Doppelvorlage zu Sportwette und Online-Casino aus Erfurt: 
Bei den Spielerklagen wendet sich das Blatt

Rechtsanwalt Dr. Ronald Reichert
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Sozietät Redeker Sellner Dahs
Willy-Brandt-Allee 11
D - 53113 Bonn
Es ist der dritte Schlag in einem Jahr - und diesmal gleich ein Doppelter: Mit Beschlüssen vom 20.12.2024 - aufgrund einer Korrektur - in der Neufassung vom 7.1.2024 (Az.: 8 O 515/24) und 23.12.2024 (Az.: 8 O 392/23) hat das LG Erfurt dem Europäischen Gerichtshof weitere für Spielerklagen entscheidende Fragen zur Klärung vorgelegt. Es sind derer sechs in Sachen Sportwetten und sieben zu Online-Casino. Der Beschluss zu Online-Casino ist bei juris bereits veröffentlicht. Für den zur Sportwette steht diese Veröffentlichung kurz bevor.

In der Summe schreiten diese Fragen materiell-rechtlich im Wesentlichen das Feld des derzeit erkennbaren unionsrechtlichen Klärungsbedarfs für die Phase des 1.GlüÄndStV ab. Klärungsbedarf besteht aus Sicht des Unterzeichners ansonsten lediglich für die Zeit danach, - im Sportwettenbereich für den 3. GlüÄndStV, sowie im Bereich der virtuellen Automatenspiele insbesondere für die Übergangsrechtslage ab dem Umlaufbeschluss vom 08.09.2020 sowie für die Rechtslage des GlüStV 2021 bis zum Abschluss der Erlaubniserteilungen und für beide in prozessualer Hinsicht (u.a. zum Verbrauchergerichtsstand für Prozessfinanzierer).

Zumindest bei der Sportwette beseitigt der Vorlagebeschluss zudem die Gefahr, die der Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs aufgeworfen hatte, dass nämlich nach einem EuGH-Urteil unter Umständen mehr Fragen offengeblieben wären, als geklärt wurden.

Ganze Sache gemacht hat das LG Erfurt auch bei Online-Casino. Es war ein maltesisches Gericht, das schon im vorletzten Jahr im erstbesten Verfahren in die Vorlage ging bzw. gehen musste, weil die deutschen Zivilgerichte in einer fünfstelligen Zahl von Verfahren dies nicht für erforderlich gehalten hatten. Mit der nun erfolgten Vorlage aus Erfurt wird in Sachen Onlinecasino mithin gewissermaßen die Ehre der deutschen Gerichtsbarkeit wieder hergestellt. Dabei ist es vor allem die Gestaltung der Fragen, die es in sich hat und zum Teil Auswirkungen auch für die Sportwette mit sich bringen kann. Bis dahin hat der EuGH sich mit der Unionsrechtskonformität von Glücksspielverboten im Internet nur zu einzelnen Aspekten befasst, die ihm zur Kenntnis gebracht wurden.

Von daher ist es wenig überraschend, dass der vorlegende Richter kein Unbekannter ist. Er hat schon früher bei Massenverfahren mit Vorlagen von sich Reden gemacht und mit einigen dabei Recht behalten. Einzelne betrafen den Diesel-Skandal, bei dem der Bundesgerichtshof sich schon einmal vom Europäischen Gerichtshof eines Besseren belehren lassen musste (vgl. Vorlagen LG Erfurt, AZ 8 O 1045/18; LG Ravensburg, AZ 2 O 393/20, 2 O 190/20, 2 O 425/20, 2 O 16/21, 2 O 57/21und dazu BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII 190/20, Rn. 37 und EuGH Urteil vom 21.03.2023 - C-100/21, ECLI:EU:C2023:229). Auch beim Dieselskandal hatte der Bundesgerichtshof eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zunächst nicht für erforderlich gehalten. Damals wurde sein Rechtsstandpunkt in der Sache vom Europäischen Gerichtshof später verworfen, was zu massiven Verwerfungen der Entscheidungspraxis führte. Das LG Erfurt gehörte neben dem LG Ravensburg damals zu den Gerichten, welche die Wende einleiteten. Dass dem Gericht sicher nicht der Vorwurf gemacht werden kann, industriefreundlich oder sonst mit vorgefasster Meinung unterwegs zu sein, zeigt der Umstand, dass seine Vorlagen damals dem Verbraucher dienlich waren.

Der Doppelschlag so kurz vor Weihnachten war zugleich eine gelungene Überraschung. Denn es hatte lange Zeit den Anschein, als hätte die Spielerklägerindustrie Erfolg mit ihrem Bemühen, weitere Vorlagen aus Deutschland zu verhindern. So hatte das LG Erfurt schon im Frühjahr mit einer Vorlageabsicht von sich Reden gemacht (siehe den Beitrag des Unterzeichners „Il y a des Juges“ vom 06. Mai 2024). Postwendend unternahmen die Spielerklägeranwälte mit Befangenheitsanträgen, Fristverlängerungs- und Verlegungsanträgen alles, um dies gerichtliche Klärung in dem entsprechenden Verfahren zu vereiteln, während sie zugleich anderswo stets auf größtmögliche Beschleunigung dringen, solange noch keine Vorlageabsicht erkennbar ist. Diese Strategie verfing auch anderswo. Inwieweit solche prozessualen Tricks der Glaubwürdigkeit des Spielerklägeranliegens einen Gefallen tun, mögen andere beurteilen. Die Überraschung der jetzigen beiden Vorlagen hat dies nur vergrößert.

Für die Glücksspielveranstalter kommt der Doppelschlag wie ein Weihnachtsgeschenk, das verspätet eintrifft. Er krönt ein Jahr, das eine Trendwende bei den Spielerklagen beschreibt. Ende des Jahres 2023 hatte es für die Glückspielveranstalter noch mehr als düster ausgesehen. Flächendeckend wurde Online-Casinoklagen stattgegeben. Selbst Aussetzungsanträge mit Blick auf die maltesische Vorlage blieben vergeblich. Bei der Sportwette gestaltete sich das Bild nur unwesentlich besser.

Im Januar 2024 gelang es dann in einem vielbeachteten Beschluss vom 10.01.2024 (I ZR 53/23), den BGH davon zu überzeugen, dass bei den Online-Casinoklagen mit Blick auf die maltesische Vorlage vom 11.07.2023 (C-440/23) das Verfahren ausgesetzt werden musste.

Es folgte der Coup der Wende beim BGH, der noch unter dem 22. März 2024 – I ZR 88/23 - mit einem bei juris veröffentlichten Hinweisbeschluss seine Rechtsauffassung zu Chargeback-Klagen bei der Sportwette mitgeteilt und dabei vor allem kundgetan hatte, dass er dies nicht für vorlagepflichtig halte. In der Fachwelt gab deshalb kaum jemand etwas darauf, dass er drei Monate später in dem gegen Tipico gerichteten Verfahren I ZR 90/23 zu einem anderen Ergebnis gelangen könnte. Dahin gingen auch die Erwartungen der Prozessfinanzierer. Der Vorlagebeschluss des BGH vom 25.07.2024 – I ZR 90/23 - durchkreuzte diese Hoffnungen.

Die Vorlagen des LG Erfurt spannen den Bogen bei der Sportwette um ein Vielfaches weiter. Und ihre Fragen haben es in sich. Im Vergleich beschränkt sich die Vorlage des Bundesgerichtshofs auf einen schmalen Ausschnitt der unionsrechtlichen Problematik. Insoweit ist allein die Frage des Fehlens der Erlaubnis und ihrer Auswirkungen auf die zivilrechtliche Beurteilung Gegenstand der Vorlage, – unter dem Aspekt des Kondiktions- und des Deliktsanspruchs.

Das LG Erfurt geht weit darüber hinaus:

  1. Verbotenheit der Sportwettveranstaltung? In Bezug auf das Problem der fehlenden Konzession beschränkt das LG Erfurt die Fragestellung nicht auf die Frage nach der unionsrechtlichen Angemessenheit der zivilrechtlichen Nichtigkeitsfolge, sondern erstreckt sie auf die grundsätzliche Frage der Verbotenheit der Sportwettveranstaltung für Teilnehmer des Konzessionsverfahrens in dieser Zeit. Beim BGH wird dies zumindest nicht deutlich.

  2. Folgen für das Internetangebot? Da die Konzession gleichermaßen dazu berechtigt, Sportwetten in Wettvermittlungsstellen und im Internet zu veranstalten, wird sodann die Frage aufgeworfen, wie es sich für über das Internet geschlossene Verträge auswirkt, dass das Fehlen der Konzession nicht entgegengehalten werden kann.

  3. Deliktischer Anspruch? Die dritte Vorlagefrage erfolgt vor dem Hintergrund der Annahme, dass dem deutschen Verbot mit Erlaubnisvorbehalt eine spielerschützende Funktion zukomme. Diese entspricht zivilgerichtlicher, nicht aber verwaltungsrechtlicher Beurteilung. Für den Öffentlichrechtler hat das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt nach ständiger Rechtsprechung eine ordnungsrechtliche Funktion.

  4. Nichteinhaltung materiellrechtlicher Anforderungen: Bis zu diesem Punkt decken die Fragen noch thematisch das Feld ab, das auch die Vorlagefragen des BGH betreffen, wenngleich der Bogen weiter gespannt und der Kontext zutreffend herausgearbeitet wird. Mit der Frage nach der Auswirkung der Nichteinhaltung von Anforderungen, die Gegenstand einer Konzession gewesen wären, geht das Vorlagegericht darüber hinaus. Denn der Bundesgerichtshof hatte in einem geschickten Schachzug einerseits seiner Vorlagepflicht entsprochen, indem er vorlegte, was nach dem konkreten Sachverhalt unbedingt vorgelegt werden musste, aber zugleich einen Großteil seines Vorlagebeschlusses darauf verwendet, dem EuGH mitzuteilen, dass er selbst bei Bestätigung der Rechtsauffassung der Sportwettveranstalter eine Rückerstattungspflicht sehe, soweit auch gegen materiell-rechtliche Anforderungen an den Internetvertrieb verstoßen worden sei und insoweit eine Vorlage an den Gerichtshof nicht geboten sei. Nicht nur die Spielerklägerindustrie, sondern auch viele Zivilgerichte werten dies bislang dahin, dass damit im Ergebnis für die Sportwettveranstalter nichts gewonnen sei. Dass der Bundesgerichtshof im gleichen Atemzug bei seiner Urteilsverkündung öffentlich mitteilte, nicht ausschließen zu können, dass je nach Ausgang beim EuGH auch diese Frage anders beurteilt werden müsse, blieb deshalb weithin unbeachtet. Konsequenterweise hat der Bundesgerichtshof bereits in der begleitenden Pressemitteilung angegeben, auch die Verfahren, in denen materiell-rechtliche Verstöße im Raum stehen, auszusetzen, was seither ausnahmslos geschieht. Das LG Erfurt schließt diese Klärungslücke und tut, was von vornherein angezeigt gewesen wäre, nämlich genau das den Gerichtshof zu fragen.

  5. Rechtsmissbrauch? Der Gerichtshof wird weiter gebeten, sich zu der Frage zu äußern, ob es mit dem unionsrechtlichen Verbot des Rechtsmissbrauchs vereinbar sei, es dem Spieler als Dienstleistungsempfänger der Sportwette einerseits zu gestatten die Dienstleistung in Anspruch zu nehmen und andererseits unter Berufung auf den Verbrauchergerichtsstand das hierfür verlangte Entgelt zurückzufordern, obwohl das zugrundeliegende strafrechtliche Verbot beide gleichermaßen trifft.

  6. Fehlende Kausalität: Der Bundesgerichtshof hatte in seinem Hinweisbeschluss den gewagten Standpunkt vertreten, dass es keine Rolle für den Schadensersatzanspruch des Spielers spiele, wenn die verletzte Regelung des Spielerschutzes im konkreten Fall den zu erstattenden Verlust gar nicht bewirkt hat. Zu Recht sieht das LG Erfurt auch dies als unionsrechtlich klärungsbedürftig an, weil es außer Acht lässt, dass jede Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit, also auch die Anwendung der zivilrechtlichen Sanktion der Rückforderung oder des Schadensersatzes gerechtfertigt werden muss. Wie kann eine solche Gemeinwohlbeschränkung mit einem Gemeinwohlnutzen als erforderlich gerechtfertigt werden, wenn sie für die Fallgestaltung, auf die sie angewendet wird, gar keine Wirkung haben kann?

In der Summe erfassen diese Vorlagefragen bei der Sportwette den wesentlichen Diskussionsbedarf zur Auslegung des Unionsrechts unter dem 1. GlüÄndStV in materiell-rechtlicher Hinsicht. Im Detail haben sie es in sich. Ein paar Beispiele seien nur in Bezug auf die Sportwette hier herausgegriffen, bei denen auch dem juristischen Laien sofort einleuchtet, dass die bisherige Beurteilung der deutschen Zivilgerichtsbarkeit mindestens zweifelhaft erscheint:

  1. Wie soll der EuGH dem BGH Recht geben, wenn er mit seinem Ince-Urteil für die gleiche Rechtslage unter gleichen Voraussetzungen bereits entschieden hat, dass das Fehlen der Konzession nicht entgegengehalten werden kann, weil sich die damalige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit unionsrechtlich nicht rechtfertigen ließ? Kann für die gleichen nationalen Rechtsvorschriften für den unionsrechtlichen Anwendungsvorrang zivilrechtlich etwas anderes gelten als straf- und verwaltungsrechtlich?

  2. Wie soll es für die Fallgestaltung einen Unterschied machen, dass es um im Internet geschlossene Verträge geht, wenn die Konzession nach der Entscheidung des deutschen Gesetzgebers gleichermaßen zum terrestrischen und zum Onlineabschluss berechtigt?

  3. Wie soll es aus Sicht des Gerichtshofs eine zivilrechtliche Sanktion rechtfertigen, wenn Anforderungen nicht eingehalten werden, die einzuhalten von den Veranstaltern während des Konzessionsverfahrens gar nicht verlangt wurde? Denn die einschlägigen gesetzlichen Regelungen wurden ihnen gegenüber erst als Inhalts- und Nebenbestimmungen der jeweiligen Erlaubnisse in Kraft gesetzt (s. § 10a Abs. 4 Satz 2 GlüÄndStV 2012)? Geht die Rechtsvorstellung ernsthaft dahin, dass die Veranstalter sich seinerzeit gewissermaßen prophylaktisch an potentielle künftige Bescheide hätten halten sollen, ohne deren genauen Inhalt zu kennen? Und wie passt das dazu, dass ausgerechnet für die Online-Casinoveranstalter mit Totalverbot anderes gelten soll?

  4. Wird das Unionsrecht nicht missbraucht, wenn der Spieler sich auf den Verbrauchergerichtsstand berufen darf, um damit das gesamte Entgelt für eine im EU-Ausland ihm gegenüber erbrachte Dienstleistung zurückzuverlangen, nachdem sie vollständig in Anspruch genommen wurde, weil diese gegen damaliges deutsches Recht verstoßen habe, wenn doch dieser Rechtsverstoß vom Dienstleistungsempfänger nach seiner eigenen Rechtsauffassung gleichermaßen begangen worden ist? Denn das strafrechtliche Verbot unerlaubten Glückspiels, auf das er sich beruft, gilt in strafrechtlicher Hinsicht für Veranstalter wie für den Spieler (§ 284 und § 285 StGB).

  5. Was soll die zivilrechtliche Sanktion der Rückerstattung gegenüber dem Veranstalter unionsrechtlich rechtfertigen, wenn diese sich auf einen Rechtsverstoß beruft, der gar nicht zu dem zu erstattenden Verlust beim Veranstalter geführt hat? Auch das ist eine unionsrechtliche Frage, weil jede Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit sich als verhältnismäßig erweisen muss. Es ist aber sicher nicht erforderlich, eine Dienstleistung zu beschränken, um einen Spieler vor Ausgaben zu schützen, die er bei rechtskonformem Verhalten genauso getätigt hätte.

Alle diese Überlegungen knüpfen entweder an gesicherte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs an oder sind auf Anhieb so einsichtig, dass es recht überraschend wäre, wenn der EuGH dies anders beurteilte. Dabei ist noch einmal berücksichtigt, dass jeweils bei Online-Casino und der Sportwette genügen würde, wenn – vom Erlaubniserfordernis einmal abgesehen – auch nur eine der Antworten zugunsten der Glücksspielveranstalter ausfiele. Damit spricht einiges dafür, dass es mit dem Spuk der Spielerklagen bald ein Ende haben könnte. Für Spielerklägeranwälte und Prozessfinanzierer mag dies alles misslich sein. Für die Veranstalter ist es nicht nur eine erfreuliche Entwicklung, sondern auch ein Lehrstück in Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit. Denn dieses ist für die durchweg EU-ausländischen Veranstalter durch die deutsche zivilgerichtliche Rechtsprechung der vergangenen Jahre, die sich unvorhersehbarerweise bedenkenlos über die gefestigte verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung und Behördenbeurteilung hinweggesetzt und insoweit kurzerhand auf etwaige Staatshaftungsansprüche verweist, reichlich strapaziert. So würde dann auch die Allgemeinheit der Steuerzahler davor verschont, indirekt Personen entschädigen zu müssen, die geltend machen, bei der Begehung strafbarer Handlungen Geld verloren zu haben.

Hinweis: Der Beitrag gibt die persönliche Auffassung des Unterzeichners wieder. Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass er und das Litigationteam der Sozietät REDEKER in den drei oben genannten Entscheidungen des BGH vom 10.01.2024, 25.07.2024 und des LG Erfurt vom 20.12.2024, in denen die Aussetzung und die Vorlagen erfolgten, tätig ist.