Zur Zulässigkeit und Gestaltung kommunaler Wettbürosteuern im Lichte der Rechtsprechung

Rechtsanwalt Dr. Ronald Reichert
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Sozietät Redeker Sellner Dahs
Willy-Brandt-Allee 11
D - 53113 Bonn
Ein Artikel der Rechtsanwälte Dr. Ronald Reichert und Dr. Manuel Kollmann

I.
Problemstellung

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 29.06.2017 (Az.: 9 C 7/16) den Berechnungsmaßstab der Wettbürosteuersatzung der Stadt Dortmund verworfen, weil die dort vorgesehene Flächenbesteuerung gegen höherrangiges Recht verstieß. Das Urteil wurde von vielen Kommunen dahin gedeutet, sie könnten ihre Wettbürosteuersatzungen nunmehr am Brutto-Wetteinsatz ausrichten, um damit verfassungsrechtlich auf der sicheren Seite zu sein. Auch die Mustersatzung des nordrhein-westfälischen Städte- und Gemeindetages knüpft an den Brutto-Wetteinsatz an.

Tatsächlich spricht sehr viel dafür, dass eine solche Einsatzbesteuerung angesichts der parallelen Einsatzbesteuerung durch die Sportwettsteuer des Bundes und die fehlende Anknüpfung des Berechnungsmaßstabes an ortsgebundenes Vergnügen rechtswidrig wäre (siehe dazu II.). Die abschließende gerichtliche Klärung der Zulässigkeit dieses Maßstabs wird angesichts des Gewichts der rechtlichen Einwände und der dahinterstehenden verfassungsrechtlichen Problematik, die nur durch das Bundesverfassungsgericht geklärt werden kann, noch viele Jahre auf sich warten lassen (siehe dazu III.). Vor diesem Hintergrund spricht sehr viel dafür, Alternativvorschläge aufzugreifen, wie sie im Schrifttum schon geäußert worden sind, um eine von vornherein verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Besteuerung aufzusetzen (siehe dazu IV.).

II.
Zur Rechtswidrigkeit der Einsatzbesteuerung

  1. Keine Entscheidung über die Einsatzbesteuerung durch das BVerwG

    Entgegen weit verbreiteter Annahme hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in seinem Urteil vom 29.6.2017 (Az.: 9 C 7/16) zur Wettbürosteuer der Stadt Dortmund keine abschließende Entscheidung zur Zulässigkeit der Besteuerung anhand des Brutto-Wetteinsatzes getroffen. Eine endgültige juristische Klärung zu dieser Frage durch die Gerichte steht damit zwar noch aus. Die Verletzung des Grundgesetzes drängt sich jedoch geradezu auf:

    • Die Dortmunder Wettbürosteuer war nach dem Urteil des BVerwG von 2017 in ihrer Ausgestaltung als Flächensteuer unzulässig. In einer Nebenbemerkung hielt es das BVerwG in dieser Entscheidung für möglich, auf den Wetteinsatz als wirklichkeitsnäheren Maßstab abzustellen (Rn. 54).

    • Allerdings trügt der Schein, wenn man meint, das BVerwG habe damit den Einsatzsteuermaßstab „abgesegnet“. Wer die tragenden Erwägungen des Urteils durchsieht, erkennt dies schnell: Tatsächlich hat das BVerwG die Besteuerung nach dem Brutto-Wetteinsatz nur im Kontext der Prüfung des Flächensteuermaßstabs herangezogen. Es hat eine solche Besteuerung keiner umfassenden Überprüfung nach den Vorgaben des Grundgesetzes unterzogen. Ihre Vereinbarkeit mit dem kommunalen Abgabengesetz und den Vorgaben des Grundgesetzes wurde in keiner Weise untersucht.

  2. Verstoß gegen das Gleichartigkeitsgebot des Art. 105 Abs. 2a GG

    Eine Einsatzbesteuerung bei kommunalen Wettbürosteuern verstößt angesichts einer daneben bestehenden gleichartigen Sportwettensteuer nach dem Einsatzsteuermaßstab mit einiger Wahrscheinlichkeit gegen das Gleichartigkeitsgebot des Art. 105 Abs. 2a GG. Die Besteuerung des Brutto-Wetteinsatzes durch den Ortsgesetzgeber schöpft die gleiche Steuerquelle ab, wie es die Sportwettsteuer des § 17 Abs. 2 Rennw-LottG tut. Sie verletzt damit die Bundesgesetzgebungsbefugnis. Die Länder, und damit auch die von ihnen ermächtigten Kommunen, haben nach Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG die Befugnis zur Gesetzgebung über die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern nur, solange und soweit diese nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind. Vorliegend drängt es sich geradezu auf, dass eine Wettbürosteuer, die den Brutto-Wetteinsatz besteuert, gleichartig mit der Sportwettsteuer des § 17 Abs. 2 Rennw-LottG ist:

    • Beide knüpfen an den Brutto-Wetteinsatz an, besteuern den Vorgang des Wettens als solchen, sind in der Erhebungstechnik gleichartig und wirken sich als indirekte Steuern wirtschaftlich in vergleichbarer Weise aus, weil sie jeweils auf Abwälzbarkeit auf den Spieler angelegt sind und deshalb im Regelfall zu einer Verteuerung der Leistung für den Wettenden führen. Damit ist die Quelle der Besteuerung identisch. Ziel der Besteuerung ist jeweils unzweifelhaft der Wettende.

    • Folge dieses klaren Befundes ist, dass die Besteuerung anhand des Brutto-Wetteinsatzes gleichartig mit der Sportwettsteuer ist. Eine derartige Vorgabe verstößt offensichtlich gegen das Grundgesetz.

    • Daran ändert auch der Umstand nichts, dass mit der Wettbürosteuer vermeintlich nur ein im Vergleich zur Sportwette eng begrenzter, spezifischer Ausschnitt des Wettgeschehens besteuert wird, nämlich nur Wetten, bei denen Sportereignisse auf Monitoren verfolgt werden können.

      Diese Argumentation ist schon in tatsächlicher Hinsicht verfehlt. Sie blendet völlig aus, dass eben nicht nur Live-Wetten in den Wettbüros besteuert werden, sondern alle im Wettbüro abgegebenen Wetten. Damit sind aber nicht nur diejenigen erfasst, die in einem Wettbüro wegen des Mitverfolgens von Sportereignissen getätigt werden. Die Besteuerung geht darüber hinaus, indem sie an den gesamten Brutto-Wetteinsatz aller Wetten anknüpft, unabhängig davon ob sie „Prematch“ oder „live“ erfolgen.

      Sie überzeugt aber vor allem in rechtlicher Hinsicht nicht. Denn es ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt, dass es im Rahmen des Gleichartigkeitsgebots nicht auf die Höhe des Steueraufkommens ankommen kann (BVerfG, Beschl. v. 6.12.1983 – 2 BvR 1275/79, Rn. 84, juris). Einer kommunalen Steuer ist es wegen der Begrenzung auf den örtlichen Wirkungskreis notwendig immanent, dass sie sich auf einen Bruchteil der Steuerpflichtigen beschränkt im Vergleich zu einer bundesgesetzlichen Steuer.

  3. Fehlende örtliche Radizierung

    Hinzu kommt, dass eine derartige Wettbürosteuer nicht hinreichend örtlich radiziert ist. Dies ist nach den Vorgaben des Grundgesetzes jedoch Wesensmerkmal einer örtlichen Aufwandsteuer. Besteuert wird ein Aufwand, der am Standort getätigt und ein Vergnügen, das am Standort erfahren wird. Daran fehlt es dann, wenn der Bruttowetteinsatz von Wettkunden in Wettbüros generell besteuert wird. Einen Großteil der dort getätigten Wetten verfolgt der Wettkunde gar nicht oder zumindest außerhalb der Wettvermittlungsstelle, zum Beispiel am häuslichen Bildschirm, mit Freunden in Sportsbars oder anderswo.

    Bei genauer Betrachtung besteuert die Wettbürosteuer auch nicht allgemein Wetteinsätze, die in der Kommune getätigt werden. Sonst müssten auch Wettannahmestellen oder die Abgabe von Wetten über Handy und Internet die Steuer abführen. Die Wettbürosteuer wird indessen nur für Wettbüros erhoben und mit der Mitverfolgungsmöglichkeit von Live-Wettereignissen gerechtfertigt. Dies findet aber in der Besteuerung anhand des Brutto-Wetteinsatzes keinen hinreichenden normativen Niederschlag. Damit wird gerade nicht der spezifische Aufwand erfasst, den der Wettende im Wettbüro tätigt, weil er ein Sportereignis vor Ort als ein in der Gemeinde gebundenes Geschehen mitverfolgt. Der verfassungsrechtlichen Vorgabe, die Abgabe nach der räumlich beschränkten Wirkung zu bemessen, wird deshalb gerade nicht entsprochen.

III.
Bedeutung der ausstehenden gerichtlichen Klärung

Unabhängig von den sich danach aufdrängenden durchgreifenden Bedenken gegen eine allgemeine Einsatzbesteuerung von Sportwetten in Wettbüros, steht damit jedenfalls fest, dass langjährige gerichtliche Auseinandersetzungen drohen, wenn die Kommunen sich auf den Maßstab der Einsatzbesteuerung kaprizieren.

Die gerichtlichen Auseinandersetzungen über die Frage zeichnen folgendes Bild:

Das Verwaltungsgericht Minden hat eine entsprechende Wettbürosteuersatzung jüngst verworfen, das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen bestätigt (VG Minden, Urt. v. 19.3.2019 – Az. 5 K 3314/18; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 7.12.2018 – Az. 2 K 2423/18). Die Berufungszulassungsanträge in diesen und weiteren Verfahren sind anhängig beim OVG Münster. Zum Teil ist eine Zulassung bereits erfolgt.

Die absehbare Zeit bis zur abschließenden gerichtlichen Klärung ist erheblich: Es ist mit einer ein- bis zweijährigen Dauer der Berufungsverfahren zu rechnen, an das sich eine ein- bis zweijährige Dauer des Revisionsverfahrens beim Bundesverwaltungsgericht anschließt. Danach wäre erforderlichenfalls die Verfassungsbeschwerde eröffnet. Verfassungsbeschwerdeverfahren in rechtsgrundsätzlichen Fragen, wie sie hier im Raum stehen, dauern für gewöhnlich mehrere Jahre; Verfahrensdauern von vier bis sechs Jahre sind üblich.

Möglicherweise rührt es daher, dass viele Bundesländer auf diesen Zug noch nicht eingeschwenkt sind:

  • In Nordrhein-Westfalen selbst ist nur ein Bruchteil der Kommunen der Mustersatzung gefolgt (40 Kommunen von fast 400 Gemeinden insgesamt in NRW).
  • In Hessen sind drei größere Kommunen (Offenbach, Hanau, Frankfurt am Main) inzwischen dem Vorbild der nordrhein-westfälischen Mustersatzung gefolgt,
  • und in Rheinland-Pfalz eine (Koblenz).
  • In Baden-Württemberg ist die Klärung bislang zu Gunsten der Wettbürobetreiber ausgegangen. Die Urteile des Verwaltungsgerichtshofs, mit denen die Besteuerung des Mitverfolgens der Wettereignisse mangels besteuerbaren entgeltlichen Aufwands im Sinne einer Aufwandsteuer verworfen wurden, sind rechtskräftig geworden (VGH Mannheim, Urt. v. 28.1.2016 – 2 S 1019/15; 2 S 1231/15; 2 S 1232/15; 2 S 1233/15; 2 S 2067/14).
  • Aus den übrigen Bundesländern sind keine Berichte bekannt, dass die Einsatzbesteuerung Nachahmer gefunden hätte.

Für diese Zurückhaltung spricht vieles. Sie erscheint auch aus kameralistischer Sicht zweckmäßig. Angesichts des beträchtlichen Gewichts der rechtlichen Einwände gegen das Vorbild der Mustersatzung müssen die Kämmerer einkalkulieren, dass die eingehobene Vergnügungssteuer unter Umständen wieder erstattet werden muss. Dieses Risiko kumuliert mit der Laufzeit der Verfahren. Eine rückwirkende Reparatur ist nicht ohne weiteres möglich. Das gilt insbesondere dann, wenn ein völlig anderer Parameter für die Besteuerung herangezogen werden muss.

Die juristische Diskussion zur Zulässigkeit von Wettbürosteuern ist also längst nicht abgeschlossen. Das Urteil des BVerwG zur Dortmunder Wettbürosteuer markiert nicht das Ende, sondern den Anfang dieser Betrachtung. Bei der Anknüpfung der Wettbürosteuer an den Brutto-Wetteinsatz bestehen jedoch schon auf den ersten Blick erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Daher sind die Kommunen gut beraten, diesen Anknüpfungspunkt nicht zur Bemessungsgrundlage einer Wettbürosteuersatzung zu erheben.

IV.
Alternative Gestaltung

Wenig Berücksichtigung hat bislang gefunden, dass wirklichkeitsgerechte Maßstäbe bereits entwickelt wurden, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechen. Der renommierte Verfassungs- und Steuerrechtler Prof. Gregor Kirchhof hat in einem umfassenden Gutachten einen Alternativvorschlag zur Gestaltung einer Wettbürosteuer erarbeitet. Er empfiehlt die Wettbürosteuer anhand einer Pauschale zu erheben. Nichts anders wird bei anderen örtlichen Aufwandsteuer, wie bspw. bei der Hundesteuer, vorgegangen (s. Kirchhof, Die verfassungsrechtliche Neubemessung der Wettbürosteuern, März 2019, S. 47 ff.).

Der Deutsche Sportwettverband (DSWV) hat hierzu einen Vorschlag erarbeitet, der praktikabel erscheint. Ausgehend von einem durchschnittlichen monatlichen Wetteinsatz von 70.000 Euro pro Wettbüro und einem durchschnittlichen Wetteinsatz pro Wett-Ticket von 8 Euro würde sich eine monatliche Zahl von 8.750 Wett-Tickets pro Monat ergeben. Berücksichtigt man dabei den Anteil von 70 % für Live-Wetten würde sich eine monatliche Ticketzahl von 6.125 ergeben. Beim Ansatz einer Pauschale von 0,20 Euro pro Wett-Ticket ergibt sich ein monatlicher Steuerertrag pro Wettbüro von 1.225 Euro.

Bei dieser Art der Ausgestaltung würde die Wettbürosteuer den Aufwand des Wettenden und die örtliche Radizierung in Form des Mitverfolgens bewetteter Sportereignisse im Wettbüro erfassen. Verfassungsrechtliche Bedenken wären damit in jede Richtung beseitigt. Auch wäre eine derartige Wettbürosteuer eindeutig weder mit der Sportwettsteuer noch mit andersartigen Unternehmensteuern gleichartig. Zudem hat sie den Vorteil einfacher Handhabung und kann nach einigen Jahren einer Kontrolle unterzogen werden, um die Besteuerung an die Wirklichkeit ggf. anzupassen.

V.
Handlungsempfehlung

Angesichts der dargestellten Entwicklung spricht vieles dafür, von dem Irrweg der Einsatzbesteuerung bei der Wettbürosteuer abzulassen. Dabei kann offen bleiben, ob sich der Aufwand einer solchen Besteuerungsform lohnt. Es bestehen vielmehr jedenfalls erhebliche rechtliche Zweifel an ihrer Zulässigkeit. Die rechtliche Klärung hierzu dauert absehbar noch fünf bis zehn Jahre. Die hieraus erwachsende Rechtsunsicherheit ist weder für die Kommunen noch für die Betreiber hinnehmbar, weil in der Zwischenzeit der gerichtlichen Klärung die Risiken der kumulierenden Zahlungs- oder Erstattungsforderungen ständig wachsen. Das ist weder aus haushälterischer Sicht hinnehmbar, noch aus unternehmerischer Sicht akzeptabel.

Demgegenüber hat der DSWV mit seinem Vorschlag auf der Grundlage des Kirchhof-Gutachtens eine vernünftige und praktikable Regelung vorgeschlagen. Diese wählt einen Weg der Besteuerung anhand einer Pauschale nach der getätigten Live-Wette, und trägt damit derzeit im Raum stehenden verfassungsrechtlichen Bedenken Rechnung.

Irgendwelche verfassungsrechtlichen Einwände wurden gegen diese Alternative bislang nirgends erhoben. Die Diskussion konzentriert sich stattdessen auf die Frage, ob der bislang eingeschlagene Weg gleichwohl weiter verfolgt werden kann. Näher läge es hier, sich einmal ernstlich mit der Alternative zu befassen. Schließlich ist Rechtssicherheit ein hohes Gut für Bürger und Kommunen gleichermaßen.

Die Kommunen sollten sich daher lieber nicht auf das Abenteuer des ungewissen Ausgangs einer Besteuerung anhand des Brutto-Wetteinsatzes einlassen.