Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht setzt Sportwettverfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes aus

Rechtsanwalt Guido Bongers

Rechtsanwaltskanzlei Bongers
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Mit Beschluss vom 29.09.2008 ( 11 LC 281/06) hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in einem durch die Kanzlei Bongers geführten Verfahren den Rechtsstreit eines Sportwettvermittlers, der sich gegen eine ordnungsbehördliche Untersagungsverfügung des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport wendet, bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in den verbundenen Rechtssachen C-316/07 u.a. (Vorlagebeschlüsse des Verwaltungsgerichts Gießen und des Verwaltungsgerichts Stuttgart) ausgesetzt.

Das Oberverwaltungsgericht hält also die anstehenden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für entscheidungserheblich, wobei es in seiner Begründung darauf hinweist, dass es schon im vorläufigen Rechtsschutzverfahren die Auffassung vertreten habe, dass eine systematische Bekämpfung der Spielsucht es erfordere, alle Sparten des Glücksspiels bewertend in den Blick zu nehmen. Zwar könne – so das Oberverwaltungsgericht in seinem Beschluss – bei der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung nicht verlangt werden, dass alle Glücksspielbereiche identisch behandelt würden, es müsse jedoch ein der Bekämpfung der Spielsucht dienendes Gesamtkonzept zugrunde liegen und erkennbar sein. Der Senat habe daher in seinem vorhergehenden Eilbeschluss weitere Glücksspielbereiche in die Prüfung mit einbezogen, darunter die Regelungen der Sportwetten anderer Bundesländer, das Spielbankenrecht, die Regelungen der Pferdewetten und die Regelungen der Geldspielautomaten nach der Gewerbeordnung.

Das Gericht weist weiter darauf hin, dass insbesondere die Regelungen über die Spielbanken in Niedersachsen sowie die Regelungen über den Betrieb von Geldspielautomaten einer weitergehenden Überprüfung auf ihre Vereinbarkeit mit dem Ziel der Bekämpfung der Wettleidenschaft zu unterziehen seien. Die dazu erforderliche Aufklärung könne aber erst in einem Hauptsacheverfahren erfolgen.

Nachdem das Verwaltungsgericht Gießen und auch das Verwaltungsgericht Stuttgart dem Europäischen Gerichtshof sinngemäß die Frage vorgelegt hätten, ob nur auf einen einzelnen Glücksspielbereich oder auf einen erweiterten Glücksspielbereich bei der Frage, ob die Spielleidenschaft im Bereich der Sportwetten kohärent und systematisch begrenzt wird, abzustellen ist, komme es auf den Ausgang der Vorlageverfahren entscheidend auch für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens an.

Aus alledem ergibt sich, dass auch aus Sicht des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts mindestens von offenen Erfolgsaussichten auszugehen ist, so dass Vollstreckungsmaßnahmen, die seitens der zuständigen Aufsichtsbehörde in Niedersachsen derzeit wieder veranlasst wurden, nicht nachvollziehbar sind. Sollten sich nämlich die Ordnungsverfügungen im Ergebnis als rechtswidrig erweisen, wovon wir ausgehen und wofür auch nach Einschätzung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zumindest offene Erfolgsaussichten anzunehmen sind, so dürften auf das Land Niedersachsen erhebliche Schadenersatzansprüche derjenigen Sportwettvermittlungsunternehmer zukommen, die ihre Tätigkeit zu Unrecht zwischenzeitlich haben einstellen müssen.

Nimmt man weiter hinzu, dass das Verwaltungsgericht Osnabrück und auch das Verwaltungsgericht Braunschweig bereits in Eilverfahren zu Gunsten der Sportwettvermittler entschieden haben und zudem unzählige weitere Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte mittlerweile zu Gunsten der Sportwettvermittler Entscheidungen getroffen haben, so wird man Vollstreckungsmaßnahmen nicht rechtfertigen können.

Abschließend sei angemerkt, dass nach diesseitiger Einschätzung geradezu offenkundig ist, dass die Regelungen der gewerblichen Spielverordnung oder auch die Regelungen im Spielbankenbereich sowie die Regelungen im liberalisierten Pferdewettbereich in eklatantem Widerspruch zu den Regelungen des Glücksspielstaatsvertrages stehen, da die weniger suchtrelevanten Bereiche Sportwetten und Lotterien einem staatlichen Monopol unterliegen, während andere Glücksspielsektoren – mit zum Teil größeren, mindestens aber den gleichen „Gefahren“ – seit Jahren und Jahrzehnten einem liberalisierten Markt unterliegen. Konsequenz kann damit nur sein, dass der Glücksspielstaatsvertrag eklatant gegen das „Kohärenzkriterium“ der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und damit gegen Europarecht verstößt.