EuGH-Verfahren C-440 – Online Glücksspiel – Ein Terminsbericht von Rechtsanwalt Cocron

Rechtsanwalt István Cocron, B.A.
Cocron Rechtsanwalt
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Am Europäischen Gerichtshof wurde am Mittwoch, den 09.04.2025 ein Verfahren verhandelt, das weitreichende Konsequenzen für die Rückforderung von Spielverlusten im Online-Glücksspielbereich haben könnte. Kläger ist Rechtsanwalt Volker Ramge, der Forderungen eines Spielers gegen den maltesischen Glücksspielanbieter "Lottoland" erworben hat.

Zentrale Streitfrage: Sind Rückforderungen trotz maltesischer Lizenz zulässig? Kläger Ramge beruft sich auf die gefestigte Rechtsprechung des BGH

Maßgeblich sei, ob der Anbieter über eine deutsche Lizenz verfügte – was bei den beklagten Online-Casinospielen und Zweitlotterien unstreitig nicht der Fall war.

§ 4 Abs. 4 GlüStV untersagte Online-Casinospiele und Zweitlotterien im relevanten Zeitraum. Anders als bei Sportwetten galt hier keine Experimentierklausel. Der Kläger argumentiert mit dem Spielerschutz – und damit, dass es auf ein Bemühen um eine Lizenz gar nicht ankomme. Ohne deutsche Erlaubnis sei das Angebot in Deutschland illegal – mit der Folge, dass Verluste rückforderbar seien.

RA Karpenstein verteidigt das Geschäftsmodell der Anbieter – und greift an

Demgegenüber trägt Rechtsanwalt Karpenstein – auf Seiten der Anbieter – vehement vor, dass Spielerschutz nur vorgeschoben sei. Die Klagen seien vielmehr von Prozessfinanzierern initiiert und würden nicht den Interessen der Spieler dienen. Auch sei die Rückforderung im Glücksspielstaatsvertrag nicht vorgesehen. Karpenstein betont, dass der fehlende Zugang zu einer deutschen Lizenz nicht den Anbietern angelastet werden könne: In Deutschland war – außerhalb von Schleswig-Holstein – bis Mitte 2021 schlicht keine Lizenz für Online-Automatenspiele erhältlich. Zweitlotterien seien überdies seit Jahren stillschweigend geduldet worden. Die Rückforderungsansprüche entbehrten daher der unionsrechtlichen Grundlage.

Malta

Rückforderung untergräbt Binnenmarkt und gefährdet Spielerschutz
Die Republik Malta kritisiert das Verfahren grundsätzlich: Ein Mitgliedstaat dürfe nicht in die Glücksspielregulierung eines anderen eingreifen. In Malta bestünden umfassende Regelungen zum Spielerschutz – mit jährlich tausenden Sperranträgen, auch von deutschen Spielern. Es sei nicht gerechtfertigt, Anbieter aus Malta pauschal als „illegal“ zu brandmarken. Zudem nutze Deutschland gerne die Steuereinnahmen aus dem Glücksspiel, während gleichzeitig zivilrechtliche Rückforderungen zugelassen würden.

Belgien: Zweitlotterien als besonders riskante „parasitäre“ Wetten

Belgien stellt sich in der Verhandlung hinter Deutschland – zumindest was die Zweitlotterien betrifft. Diese seien nicht mit staatlichen Lotterien vergleichbar, weder in Bezug auf Aufsicht noch Zahlungsfähigkeit. Glücksspiel dürfe national beschränkt werden, wenn es dem Gemeinwohl dient. Ehrenschulden, wie sie Karpenstein ins Spiel bringt, seien zivilrechtlich irrelevant.

Europäische Kommission

Die Vertreterin der Europäischen Kommission hält die Vollstreckungsschutzregelung für die Maltesische Glücksspielindustrie (Bill55) wohl für unionsrechtswidrig. Diese Frage müsste dann inzident geprüft werden, falls Bill55 auch auf das vorgenannte Vorlageverfahren anwendbar wäre. Daraufhin erklärte der Vertreter Maltas gegenüber dem EuGH: „Wir gehen davon aus, dass die maltesischen Regelungen der „Bill55“ auf das vorliegende Verfahren keine Anwendung finden.“ Die Vertreterin der Europäischen Kommission führte weiter aus, dass Spielerschutz in der EU wichtig sei und Spieler manchmal eben auch vor sich selbst geschützt werden müssten.

Streit über die Zuständigkeit und die unionsrechtliche Bewertung

Ein wesentlicher Verhandlungspunkt betraf die Zuständigkeit der maltesischen Gerichte. Können diese überhaupt die Vereinbarkeit deutscher Vorschriften mit dem Unionsrecht prüfen, ohne dass Deutschland in das Verfahren eingebunden ist? Die Bundesregierung bemängelte, dass sie über das Verfahren nicht informiert worden sei und daher ihre Sichtweise nicht einbringen konnte. Die Kommission verweist jedoch auf die Systematik der Rom-I-VO: Ein nationales Gericht kann – unter Beachtung der unionsrechtlichen Vorgaben – ausländisches Recht anwenden und ggf. die unionsrechtliche Konformität prüfen.


Fazit: Rückforderungsrecht stehen auf dem unionsrechtlichen Prüfstand


Die Schlussanträge des Generalanwalts werden für den 10. Juli 2025 erwartet.

Entscheidend wird nun sein, ob der EuGH den deutschen Rückforderungsmechanismus mit der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV für vereinbar hält – oder ob er die Anbieter aus Malta (und anderen EU-Staaten) in Schutz nimmt.