, Hessen, NRW, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen) in mehr oder weniger eingeschränktem Umfang erlaubt, während in den übrigen Bundesländern im Bereich der terrestrischen Wettannahme weiterhin ein – nunmehr infektionsschutzrechtlich begründetes – faktisches Monopol für die staatlichen Sportwetten ODDSET und Toto besteht. Die fortbestehende Außenwerbung der Lotto-Annahmestellen (u.a. Jackpot-Aufsteller) zielt darauf ab, zusätzliche, durch das Spielbedürfnis angeregte Sozialkontakte in den Annahmestellen zu schaffen, und untergräbt damit die Legitimation dieses „neuen“ Monopols nicht weniger, als es bei dem früheren, mit anderen gesundheitspolitischen Erwägungen (Suchtprävention) begründeten Wettmonopol der Fall war. Die fortbestehenden Verbote werden allein mit der Zuordnung von Wettannahmestellen zum Bereich der Freizeitgestaltung (zuletzt Bay. VGH, Beschl. v. 18.02.2021, 20 NE 21.344), und teils mit dem An- und Abreiseverkehr, gerechtfertigt, wobei das konkrete Infektionsrisiko schlicht für irrelevant erachtet wird. Diese Argumentation kann den Landesregierungen auf die Füße fallen: wenn es schon infektionsschutzrechtlich unvertretbar sein soll, ein Fenster für ein paar Sekunden zu öffnen, um Urkunden und Zahlungsmittel durchzureichen, wie kann man dann die seit gestern geltenden, wesentlich weitergehenden Lockerungen gegenüber denjenigen vertreten, die sich in Zukunft mit SARS-CoV-2 anstecken werden?
Nicht nur beim fortbestehenden Totalverbot des Betriebs von Wettannahmestellen in noch neun Bundesländern, sondern auch bei manch anderer Regelung in den Corona-Verordnungen der Länder drängt sich der Gedanke auf, dass Betriebe und Einrichtungen aus vorrangig infektionsschutzfremden Erwägungen heraus benachteiligt (oder auch bevorzugt) werden. Das wird dort zum verfassungsrechtlichen Problem, wo entweder von vornherein nur sehr geringe Infektionsrisiken bestehen oder aber diese durch die Ausgestaltung der Betriebsmodalitäten minimiert werden können.
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