Erneute Schlappe für den GlüStV: Bayerischer Verfassungsgerichtshof verwirft Teile als verfassungswidrig

Rechtsanwalt Dr. Ronald Reichert
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Sozietät Redeker Sellner Dahs
Willy-Brandt-Allee 11
D - 53113 Bonn
Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat durch Entscheidungen vom 25.9.2015 in den anhängigen Popularklagen Vf. 9-VII-13, 4-VII-14, 10-VII-14, mit Wirkung für den Freistaat Bayern zwei wichtige Elemente des Glücksspielstaatsvertrages als verfassungswidrig verworfen und damit den politischen Handlungsdruck für die Bundesländer noch einmal erhöht.

Dem Freistaat Bayern wird untersagt, sich an Beschlussfassungen der Ministerpräsidenten zur Zahl der Konzessionen und zu den Werberichtlinien für die Zukunft zu beteiligen. Nach der bei ISA soeben veröffentlichten Pressemitteilung sind die Werberichtlinien im Freistaat Bayern unanwendbar, weil die verfassungsrechtliche Ermächtigung zur Mehrheitsentscheidung hierüber mit dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip unvereinbar ist. Zahlreiche verfassungsrechtliche Gutachten zu dieser Frage werden damit in der Sache bestätigt.

Der Werberegulierung des Glücksspielstaatsvertrages fehlen damit künftig zumindest in Bayern die inhaltlichen Vorgaben. Politisch spannend ist die Entscheidung darüber hinaus deshalb, weil sie zugleich den Ausweg für die Länder versperrt, auf elegante Weise aus dem Desaster des Konzessionsverfahrens herauszukommen, indem sie schlicht Zahl der Konzessionen anheben.

In der Summe dieser beiden Aspekte liegt die politische Sprengkraft der Entscheidung: Die Kastration der Werberegulierung verbunden mit der Verlängerung der Agonie des Konzessionsverfahrens dürfte und sollte die Politik noch einmal auf den Plan rufen. Denn nicht nur die Gerichte, allen voran das Verwaltungsgericht Wiesbaden, sondern vor allem die hessische Politik dürften sich bestätigt fühlen. Schon seit längerem mahnt diese eine Neuauflage des Glücksspielstaatsvertrages an. Sie ist im schwarz-grünen Koalitionsvertrag der Landesregierung für die laufende Legislaturperiode sogar vereinbart.

Die nun vorliegende Entscheidung liefert hierfür eine Steilvorlage. Das Anliegen erhält aber auch über Hessen hinaus einen wichtigen Neuanstoß. Wenn nämlich gleich mehrere Regulierungsfelder des Glücksspielstaatsvertrages künftig nicht mehr gelebt werden können, verliert das entsprechende Regelwerk seine politische Daseinsberechtigung. Es muss dann über eine Neuauflage nachgedacht werden.

Bei dieser stellt sich dann auch die Frage nach der Aufrechterhaltung der bisherigen Deckelung. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat diese verfassungsrechtlich an sich nicht beanstandet. Warum er sich insoweit zurückgehalten hat, lässt sich dem bislang nur vorliegenden Tenor nicht entnehmen. An sich wäre zu erwarten gewesen, dass schon diese beanstandet wird. Das gilt umso mehr, als schon vor Inkrafttreten der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Papier diese Deckelung in einer Monographie als verfassungswidrig verworfen hat. Zwischenzeitlich dürfte dies in der Fachwelt sogar überwiegender Beurteilung entsprechen. Die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs zu dieser zentralen Frage liest sich vergleichsweise wenig überzeugend. Manches spricht daher dafür, dass die Verwerfung der Deckelung insoweit am Quorum gescheitert ist.

Ebenfalls nicht ganz konsequent erscheint das Urteil in der Beurteilung der Frage länderübergreifend wirkender Erlaubnisse und Konzessionen im ländereinheitlichen Verfahren. Die Argumentationen, mit der der Bayerische Verfassungsgerichtshof die Entscheidungsrolle des Glücksspielkollegiums gegen das Votum eines Bundeslandes verwirft, müssten an sich gleichermaßen für Entscheidungen einer Behörde eines anderen Bundeslandes mit Wirkung für den Freistaat Bayern gelten, soweit diese dabei ein Ermessen oder einen Beurteilungsspielraum ausübt. Für diesen kann nämlich gerade nicht damit argumentiert werden, dass die Entscheidung als solche durch den vom Bayerischen Staatsvolk über den Landtag verabschiedeten Glücksspielstaatsvertrag gewissermaßen vorentschieden ist. Denn es werden gerade Entscheidungsspielräume ausgeübt, mit denen Grundrechtseingriffe vorgenomen werden, welche die bayerische Staatsgewalt rechtfertigen muss. Das Kriterium, ob „Entscheidungen von erheblichem politischem Gewicht“ zu treffen sind, spielt für diese grundrechtliche Dimension der Frage des demokratischen Legitimationszusammenhangs überhaupt keine Rolle. Es bleibt das Problem , dass die Behörde eines anderen Bundeslandes Ermessen und Beurteilungsspielräume ausübt, hinsichtlich derer sich eine Legitimationskette vom bayerischen Staatsvolk über die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament und der Weisungsbefugnis gegenüber der Verwaltung nicht bilden lässt, weil die Entscheidung jemand trifft, der bayerischen Weisungen nicht unterliegt. Für diese Unterbrechung dieser Legitimationskette spielt es keine Rolle, ob es sich um eine politisch bedeutsame Entscheidung handelt oder nicht.
Vor diesem Hintergrund ist rein (verfassungs)rechtlich gesprochen, es geradezu zu erwarten, dass andere Gerichte und Verfassungsgerichte hier weitergehen. Die Entwicklung bleibt abzuwarten.