I. Einleitung
Im Artikel „Das riskante Spiel um höhere Einsatzlimits des GlüStV 2021 im Lichte der Kohärenzrechtsprechung des EuGH“ des Autors vom 6. Februar 2024 wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen beleuchtet, in denen der Gesetzgeber mit § 6c Abs. 1 Satz 3 GlüStV 2021 ein anbieterübergreifendes Einsatzlimit von grundsätzlich 1.000 € normiert hat. Dies stellt laut Gesetzgeber eine der wesentlichen Neuerungen zum Schutz der Spieler im GlüStV 2021 dar.1 Die Einhaltung jener Vorgabe ist gemäß § 4 Abs. 5 Nr. 6 GlüStV 2021 eine unabdingbare Bedingung für die Erteilung einer glücksspielrechtlichen Anbietererlaubnis. Folglich bemisst der Gesetzgeber diesem Schutzmechanismus eine enorme Bedeutung. Der Gesetzgeber hat jedoch erkannt, dass ein starres Limit möglicherweise nicht in jedem Fall verhältnismäßig ist und überdies die nicht unwahrscheinliche Abwanderung wohlhabender Spieler in den Schwarzmarkt den Kanalisierungszielen zuwiderläuft.
„Besonders zuverlässigen Anbietern, die über hinreichende Kapazitäten zur Prüfung der aufzustellenden Voraussetzungen verfügen“2, darf die GGL erlauben, Spielern im Einzelfall höhere Einsatzlimits zu gewähren. Dies setzt eine Einzelfallprüfung voraus, wonach der Anbieter
„durch geeignete Maßnahmen zu prüfen und festzustellen [hat], dass der jeweilige Spieler, bevor er sein individuelles Limit höher festsetzen darf, kein auffälliges Spielverhalten gezeigt hat und sich dies auch nach Erhöhung des Limits nicht ändert sowie eine hinreichende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit beim Spieler gegeben ist.“3
Der Anbieter muss also eine Analyse des vorherigen Verhaltens treffen und muss prüfen: Kann sich der betroffene Spieler überhaupt leisten, pro Monat einen gewissen Beitrag beim Glücksspiel zu „verzocken“?
Diese Möglichkeit wird jedoch missbraucht, indem das gesetzlich vorgeschriebene Einsatzlimit faktisch umgangen wird: Anstatt die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Spieler zu prüfen – also die Frage, ob der betroffene Spieler es sich überhaupt leisten kann, monatlich einen bestimmten Betrag beim Glücksspiel zu setzen – wird lediglich eine SCHUFA-Abfrage über die Kreditwürdigkeit des Spielers getätigt. Dies führt dazu, dass wesentlich mehr Spieler als objektiv vertretbar mehr als 1.000 € pro Monat verspielen können. Ohne hier weiter ins Detail zu gehen, ist es offensichtlich, dass es eine Ausnahme darstellt, wenn wohlhabende Spieler monatlich mehrere tausend Euro beim Glücksspiel verlieren („verzocken“) können, ohne dadurch ihre anderweitigen finanziellen Verpflichtungen zu vernachlässigen oder in den finanziellen Ruin zu geraten.
Um es auf den Punkt zu bringen: Durch die Verwendung von SCHUFA-Abfragen wird gerade nicht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Spieler überprüft, sondern lediglich eine davon unabhängige Kennzahl zur Bestimmung von Darlehensbonität. Ferner wird gegen die DS-GVO verstoßen. Demnach verstoßen Glücksspielanbieter, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, gegen geltendes Recht – nämlich gegen § 6c Abs. 1 Satz 3 GlüStV 2021 und gegen Art. 22 DS-GVO. Sie machen sich gegenüber den Spielern schadensersatzpflichtig und riskieren ihre Erlaubnis zum Veranstalten von Glücksspielen.
Das Landgericht Lüneburg hat sich in seinem Urteil vom 9. April 2024 dieser Rechtsauffassung vollumfänglich angeschlossen und festgestellt, dass eine SCHUFA-Abfrage lediglich die Kreditwürdigkeit und nicht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Spieler überprüfen kann und dass es einen Verstoß gegen § 6c GlüStV 2021 darstellt, wenn der Glücksspielanbieter es dadurch ermöglicht, dass Spieler mehr als 1.000 € pro Monat verspielen.
Das Gericht verurteilte einen Glücksspielanbieter mit Glücksspielerlaubnis von der GGL zum Schadensersatz, da ein Verstoß gegen § 6c Abs. 1 S. 2 GlüStV 2021 als vertragliche Pflichtverletzung angesehen wurde: Diese Entscheidung stellt eine Abweichung zu den üblichen Spielerklagen dar, die normalerweise über das Bereicherungsrecht laufen. Für gewöhnlich wird die Nichtigkeit des Vertrages aufgrund fehlender glücksspielrechtlicher Erlaubnis festgestellt und ein Rückforderungsanspruch bejaht.
Beim Landgericht Lüneburg wurde gegen einen Anbieter mit Erlaubnis aus Vertragsrecht geklagt, d.h. es wurde gerade keine Nichtigkeit des Vertrages festgestellt, sondern eine Pflichtverletzung aus dem bestehenden Spielevertrag.
Dieses Urteil gibt Anlass dazu, die Thematik weiter zu vertiefen und näher zu untersuchen.
II. Das Einsatzlimit aus § 6c Abs. 1 S. 3 GlüStV 2021 und die Aufgabe der GGL
Die GGL schreibt sich auf Ihrer Webseite, dort prominent auf der Startseite, selbst zu:
„Zentrale Aufgabe der GGL ist es, den deutschen Online-Glücksspielmarkt zu regulieren, indem sie länderübergreifende Glücksspielangebote im Internet prüft und genehmigt und dafür sorgt, dass die erlaubten Glücksspielanbieter die Regeln zum Schutz der Spieler vor Spielsucht und Manipulation einhalten.“4
Damit müsste die GGL gegen den Verstoß der Einsatzlimits vorgehen, denn das Einsatzlimit dient dem Schutz der Spieler vor Spielsucht. Es ist im Übrigen auch, wie oben angesprochen, zwingende Voraussetzung für die Erlaubniserteilung. Die GGL müsste verhindern, dass durch SCHUFA-Abfragen – oder anderen nicht geeigneten Maßnahmen – das in § 6c Abs. 1 Satz 3 GlüStV 2021 normierte Einsatzlimit umgangen wird und falls dies nicht geschieht, die Erlaubnis widerrufen.
Es ist schlicht inkohärent einerseits den Spielerschutz als höchstes Axiom des deutschen Glücksspielrechts zu propagieren und damit die Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit zu begründen, aber es trotz Kenntnis zu dulden, dass gegen grundlegende spielerschützende Normen verstoßen wird.
1. Einsatzlimit als Maßnahme zum Spielerschutz
Der Gesetzgeber begründet das Einsatzlimit wie folgt:
„Die Selbstlimitierung, insbesondere das anbieterübergreifende Einzahlungslimit nach Absatz 1, soll ein bewusstes Spielen fördern, die Nachteile der Spielteilnahme über das Internet eingrenzen und die finanziellen Folgen einer Spielsuchterkrankung für Spieler und Angehörige reduzieren.“5
Das mit § 6c GlüStV 2021 neu eingeführte und anbieterübergreifende Einzahlungslimit, das auf einer zentral geführten Datei – der sogenannten Limitdatei – basiert (§ 6c Abs. 4 GlüStV 2021), soll laut Gesetzgeber eine der wesentlichen spielerschützenden Neuerungen des GlüStV 2021 darstellen.6
Im Umkehrschluss bedeutet das, wenn ein Anbieter nach Erlaubniserteilung gegen diese – für die Erlaubniserteilung unabdingbare Voraussetzung – verstößt, dieser im Grunde unerlaubtes Glücksspiel anbietet, denn er hält ein Glücksspielangebot bereit, das nicht erlaubnisfähig ist.
Die Intention hinter dem Einsatzlimit ist nach ausdrücklicher Erläuterung des Gesetzgebers, bewusstes Spielen zu fördern und die finanziellen Risiken einer etwaig unerkannt gebliebenen Spielsuchterkrankung für Spieler zu reduzieren.7 Nach Erschöpfung des von den Spielern selbst festzulegenden monatlichen Einzahlungslimits, das einen Betrag in Höhe von 1.000 Euro nach § 6c Abs. 1 S. 2 GlüStV 2021 grundsätzlich nicht übersteigen darf, sind darüber hinausgehende Einzahlungen vom Anbieter nach Maßgabe von § 6c Abs. 1 S. 8 GlüStV 2021 auf technischem Wege zu unterbinden.
Das Einsatzlimit gemäß § 6c Abs. 1 Satz 3 GlüStV 2021 stellt somit eine Schutzmaßnahme dar, die dazu gedacht ist, die Entstehung von Spielsucht und finanziellen Krisen zu verhindern. Wenn diese Schutzmaßnahme aber in der Praxis von den erlaubten Anbietern fortlaufend untergraben sowie dies von der zuständigen Aufsichtsbehörde toleriert beziehungsweise sogar gefördert wird, stellt sich offenkundig die Frage, ob es sich bei der Ausgestaltung sowie administrativen Umsetzung des GlüStV 2021 um eine – wie vom EuGH mehrfach geforderte - geeignete Maßnahmen handelt, die zur Verwirklichung der in § 1 GlüStV 2021 genannten Ziele in dem Sinne geeignet ist, dass „sie kohärent und systematisch zur Begrenzung“8 des Glücksspiels beiträgt.
2. Die Aufgabe der GGL: Theorie und Praxis
Die Glücksspielbehörde müsste sich ihrem Auftrag zufolge vehement dafür einsetzen, dass die regulierten Anbieter diese Vorgaben nicht verletzen dürfen.
Der Anschluss der Glücksspielanbieter an die zentrale Limitdatei und die Einhaltung der Vorgaben dieses Limitierungssystems sind gemäß § 4 Abs. 5 Nr. 6 GlüStV 2021 unabdingbare Voraussetzungen für die Erteilung einer glücksspielrechtlichen Anbietererlaubnis.
Es ist offensichtlich, dass die Voraussetzungen nicht nur zum Zeitpunkt der Antragstellung und der Erlaubniserteilung erfüllt sein müssen, sondern selbstverständlich auch während des gesamten Betriebs fortwährend eingehalten werden müssen. Dies zu überprüfen ist die Aufgabe der GGL.
Der GGL muss zugute gehalten werden, dass sie selbst ausdrücklich auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit abstellt.
Allerdings hat die GGL nachweislich Kenntnis davon, dass die Anbieter sich lediglich einfacher SCHUFA-Abfragen bedienen und nicht – wie vom Gesetzgeber gefordert – „durch geeignete Maßnahmen“ geprüft und sichergestellt wird, „dass der jeweilige Spieler, bevor er sein individuelles Limit höher festsetzen darf, kein auffälliges Spielverhalten gezeigt hat“. Von Bedeutung ist auch, dass viele Anbieter dem Spieler bei der Registrierung die Möglichkeit geben, ein Limit höher als 1.000 Euro festzusetzen und dann die SCHUFA-Abfrage erfolgt. Das bedeutet, dass nicht nur die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht geprüft wird, sondern auch nicht überprüft wird, ob der Spieler, bevor er sein individuelles Limit erhöht, kein auffälliges Spielverhalten gezeigt hat.
Die GGL bereits im Februar 2024 auf diesen Umstand hingewiesen worden. Sie weiß, dass die Glücksspielanbieter per SCHUFA-Abfrage die angebliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit „überprüfen“. Die GGL bleibt trotz Kenntnis untätig und verletzt damit ihre Pflicht als zuständige Aufsichtsbehörde.
III. Konsequenzen des Verstoßes gegen das Einsatzlimit
Der Verstoß, dass die Glücksspielanbieter das Einsatzlimit nicht einhalten beziehungsweise dessen nur sehr restriktiv mögliche Erhöhung massiv ausweiten, hat nach hiesiger Rechtsauffassung weitreichende Konsequenzen – sowohl für die Anbieter als auch für das deutsche Glücksspielrecht.
Erstens führt es unter strenger Heranziehung der Kohärenzrechtsprechung des EuGH zur administrativen Inkohärenz des GlüStV 2021.
Zweitens machen sich die Glücksspielanbieter und nach hiesiger Auffassung auch die GGL schadensersatzpflichtig:
Die Glücksspielanbieter verletzen nämlich vertragliche Pflichten, weil sie das in § 241 Abs. 2 BGB normierte Rücksichtnahmegebot nicht einhalten.
Die GGL könnte sich einer Amtshaftung aus § 839 Abs. 1 i.V.m. Art. 34 GG ausgesetzt sehen.
Der Schaden, der den Spielern entsteht, ist der Betrag, der über das Einsatzlimit hinausgeht.
1. Administrative Inkohärenz
Gemäß Artikel 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist es grundsätzlich untersagt, den freien Dienstleistungsverkehr zu beschränken. Im Bereich des Glücksspiels können jedoch Ausnahmen zugelassen werden.
Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) auf dem Gebiet des Glücksspiels grundsätzlich dann zulässig, wenn die beschränkenden Maßnahmen nicht diskriminierend sind, durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sowie geeignet sind, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten, unionsrechtlich legitimen Ziels zu gewährleisten und tatsächlich dazu beizutragen, die Gelegenheiten zum Spielen zu verringern und die Tätigkeiten im Glücksspiel in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen, und weiterhin nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.9
Der Glücksspielstaatsvertrag 2021 (GlüStV 2021) stellt solche Beschränkung für Glücksspielanbieter aus dem EU-Ausland dar und in § 1 des GlüStV 2021 werden die legitimen Ziele festgelegt.10 Zu den legitimen Zielen des GlüStV 2021 gehört gemäß § 1 Nr. 1 die Prävention von Glücksspielsucht und Wettsucht sowie die Schaffung der Voraussetzungen für eine effektive Suchtbekämpfung.
Dass das Bevormunden der Spieler aber zu einer Fehlkanalisierung führen kann und damit die Geeignetheit der Maßnahme in Frage gestellt wird, wurde im Artikel „Das riskante Spiel um höhere Einsatzlimits des GlüStV 2021 im Lichte der Kohärenzrechtsprechung des EuGH“ dargelegt.
Es ist schlicht inkohärent, einerseits den Spielerschutz zu betonen und Gesetze zu verabschieden, die die Dienstleistungsfreiheit der EU-ausländischen Glücksspielanbieter beschränken, aber faktisch durch die Hintertür eine Glücksspiellandschaft zu kreieren, in der diese Gesetze missachtet und verletzt werden können. Die Details hierzu wurden im vorher genannten Artikel ausführlich besprochen.
2. Schadensersatzanspruch der Spieler
a) Gegen die Glücksspielanbieter
Das Landgericht Lüneburg hat am 9. April 2024 ein Glücksspielunternehmen zur Rückzahlung verlorener Spieleinsätze verurteilt. Das Urteil stützt sich auf den Verstoß gegen das Einzahlungslimit und nicht auf eine fehlende Erlaubnis. Das Gericht folgte derselben Argumentation des Autors und betonte, dass die SCHUFA-Abfrage ungeeignet sei, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Spielers zu bewerten:
„Die Beklagte hat auch in diesem Zeitraum eine Rücksichtspflicht im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB verletzt. Sie hat gegen § 6c Abs. 1, S. 1,2,6,8 GlüStV 2021 verstoßen. Auch § 6c GlüStV ist eine Spielerschutzvorschrift. Dem Erlaubnisinhaber werden Schutzpflichten für das Veranstalten von Glücksspielen auferlegt. Die gesetzlichen Regelungen des § 6c GIUStV 2021 sind in erforderlicher und zumutbarer Art und Weise von der Beklagten umzusetzen. Sie hat bereits gegen § 6c Abs. 1 S. 1 GlüStV verstoßen. In Zif. 3.5 der AGB der Beklagten wird der Spieler aufgefordert, selbst ein monatliches Einzahlungslimit festzusetzen. Damit hat die Beklagte § 6c Abs. 1 S. 1 GlüStV jedoch nicht in erforderlicher und zumutbarer Art und Weise umgesetzt. Es widerspricht dem Sinn und Zweck der spielerschützenden Vorschriften die suchtpräventiven Maßnahmen in seinen Machtbereich zu legen. Vielmehr ist es erforderlich und zumutbar, dass die Beklagte bei erfolgloser Aufforderung selbstständig die Umsetzung der Festlegung des Einzahlungslimits vornimmt. Dies blieb jedoch aus. Folglich wurde außerdem gegen § 6c Abs. 1 S. 6 GlüStV verstoßen. Gemäß § 6c Abs. 1 S. 6 GlüStV darf die Spielteilnahme nicht erfolgen, solange kein anbieterübergreifendes Einzahlungslimit festgesetzt wurde. Das anbieterübergreifende Einzahlungslimit von grundsätzlich 1.000 € im Sinne von § 6c Abs. 1 S. 2 GlüStV 2021 wurde vom Kläger überschritten. Die Voraussetzungen zur Festsetzung eines abweichenden Betrages im Sinne von § 6c Abs. 1 GlüStV wurden von der Beklagten nicht geschaffen. Die Beklagte hat des Weiteren gegen § 6c Abs. 1 S. 8 GlüStV 2021 verstoßen. Sie hat keine geeigneten Maßnahmen vorgenommen, um weitere Einzahlungen des Klägers, die über das festgesetzte Einzahlungslimit hinausgehen, zu unterbinden. Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass sie durch die SCHUFA-Abfrage die gesetzlichen Bestimmungen zur Selbstlimitierung eingehalten hat. Die SCHUFA-Abfrage erfolgte ohnehin erst am 14. Juni 2022. Der Kläger hat jedoch bereits ab dem 15.10.2020 das monatliche Einzahlungslimit von 1.000 € regelmäßig überzogen. Die Beklagte hat die Überschreitung etwa 23 Monate geduldet, ohne die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu überprüfen. Darüber hinaus erfüllt die SCHUFA-Abfrage nicht die Anforderungen, um eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in geeigneter und nachprüfbarer Weise nachzuweisen. Eine Schuldenfreiheit erbringt keine Aussage über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit kann durch Vorlage von Bankauszügen oder Einkommensnachweisen ermittelt werden. So können auch Personen mit einem geringen Einkommen einen positiven SCHUFA Nachweis vorweisen und dennoch nicht in der wirtschaftlichen Lage sein, monatlich über 1.000 € für Online-Sportwetten zu investieren. Dennoch nahm die Beklagte Einsätze über 1.000 € von dem Kläger entgegen. Dadurch überschritt der Kläger seine Leistungsfähigkeit und geriet in eine finanzielle Notlage.“11
Das Landgericht Lüneburg urteilte, dass der Glücksspielanbieter seine vertragliche Nebenpflicht aus § 241 Abs. 2 BGB verletzt habe, da er es ermöglichte, dass das monatliche Einzahlungslimit von 1.000 € überschritten wird. Dieser Verstoß gegen § 6 Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2021 stelle gleichzeitig einen Verstoß gegen die vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB dar. Das Landgericht Lüneburg hat hierbei nicht übersehen, dass vom in § 6 Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2021 festgesetzten Limit in Höhe von 1.000 € abgewichen werden darf. Doch die Voraussetzungen zur Festsetzung eines abweichenden Betrages im Sinne von § 6c Abs. 1 GlüStV würden nicht vorliegen. Das Gericht betonte, dass
„die SCHUFA-Abfrage nicht die Anforderungen [erfülle], um eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in geeigneter und nachprüfbarer Weise nachzuweisen. Eine Schuldenfreiheit erbringt keine Aussage über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.“12
Personen mit einem geringen Einkommen könnten also einen positiven SCHUFA Nachweis vorweisen, aber wirtschaftlich dennoch nicht in der Lage sein, monatlich über 1.000 € für Glücksspiele auszugeben.
Das Landgericht wendet sodann die Differenzhypothese an und gelangt zum Schluss, dass der verlorene Betrag über 1.000 € vom Glücksspielanbieter zurückzuerstatten sei, da dieser Schaden des Spielers kausal auf die Pflichtverletzung des Glücksspielanbieter zurückzuführen sei.
Das Urteil ist deshalb interessant, denn die Rückzahlung verlorener Einsätze wird in diesem Fall nicht – wie sonst – auf den bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB gestützt, weil der Anbieter keine glücksspielrechtliche Erlaubnis hatte und dadurch der Vertrag nichtig sei und die Zahlungen daher „ohne Rechtsgrund“ erfolgt sind.
Das Gericht hat ausdrücklich das Bestehen eines Vertrages bejaht und die Rückforderung auf einen vertraglichen Anspruch gestützt. Daraus folgt, dass Spieler auch von den von der GGL regulierten Anbietern verlorene Einsätze zurückfordern können, die Anspruchsgrundlage ist dann nicht § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB, sondern folgt aus der vertraglichen Nebenpflichtverletzung aus §§ 280 Abs. 1 S. 2, 241 Abs. 2 BGB.
b) Gegen die GGL aus Amtshaftung
Auch die GGL macht sich unter Umständen haftbar, wenn sie sehenden Auges nicht einschreitet und duldet, dass von ihr regulierte Anbieter ermöglichen, dass Spieler monatlich mehr als 1.000 € für Glücksspiele ausgeben, aber die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hierfür nicht besitzen. Die GGL verletzt daher ihre hoheitlichen Aufgaben und Pflichten, insbesondere wenn sie es versäumt, Glücksspielanbieter zu kontrollieren und durchzusetzen, dass diese die Regeln zum Schutz der Spieler vor Spielsucht und Manipulation einhalten.
Hierzu lässt sich das Prüfungsschema für einen Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG anwenden:
Ausübung eines öffentlichen Amtes durch einen Amtsträger: Die GGL handelt im Rahmen ihrer öffentlichen Aufgabe, den deutschen Online-Glücksspielmarkt zu regulieren.
Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht: Die Amtspflicht der GGL umfasst die Überwachung und Durchsetzung der Regeln zum Schutz der Spieler.
Verschulden: Es müsste ein Verschulden seitens der GGL vorliegen, beispielsweise durch Nachlässigkeit oder Unterlassen angemessener Kontrollen.
Zurechenbarkeit des Schadens: Der Schaden, der den Spielern durch das Nicht-Einhalten der Schutzregeln entsteht, muss der Amtspflichtverletzung der GGL zurechenbar sein. Hiervon ist auszugehen.
Kein Haftungsausschluss und keine Haftungsbeschränkungen: Es dürfen keine gesetzlichen Haftungsausschlüsse oder Beschränkungen vorliegen, die die Haftung der GGL ausschließen oder begrenzen.
Nun schreibt § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB vor, dass wenn dem Amtsträger nur Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann, der Amtshaftungsanspruch nur dann besteht, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag. Es stellt sich die Frage, ob die GGL es fahrlässig unterlässt, aufsichtsrechtlich gegen die Verletzung des § 6c Abs. 1 Satz 3 GlüStV 2021 vorzugehen.
An der Stelle wird die für Juristen schwierige Frage der Abgrenzung des Vorsatzes von der (bewussten) Fahrlässigkeit eine Rolle spielen.
Viel spricht aber dafür, dass ein Eventualvorsatz – also die billigende Inkaufnahme des Schadens der Spieler – anzunehmen sein wird. Denn die GGL hat nachweislich positive Kenntnis vom hier aufgezeigten und nunmehr vom Landgericht Lüneburg festgestellten Verstoß der Anbieter gegen § 6c Abs. 1 Satz 3 GlüStV 2021.
IV. Schlussfolgerungen
Im Artikel „Das riskante Spiel um höhere Einsatzlimits des GlüStV 2021 im Lichte der Kohärenzrechtsprechung des EuGH“ vom 6. Februar 2024 wurde dargelegt, dass die gelebte Praxis um die Einsatzlimits dafür spricht, dass diese nicht geeignet sind, die mit den Dienstleistungsfreiheit beschränkenden Maßnahmen verfolgten Ziele zu erreichen. Ferner wurde dargelegt, dass die gelebte Praxis einen Gesetzesverstoß darstellt.
Das Landgericht Lüneburg zeigt als unabhängiges Gericht auf, dass dem zu folgen ist und dass eine SCHUFA-Abfrage allein nicht ausreicht, um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Spielers hinreichend zu bewerten. Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bedeutet nämlich nicht nur, dass jemand in der Lage ist, vergangene Schulden pünktlich zu begleichen oder keine negativen Einträge in der Zahlungsmoral aufweist. Entscheidend ist vielmehr, ob eine Person in der Lage ist, erhebliche Summen pro Monat zu verspielen, ohne dabei ihre finanzielle Stabilität und ihre Lebenshaltungskosten zu gefährden.
Eine SCHUFA-Abfrage mag Hinweise auf vergangene Zahlungsmoral geben, jedoch berücksichtigt sie nicht vollständig, ob ein Spieler überhaupt in der Lage ist, sich sein Spielverhalten zu „leisten“.
Es ist aber klar, weshalb das passiert: Die Anbieter müssen langfristig profitabel bleiben, was zur Folge hat, dass die 1.000 € Limits ein Problem darstellen. Speziell um wettbewerbsfähig zu bleiben und dem Schwarzmarkt im Rahmen der Kanalisierungsziele entgegenwirken zu können, ist eine Erhöhung dieser Limits unabdingbar. Andererseits ist offensichtlich, dass es – auch ohne SCHUFA-Abfrage – wenige Spieler geben wird, die es sich leisten können, 10.000 € monatlich und mehr für Glücksspiele auszugeben. Es geht hierbei nämlich nicht darum, einen Immobilienfinanzierungskredit abzubezahlen, sondern schlicht um den Einsatz von Geld beim Glücksspiel. Wenn dem Glücksspiel aber derart hohe Gefahren nachgesagt werden, dass sogar der EuGH ausnahmsweise die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit erlaubt, dann ist es schlicht inkohärent, dass die GGL es zulässt, dass das Einsatzlimit in dieser Weise konterkariert wird.
Das beim Glücksspiel eingesetzte Geld wird – insbesondere über einen längeren Zeitraum – verloren sein. Das ist der Grund, warum Glücksspiel als so gefährlich gilt und warum trotz des grundsätzlichen Verbots von Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit im Bereich des Glücksspiels Ausnahmen erlaubt sind. Gerade deswegen soll mit den Limits verhindert werden, dass die Spieler ihr gesamtes Vermögen beim Online-Glücksspiel riskieren. Dann darf es aber auch nicht sein, dass aus einer Ausnahmevorschrift eine Regelvorschrift wird und plötzlich die Mehrheit der Spieler sich über das Einsatzlimit hinwegsetzen darf, weil die Anbieter dies ermöglichen. Es dürfte auch einleuchtend sein, dass ungefähr 99% der Bevölkerung kein so hohes Einkommen verfügt, dass daraus eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit abgeleitet werden könnte, Monat für Monat 10.000 € beim Glücksspiel einzusetzen.
Die GGL hat die Verstöße gegen das Einzahlungslimit trotz mehrfacher Hinweise ignoriert. Daraus folgt eine unionsrechtliche Inkohärenz des GlüStV 2021. Der EuGH verlangt eine fortlaufende Evaluierung der tatsächlichen Gefahren- und Risikolagen, um die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit zu rechtfertigen. Nationale Gesetze, die unionsrechtliche Grundfreiheiten beschränken, können außer Kraft gesetzt werden, wenn sie nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sind.
Gemäß § 4 Abs. 5 Nr. 6 GlüStV 2021 ist die Einhaltung des Einzahlungslimits eine Voraussetzung für die Erteilung einer glücksspielrechtlichen Anbietererlaubnis. Spieler können alle Verluste, die über das Einzahlungslimit von 1.000 Euro hinausgehen, von den Glücksspielanbietern zurückfordern. Dies schadet nicht nur den Spielern, sondern untergräbt auch die Glaubwürdigkeit der Glücksspielregulierung in Deutschland.
Solange die GGL diesen Zustand nicht beseitigt hat – wozu sie übrigens wegen einer Ermessensreduktion auf Null verpflichtet sein dürfte – können Spieler von den regulierten Glücksspielanbieter weiterhin ihre Einsätze zurückverlangen, nunmehr aber nicht mehr über das Bereicherungsrecht, sondern aus vertraglichen Schadensersatzansprüchen über §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 241 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6c Abs. 1 Satz 3, 4 Abs. 5 Nr. 6 GlüStV 2021. Wenn ein Glücksspielanbieter insolvent ist oder nicht greifbar ist, kann sich der Spieler nach hiesiger Rechtsauffassung über die Amtshaftung an die GGL halten und von ihr Schadensersatz verlangen, § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG.
Abschließend bleibt festzuhalten: Entweder das Einsatzlimit ist nicht geeignet, die mit § 1 GlüStV 2021 verfolgten Ziele zu erreichen, weil sowohl die Glücksspielanbieter als auch die Spieler sich im Rahmen ihrer Privatautonomie nicht vorschreiben lassen möchten, dass ihnen staatlicherseits auferlegt wird, wieviel sie beim Glücksspiel zu verspielen haben, weswegen mit diesem – von der GGL geduldetem – „Trick“ das Problem mit den Einsatzlimits umgangen wird. Dann stellt sich aber die Frage, ob der GlüStV 2021 normativ unionsrechtswidrig ist, denn nach der Rechtsprechung des EuGH bedarf es eben nicht nur legitimer Ziele, mit denen ausnahmsweise die Dienstleistungsfreiheit beschränkt werden darf, sondern die beschränkenden Maßnahmen müssen geeignet sein, die Ziele zu erreichen. Die Mitgliedstaaten befinden sich hier in der Beweislast, die Geeignetheit zu belegen. Andernfalls lässt sich aber nicht leugnen, dass jedenfalls die gelebte Praxis evident inkohärent ist: Es ist völlig inakzeptabel, den Anbietern vorzuschreiben, dass sie sich an eine zentrale Limitdatei anschließen und gewährleisten müssen, dass das in § 6c Abs. 1 Satz 3 GlüStV 2021 normierte Einsatzlimit eingehalten wird, während es ihnen nach Erlaubniserteilung mehr oder weniger freigestellt wird, vom Einsatzlimit abzuweichen, nur weil behauptet wird, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Spielers gebe diese Erhöhung her, ohne jedoch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit tatsächlich zu prüfen. Diese Ausnahme stellt eine unzulässige Umkehr der Regel dar und untergräbt den Schutzmechanismus, den das Gesetz eigentlich gewährleisten soll.
1) Vgl. etwa Erläuterungen zum GlüStV 2021, Hessischer Landtag, LT-Drs. 20/3989, S. 2, S. 57 ff.
2) Vgl. etwa Erläuterungen zum GlüStV 2021, Hessischer Landtag, LT-Drs. 20/3989, S. 2, S. 60.
3) Vgl. etwa Erläuterungen zum GlüStV 2021, Hessischer Landtag, LT-Drs. 20/3989, S. 2, S. 60.
4) https://www.gluecksspiel-behoerde.de/, aufgerufen am: 29.06.2024
5) Vgl. etwa Erläuterungen zum GlüStV 2021, Hessischer Landtag, LT-Drs. 20/3989, S. 2, S. 58.
6) Vgl. etwa Erläuterungen zum GlüStV 2021, Hessischer Landtag, LT-Drs. 20/3989, S. 2, S. 57 ff.
7) Erläuterungen zum GlüStV 2021, Hessischer Landtag, LT-Drs. 20/3989, S. 9, S. 58.
8) EuGH, Urteil vom 6. November 2003, C-243/01 – Gambelli, Rn. 67.
9) st.Rspr. vgl. EuGH, U.v. 24.3.1994 – C-275/92 – juris Rn. 25 ff.; U.v. 21.10.1999 – C-67/98 – juris Rn. 24; U.v. 6.11.2003 – C-243/01 – juris Rn. 46; U.v. 8.9.2010 – C-316/07 u.a. – juris Rn. 56 f.; U.v. 8.9.2010 – C-46/08 – juris Rn. 41; U.v. 15.9.2011 -C-347/09 – juris Rn. 37; U.v. 4.2.2016 – C-336/14 – juris Rn. 4
10) Sarafi, ZfWG 2023, 503-508.
11) LG Lüneburg, Urteil vom 9. April 2024, 5 O 115/23.
12) LG Lüneburg, Urteil vom 9. April 2024, 5 O 115/23.