Ein Beitrag von Rechtsanwalt Dr. Patrick Redell
Mit zwei Urteilen vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 8/21 und VIa ZR 57/21 - hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass Käufern von vom sog. Dieselskandal betroffenen Neuwagen, deren Anspruch nach § 826 BGB verjährt ist, ein Anspruch gegen den Hersteller aus § 852 Satz 1 BGB zusteht. Und das bis zu 10 Jahre nach Kauf.
Über diese wichtige Entscheidung haben bereits die Presse und viele Kolleginnen und Kollegen umfassend berichtet. Was dabei aber unerwähnt geblieben ist, ist die Tatsache, dass die Ausführungen des BGH zum Anspruch des Geschädigten aus § 852 S. 1 BGB auch auf deliktische Ansprüche in anderen Rechtsbereichen übertragbar sind. So z. B auch im Bereich der Rückforderung von Verlusten beim illegalen Online-Glücksspiel.
Rechtsgrundlagen von Klagen von Geschädigten im Bereich des illegalen Online-Glücksspiel sind neben bereicherungsrechtlichen Rückforderungsansprüchen auch deliktische Ansprüche wegen Verletzung diverser Schutzgesetze und wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung der betroffenen Spieler.
Nach Auffassung etlicher Instanzgerichte handelt es sich bei den einschlägigen Regelungen des GlüStV sowie bei § 284 StGB um Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB, gegen welche ein Online-Glücksspiel-Anbieter verstoßen hat, wenn er einem Spieler in Deutschland seine Online-Glücksspiele ohne nationale Lizenz anbietet, sodass ein schuldhafter Verstoß hiergegen entsprechende Schadensersatzansprüche des geschädigten Spielers begründen kann.
Eine Rechtsnorm ist ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dabei genügt es, dass die Norm auch das Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie dasjenige der Allgemeinheit im Auge haben.
Dies trifft zunächst auf die einschlägigen Regelungen des GlüStV zu, da der Glücksspielstaatsvertrag u. a. das Entstehen von Glücksspielsucht verhindern und den Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen lenken soll. Die Normen dienen somit auch dem Schutz des Einzelnen. Das Internetverbot des GlüStV dient zudem dazu, den Spieler vor den erheblichen Suchtgefahren durch Online-Glücksspiele zu schützen. Durch den Erlaubnisvorbehalt des GlüStV soll der Spieler ferner vor den Gefahren eines behördlich nicht kontrollierten Spiels geschützt werden. Der Erlaubnisvorbehalt stellt sicher, dass ein Spieler an einem öffentlichen Glücksspiel erst teilnehmen kann, wenn das Spiel den Regeln entspricht, die durch eine behördliche Kontrolle sichergestellt werden.
Gleiches gilt für § 284 StGB, dessen Schutzgut nach der herrschenden Meinung die Gewährleistung einer manipulationsfreien Spielchance und der Schutz vor heimlicher Manipulation sind. Die Vorschrift bezweckt außerdem mittelbar den Schutz des Vermögens des Spielers. Es handelt sich hierbei um eine spezielle Voraussetzung und Bedingung der personalen Entfaltung des Individuums.
Nur weil Online-Glücksspiel-Anbieter gesetzeswidrig Online-Glückspiele in Deutschland anbieten, obwohl ihnen dies seinerzeit und teilweise auch heute noch gesetzlich untersagt war bzw. ist, konnten bzw. können geschädigte Verbraucher Geldbeträge setzen und verlieren. Hätten sich die Online-Glücksspiel-Anbieter an die für sie geltenden gesetzlichen Regeln gehalten, wäre geschädigten Spielern kein Schaden entstanden. Ein Spieler konnte aufgrund der Nichtigkeit des Vertrages auch keine einklagbaren Gewinne erzielen, sodass auch die reine Gewinnchance als Vorstufe keinen Vermögenswert darstellen kann.
Das Verhalten der Online-Glücksspiel-Anbieter im Verhältnis zu geschädigten Spielern ist objektiv auch als sittenwidrig zu qualifizieren, da es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dabei muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben.
Online-Glücksspiel-Anbieter, welche in Deutschland illegal Online-Glücksspiele-Angebote ohne nationale Lizenz anbieten, haben dies auf der Grundlage einer für ihr Unternehmen/ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse in Deutschland getan und den aus Deutschland heraus spielenden bzw. diese illegalen Online-Glücksspiel-Angebote nutzenden Verbraucher über die Illegalität ihrer eigenen Online-Glücksspiele in Deutschland bewusst und gewollt getäuscht. Damit haben sie womöglich in Kenntnis dessen, dass die zuständigen nationalen Aufsichtsbehörden gar nicht oder nur unzureichend gegen sie vorgehen werden, Jahre bzw. Jahrzehntelang auf Kosten gutgläubiger Verbraucher hohe Geldbeträge eingenommen, bewusst geltendes Recht missachtet und Verbraucher zumindest mittelbar der Gefahr ausgesetzt, sich womöglich selbst strafbar machen zu können. Insofern kann eine Parallele zum Verhalten der schummelnden Autobauer im sog. Dieselskandal gezogen werden. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die die Online-Glücksspiele dieser Online-Glücksspiel-Anbieter in Deutschland gutgläubig nutzt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren.
Dabei darf auch nicht unerwähnt bleiben, dass Online-Glücksspiel-Anbieter Verbrauchern, selbst solchen, welche sich bei ihnen haben sperren lassen, regelmäßig Bonusangebote in Höhe von mehreren hundert Euro zukommen lassen, um diese (wieder) zum Spielen zu animieren. Im Rahmen dessen wird teilweise bewusst die Situation ausgenutzt, dass viele betroffene Spieler nicht nur keine Kenntnis von der Illegalität der angebotenen Online-Glückspiele haben, sondern auch unter einer pathologischen Spielsucht leiden. Die Online-Glücksspiel-Anbieter machen sich dabei die Arglosigkeit und das Vertrauen der Spieler auf die Einhaltung der nationalen Gesetze durch die Online-Glücksspiel-Anbieter gezielt zunutze.
Diese Entscheidungen werden auch durch die verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Online-Glücksspiel-Anbieter getroffen. Diesen Vertretern war bewusst, dass ihr Handeln gewisse Schadensfolgen nach sich ziehen wird, die sie auch billigend in Kauf genommen haben.
Auf ein etwaiges Mitverschulden des geschädigten Spielers kommt es hierbei nicht an, weil ein etwaiges Mitverschulden überhaupt unterstellt in seiner Schwere gegenüber der sittenwidrig und mit Schädigungsvorsatz ausgeführten Handlung des Täters zurücktritt.
Für die vorgenannten deliktischen Ansprüche geschädigter Spieler gilt ebenso wie für einen bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch grds. die regelmäßige Verjährung von 3 Jahren. Die dreijährige regelmäßige Verjährungsfrist beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
Obgleich ein geschädigter Spieler zum Zeitpunkt seiner Einsätze regelmäßig nicht postitiv weiß, dass das von ihm genutzten Online-Glücksspiel-Angebot in Deutschland nicht erlaubt ist, beginnt die regelmäßige Verjährung insofern grds. erst mit dessen Kenntnis hiervon am Endes desselben Jahres zu laufen. Bestrittene Hinweise in AGB, eine mehrjährige Spielzeit oder die Kenntnis der TV-Werbung genügen hierfür nach der Instanzenrechtsprechung nicht.
Sollte im Einzelfall jedoch die regelmäßige Verjährungsfrist abgelaufen sein, kommt hinsichtlich der deliktischen Ansprüche nun § 852 BGB ins Spiel. § 852 BGB „verlängert“ einen bestehenden deliktischen Anspruch in die verjährte Zeit hinein. Der Anspruch aus § 852 BGB setzt voraus, dass der Ersatzpflichtige – wie hier - durch eine unerlaubte Handlung etwas auf Kosten des Verletzten erlangt hat. Danach behält der Bereicherungsanspruch des § 852 BGB die Rechtsnatur als Schadensersatzanspruch und erfordert dieselben Voraussetzungen wie der weitergehende verjährte Schadensersatzanspruch. Der verjährte Deliktsanspruch bleibt als solcher bestehen.
Diese Rechtauffassung hat der BGH nun bestätigt.
Kontakt: Dr. Redell Rechtsanwaltsgesellschaft mbH Kaiser-Wilhelm-Ring 22 50672 Köln