AG Berlin (Tiergarten): Freispruch für Sportwettvermittler aus mehreren Gründen

Rechtsanwalt Guido Bongers

Rechtsanwaltskanzlei Bongers
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In einem weiteren, durch uns geführten Verfahren ist ein Betreiber eines Sportwettvermittlungsbüros aus Berlin durch das AG Tiergarten (Berlin) mit Urteil vom 28.08.2008 – (279 Ds) 91 Js 5501/07 (104/07) freigesprochen worden.

Diese Entscheidung reiht sich in eine Reihe weiterer Entscheidungen des AG Berlin Tiergarten ein, bei dem unterschiedliche Amtsrichter in unterschiedlichen Verfahren mit unterschiedlicher Begründung zu dem Ergebnis gelangt sind, dass die Vermittlung von Sportwetten an konzessionierte Unternehmen in anderen europäischen Mitgliedsstaaten weder objektiv, noch subjektiv strafbar war bzw. ist.

Das vorliegende Verfahren betraf einen Tatzeitraum ab dem 10.01.2007. Da einer der angeklagten Sportwettvermittler bis zum heutigen Tage seine Tätigkeit weiterführt, ist seitens des Gerichts auch der aktuelle Zeitraum, nämlich der Zeitraum ab dem 01.01.2008 mit in die Entscheidung einbezogen worden, zumal die Staatsanwaltschaft die „fortlaufende“ Tätigkeit angeklagt hatte.

Der Amtsrichter stützt seine Entscheidung im Wesentlichen auf folgende Gesichtspunkte:

1.

Zunächst hält das Amtsgericht die Untersagung des Wettvermittlungsbetriebes, der hier durch eine Ordnungsverfügung der Ordnungsbehörde beim Land Berlin untersagt worden war, bereits für rechtsfehlerhaft. Es gäbe für eine solche Untersagung keine wirksame Ermächtigungsgrundlage, da das staatliche Monopol für Sportwetten verfassungswidrig sei. Daran ändere sich auch nichts durch die „Fortgeltungsanordnung“ des Bundesverfassungsgerichts, weil die für verfassungswidrig erklärte Ermächtigungsgrundlage nicht zu einer verfassungsgemäßen werden kann, sondern lediglich in angemessener Zeit einen geordneten Übergang in eine verfassungsgemäße Gesetzeslage ermöglichen sollte.

Schon deshalb könne es nicht auf die Frage ankommen, ob die zuständige Landesverwaltung zwischenzeitlich ihre Verwaltungspraxis an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts orientiert habe, denn auch dann fehle es an einer verfassungsgemäßen Ermächtigungsgrundlage für eine Anwendbarkeit der Strafnorm des § 284 StGB.

Im Übrigen würde § 284 StGB in einem solchen Fall letztlich und allein dazu dienen, mit der „Ultima Ratio“ des Strafrechts einen Verwaltungsgehorsam zu erzwingen, der der Durchsetzung einer verfassungswidrigen Gesetzeslage diene. Dies, so das Gericht, verstoße gegen das Willkürverbot. Dabei führt das Gericht weiter aus, dass der Staat sich willkürlich verhalte, wenn er einerseits die Erteilung einer Erlaubnis für die Veranstaltung von Sportwetten unter Berufung auf ein mit der Verfassung unvereinbares Gesetz versage, andererseits aber gleichzeitig denjenigen bestrafen wolle, der ohne diese behördliche Erlaubnis einen grundgesetzlich geschützten Beruf ausübe.

Beharre der Staat in diesem Fall auf einen strafbewehrten Gehorsam unter ein verfassungswidriges Gesetz, verlasse der Staat die Grundlage jedweden hoheitlichen Handelns, nämlich die Unterwerfung unter die Ordnung des Grundgesetzes.

Es dränge sich insgesamt geradezu auf, dass es dem Staat nicht mehr um die Einhaltung einer verfassungskonformen gesetzlichen Ordnung gehe, sondern dass er Ziele verfolge, die sich fernab der vom Bundesverfassungsgericht festgestellten verfassungsrechtlichen Vorgaben bewege. Genau so liege der Fall auch derzeit in Berlin.

2.

Daneben scheitere im vorliegenden Fall die Anwendbarkeit von § 284 StGB auch am Bestimmtheitsgebot. Es müsse für einen Bürger klar erkennbar sein, wann und unter welchen Voraussetzungen eine Strafnorm erfüllt wird oder nicht. Wolle man aber die Anwendbarkeit von § 284 StGB in Verbindung mit den jeweiligen Landesgesetzen davon abhängig machen, ob die zuständige Landesverwaltung die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in ausreichendem Maße umgesetzt habe oder nicht, so würde dies gegen das Bestimmtheitsgebot verstoßen. Der einzelne Bürger habe in aller Regel keinerlei Einblick darüber, welche Maßnahmen im Einzelnen durch die Verwaltung zur Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben angeordnet wurden und welche Maßnahmen auch in der Praxis tatsächlich umgesetzt worden seien. Von einem Bürger hier eine detailgenaue Recherche abzuverlangen, sei unzumutbar.

3.

Schließlich verweist das Gericht zutreffend darauf, dass die Anwendbarkeit von § 284 StGB auf den vorliegenden Fall auch gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße. Es sei kein nachvollziehbarer Grund erkennbar, der es rechtfertigen könnte, einem verfassungswidrigen Gesetz mittels des Strafrechts Geltung zu verschaffen. Hierauf habe der Staat schlichtweg keinerlei Anspruch.

4.

Das Strafgericht stellt schließlich auf die Unanwendbarkeit der Strafnorm auch im Hinblick auf das geltende europäische Gemeinschaftsrecht ab. Den Vorgaben der Rechtsprechung des EuGH würden die hier maßgeblichen Regelungen bezüglich der Sportwette nicht gerecht werden. In diesem Zusammenhang verweist das Gericht auch auf die Placanica-Entscheidung des EuGH, wonach ein Mitgliedsstaat keine strafrechtliche Sanktion wegen einer nicht erfüllten Verwaltungsformalität verhängen darf, wenn er die Erfüllung dieser Formalität unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht ablehnt oder vereitelt. Genau dies sei aber hier der Fall.

5.

Das Gericht stellt schließlich darauf ab, dass die Angeklagten auch aus tatsächlichen Gründen frei zu sprechen waren, weil ihnen bei Begehung der Tat die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun und sie diesen Irrtum nicht vermeiden konnten. Abgesehen davon, dass sich die Angeklagten nicht in einem Irrtum befunden hätten, worauf das Gericht zutreffender Weise hinweist, würden sie sich jedenfalls auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen können (wenn es darauf ankäme), da sie sich einerseits anwaltlich haben beraten lassen, bei ihnen Kenntnisse über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und des EuGH, sowie Entscheidungen des LG Berlin gegeben waren und schließlich auch Informationen über einschlägige Internetseiten über die obergerichtlichen Entscheidungen eingeholt worden seien.

Besonders bemerkenswert ist hieran, dass das Strafgericht darauf hinweist, dass eine etwaig einzuholende Auskunft der zuständigen Aufsichtsbehörde an diesem unvermeidbaren Verbotsirrtum nichts ändern würde. So heißt es wörtlich im Urteil:

„Angesichts des außerordentlich zurückhaltenden Begründungsaufwandes in den Bescheiden des LABO vom … und vom … lag jedenfalls die Annahme, vom LABO eine kompetente und umfassende, nicht von fiskalischen Eigeninteressen gefärbte Rechtsauskunft zu erhalten, aus Sicht der Angeklagten eher fern. Vor diesem Hintergrund wäre eine behördliche Auskunft nach Überzeugung des Gerichts nicht geeignet gewesen, einen bei den Angeklagten entstandenen Irrtum zu beseitigen…“

Damit bringt das Amtsgericht zutreffend zum Ausdruck, dass es offensichtlich die Rechtsauffassung des LABO in Berlin zu dieser Thematik „Sportwetten“ nicht für richtig erachtet, dortige Rechtsauskünfte möglicherweise fehlerhaft, jedenfalls rechtlich unbeachtlich sind, im Übrigen die ordnungsbehördlichen Bescheide auch keine ausreichende Begründung enthalten.

Es sei abschließend die Anmerkung erlaubt, dass der zuständige Amtsrichter sich in der Hauptverhandlung während der zunächst erfolgten mündlichen Begründung des Urteils gerade zu verärgert gezeigt hat, weil auch er zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der Landesgesetzgeber offensichtlich auch bei Schaffung des neuen Glücksspielstaatsvertrages sachfremde Erwägungen angestellt hat, insbesondere offenbar auch fiskalische Interessen maßgeblich für die Schaffung des neuen Glücksspielstaatsvertrages seien, was sich aus entsprechenden Fundstellen hinsichtlich der Äußerungen von Landesparlamentariern im Eilbeschlusses des Verwaltungsgerichts Berlin ergäbe.

Die Staatsanwaltschaft hat angekündigt, gegen dieses Urteil Revision zu erheben.