VGH Baden-Württemberg kippt Verbot des Betriebs von Wettannahmestellen in Corona-Verordnung

Ein Artikel von Rechtsanwalt Dr. Thomas Bartholmes

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat mit Beschluss vom 27.01.2021 (1 S 124/21) das seit dem 16.12.2020 in Baden-Württemberg geltende infektionsschutzrechtliche Verbot des Betriebs von Wettannahmestellen für den Publikumsverkehr (§ 1d Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 1 CoronaVO) in einem vom Verfasser dieses Artikels geführten Eilverfahren teilweise vorläufig außer Vollzug gesetzt – nämlich soweit damit der Betrieb von Wettannahmestellen auch dann untersagt wurde, wenn eine reine Wettannahme kontaktarm und innerhalb fester Zeitfenster erfolgt. Inzwischen hat die Sechste Verordnung zur Änderung der Corona-Verordnung mit Wirkung ab 01.02.2021 Wettannahmestellen explizit vom Schließungsgebot ausgenommen (§ 1d Abs. 1 S. 2 Nr. 8), wobei § 1d Abs. 2 S. 7 (Regelungen zu Click & Collect) entsprechend gilt.

Damit ist der Betrieb reiner Wettannahmestellen (ohne angeschlossenen Einzelhandel) nunmehr in sechs Bundesländern wieder zulässig. Zuvor war bereits ein Eilantrag des Verfassers in Sachsen-Anhalt erfolgreich gewesen (OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 27.11.2020, 3 R 226/20). In NRW und Hessen waren Verbotsregelungen während laufender Eilverfahren aufgehoben worden, während es in Rheinland-Pfalz und Thüringen während der „zweiten Welle“ nie ein vollständiges Verbot gegeben hat. In den übrigen zehn Ländern ist die Annahme von Wetten derzeit nur in zulässigerweise geöffneten Einzelhandelsgeschäften möglich, wovon fast nur ODDSET und Toto profitieren.

Der Verfasser hatte den Eilantrag gestellt, nachdem die baden-württembergische Landesregierung durch Änderung der Corona-Verordnung Abholdienste im Einzelhandel sowie in Landesbibliotheken ab dem 11.01.2021 gestattet hatte (Click & Collect).

Rechtsgrundlage für das Verbot ist § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG. In der amtlichen Begründung werden drei zulässige Differenzierungskriterien für eine selektive Schließung von Betrieben genannt: zum einen, ob überhaupt Kunden- oder Besucherverkehr vorhanden ist, zum anderen, ob enge körperliche Kontakte stattfinden oder nicht, und zum dritten, ob sich Kontakte über längere Zeiträume hinziehen oder nur flüchtige Berührungen stattfinden. „Flüchtige Berührungen – wie sie etwa beim Bezahlvorgang vorkommen können – stellen dagegen ein wesentlich geringeres Risiko dar, die nur in Ausnahmefällen eine Untersagung rechtfertigen dürften“. (BT-Drs. 19/23944, S. 33)

Betriebe, die keines der drei Merkmale unvermeidbar aufweisen, dürfen auf der Grundlage des derzeit geltenden Rechts überhaupt nicht geschlossen werden; dahingehende Forderungen, die in letzter Zeit häufiger zu hören waren, müssten sich also an den Gesetzgeber richten. Derzeitige „ultima ratio“ sind Maßnahmen, die die Ausschaltung der drei Risikofaktoren zum Gegenstand haben, was bei Betrieben mit Kundenverkehr deren Schließung für den Publikumsverkehr bedeutet. Ein milderes Mittel gegenüber der vollständigen Schließung ist im Einzelhandel die Beschränkung auf bloße Abhol- und Lieferdienste. Nur Betreiber von Wettannahmestellen mussten ihren Betrieb vollständig aufgeben und wurden dadurch ungleich behandelt gegenüber sämtlichen anderen Gewerbetreibenden, in deren Geschäftslokalen weder ein enger Körperkontakt vorkommt noch ein längeres Verweilen stattfindet, und darüber hinaus gegenüber gewerblichen und sonstigen Einrichtungen, bei denen ein längeres Verweilen stattfindet, und die trotzdem geöffnet haben dürfen.

Dies schließt auch Gewerbebetriebe ein, die nicht zu den lebensnotwendigen oder zur Erhaltung des Wirtschaftslebens zwingend erforderlichen Einrichtungen zählen, wie beispielsweise Reisebüros, Fotostudios, Weinhandlungen, Fachgeschäfte für Sportartikel, Verkaufsstellen für Konzert- und Veranstaltungstickets, Fachgeschäfte für Computer- und Videospiele sowie Erotik-Artikel, Juweliergeschäfte, Boutiquen, Antiquitätenfachgeschäfte, Galerien etc., wobei abgesehen von den drei erstgenannten eine Öffnung in Baden-Württemberg nur zur Abholung vorbestellter Ware zulässig ist.

Der Verwaltungsgerichtshof stellte zunächst heraus, dass eine Wettannahmestelle (in Abgrenzung zu Vergnügungsstätten-Wettbüros) aus infektionsschutzrechtlicher Sicht mit einem Einzelhandels- oder Ladengeschäft vergleichbar ist, denn sie dient nur der kurzzeitigen Abwicklung des Wettgeschäfts und nicht einem längeren Verweilen im Inneren.

„Bei diesem Sachstand ist ein im Infektionsschutz wurzelnder Grund dafür, Einzelhandelsbetrieben Vertriebsformen, die in der Art von ,Click & Collect‘-Angeboten weitgehend kontaktlos und unter Vermeidung von Ansammlungen von Menschen vor bzw. in den Verkaufsstellen, zu gestatten, Betreibern von reinen Wettannahmestellen vergleichbare Möglichkeiten zur Dienstleistungserbringung aber ausnahmslos zu verbieten, nicht erkennbar. Einer reinen Wettannahmestelle ist es jedenfalls möglich, ihren Betrieb so zu organisieren, dass er ,Click & Collect‘-Betriebsformen entspricht, das ist z.B. dass der Fall, wenn lediglich eine Abgabe und Entgegennahme von Spielscheinen, die Auszahlung von Gewinnen und das Aufladen und Sperren von Kundenkarten offeriert wird und Verweilmöglichkeiten nicht eröffnet werden. Hierzu haben die Betreiber allerdings ein Hygienekonzept zu erstellen und die Dienstleistung kontaktarm und innerhalb fester Zeitfenster zu organisieren“.

Die Begegnung zwischen Mitarbeitern und Kunden sei auf die reine Abgabe von Tippscheinen und den Bezahlvorgang beschränkt und es würden gerade keine „Live-Wetten“ angeboten. Unter dieser Prämisse sei, so der VGH, ein längeres Verweilen vor Ort nicht nötig. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass in den Entscheidungsgründen selbst – anders als in der Wiedergabe meines Vortrags – nicht von der Abgabe „vorausgefüllter“ Wettscheine die Rede ist. Eine Ausfüllung vor Ort dürfte also nicht kategorisch ausgeschlossen sein, während ein längeres Studieren von Wettprogrammen in der Annahmestelle problematisch wäre und durch die Hygienekonzepte vermieden werden sollte.

Ob Kunden überhaupt die Wettannahmestelle körperlich betreten dürfen, ist nicht ganz klar. Das Problem betrifft aber nicht primär die Wettannahmestellen, sondern in erster Linie den Einzelhandel. In der Pressemitteilung des VGH BW heißt es

„Ein sachlicher, im Infektionsschutz wurzelnder Grund dafür, Einzelhandelsbetrieben Vertriebsformen, die in der Art von „Click & Collect“-Angeboten weitgehend kontaktlos und ohne einen Kundenbesuch im Ladeninneren stattfänden, zu gestatten, Inhabern von Wettannahmestellen ähnliche Möglichkeiten zur Dienstleistungserbringung aber ausnahmslos zu verbieten, sei nicht erkennbar“.

Diese Aussage findet sich so im Beschluss nicht: dort ist statt den Worten „ohne einen Kundenbesuch im Ladeninneren stattfinden“ zu lesen: „unter Vermeidung von Ansammlungen von Menschen vor bzw. in den Verkaufsstellen“ (dies ein Zitat aus der amtlichen Begründung zur 3. ÄnderungsVO zur 5. CoronaVO). Eine solche Diskrepanz zwischen Pressemitteilung und eigentlicher Entscheidung ist ungewöhnlich. Die Erklärung ist, dass der Satz aus einer Pressemitteilung zu einer früheren Entscheidung übernommen wurde, während in den Entscheidungsgründen selbst die Formulierung zum Kundenbesuch im Ladeninneren nicht übernommen, sondern abgeändert wurde.

Tatsächlich gibt es derzeit keine offiziellen Aussagen der Landesregierung dazu, ob bei „Click & Collect“ der Kunde bei der Abholung draußen bleiben muss oder aber Kunden zur Abholung in die Betriebsstätte eingelassen werden können. Da in der Praxis die Kunden häufig zur Abholung in die Einzelhandelsgeschäfte eingelassen werden, vermute ich, dass der VGH die entsprechende Passage nunmehr anders formuliert hat als in der vorausgegangenen Entscheidung. Die durch die Corona-Verordnung gestattete Abholung bestellter Medien in den Landesbibliotheken sieht jedenfalls in der Praxis so aus, dass Kunden die Bibliotheksräume betreten dürfen, um bestellte Bücher etc. abzuholen. Auch Gaststätten dürfen seit jeher zur Abholung bestellter Gerichte betreten werden.

Interessant ist in der Entscheidung auch die Unterscheidung zwischen Differenzierungsgründen, die im Infektionsschutz wurzeln, und solchen außerhalb des Infektionsschutz. Nur „überragend wichtige Gründe des Gemeinwohls“ könnten Ungleichbehandlungen, die nicht im Infektionsschutz wurzeln, rechtfertigen. Solche überragend wichtigen Gründe des Gemeinwohls könnten beispielsweise für eine bevorzugte Öffnung des Einzelhandels für solche Güter – wie z.B. Lebensmittel – sprechen, die der unmittelbaren Grundversorgung der Bevölkerung dienen. Sachliche Gründe jenseits des Infektionsschutzes und des Bereichs der überragend wichtigen Gründe des Gemeinwohls seien aller Voraussicht nach auch dem Infektionsschutzgesetz nicht zu entnehmen.

Die in noch zehn Bundesländern fortgeltenden Verbote des Betriebs von Wettannahmestellen in Coronaschutzverordnungen sind allein dem Umstand zu verdanken, dass Wettbüros in Form einer Vergnügungsstätte (die gewerberechtlich auch zu den „Wettannahmestellen aller Art“ zählen, vgl. § 14 Abs. 2 GewO) im Normalbetrieb auch der Freizeitgestaltung dienen. Allerdings sind „Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung zuzurechnen sind“ im Sinne des § 28a Abs. 1 Nr. 6 IfSG nur solche, bei denen die Freizeitgestaltung in der Einrichtung selbst stattfindet, hingegen nicht solche, die lediglich die Freizeitgestaltung außerhalb (z.B. zu Hause oder in der freien Landschaft) fördern, wie etwa Sportfachgeschäfte, Videotheken oder Fachgeschäfte für Computerspiele. Auch Wettannahmestellen, in denen lediglich die Abgabe von Wettscheinen, die Aufladung von Kundenkarten und Zahlungsvorgänge stattfinden, gehören nicht hierher. Letztlich bleiben solche Wettannahmestellen in diesen zehn Ländern als einzige Betriebe vollständig (d.h. ohne Möglichkeit von Click & Collect etc.) geschlossen, obwohl sich die Geschäftsabwicklung auf wenige Minuten reduzieren lässt.

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