Glücksspiel in Deutschland – Vom Verbot zur Regulierung

Ulli Schmitt
ISA-GUIDE Inhaber
E-Mail: ulli@isa-guide.de


2008 – Der erste Glücksspielstaatsvertrag

Mit dem Glücksspielstaatsvertrag 2008 (GlüStV 2008) wollten die Bundesländer das Glücksspiel in Deutschland einheitlich regulieren. Hauptziel war es, die Ausbreitung des Glücksspiels zu begrenzen, Spielsucht vorzubeugen und Jugendliche zu schützen.

Kernpunkt: Ein weitreichendes Verbot von Online-Glücksspiel. Nur staatliche Angebote, vor allem Lotterien, blieben erlaubt. Private Anbieter von Online-Casinos, Poker oder Automatenspielen wurden konsequent ausgeschlossen.

Die Idee: Weniger Verfügbarkeit → weniger Spielanreiz → weniger Suchtgefahr.
Die Realität: Spieler fanden problemlos Wege ins Netz. Anbieter mit Lizenzen aus Malta, Gibraltar oder Zypern öffneten virtuelle Türen für deutsche Kunden. Obwohl diese Angebote in Deutschland illegal waren, konnte man sie leicht nutzen.

Rechtlich führte das schnell zu Spannungen: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte bereits 2006 (Urteil „Placanica“) betont, dass nationale Monopole nur dann mit EU-Recht vereinbar sind, wenn sie kohärent und konsistent ausgestaltet sind. Kritiker sahen das deutsche Modell daher von Anfang an auf wackligem Fundament.

➡ Weiterführend: Der Vorgabe des BVerfG folgend… Ziele und Ursprünge des GlüStV (Prof. Justus Haucap, ISA-Guide)

2012 – Der Sonderweg Schleswig-Holstein

Vier Jahre später war klar: Das Verbot allein funktioniert nicht. Der 1. Glücksspieländerungsstaatsvertrag (1. GlüÄndStV) wurde beschlossen.

Er brachte zwei wesentliche Änderungen:

  1. Sportwetten wurden erstmals für private Anbieter geöffnet – allerdings nur unter engen Auflagen.

  2. Schleswig-Holstein verabschiedete ein eigenes Glücksspielgesetz und vergab Lizenzen für Online-Casinos und Poker.

Das Ergebnis: Ein rechtlicher Flickenteppich. Während Spieler in Schleswig-Holstein völlig legal bei lizenzierten Online-Casinos spielen konnten, war dasselbe Angebot im Rest Deutschlands verboten.

Die Gerichte urteilten unterschiedlich:

  • Manche sahen die Teilnahme an lizenzierten Angeboten aus Schleswig-Holstein auch in anderen Bundesländern als nicht strafbar.

  • Andere entschieden, dass ein Angebot ohne bundesweite Genehmigung unzulässig sei.

Für Spieler bedeutete das Rechtsunsicherheit. Für Anbieter eine schwierige Situation: Sie hatten zwar eine gültige Lizenz – aber nur für ein einziges Bundesland.

➡ Weiterführend: Juristisches Glücksspiel: Online-Pokerspieler freigesprochen und Online-Casinospieler verurteilt (ISA-Law)

2018/2019 – Der Versuch der Harmonisierung

Die Uneinigkeit der Bundesländer führte 2018 zu einem weiteren Änderungsvertrag, dem 2. Glücksspieländerungsstaatsvertrag (2. GlüÄndStV).

Dieser sollte die Sportwetten bundesweit auf eine einheitliche rechtliche Basis stellen. Geplant war ein Konzessionsverfahren, in dem private Anbieter Lizenzen für Sportwetten erhalten konnten.

Allerdings: Für Online-Casinos und Poker blieb die Lage unverändert. Das bedeutete, dass weiterhin eine große Grauzone existierte:

  • Sportwettenanbieter warteten oft jahrelang auf Lizenzen.

  • Online-Casinos arbeiteten weiterhin mit EU-Lizenzen, waren aber formal in Deutschland illegal.

  • Spieler bewegten sich in einer rechtlichen Grauzone, in der weder völlige Legalität noch völlige Illegalität bestand.

➡ Weiterführend: Von dem Versuch der deutschen Gerichte – unionsrechtliche Grenzen der Regulierung (ISA-Law)

2020 – Übergangsregelungen

Die Bundesländer einigten sich 2020 auf ein Übergangsmodell, um die Zeit bis zum neuen Glücksspielstaatsvertrag 2021 zu überbrücken.

Zum ersten Mal wurden Online-Slots und Poker geduldet, wenn Anbieter bestimmte Regeln einhielten:

  • Ein monatliches Einzahlungslimit von 1.000 Euro pro Spieler.

  • Anbindung an das Spielersperrsystem OASIS.

  • Verpflichtende Identitätsprüfung aller Spieler.

Für die Anbieter bedeutete das: Sie konnten erstmals mit einer gewissen Rechtssicherheit in Deutschland operieren. Für Spieler war es ein Signal: Online-Glücksspiel wird nicht länger nur verboten, sondern teilweise erlaubt – wenn auch nur „auf Probe“.

➡ Weiterführend: Der neue Glücksspielstaatsvertrag – Quo vadis? (ISA-Law)

2021 – Der Glücksspielstaatsvertrag 2021

Am 1. Juli 2021 trat der neue, bundesweit gültige Glücksspielstaatsvertrag 2021 (GlüStV 2021) in Kraft.

Die wichtigsten Neuerungen:

  • Legalisierung von Online-Slots und Online-Poker bundesweit.

  • Gründung der Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder (GGL) als zentrale Aufsicht.

  • Einführung verbindlicher Regeln:

    • Einzahlungslimit 1.000 €/Monat.

    • Sperrdatei OASIS.

    • Werberegulierung (z. B. keine Werbung für virtuelle Automatenspiele im Fernsehen vor 21 Uhr).

    • „5-Sekunden-Regel“ für Online-Slots.

Damit gab es zum ersten Mal eine klare, einheitliche Struktur für den Markt. Anbieter konnten legale Lizenzen beantragen, Spieler erhielten Rechtssicherheit.

➡ Weiterführend: Das riskante Spiel um höhere Einsatzlimits des GlüStV 2021 (Dr. Nik Sarafi, ISA-Law)

2024 – Evaluation und Bundesländervergleiche

Drei Jahre nach Inkrafttreten wurde der Vertrag überprüft. Im Zwischenbericht 2024 der Innenministerkonferenz standen Schwarzmarkt, Werbung und Sponsoring im Fokus.

Juristische Fachbeiträge zeigen zudem, dass die Umsetzung in den Bundesländern unterschiedlich ist – zwischen Monopol- und Konzessionsmodellen.

➡ Weiterführend: Eine Bestandsaufnahme zur Regulierung und Veranstaltung von Online-Casinospielen (Bringmann & Cesar, ISA-Law)

2025 – Aktuelle Fragen und Verfahren

Trotz der Reform von 2021 bleibt die Rechtslage in Bewegung. Mehrere Verfahren auf europäischer Ebene könnten den Markt grundlegend verändern:

  • EuGH-Verfahren C-440/23: Hier geht es um die Frage, ob Spieler, die bei nicht lizenzierten Online-Casinos Verluste erlitten haben, diese von den Anbietern zurückfordern dürfen. Die Schlussanträge des Generalanwalts Emiliou vom 1. Februar 2024 deuten an, dass solche Rückforderungen grundsätzlich nicht ausgeschlossen sind.
    EuGH-Verfahren C-440/23: Schlussanträge des Generalanwalts (ISA-Law)

  • Fazit

    Die Geschichte des Glücksspielstaatsvertrags ist ein ständiges Ringen zwischen dem staatlichen Ziel des Spielerschutzes und der Realität eines europäischen, digitalen Marktes.

    Was 2008 mit einem strikten Verbot begann, mündete nach Jahren der Rechtsunsicherheit und föderalen Alleingänge in den Versuch einer umfassenden Regulierung. Doch auch der GlüStV 2021 ist kein Endpunkt: Aktuelle Verfahren vor dem EuGH zeigen, dass das Spannungsfeld zwischen nationaler Regulierung und europäischer Dienstleistungsfreiheit die deutsche Glücksspiellandschaft auch in Zukunft prägen wird.