Schwerer Rückschlag für das deutsche Sportwettmonopol: Stellungnahme der Europäischen Kommission gegenüber dem EuGH im schleswig-holsteinischen Vorlageverfahren

Rechtsanwalt Dr. Ronald Reichert
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Sozietät Redeker Sellner Dahs
Willy-Brandt-Allee 11
D - 53113 Bonn
Die Europäische Kommission hat in einem erst jetzt bekanntgewordenen Schreiben vom 19.5.2008 mit dankenswerter Klarheit in dem beim EuGH vorliegenden deutschen Vorabentscheidungsverfahren Rs. C-46/08 Stellung bezogen. Die von ihr dem EuGH empfohlenen Antworten auf die Vorlagefragen des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts bestätigen auf ganzer Linie die von zahlreichen Rechtsgutachten und verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen erhobenen gemeinschaftsrechtlichen Beanstandungen gegen die Regelungen des Glückspielstaatsvertrages. Von den Ländern und ihren Rechtsvertretern zeitweise gestreute Mutmaßungen über eine vermeintlich unterschiedliche Rechtsposition zwischen dem Wettbewerbskommissar McCreevy (GD Markt) und dem Juristischen Dienst erweisen sich als haltlos. Dem EuGH wird im praktischen Ergebnis die Verwerfung der Monopolregelungen des Glückspielstaatsvertrages zumindest für den Wettbereich nahegelegt.

Die Kommission positioniert sich vor allem zur Frage der Gesamtkohärenz erstmals in einer Weise, die für Deutungen keinen Spielraum mehr lässt. Bislang waren die Ländervertreter noch bemüht, die Ausführungen des Juristischen Dienstes vom 10.12.2007 in den Giessener und Stuttgarter Vorabentscheidungsverfahren in eine Ablehnung der Gesamtkohärenz umzudeuten. Hierzu im Widerspruch stehende Aussagen der Europäischen Kommission wurden übergangen. Die jetzt vorliegende Kommissionsstellungnahme zieht einen Schlussstrich unter solche Versuche:

Die Kommission bekräftigt wie zuvor die Notwendigkeit einer sektoralen Betrachtungsweise im Glücksspielsektor (Rn. 30). Verschiedene Spiele sind je nach Spielform und Beschränkung nach Maßgabe der jeweiligen Zielsetzung des Gesetzgebers zu beurteilen (Rn. 30). Das ist aber – wie vom Unterzeichner stets hervorgehoben – nur der erste Schritt der Prüfung. Soweit die gesetzliche Regulierung für unterschiedliche Bereiche des Glückspiels wie in Deutschland einheitliche Ziele der Spielsuchtbekämpfung verfolgt, wie Bund und Länder dies für alle Glückspielbereiche für sich in Anspruch nehmen und gegenüber der Europäischen Kommission geltend machen, muss dabei zusätzlich die Behandlung dieser Glückspielformen miteinander verglichen werden (Rn. 32). Es schließt sich also an die sektorale Betrachtung eine Untersuchung der Gesamtkohärenz an, bei der sich die Behandlung der verschiedenen Glückspielbereiche als mit den verfolgten Zielsetzungen kompatibel erweisen muss. Diese Klarstellung wirkt in der Rechtsprechung vereinzelt anklingenden Tendenzen entgegen, sektorale Betrachtung und Gesamtkohärenz alternativ zu verstehen (z.B. Niedersächsisches OVG, B. v. 8.7.08 – 11 MC 489/07 -).

Entscheidend für diese Beurteilung der deutschen Rechtslage auf Gesamtkohärenz ist nach Auffassung der Europäischen Kommission der Umstand, dass von Pferdewetten, Glücksspielautomaten, Online-Spielbanken „die gleiche oder eine höhere Gefahr der Spielsucht ausgeht“ (Rn. 34). Zu Recht betont die Kommission, dass Pferdewetten zu den Sportwetten gehören. Sie weist sodann in Bezug auf Pferdewetten und Automaten nach, dass insoweit trotz des gleichen oder höheren Spielsuchtpotentials geringere Beschränkungen gelten. Unter ergänzendem Hinweis auf die dementsprechenden EFTA-Entscheidungen vom 14.03.2007, Rs. E-1/06 und 30.05.2007, Rs. E-3/06 in Sachen Esa / Nordwegen und Ladbrokes leitet die Kommission aus alledem als klare Entscheidungsempfehlung für den EuGH her:

„Art. 49 EG ist dahingehend auszulegen, dass ein mit der Bekämpfung von Spielsuchtgefahr begründetes innerstaatliches faktisches Monopol hinsichtlich der Veranstaltung von Sportwetten und Lotterien (mit nicht nur geringem Gefährdungspotential) nicht die in der Rechtsprechung festgelegten Kriterien der Kohärenz und Systematik erfüllt, wenn in diesem Mitgliedsstaat gleichzeitig andere Glücksspiele mit einem nachgewiesenen höheren Suchtgefährdungspotential von privaten Dienstleistungserbringern erbracht werden dürfen.“

Ebenso deutlich vertritt sie zu der Vorlagefrage nach der Anerkennung EU-ausländischer Erlaubnisse den Rechtsstandpunkt, dass ein präventiver Erlaubnisvorbehalt transparente Erteilungsvoraussetzungen („leicht zugängliche Verfahrensregelungen“) enthalten und eine „objektive und unparteiliche“ Behandlung „innerhalb angemessener Frist“ garantieren müsse (Rn. 42). Das im Glücksspielstaatsvertrag vorgesehene Entscheidungsermessen und die sonstigen Erlaubniserteilungsvoraussetzungen sind danach nicht mit Gemeinschaftsrecht vereinbar.

Hilfreich ist weiter – etwa für Fragen der Strafbarkeit und Ordnungswidrigkeit -, dass die Kommission bestätigt, dass die gemeinschaftsrechtliche Beurteilung des Monopolsystems nicht einfach von der Frage der Anwendbarkeit des präventiven Erlaubnisvorbehaltes abgekoppelt werden darf, wie das einzelne Verwaltungsgerichte versucht haben. Wenn das Sportwettenmonopol mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar ist, kann dem Veranstalter oder Vermittler diese Vorschrift oder die Strafvorschrift schlicht nicht entgegengehalten werden. Das gehört an sich zu den geläufigen Konsequenzen des Anwendungsvorrangs und hätte spätestens nach dem Gambelli-Urteil oder Placanica-Urteil eine Selbstverständlichkeit sein müssen, die aber leider – aus welchen Gründen auch immer – selbst bei Gerichten mitunter missachtet wird.

Hervorzuheben ist ferner, dass auch der Juristische Dienst der Kommission sich in seiner Stellungnahme klar zur Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Internetübergangsregelung bekennt (Rn. 44 – 48). Das entspricht den Beanstandungen der Kommission im Notifizierungsverfahren, über die sich die Länder hinweggesetzt haben, und ist auch im Hinblick auf die spätere Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Bundesrepublik nur konsequent. Es ist hier gleichwohl hervorzuheben, weil auch insoweit zum Teil gemunkelt wurde, der Markt und Juristischer Dienst seien sich nicht einig.

Die Europäische Kommission arbeitet schließlich aus der ständigen Rechtsprechung des EuGH heraus, dass der Schutz der Dienstleistungsfreiheit auch Anwendung finden müsse, wenn in dem Mitgliedsstaat, aus dem heraus Glücksspiele angeboten werden, die betreffenden Tätigkeiten nicht erbracht werden dürfen.

Natürlich muss dies alles nicht bedeuten, dass der Europäische Gerichtshof der Kommission folgt. Immerhin ist dies in der Vergangenheit jedoch überwiegend der Fall gewesen. Ob es aus rechtsstaatlicher Sicht glücklich ist, trotz der Vorlagen an den EuGH die Rechtslage ohne weiteres als gemeinschaftsrechtskonform beurteilen zu bezeichnen, wie das von Seiten einzelner Verwaltungsgerichte oder Verwaltungsrichter nach Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrags geschehen ist, mag trefflich bezweifelt werden. Dem Respekt vor dem Europäischen Gerichtshof, dem die entsprechenden Vorlagenfragen zur Entscheidung vorliegen, und dem öffentlich geäußerten Rechtsstandpunkt der Europäischen Kommission dürfte es entsprechen, die Rechtslage als offen anzusehen.

Die Rechtsunsicherheit in Deutschland hält damit voraussichtlich bis zur Entscheidung über die deutschen Vorabentscheidungsverfahren an. Mit einer Entscheidung in diesen Verfahren ist vor der zweiten Jahreshälfte nächsten Jahres leider nicht zu rechnen.