Auswirkungen der Entscheidung des BVerfG auf den deutschen Wettmarkt

Ein Artikel von Martin Oelbermann

Objektive Analyse der Auswirkungen, der Gewinner und möglicher Szenarien für die Zukunft

München, 28. März 2006: Die in der Wettbranche lang erwartete Entscheidung des BVerfG ist heute nun bekannt gegeben worden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass weder die staatlichen noch die privaten Anbieter sich als Gewinner fühlen können. Wenn es Gewinner gibt, dann sind es vor allem ausländische und schwer zu regulierende Internet-Wettanbieter sowie die Bundesländer und der Staat.

Eigentlich sollte kein Experte der Wettbranche sehr überrascht worden sein von der heutigen Entscheidung des BVerfG. Die Entscheidung war sicherlich eine der wahrscheinlichsten unter den möglichen Szenarien und ist ähnlich der Entscheidung einiger anderen oberster Gerichte in Europa (z.B. Niederlande und Skandinavien).

Inhaltsübersicht
1. Zusammenfassung der wichtigsten Punkte der BVerfG-Entscheidung
2. Auswirkungen auf staatliche Anbieter und Oddset
3. Auswirkungen für den Staat – Monopol oder doch Liberalisierung
4. Auswirkungen auf private Wettanbieter und -vermittler im EU-Ausland
5. Auswirkungen auf Ex-DDR-Lizenzen
6. Die Gewinner der BVerfG-Entscheidung
7. Studien zu diesem Thema

1. Zusammenfassung der wichtigsten Punkte der BVerfG-Entscheidung

Eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Punkte des BVerfG-Entscheidung:

– Aktuell kein Fokus auf Kanalisierung des Spieltriebes und Prävention von Glücksspielsucht durch das staatliche Angebot: Das staatliche Glücksspielmonopol basiert auf der Grundlage, dass der Staat dafür sorgen soll, dass das Glücksspiel kanalisiert wird und dadurch Glücksspielsucht minimiert werden soll. Genau diesen Fokus spricht das BVerfG aber dem bayerischen Staatsanbieter ab: „Vielmehr ist im vorliegenden Zusammenhang maßgebend, dass sie [die Werbung des staatlichen Anbieters] jedenfalls nicht auf eine Kanalisierung der ohnehin vorhandenen Wettleidenschaft hin zu staatlichen Wettangeboten angelegt ist, sondern zum Wetten anreizt und ermuntert“. Auch dem fiskalischen Interesse des Staates an dem Glücksspiel wird eine Absage erteilt. Das BVerfG sieht aber gerade dieses fiskalische Interesse als Triebfeder des heutigen staatlichen Angebotes: „die Sportwette Oddset verfolgt erkennbar auch fiskalische Zwecke.“

– Der Staat bzw. die Länder können ihr Monopol behalten, wenn sie bis Ende 2007 sich wieder auf die Kanalisierung des Spieltriebes fokussieren: Das BVerfG gibt den staatlichen Anbietern bis 31. Dezember 2007 die Möglichkeit, ihr Marktverhalten „konsequent am Ziel der Bekämpfung von Wettsucht und der Begrenzung der Wettleidenschaft ausrichten.“ Hierzu gehören vor allem „ … inhaltliche Kriterien hinsichtlich Art und Zuschnitt der Sportwetten sowie Vorgaben zur Beschränkung ihrer Vermarktung“. Nur wenn die staatlichen Anbieter dieser Auflage zur Beschränkung ihrer Tätigkeit nicht bis Ende 2007 nachkommen, verlieren sie ihre Monopolstellung und die Länder müssen „gesetzlich normierte und kontrollierte Zulassung gewerblicher Veranstaltung durch private Wettunternehmen“ gestatten.

– Private Wettanbieter zunächst verboten: Das BVerfG verlangt bis Ende 2007: „das gewerbliche Veranstalten von Wetten durch private Wettunternehmen und die Vermittlung von Wetten, die nicht vom Freistaat Bayern veranstaltet werden, dürfen weiterhin als verboten angesehen und ordnungsrechtlich unterbunden werden.“

2. Auswirkungen auf staatliche Anbieter und Oddset

Spätestens seit der „Gambelli-Entscheidung“ des EUGH müssen sich die Staatsmonopole in ganz Europa den Vorwurf gefallen lassen, dass sie sich eher auf die Steigerung von Umsatz und Gewinn fokussieren, als auf ihre eigentliche, das Staatsmonopol rechtfertigende, Aufgabe: Kanalisierung des Glücksspieles. Nun hat sich auch das BVerfG anderen obersten Gerichten in Europa (z.B. Niederlande, Italien) angeschlossen und dem Staat ein überverhältnismäßig fiskalisches Interesse am Glücksspiel bezeugt und ihn aufgefordert, sich schnellstmöglich wieder auf die Kanalisierung zu fokussieren.

Die staatlichen Anbieter haben diese Kritik bereits befürchtet und schon im letzten Jahr kleinere Schritte in Richtung Prävention gemacht (z.B. Broschüren zur Gefahr von Glücksspielsucht, Adaption der öffentlich kommunizierten Unternehmensziele und –werte). Aber die BVerfG-Entscheidung verlangt nach erheblich größeren Einschnitten:

– Weniger Werbung: Reduzierung der Werbeausgaben in allen Medien, vor allem die Print-Werbung wird hierdurch betroffen sein.

– Einschränkung des Produktportfolios: Neue Produkte werden es in Zukunft schwer haben, als notwendige Produkterweiterung gerechtfertigt zu werden.

– Verringerung des stationären Vertriebes: Eine Reduzierung der ca. 26.000 stationären Vertriebsstellen in Deutschland ist sehr gut denkbar. Weiterhin steht sicher auch die teilweise geplante Expansion alternativer stationärer Vertriebsformen in Frage (z.B. Verkauf via Supermärkte und Tankstellen).

– Internet- und Handy-Vertrieb ausbauen: Aus Sicht von MECN ist vor allem der Ausbau des Internet-Vertriebs der staatlichen Wettprodukte gemäß einer
Kanalisierung des Spieltriebes zu interpretieren. Staatliche Anbieter müssen eine konkurrenzfähige Alternative zu Off-shore Internet-Wettangeboten anbieten können – Ähnliches gilt auch für den wachsenden Markt des mobilen Wettens.

Auch wenn sich das BVerfG in seiner Entscheidung auf Grund des vorliegenden Falles auf das Produkt Wetten in Bayern konzentriert, kann man die Aussagen sowohl für andere Bundesländer anwenden als auch von einer Relevanz für andere Produkte der staatlichen Anbieter (z.B. Lotto, Keno) ausgehen.

Eine objektives Kontrollgremium – wer kontrolliert die Auflagen des BVerfG?

Die wichtige, auch vom BVerfG nicht vollständig beantwortete Frage bleibt, wer für die Kontrolle der Aktivitäten der staatlichen Anbieter und ihrer Ausrichtung an der Kanalisierung des Spieltriebes verantwortlich ist. Bisher lag die Kontrolle im Wesentlichen in den Händen der Länder (z.B. bayerischer Finanzminister), aber diese Regelung scheint laut BVerfG in Teilen versagt zu haben.

Sicher ist die Kontrolle der staatlichen Eigentümer auch schwer, befinden sich diese in einem Interessenskonflikt: mehr staatliche Einnahmen vs. Kanalisierung des Glücksspiels. Ähnlich sieht es auch das BVerfG: „ … der Gesetzgeber hat die Einhaltung dieser Anforderungen durch geeignete Kontrollinstanzen sicherzustellen, die eine ausreichende Distanz zu den fiskalischen Interessen des Staates aufweisen“.

Eine Alternative wäre eine Art Kontrollgremium aus objektiven Branchenexperten wie z.B. die „Forschungsstelle Glücksspiel“ oder Kenner der Wett- und Glücksspielbranche. Zu den wesentlichen Aufgaben könnte die Genehmigung neuer Produkte und Vertriebskanäle ebenso wie die Beurteilung der Gestaltung der Werbung sowie der Ausgaben für diese gehören. So ist eine einfache „Beschränkung ihrer Vermarktung“, wie das BVerfG sie fordert, zu kurz gegriffen. Vielmehr ist eine Regulierung abhängig von komplexen Zusammenhängen und sich ständig ändernden Rahmenbedingungen.

Mögliches Rahmenmodell zur Kontrolle des staatlichen Monopole

MECN hat schon im Sommer 2004 nach der EUGH-Entscheidung im „Gambelli“-Fall in seiner Studie „The European Union and its Impact on State-Licensed Gambling Monopolies“ ein Rahmenwerk vorgestellt, welches für die Entscheidung hinsichtlich möglicher Expansionen durch Erweiterung des Produktportfolios, der Vertriebskanäle und Werbung herangezogen werden kann.

Im Wesentlichen beruht es auf zwei Faktoren, welche den Grad der Berechtigung (Legitimation) einer Expansions-Strategie bewerten:

1. Grad des Bedarfs – Wenn kein Bedarf an einem Produkt oder einem Vertriebskanal besteht, so sollte auch der staatliche Anbieter kein Angebot starten. Mit diesem Kriterium wird der staatliche Anbieter eingeschränkt, durch Produktgestaltung und Werbung einen Bedarf selber zu schaffen.

2. Anzahl illegaler Angebote – Auch wenn es Bedarf nach z.B. einem Wettprodukt gibt, aber kein illegaler oder ausländischer Anbieter dieses anbietet oder anbieten kann, besteht keine Begründung, warum der staatliche Anbieter sein Produktportfolio erweitern sollte.

3. Auswirkungen für den Staat – Monopol oder doch Liberalisierung

Der Staat und die Länder haben nun die Zügel in der Hand, wohin der deutsche Wettmarkt sich in Zukunft entwickelt. Auch wenn sie auf den ersten Blick ein staatliches Monopol bevorzugen würden, ist bei strikter Umsetzung der umsatz-beschränkenden Auflagen des BVerfG wohl auch mit geringeren Einahmen für die Haushalte der Länder und Sportverbände zu rechnen. Ob sich nach einer genauen Analyse der fiskalischen Auswirkungen eines eingeschränkten Monopols weiterhin alle Länder gegen eine Liberalisierung aussprechen, ist ggf. daher zu bezweifeln.

Denn schon längst realisieren einige Länder die Privatisierung ihrer Glücksspielbranchen. So gehören die Spielbanken Niedersachsen seit letztem Jahr dem österreichischen Anbieter Casinos Austria und dieses Beispiel stieß vor allem in den neuen Bundesländern auf offene Ohren. Auch können Steuereinnahmen aus der Wettindustrie relevante Höhen annehmen. So nahm der britische Staat im letzten Jahr in einem seit langem liberalisierten Wettmarkt Steuern in Höhe von ca. Euro 660 Mio. von den in Großbritannien ansässigen Buchmachern ein (dazu kommen weitere Zahlungen an Sportverbände). Im Vergleich: Oddset machte in den letzten Jahren gerade mal um die Euro 500 Mio. Umsatz (Einsätze vor Auszahlung der Gewinne).

Ein mögliches Szenario neben der Fokussierung auf die Kanalisierung des Spieltriebes könnte somit auch die Privatisierung bzw. der Verkauf von Oddset an private Anbieter sein. Dieser privatisierte Anbieter hätte dann wahrscheinlich beste Chancen, sich in einem privatisierten, regulierten und liberalisierten Markt (ähnlich dem Tabakmarkt) zu bewähren.

4, Auswirkungen auf private Wettanbieter und -vermittler im EU-Ausland

Unabhängig möglicher weiterer Entscheidungen des EUGH oder der EU-Kommission ist die Erklärung des BVerfG recht eindeutig: „Das gewerbliche Veranstalten von Wetten durch private Wettunternehmen und die Vermittlung von Wetten, die nicht vom Freistaat Bayern veranstaltet werden, dürfen weiterhin als verboten angesehen und ordnungsrechtlich unterbunden werden. Ob in der Übergangszeit eine Strafbarkeit nach § 284 StGB gegeben ist, unterliegt der Entscheidung der Strafgerichte“. Damit sind die Kernaussagen:

– Alle Sport-Wettangebote außer Oddset können verboten werden – Da in Bayern nur Oddset „vom Freistaat Bayern veranstaltet“ wird, können somit laut BVerfG alle anderen Wettangebote (außer Pferdewetten) verboten werden. Es obliegt somit den örtlichen Ordnungsbehörden, ob sie dieses in den jeweiligen Verantwortungsbereichen umsetzen; es könnte somit in vielen Städten zu einer Schließung von Wettshops kommen.

– Zur Strafbarkeit wurde keine Aussage gemacht – die Strafbarkeit gemäß §284 StGB obliegt den jeweiligen Strafgerichten.

5. Auswirkungen auf Ex-DDR-Lizenzen

Es gibt in Deutschland 4 private Wettlizenzen, die durch den Einigungsvertrag ihre Gültigkeit in Teilen beibehalten haben. Weiterhin gibt es eine Vielzahl von Vermittlern an diese Ex-DDR-Lizenzen. Die überregionale Gültigkeit der Lizenzen war schon in der Vergangenheit Streitpunkt gerichtlicher Auseinandersetzungen. So gehen auch die Interpretationen der heutigen Aussage des BVerfG („die nicht vom Freistaat Bayern veranstaltet werden, dürfen weiterhin als verboten angesehen und ordnungsrechtlich unterbunden werden“) weit auseinander:

– „Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat keine Auswirkungen auf das Sportwettengeschäft des deutschen Beteiligungspartners betandwin e.K.“ (BetandWin, Besitzer einer Ex-DDR-Lizenz).

– „Der Markt wird sich nicht groß verändern“ (Holger Frister, Sprecher von Sportwetten Gera – Ex-DDR-Lizenz).

– „In diesem Zusammenhang begrüßt Oddset insbesondere, dass das Gericht heute klar gestellt hat, dass das Veranstalten von Wetten durch private Unternehmen und die Vermittlung von Wetten, die nicht vom Freistaat Bayern veranstaltet werden, weiterhin verboten bleiben und ordnungsrechtlich unterbunden werden können.“ (Wolfgang Feldner, Marketingleiter Oddset).

Ggf. war sich das BVerfG nicht ganz sicher, was der genaue Wortlaut impliziert, aber Ex-DDR-Lizenzen werden „nicht vom Freistaat Bayern veranstaltet“ und können somit folgerichtig auch verboten werden. Hält man sich nun an den genauen Wortlaut der BVerfG-Erklärung und ersetzt man Bayern mit NRW, … so hat das BVerfG heute auch implizit die Überregionalität der Ex-DDR-Lizenzen und der Vermittlung an diese eingeschränkt.

Auch wenn bzgl. dieses Sachverhaltes wohl noch nicht das letzte Wort gesprochen ist und weitere rechtliche Auseinandersetzungen zu erwarten sind, ist sicher, dass die in der Branche übliche Weitervermittlung der Wetten ins steuergünstige EU-Ausland eingeschränkt wurde. Auswirkungen dieses Sachverhaltes werden wohl am schnellsten in höheren Quoten und geringeren Margen der Ex-DDR-Lizenzen deutlich werden.

6. Die Gewinner der BVerfG-Entscheidung

Auch wenn es in den nächsten Wochen noch viel über die Entscheidung zu diskutieren gibt, stehen schon jetzt zwei Gewinner fest:

– Kleine, unkontrollierbare Off-shore Internet-Wettanbieter – Das staatliche Wettangebot muss eingeschränkt werden und die Zukunft seriöser und großer privater Anbieter ist ungewiss. Profitieren davon tun vor allem Off-shore Anbieter in der Karibik, … Sie kann weder die deutsche Rechtsprechung noch eine Börsenaufsichtsbehörde regulieren.

– Der Staat und die Länder – Sie haben nun wieder die Zügel in der Hand und können entscheiden, wohin der Wettmarkt sich entwickelt. Sie werden sicherlich immer wieder mit Entscheidungen des EUGH und der EU-Kommission hinsichtlich eines harmonisierten EU-Glücks- und Wettmarktes konfrontiert werden, aber das BVerfG hat ihnen klar den Rücken gestärkt. Ob sich Staat und Länder allerdings für ein Monopol aussprechen, ist noch offen – Privatisierung und Liberalisierung werden sicher in den nächsten Monaten auch als Optionen intensiv diskutiert werden (siehe auch oberer Abschnitt).

7. Studien zu diesem Thema

In diesem Zusammenhang sind folgende MECN-Studien erschienen:

– „Der deutsche Wettmarkt im Umbruch“; die Studie kann bezogen werden unter www.wettmarkt.mecn.net

– „The European Union and its Impact on State-Licensed Gambling Monopolies”; die Studie kann bezogen werden unter www.mecn.net/Publications/EU_Monopolies_E/EU_Monopolies_Ge/eu_monopolies_ge.html

– “Privatization of state-controlled gambling operators”; die Studie kann bezogen werden unter www.privatisation.mecn.net

Martin Oelbermann
MECN – Media & Entertainment Consulting Network GmbH