Die Suche nach einem Phantom: Gesucht wird Deutsche Behörde, die EU-lizenziertem Online-Glücksspiel den Internetstecker zieht

Rechtsanwalt Dr. Wulf Hambach

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Diese zwei Ereignisse wollen einfach nicht zusammen passen:

Erstes Ereignis:

Kieler Landtag, September 2017: Die Kieler Regierungskoalition kippt den Zweiten Glücksspielstaatsvertrag und kündigt marktgerechte Reform an.

Antrag der Fraktionen von CDU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und den Abgeordneten des SSW:
Den Zweiten Glücksspieländerungsstaatsvertrag in seiner jetzigen Form ablehnen.

„Das Totalverbot aus § 4 Abs. 4 Erster Glücksspieländerungsstaatsvertrag für Online-Casinospiele und Online-Pokerspiele wird aufgehoben. Es erfolgt zukünftig die regulatorische Gleichbehandlung von Online-Sportwetten einerseits sowie Online-Casino – und Online-Pokerspielen andererseits.“ https://www.sh-landtag.de/infothek/wahl19/drucks/00100/drucksache-19-00165.pdf

Zweites Ereignis:

Anfang November 2017: Jan-Philipp Rock, Hamburger Amtsrichter für Zivilrecht, gibt der Tagesschau ein Interview und erklärt lässig, mit weit aufgeknöpftem weißem Hemd, aus seinem Gerichtssaal heraus die Suche nach der richtigen Vollstreckungsbehörde für beendet. Die Vollstreckungsmöglichkeit erklärt Richter Rock so gut verständlich, dass selbst der regelmäßige Zuschauer der Sendung mit der Maus hier keine Nachfragen hätte. Also man nehme:

Eine Liste mit wenigen, in Deutschland bundesweit genehmigten Glücksspielanbietern, also vor allem staatliche Anbieter. Alle anderen Online-Glücksspielanbieter seien illegal (= schwarze Liste). Hintergrund: Indem § 284 Strafgesetzbuch/StGB (Veranstaltung von unerlaubtem Glücksspiel) erfüllt sei, könne das eine Kette auslösen: § 261 StGB (Geldwäsche), § 134 BGB (alle Verträge mit EU-lizenzierten Glücksspielunternehmen seien aufgrund des gesetzlichen Verbotes nichtig, so dass die Spieler selbst Ihre Verluste zurückfordern könnten). Diese Story wurde dankbar vom SPIEGEL aufgenommen und eine Anleitung zum angeblich 100% risikofreien Glücksspiel präsentiert: „Wie einfach es ist, seine Spielschulden loszuwerden“.

Zurück zur Liste: Also diese weiße Liste gebe man der Bankenaufsichtsbehörde, die ihrerseits „die Liste“ an alle Banken verteilt. Und falls sich eine Bank weigert, der gesamten europäischen Glücksspielindustrie den Internetzahlungsverkehrsstecker zu ziehen, bekommt diese von der BaFin höchstpersönlich eins auf den Deckel.

Ein rechtsgeschichtlich geschulter Leser mag sich an dieser Stelle folgende Frage stellen:

Die Zentralnorm des Glücksspielstrafrechts, § 284 StGB, feiert im nächsten Jahr einen runden Geburtstag, nämlich den 100.! Und: Obwohl es seit über 20 Jahren (!) Online-Casinoangebote auf dem deutschen Markt gibt, ist die Suche nach Strafrechtsurteilen gegen Online-Casinobetreiber nicht nur mühsam, sondern vergebens.

Warum?

Warum gibt es anders als im deutschen Verwaltungsrecht nicht aberhundert glücksspielrechtliche Gerichtentscheidungen vor deutschen Strafgerichten?

Diese Antwort gibt der Zivilrichter Jan-Philipp Rock, nicht. Aber vielleicht ist das auch ganz praktisch – denn Urteile, die es nicht gibt, muss man auch nicht erwähnen. Allerdings könnte man von einem Richter erwarten, zu erklären, warum es an dieser Stelle ein schwarzes Loch gibt und warum nicht tausende Online- Glückspielanbieter und Millionen deutscher Spieler in Handschellen abgeführt und in der Haftanstalt Santa Fu weggeschlossen werden.

Aber halt! Man kennt das aus der Bibliothek: Wenn man in dem Regal auf der Suche nach einem gewissen Werk einfach nicht fündig wird, dann ist der Suchbegriff ein falscher. Kurz nachgedacht und das Regal gewechselt bzw. in unserem Fall das Verfahrensstadium gewechselt. Was kommt vor einem Strafrechtsurteil? Richtig, das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren oder vor Gericht: das Vorverfahren, in dem geprüft wird, ob ein Hauptverfahren in Strafsachen überhaupt eröffnet werden kann.

Und tatsächlich: Fündig wird man sehr wohl, wenn man Einblicke in strafrechtliche Ermittlungsakten im Zusammenhang mit § 284 StGB und EU-lizenziertem Online- Glücksspiel hat. Das Problem: Als Zivilrichter hat Richter Rock keinen Zugriff auf strafrechtliche Ermittlungsakten, der Autor des Artikels als Strafverteidiger schon:

Es gab es und es gibt in der Tat vereinzelte Strafanzeigen gegen Spieler und Veranstalter aus dem europäischen Internet-Glücksspielmarkt, die rechtlich von Staatsanwaltschaft und vereinzelt von Gerichten überprüft wurden. Das Ergebnis wird dem Zivilrichter Rock so gar nicht gefallen, denn es bringt sein so schönes juristisches Kartenhaus, über das auch Tagesschau und SZ so hautnah wie bei TV-Richterin Barbara Salesch aus dem Gerichtsaal berichteten, komplett zum Einstürzen und die perlenförmige juristische Kette zum Zerreißen:

Folgende Beispiele aus unser über 10-jährigen Beratungspraxis zeigen, warum es tatsächlich zu KEINER einzigen Verurteilung eines Online-Spielers oder – Veranstalters wegen Verstoßes gegen die Zentralnormen des Glücksspielstrafrecht §§ 284 ff. gekommen ist:

Beispiel 1: Anzeige gegen maltesischen Online-Casinoanbieter / Staatsanwaltschaft Trier = Einstellung

Erst Ende 2017 wurde eine zunächst erhobene Anklage gegen einen maltesischen Glücksspielanbieter von der Staatsanwaltschaft Trier nach einem entsprechenden Hinweis durch das Strafgericht wieder zurück genommen. Dabei bietet der in Deutschland bekannte Anbieter seit Jahren Online-Casinospiele an. Als Begründung für die Einstellung des Strafverfahren wegen Verstoßes gegen § 284 StGB führte die Staatsanwaltschaft an, dass bereits zweifelhaft sei, ob überhaupt deutsches Strafrecht Anwendung finde. Die Staatsanwaltschaft konnte sich dabei sogar auf höchstrichterliche BGH-Rechtsprechung stützen.

Beispiel 2: Behörden besteuern hunderte EU-lizenzierte Online-Glücksspielanbieter, ohne sie glücksspielstrafrechtlich zu verfolgen

Weit über 100 Online-Glücksspielanbieter ohne deutsche Lizenzen sind bei den zuständigen Steuerbehörden offiziell registriert und werden von deutschen Steuerbehörden insgesamt im Milliardenbereich (!) besteuert – und nicht angezeigt, sondern behördlich geduldet. (Grund: siehe Beispiel 1).

Dem strafrechtlichen Legalitätsprinzip folgend, wonach in Deutschland die Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörde (Staatsanwaltschaft, Polizei und Steuerfahndung) besteht, ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen, wenn sie Kenntnis von einer (möglichen) Straftat erhält, bleibt nur eine logische Folgerung: Es wird von einer Nichtanwendbarkeit der Kernvorschriften des deutschen Glücksspielstrafrechts ausgegangen.

Beispiel 3: Poker = Geschicklichkeitsspiel

Deutlich wird die Duldung von z.B. Online-Poker in Deutschland auch bei der Besteuerung von Pokerspielern: Auch hier zeigt die Praxis, dass Strafverfahren gegen Berufs-Pokerspieler in Fällen unterlassener Steueranmeldungen allenfalls wegen Steuerhinterziehung, aber nicht wegen Teilnahme an illegalem Glücksspiel aufgenommen werden. So sieht das FG Münster das Pokerspiel auch als Geschicklichkeitsspiel. Da das Finanzgericht bereits kein Glücksspiel annimmt, scheidet eine Strafbarkeit wegen Beteiligung an unerlaubtem (Online) Glücksspiel aus: http://www.timelaw.de/de/2017/03/09/zfwg-fg-muenster-poker…

Ergo: Das Glücksspielrecht und dessen Aufsicht befinden sich zu Recht mitten in einer Neuaufstellung. Es ist wie beim Fußball: Wenn die Spieler und das Spielsystem dauerhaft versagen, gibt es immer zwei Lager. Das Lager der Kleinst- Reformer („im Wesentlichen soll alles beim Alten bleiben“) und das Lager der ehrlichen Reformer („es muss neu gedacht werden und dafür brauchen wir neue Konzepte“).

Hier muss tatsächlich ein kompletter Systemwechsel her, um auf die Erfolgsspur „staatlich effektive Kontrolle eines marktgerecht sortierten Angebotes“ zurückzufinden.

Das ehrliche Reformer-Trio Klinsmann/Löw/Bierhoff hat den deutschen Fußball einer Grundsatzreform unterzogen, die bis in die Wurzeln reichte und Deutschland aus dem Fußball-Keller herausholte und mit Löw und Bierhoff schließlich zum Weltmeister schmiedete. Die Regierungskoalition in Hessen hat die Systemfehler im deutschen Glücksspiel(aufsichts-)recht verstanden und fordert eine ehrliche Reform, die bis in die Wurzel der Glücksspielregulierung geht:

Der Hessische Landtag nimmt zur Kenntnis, dass der Schleswig-Holsteinische Landtag am 22.09.2017 beschlossen hat, den Zweiten Glücksspieländerungsstaatsvertrag (2. GlüÄndStV) nicht zu ratifizieren und dass die Nordrhein-Westfälische Landesregierung daraufhin mitgeteilt hat, dies ebenfalls nicht zu tun. Mangels der erforderlichen Zustimmung aller Bundesländer kann der 2. GlüÄndStV somit nicht in Kraft treten.

Das hessische Parlament bedauert, dass der 2. GlüÄndStV eh einen Minimalkonsens der Bundesländer darstellte. Es bestehen außerdem rechtliche Bedenken im Hinblick auf eine eventuelle Diskriminierung von Anbietern, welche keine vorläufige Sportwett-Konzession erhalten sollen. Eine nun anzustrebende grundlegende Neuausrichtung des Glücksspieländerungsstaatsvertrags (GlüÄndStV) sollte den Glücksspielmarkt umfassend regulieren, einen vernünftigen Spielerschutz sicherstellen sowie das illegale Spiel und den Schwarzmarkt wirksam bekämpfen. Durch die bisherige, am Spielverhalten der Bürger vorbeigegangene Regulierung sind 98% der Spieleinsätze des Online-Glücksspielmarkts illegal.

Auch wenn Richter Rock es heute bestimmt nicht zugeben würde: Die neue Zentralbehörde, die das Online-Glücksspiel in breiter, aber gut sortierter Form überwachen wird, wird auch auf Vollzugsebene nach dem dänischen oder britischem Vorbild höchst effizient sein und zwar ohne zu versuchen, einen Stecker zu ziehen, den es in Wahrheit gar nicht gibt. Dies hat offensichtlich auch die für Glücksspielregulierung zuständige neue norwegische Kultusministerin Trine Skei Grande kurz nach ihrem Amtsantritt Anfang 2018 erkannt:

“I think everything in life that can lead to disaster but also joy, like alcohol and gambling, must be regulated.

“But thinking you can just block it is naïve. Remember that technology is challenging us all the time. It’s about finding ways to regulate.” (Quelle: https://gamblingcompliance.com/premium-content/insights_analysis/naive…)