Der neue Glücksspielstaatsvertrag – Quo vadis?

Rechtsanwalt Dr. Nik Sarafi

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Der Glücksspielneuregulierungsstaatsvertrag (GlüStV), der am 1. Juli 2021 in Kraft treten soll, bringt zahlreiche begrüßenswerte Neuerungen für den deutschen Glücksspielmarkt, wie das quantitativ unbeschränkte Erlaubnisverfahren für Sportwetten, die Etablierung eines plattformübergreifenden Spielersperrsystems oder die Zulassung von Online-Glücksspiel für die gesamte Bundesrepublik. Gut gemeint ist jedoch nicht gleich gut gemacht: Der GlüStV ist in mehrfacher Hinsicht unionsrechtswidrig, die künstliche Unterscheidung zwischen virtuellem Automatenspiel, Online-Poker und Online-Casinospielen damit hinfällig. Dazu kommt, dass der GlüStV zwar vorgibt, Ziele wie Spielerschutz, Kanalisierung oder Manipulationsvorbeugung zu verfolgen, dabei aber wissenschaftlich komplett veraltete Vorstellungen zur Entstehung von Glücksspielstörungen zugrunde legt. Die angedachten Regelungen, welche primär fiskalische Interessen verfolgen, stehen einem wirksamen Spielerschutz und einer effektiven Kanalisierung vielmehr im Wege, und dienen nur dazu, die altbekannten großen Player auf dem deutschen Glücksspielmarkt weiterhin zu protegieren (Ausführlich dazu https://www.isa-guide.de/isa-law/articles/209506.html). Eine negative Kanalisierung zum regulierungsunwilligen Schwarzmarkt ist mit diesem Gesetz der Weg geebnet.

Bei einer tiefergehenden Betrachtung der Rechtsprechung des EuGHs zum Glücksspielrecht kommt man zu dem Ergebnis, dass der GlüStV evident unionsrechtswidrig ist, weil nicht Spielerschutz und Kanalisierung, sondern fiskalische Interessen im Vordergrund stehen, und die Verfolgung dieser insbesondere eine effektive Kanalisierung vollständig konterkarieren.

Der EuGH hat sich bereits mehrfach mit der Frage befasst, inwiefern die Glücksspielregulierungen der Mitgliedstaaten mit der europäischen Niederlassungsfreiheit aus Art. 49 AEUV und der europäischen Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 AEUV vereinbar sind. Dabei hat der EuGH entsprechende Leitlinien herausgearbeitet. Gegenstand – wie zuletzt in den Verfahren Ungarns gegen Unibet International als auch gegen Sporting Odds – war dabei wiederholt die EU-rechtliche Konformität von Konzessionsverfahren. Denn diese schränken Anbieter aus anderen Mitgliedstaaten regelmäßig darin ein, ihre Dienstleistungen innerhalb Europas anbieten zu können. Der EuGH hat deshalb wiederholt die Voraussetzungen benannt, welche die mitgliedstaatlichen Glücksspielregulierungen erfüllen müssen, um eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit durch Konzessionen rechtfertigen zu können.

Der Glücksspielneuregulierungsstaatsvertrag, der am 1. Juli 2021 in Kraft treten soll, sieht in § 22c Abs. 1 GlüStV vor, dass der Staat ein Monopol für die Veranstaltung von Online-Casinospielen innehat, diese Aufgabe aber auch durch Konzessionen an Privatanbieter übertragen darf. Online-Casinospiele – zu unterscheiden von Online-Poker und virtuellem Automatenspiel – sind virtuelle Nachbildungen von Bankhalterspielen und Live-Übertragungen eines terrestrisch durchgeführten Bankhalterspiels mit Teilnahmemöglichkeit über das Internet (§ 3 Abs. 1a Satz 2 GlüStV), wie beispielsweise Roulette, Black Jack, Baccara sowie Poker-Varianten, bei denen der Veranstalter selbst mitspielt. Im terrestrischen Bereich ist die Veranstaltung derartiger Glücksspiele nur in Casinos (Spielbanken) erlaubt, bezüglich derer der Staat ein Monopol innehat, die Veranstaltung aber auch konzessionierten Privaten überlassen kann und bereits überlassen hat.

Dementsprechend sieht der GlüStV vor, die Zulässigkeit der Veranstaltung von Online-Casinospielen dem terrestrischen Bereich analog zu gestalten. Unionsrechtlich ist das nicht vertretbar. Grenzüberschreitende Sachverhalte sind aufgrund der territorialen Losgelöstheit von Online-Glücksspiel an der Tagesordnung, und die derzeitige Regelung verstößt zweifelsohne ungerechtfertigt gegen die Niederlassungsfreiheit aus Art. 49 AEUV und die Dienstleistungsfreiheut aus Art. 56 AEUV. Der Gesetzgeber hätte für eine unionsrechtskonforme Regulierung des Online-Glücksspiels die einschlägige EuGH-Rechtsprechung zu den Voraussetzungen für staatliche Monopole und die Erteilung von Konzessionen berücksichtigen müssen.

Das Unibet-Urteil: Faktische Diskriminierung ausländischer Anbieter

Mit Urteil vom 22. Juni 2017 (Az.: C-49/16) hat sich der EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens über die Voraussetzungen für Regulierung der Erteilung einer Konzession für die Veranstaltung von Online-Glücksspielen geäußert.

Auslöser war ein Rechtsstreit zwischen der nationalen Steuer- und Zollverwaltung Ungarns (ungarische Steuerbehörde) und dem Online-Glücksspielanbieter Unibet International. Weil Unibet International keine Konzession für die Veranstaltung von Online-Glücksspielen in Ungarn hatte – Online-Glücksspiel unterfiel dem staatlichen Monopol und durfte nur nach Maßgabe des Konzessionsgesetzes und nach Erlaubnis der staatlichen Steuerbehörde veranstaltet werden –, sperrte die ungarische Steuerbehörde als Sanktion zeitweilig den Zugriff auf das Online-Angebot von Unibet. Dagegen ging Unibet gerichtlich vor, indem vorgetragen wurde, dass die geltenden Regelungen des ungarischen Glücksspielrechts, nach denen Unibet keine Konzession erlangen konnte, unionsrechtswidrig seien. Hintergrund war, dass das ungarische Glücksspielrecht für den Abschluss eines Konzessionsvertrags ohne vorausgehende öffentliche Ausschreibung – eine derartige erfolgte auch nicht – verlangte, dass es sich dabei um „zuverlässige Glücksspielveranstalter“ handle. Die Zuverlässigkeit erfordert unter anderem, dass der Veranstalter „mindestens zehn Jahre in Ungarn Glücksspiele veranstaltet hat“.

Der EuGH bestätigte die Unionsrechtswidrigkeit der streitigen Regeln aufgrund eines nicht gerechtfertigten Verstoßes gegen die durch Art. 56 AEUV gewährleistete Dienstleistungsfreiheit. Denn die Regelungen diskriminieren Anbieter, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind. Dabei stellt der EuGH klar, dass für eine Diskriminierung bereits ausreichend ist, wenn die Regelungen so angewendet oder in einer Weise gehandhabt werden, dass die Bewerbung bestimmter Anbieter, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind, verhindert oder erschwert werden. In dem Zuverlässigkeitskriterium, bereits zehn Jahre Glücksspiele in Ungarn veranstaltet zu haben, sah der EuGH eine diskriminierende Ungleichbehandlung, weil die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Glücksspielveranstalter diese Voraussetzung nur deutlich schwerer erfüllen können als die inländischen Veranstalter und die ausländischen Veranstalter deshalb in ihrer Dienstleistungsfreiheit eingeschränkt wurden.

Derartige Beschränkungen können gerechtfertigt sein, wenn sie einen Schutz der Spieler sowie der Sozialordnung bezwecken – dabei handelt es sich um zwingende Gründe des Allgemeininteresses. Vor dem Hinblick dieser Ziele ist zu beurteilen, ob die Maßnahmen zur Verfolgung bzw. Erreichung der Ziele geeignet, erforderlich und angemessen sind. Ungarn hat sich im Unibet-Verfahren auf Verbraucherschutzziele sowie Gefahren für die öffentliche Ordnung und Gesundheit berufen. Der EuGH hat diese ebenso wie den Schutz vor Anreizen zu übermäßigen Ausgaben zwar als legitime Ziele anerkannt, hebt jedoch bezüglich der Verhältnismäßigkeit hervor, dass eine Geeignetheit nur dann zu bejahen ist, wenn die Mittel kohärent und systematisch sind (so der EuGH auch schon in den Urteilen Placanica, in Costa und Cifone und in Stanley International Betting Ltd., Stanleybet Malta Ltd.). Das System von Konzessionen und Erlaubnissen für die Veranstaltung von Glücksspiel muss deshalb auf objektiven und nichtdiskriminierenden Kriterien beruhen, die im Voraus bekannt sind. Weiterhin gebietet der Grundsatz der Rechtssicherheit, dass Rechtsvorschriften, insbesondere wenn sie nachteilige Folgen haben können – klar, bestimmt und in ihren Auswirkungen vorhersehbar sein müssen. Beides hat der EuGH bezüglich des Glücksspielrechts in Ungarn verneint. Deshalb wurde auch die Rechtmäßigkeit der Sanktionierung abgelehnt: Der Verstoß eines Anbieters gegen eine beschränkende Regelung im Glücksspielbereich kann nicht zu seiner Unzuverlässigkeit führen, wenn die Glücksspielregulierung, gegen die er verstößt, mit Art. 56 AEUV unvereinbar ist (so der EuGH bereits auch in Pfleger).

Das Kohärenzgebot im Glücksspielrecht

Mit der Unibet-Entscheidung hat der EuGH mithin erneut das Kohärenzgebot bestätigt, das er bereits in früheren Entscheidungen zum Glücksspielrecht als Maßstab angelegt hat. Bereits im Jahr 1999 hat der EuGH im Läärä-Urteil klargestellt, dass Glücksspielmonopol aus Gründen des Allgemeininteresses, insbesondere zum Schutz der Verbraucher und der Sozialordnung, gerechtfertigt sein kann. Ein Monopol und ein Konzessionierungsverfahren bezüglich der Zulassung bestimmter Glücksspielarten und die unterschiedliche Behandlung verschiedener Glücksspielarten hinsichtlich ihrer Zulassung ist deshalb nicht per se unionsrechtswidrig. Wie der EuGH auch in der Stanleybet Malta-Entscheidung von 2018 betonte, kann ein Konzessionssystem ein wirksamer Mechanismus sein, um die in diesem Sektor tätigen Anbieter mit dem Ziel zu kontrollieren, die Ausnutzung dieser Tätigkeiten zu kriminellen oder betrügerischen Zwecken vorzubeugen. Da diese Gefahren bei verschiedenen Glücksspielformen unterschiedlich hoch sein können, kann auch eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigungsfähig sein.

Seit dem Zenatti-Urteil hebt der EuGH allerdings wiederholt hervor, dass ein Glücksspielmonopol nur dann zulässig sei, wenn dieses in erster Linie wirklich sozialpolitischen Zielen diene und nicht tatsächlich fiskalische Interessen in den Vordergrund stelle. Das heißt: Soll ein staatliches Monopol begründet werden oder ein quantitativ beschränktes Konzessionsmodell wie das, welches § 22c Abs. 1 GlüStV ermöglicht, eingeführt werden, ist dafür eine sozialpolitische Begründung erforderlich. Mit der Gambelli-Entscheidung betonte der EuGH schließlich, dass ein Monopol nicht damit begründet werden darf, dass dieses dem Schutz der Sozialordnung diene, wenn die Verbraucher zugleich zum Glücksspiel ermuntert werden, um Einnahmen zu erzielen. Voraussetzung hierfür ist – wie bereits auch in der Ladbrokes-Entscheidung anklang – eine kohärente, auf Begrenzung ausgerichtete Glücksspielregulierung als Voraussetzung einer Rechtfertigung.

In der Entscheidung Stoß arbeitete der EuGH dann heraus, dass die Einführung eines normativen Rahmens erforderlich sei, welcher die kohärente und systematische Verfolgung des Verbraucherschutzziels sicherstellt und auf einer strikten behördlichen Kontrolle beruht, womit jedenfalls unvereinbar ist, wenn der Monopolbetrieb durch Werbemaßnahmen zur Einnahmesteigerung den Spieltrieb der Verbraucher fördert. Im Dickinger-Urteil wurde bezüglich Werbemaßnahmen klargestellt, dass diese sich jedenfalls auf das Maß beschränken müssen, das zur Hinführung der Verbraucher zu den rechtmäßigen Angeboten erforderlich ist.

Zur Konzessionsvergabe für Online-Casinospiele

Die Konzessionsvergabe für die Veranstaltung von Online-Casinospielen nach § 22c Abs. 1 GlüStV verläuft analog zur Konzessionsvergabe zum Betreiben einer Spielbank und der Veranstaltung terrestrischer Casinospiele. Weniger die Tatsache, dass eine Konzession zur Veranstaltung von Online-Casinospielen erforderlich ist, sondern vielmehr, dass die Anzahl der zu vergebenden Konzessionen für Online-Casinospiele auf die Anzahl der Spielbankkonzessionen begrenzt ist, ist als Eingriff in die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit rechtfertigungsbedürftig. Die Begründung – so viel sei an dieser Stelle bereits gesagt – taugt aber nicht, um den massiven Eingriff durch die quantitative Begrenzung zu rechtfertigen, weshalb auch diese unionsrechtswidrig ist. Hervorzuheben ist dabei, dass bei der Beschlussfassung des GlüStV auf den Schleswig-Holsteinschen Sonderweg, der weder eine Unterscheidung von virtuellem Automatenspiel, Online-Poker und Online-Casinospiel vorsieht, noch eine quantitative Begrenzung der Konzessionsvergabe vorsieht, nicht einmal eingegangen wurde. Folglich fehlt es auch an einer Begründung, warum nicht dieser hinsichtlich der Eingriffstiefe deutlich milderer Weg eingeschlagen wurde.

Fragwürdig ist aber auch bereits die altbewährte deutsche politische Praxis der Unterscheidung von Spielhallen und Spielbanken, wobei in Spielhallen nach der SpielV Beschränkungen bezüglich Spielpausen, Maximalgewinn, Mindestspieldauer oder Einsatzhöhe bestehen, die – da die Gefahr des Entstehens von Glücksspielstörungen nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen bei allen Glücksspielarten gleich hoch ist – keinen sachlichen Grund für sich anführen können und nur dazu dienen, terrestrische Spielbanken attraktiver zu machen und so die staatlichen Einnahmen zu sichern und zu vergrößern. Der Bürger darf in einer privat betriebenen Spielhalle auf den Geschmack des Glücksspiels kommen und seinen Appetit dort anregen, satt essen soll er sich aber nur in der für den Staat oder aber privilegierter Unternehmen äußerst profitablen Spielbank.

Problematisch ist auch, dass bei der Vergabe von Spielbankkonzessionen häufig die alten Betreiber bevorzugt werden, ohne dass dies sachlich begründet wird. Privilegiert werden dabei insbesondere die marktbeherrschenden Unternehmen und altbekannten politischen Günstlinge Gauselmann und Novomatic, die an zahlreichen Spielbanken beteiligt sind. Die in der Vergangenheit durchgeführten Verfahren sind konzessions- bzw. vergaberechtlich problematisch und haben häufig zur Folge, dass andere Bewerber von vornherein keine Aussicht auf eine Konzessionserteilung haben. Beispielsweise wurde jüngst die Spielbankkonzession Wiesbaden ohne Ausschreibung verlängert, obwohl dies gegen das europäische Vergaberecht verstieß. Mit Blick auf die Vergabe von Online-Casinokonzessionen scheint die Befürchtung deshalb begründet, dass auch bei der Konzessionsvergabe altbekannte Unternehmen, die terrestrische Spielbanken betreiben, bevorzugt werden, ohne dass Ausschreibungen für eine faire und rechtmäßige Vergabe durchgeführt werden.

Unhaltbar wäre es, würde die Vergabe von Konzessionen für die Veranstaltung von Online-Casinospielen an die Voraussetzung einer Konzession zum Betrieb einer Spielbank geknüpft werden. Denn um ein echtes Ausschreibungsverfahren, wie es nach Art. 108 AEUV bei der Gewährung staatlicher Beihilfen erforderlich ist, würde es sich dann nicht handeln, weshalb auch die Vergabe der Konzessionen unionsrechtswidrig wäre. Bisher ist weder bekannt, welche Kriterien zur Konzessionsvergabe herangezogen werden, wann eine Ausschreibung erfolgt, und ob die Bundesländer überhaupt Konzessionen vergeben werden. Aus dem völlig intransparenten Umlaufbeschluss geht diesbezüglich nichts hervor, insbesondere auch nicht, ob ein Anbieter dadurch „unzuverlässig“ wird und sich dadurch von vornherein im später vielleicht stattfindenden Konzessionsverfahren disqualifiziert, wenn er in Ausübung seiner Dienstleistungsfreiheit auch nach dem 15. Oktober Online-Glücksspiel in der Bundesrepublik veranstaltet. Der Umlaufbeschluss will damit einen europarechtswidrigen Zustand herbeiführen, indem er von den Anbietern verlangt, ihr Online-Casinoangebot abzuschalten.

In der Ince-Entscheidung hat sich der EuGH hinsichtlich der Konzessionsvergabe im Bereich der Sportwetten dahingehend geäußert, dass ein Konzessionsverfahren zunächst das Transparenzgebot berücksichtigen muss. Das Transparenzgebot soll gewährleisten, dass alle interessierten Wirtschaftsteilnehmer die Entscheidung über die Teilnahme an Ausschreibungen auf der Grundlage sämtlicher einschlägiger Informationen treffen können und die Gefahr von Günstlingswirtschaft und Willkür seitens der Vergabestelle ausgeschlossen ist. Dabei verlangt das Transparenzgebot, dass alle Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens klar, genau und eindeutig formuliert sind – von dem Vergabeverfahren der Online-Casinokonzessionen kann das aber nicht behauptet werden. Problematisch ist weiterhin, wenn das Konzessionsverfahren so gestaltet wird, dass es faktisch ein staatliches Monopol fortbestehen lässt. Denn dann müsste die Notwendigkeit eines staatlichen Monopols gerechtfertigt werden, was aber bezüglich der Veranstaltung von Online-Casinospielen eindeutig verneint werden kann (vgl. § 22c Abs. 1 Nr. 2 GlüStV, selbst der Gesetzgeber hält kein Monopol für erforderlich). Eine Konzessionsregelung mit engen quantitativen Beschränkungen muss dementsprechend ebenfalls gerechtfertigt sein, d.h. insbesondere ein legitimes Ziel verfolgen und für die Zielverfolgung geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahmen ergreifen. Erforderlich kann die quantitative Beschränkung mit Blick auf den Manipulationsschutz aber gar nicht sein, wenn der Markt gleichzeitig in 16 Teilmärkte zersplittert wird und der Kontrollaufwand proportionalsteigt. Die quantitative Beschränkung ist deshalb offensichtlich unionsrechtswidrig (vgl. dazu auch die Ince-Entscheidung des EuGH).

Kohärenz des GlüStV

Die Gleichbehandlung von terrestrischem Glücksspiel und Online-Glücksspiel hinsichtlich des Erfordernisses einer Konzession lässt an der Kohärenz der Regulierungen des GlüStV zweifeln, weil hier ungerechtfertigt Ungleiches gleichbehandelt wird. Auch wenn in den terrestrischen Spielbanken und in Online-Casinos dasselbe Spielangebot zu finden ist, handelt es sich bei diesen um wesentlich Ungleiches: Zunächst ist die Möglichkeiten zur frühzeitigen Erkennung des Entstehens von Glücksspielstörungen in Online-Casinos deutlich größer als in terrestrischen Spielbanken, weshalb im Online-Bereich ein höherer Spielerschutz verwirklicht wird und deshalb nur geringere Beschränkungen erforderlich sind. Weiterhin ist durch die Aufzeichnung aller Spielen die Möglichkeit, Manipulationen aufzudecken, im Online-Bereich deutlich größer als im terrestrischen Bereich. Dementsprechend kann angenommen werden, dass weniger Manipulationen stattfinden werden und auch deshalb das Online-Glücksspiel nur weniger stark beschränkt werden dürfte. Schließlich droht im Online-Bereich eine negative Kanalisierung in den nur wenige Mausklicke entfernten Schwarzmarkt, illegales Glücksspiel als Alternative zu den terrestrischen Spielhallen ist deutlich schwerer zu erreichen. Besonders wichtig ist deshalb, dass im Online-Bereich verlässliche und hinreichend attraktive Angebote geschaffen werden (so der EuGH in Berlington Hungary). Die Beschränkungen im GlüStV konterkarieren dies aber, indem durch eine räumliche Aufteilung in 16 Teilmärkte und eine sachliche Aufteilung in virtuelles Automatenspiel, Online-Poker und Online-Casinospiele der Markt derart zerstückelt wird, dass es kaum jemand möglich sein wird, ein für den Spieler attraktives und verlässliches Angebot aufzubauen. Die räumliche Aufteilung in die 16 Bundesländer, inklusive des Sonderwegs Schleswig-Holsteins, wird zudem dazu führen, dass das deutsche Glücksspielrecht sich als völlig inkohärenter Flickenteppich entwickeln wird, der wohl kaum Rechtssicherheit und Praxistauglichkeit leisten kann.

Zweifel bestehen angesichts des § 22c Abs. 1 GlüStV ähnlich wie in der Unibet International-Entscheidung an der Rechtssicherheit der Rechtsvorschrift. Rechtsvorschriften müssen klar, bestimmt und in ihren Auswirkungen vorhersehbar sein. Für die Online-Casinospielanbieter, die ab Juli 2021 in Deutschland auf dem Markt auftreten wollen, ist mit § 22c Abs. 1 GlüStV wenig gewonnen. Denn sie wissen weder, ob und wenn ja, welche Länder sich für die Erteilung von Konzessionen entscheiden werden, noch ist klar, nach welchen Kriterien die wenigen Konzessionen vergeben werden würden. Fraglich ist deshalb auch, ob es sich überhaupt um ein hinreichend transparentes Verfahren handelt. Fällt § 22c Abs. 1 GlüStV, fällt damit nicht nur die Unterscheidung zwischen virtuellem Automatenspiel, Online-Poker und Online-Casinospielen, sondern es scheitert der gesamte GlüStV. Nicht nur die Notwendigkeit einer Konzessionsvergabe wäre dann hinfällig, sondern insbesondere auch die quantitative Begrenzung zur Veranstaltung von Online-Casinospielen.

Durch § 22c Abs. 1 GlüStV wird einerseits in die Dienstleistungsfreiheit ausländischer Online-Casinospielveranstalter aus Art. 56 AEUV eingegriffen, weil diese ihre Dienstleistungen ohne Erteilung einer Konzession in Deutschland nicht anbieten dürfen. Andererseits wird auch die Niederlassungsfreiheit aus Art. 49 AEUV beschränkt, weil sich Unternehmen, die Online-Casinospiele veranstalten, nicht ohne weiteres in Deutschland niederlassen können. Nach der ständigen EuGH-Rechtsprechung sind derartige Eingriffe nur erlaubt, wenn die Regelungen kohärent sind. Dafür ist zu prüfen, ob ein einheitliches Vorgehen normiert wurde. Gegen Kohärenz spricht jedenfalls, wenn die Behörden in Bezug auf andere Glücksspiele eine Politik verfolgen, die eher darauf abzielt, zur Teilnahme an diesen anderen Spielen zu ermuntern, als darauf, die Spielgelegenheiten zu verringern und die Tätigkeiten in diesen Bereich in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen. Denn dies hätte zur Folge hat, dass das der Konzessionsvergabe zugrunde liegende Ziel, Anreize zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen, nicht mehr wirksam verfolgt werden kann (so der EuGH u.a. in Sporting Odds, Stanleybet Malta, Carmen Media Group).

Von einer kohärenten Regelung kann bezüglich des GlüStV keine Rede sein. Am Ziel des Spielerschutzes nach § 1 Nr. 1 GlüStV gemessen ist Online-Glücksspiel hinsichtlich der Früherkennung von Glücksspielstörungen sicherer als terrestrisches Glücksspiel und dürfte deshalb nur weniger stark restringiert werden. Der GlüStV sieht allerdings umfassende Regeln vor, welche die Spielgestaltung, die Einsatzhöhe und auch ein plattformübergreifendes Limit für Online-Glücksspiel vorsehen, das es im terrestrischen Bereich nicht gibt. Dadurch werden die Spieler nicht geschützt, sondern im terrestrischen Bereich gehalten, wo keine Limitierung besteht und der Spielerschutz geringer ist.

Auch bezüglich der Verwirklichung des Kanalisierungsziels ist der GlüStV inkohärent. Einerseits soll ein attraktives Glücksspielangebot aufgebaut werden, das die Spieler vom Schwarzmarkt abhält, weshalb das Angebot im terrestrischen Bereich weiter ausgebaut werden und – insbesondere von den staatlichen Anbietern – aktiv beworben werden darf. Andererseits aber wird der Online-Markt stark begrenzt, die Werbemöglichkeit stark beschränkt, das Angebot durch zahlreiche Beschränkungen verknappt und verlangsamt und so für den Spieler unattraktiv gemacht. Der legale Online-Glücksspielmarkt wird durch diese Beschränkungen nicht mit dem Angebot des Schwarzmarkts mithalten können, welches schneller und aufregender ist und zudem breit beworben wird. In Zeiten von Internet stehen die Landesmedienanstalten einem unzähmbaren Ungetüm machtlos gegenüber. Die Beschränkungen können auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass der Zugang zum Glücksspiel eingeschränkt werden soll, da der Staat – weil er davon durch Steuereinnahmen in Milliardenhöhe profitiert – die Teilnahme am Glücksspiel durch Werbung selbst fördert. Der GlüStV begrenzt die Spielgelegenheiten deshalb nicht in kohärenter und systematischer Weise, sondern setzt sich über Spielerschutz und Kanalisierung völlig hinweg, um die Spieler im für den Staat lukrativen terrestrischen Glücksspiel zu halten.

Die Entmystifizierung des Umlaufbeschlusses

Durch einen Umlaufbeschluss versuchen die Länder Bayern, Hamburg, Nordrhein-Westfahlen und Berlin, den GlüStV trotz seiner offensichtlichen Unionsrechtswidrigkeit durch die Hintertür noch vor Ende des Notifizierungsverfahrens und Ratifizierung in den jeweiligen Bundesländern bereits schon zum 15. Oktober 2020 in Kraft treten zu lassen. Nach dem Umlaufbeschluss soll der Vollzug gegen unerlaubtes Glücksspiel auf die Anbieter konzentriert werden, bei denen zum Stichtag des 15. Oktober 2020 abzusehen ist, „dass sie sich auch der voraussichtlichen zukünftigen Regulierung entziehen wollen“. Von vielen wird der Umlaufbeschluss deshalb fälschlicherweise als Duldung interpretiert – die Anbieter aber, die sich an die Vorgaben der Vollzugsleitlinien halten, bekommen durch den Umlaufbeschluss aber keine für sie günstige Rechtsposition. Es sei an dieser Stelle anzumerken, dass der Umlaufbeschluss als Grundlage für eine formelle Duldung herangezogen wird. Allerdings wollen die Länder durch die Umsetzung der Vollzugsleitlinien entgegen der europäischen Rechtsprechung bereits alle Anbieter als unzuverlässig behandeln, die sich nicht an die Einschränkungen des GlüStV zum Stichtag des 15. Oktober 2020 halten. Auch das ist rechtswidrig: Wie die Unibet-Entscheidung gezeigt hat, dürfen Sanktionen nicht auf ein Gesetz gegründet werden, das – wie der GlüStV – gegen die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit verstößt. Hier liegt die Besonderheit darin, dass der neue GlüStV in seiner aktuellen Fassung von keinem Bundesland ratifiziert wurde. Alle Sanktionierungen, die infolge der Umsetzung des „angedachten GlüStV“ verhängt werden, sind ihrerseits unionsrechtswidrig. Ad absurdum werden die Vollzugsleitlinien geführt, wenn man die schleswig-holsteinischen Besonderheiten bedenkt, derer ausdrücklich im vorliegenden Umlaufbeschluss bedacht werden: Die Veranstalter von Online-Glücksspiel mit einer schleswig-holsteinischen Lizenz können weiterhin Online-Glücksspiel anbieten, das nicht an den Vorgaben des GlüStV gemessen wird.

Die Politik täte gut daran hier keinen Schnellschuss zu machen. Das deutsche Glücksspielrecht beschäftigt in seinen verschiedenen Fassungen schon seit Jahren die deutschen Gerichte als auch den Europäischen Gerichtshof und der „angedachte GlüStV“ setzt den bisherigen unions- und verfassungsrechtlich zweifelhaften Regulierungen die Krone auf. Auch die rechtswidrige Praxis bei der Vergabe von Spielbankkonzessionen ist ein unhaltbarer Zustand. Die Politik gibt vor, durch faire Verfahren und ein wohlgeordnetes Glücksspielrecht dem Bürger ein attraktives und sicheres Glücksspielangebot bereit zu stellen. In Wahrheit aber wird das Glücksspielrecht und die Vergabepraxis so gestaltet, dass der Staat und seine privilegierten Unternehmen die einzigen Profiteure sind – das ist eine nicht länger hinnehmbare Praxis zulasten der Spieler.

Mitunter versucht der Umlaufbeschluss einen bereits unionsrechtswidrigen Zustand mit neuen unionsrechtswidrigen Maßnahmen zu regulieren.