Oberverwaltungsgerichte einig: Glücksspielstaatsvertrag ist verfassungs- und europarechtskonform

Rechtsanwalt Dr. Manfred Hecker
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
CBH - Rechtsanwälte
Bismarckstr. 11-13
D - 50672 Köln
Mit Beschluss vom 02.06.2008 (Az. 10 CS 08.1102) hat sich der Bayerische VGH den Oberverwaltungsgerichten in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Hamburg angeschlossen und festgestellt, dass keine Veranlassung bestehe, „ernsthaft an der Gültigkeit des Staatsvertrages zu zweifeln“. Die jüngste Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs steht damit in bemerkenswertem Widerspruch zu den Entscheidungen des VG Freiburg und VG Berlin und es fragt sich, worin die Diskrepanz zwischen der Rechtsprechung der Obergerichte und einzelnen erstinstanzlichen Verwaltungsgerichten gründet. Bereits in der sog. Interimszeit zwischen Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrages nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.2006 hatten 11 Oberverwaltungsgerichte die Rechtmäßigkeit von Verbotsverfügungen bestätigt, während diese von einzelnen Verwaltungsgerichten, zum Teil entgegen den Entscheidungen der ihnen übergeordneten Instanzen, angezweifelt worden waren.

Ausgangspunkt der Entscheidung des Bayerischen VGH ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.2006 (BVerfG NJW 2006, 1261 ff.). In jener Entscheidung hatte das höchste deutsche Gericht ausgeführt, dass der Gesetzgeber die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit aus Gründen der Bekämpfung der Spiel- und Wettsucht, des Jugend- und Verbraucherschutzes, der Bekämpfung der Folge- und Begleitkriminalität einschränken und der ein staatliches Wettmonopol als geeignete und erforderliche Maßnahme zu Erreichung dieser Ziele ansehen darf. Dem Gesetzgeber hatte das Bundesverfassungsgericht aufgegeben, durch entsprechende materiell-rechtliche Regelungen und organisatorische Sicherungen zu gewährleisten, dass das Sportwettenmonopol konsequent am Ziel der Bekämpfung der Wett- und Spielsucht ausgerichtet wird. Insbesondere seien Vorkehrungen zu treffen, damit die legitimen Ziele des Monopols nicht hinter den fiskalischen Interessen des Staates zurücktreten.

Ausgehend von der grundsätzlichen Zulässigkeit eines staatlichen Sportwettenmonopols, prüft der 10. Senat des Bayerischen VGHI sodann anhand dieser höchstrichterlichen Vorgaben die Anforderungen des Glücksspielstaatsvertrages an Art, Zuschnitt und Vertrieb der Wetten, die Vermarktung der Wetten sowie an dem Ziel der Suchtbekämpfung.

Verfassungskonformität von Art und Zuschnitt der Wetten

Art und Zuschnitt der Wetten sehen die bayerischen Richter in verfassungsrechtlich gebotener Weise vom Gesetzgeber im Glücksspielstaatsvertrag näher geregelt, weil Online- und Telefonwetten verboten seien (§§ 4 Abs. 4, 21 Abs. 2 Satz 3 GlüStV) und außerdem ein Verbot bestehe für Wetten bei laufenden Sportereignissen (§ 21 Abs. 2 Satz 2 GlüStV), sowie der Verknüpfung von Sportwetten mit Sportberichterstattung (§ 21 Abs. 2 Satz 2 GlüStV). Ferner diene der gesetzliche Ausschluss gesperrter Spiele über § 21 Abs. 3 GlüStV der näheren Ausgestaltung des Spielverlaufs und ermögliche das Erlaubnisverfahren, unter Einschaltung des Fachbeirats auf den Zuschnitt neuer Wettangebote Einfluss zu nehmen.
Zu berücksichtigen gewesen wäre aber außerdem, dass auch Halbzeitwetten untersagt sind ein einzelnes Sportereignis nicht in beliebig viele Einzelereignisse, die alle für sich bewettbar sind, aufgespalten werden darf, wie dies insbesondere bei privaten Sportwettanbietern zu beobachten ist. Dort kann beispielsweise innerhalb eines Fußballspiels auf diverse, völlig vom Zufall abhängige Ereignisse, wie etwa den nächsten Einwurf, die nächste gelbe Karte oder den nächsten Elfmeter, gewettet werden. Dies alles schließt § 21 aus, so dass in der Tat der Auffassung des Bayerischen VGH zuzustimmen ist, wonach Art und Zuschnitt der Sportwetten durch den GlüStV in verfassungskonformer Weise zum Zwecke der Spielsuchtbekämpfung eingeschränkt worden sind.

Völlig zutreffend stellt der Bayerische VGH außerdem fest, dass sich aus der sog. Wesentlichkeitstheorie kein diesbezügliches Regelungsdefizit ableiten lässt (andere Ansicht: VG Berlin, Beschluss vom 02.04.2008, VG 35 A 52.08). Die Rechtsinstitute des Parlamentsvorbehalts und der Wesentlichkeitslehre sind vor allem dann einschlägig, wenn der parlamentarische Gesetzgeber die Exekutive durch das Instrument der Rechtsverordnung mit Normsetzungskompetenzen beleiht. Bei der Frage, wie Art und Zuschnitt von Sportwetten im Glücksspielstaatsvertrag geregelt sind, geht es jedoch nicht um die Beleihung der Exekutive mit Normsetzungskompetenzen, sondern schlicht darum, dass die Verwaltung die vom parlamentarischen Gesetzgeber verabschiedeten Gesetze, also den Staatsvertrag und das entsprechende Ausführungsgesetz, anzuwenden hat. Im Rahmen der vorgenannten Gesetze hat der parlamentarische Gesetzgeber jedoch sämtliche für den Bereich der Grundrechtsausübung wesentlichen Entscheidungen selbst getroffen. Betrachtet man, wie der Bayerische VGH, das Gesamtbild der rechtlichen Ausgestaltung des Sportwettenmonopols durch den Glücksspielstaatsvertrag, insbesondere §§ 4, 5 21 GlüStV, so lassen sich weder Art und Zuschnitt der Wetten noch ihr Vertrieb oder die diesbezügliche Werbung mit dem Gefährdungspotential vergleichen, das nach wie vor von den massenweise im Internet oder den in speziellen Wettlounges angebotenen privaten Sportwetten rund um die Uhr, live und beliebig kombinierbar spielbar ist. Man vergleiche nur einmal eine mit mehreren Großbildschirmen oder sogar Leinwänden ausgestattete und aufwändig möblierte Wettlounge mit einer einfachen Lotto-Annahmestelle, also einem Kiosk, in welchem mit Ausnahme des ausliegenden Wettprogramms nicht zum Spielen oder Verweilen einlädt. In einer Annahmestelle kann gerade nicht live gewettet und versucht werden, soeben verlorenes Geld sofort wieder durch die nächstplatzierte Wette zurückzugewinnen. Gerade dies aber halten Suchtforscher für so gefährlich an den Sportwetten zu festen Gewinnquoten, bei denen der Spieler glaubt, den Zufall durch sein vermeintliches Wissen wesentlich beeinflussen zu können.

Vermarktung der Sportwetten

Auch bei der Prüfung der Frage, ob die Vermarktung der Sportwetten durch den Glücksspielstaatsvertrag verfassungskonform geregelt ist, richtet sich die Entscheidung des Bayerischen VGH an den Vorgaben der Sportwettenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus. Das Bundesverfassungsgericht hatte es für besonders bedenklich gehalten, dass die Spielteilnahme an ODDSET über das Internet oder über SMS möglich sei. Dies werde nun jedoch in § 4 Abs. 4 und § 21 Abs. 3 Satz 3 GlüStV verboten, so der Beschluss zutreffend. Weiter konstatiert das Gericht, dass sich die Länder in § 10 Abs. 3 GlüStV darüber hinaus zu einer Begrenzung der Annahmestellen bekannt haben. Soweit kritisiert werde, dass keine qualitativen Veränderungen des Vertriebs der staatlichen Sportwetten eingetreten seien, so trifft dies nach Auffassung des Bayerischen VGH nicht zu:

„Zwar haben die Länder an den Vertrieb über Zeitschriften- und Tabakläden oder ähnliche kleine und mittelständische Handelsbetriebe festgehalten. Die Länder waren jedoch nicht verpflichtet, dieses im Bewusstsein der Nähe zum Kunden aufgebaute Vertriebssystem komplett aufzugeben. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar den Missbrauch des bestehenden Vertriebsnetzes zu einer fiskalisch motivierten Ausweitung des Spiel- und Wettgeschehens kritisiert, aber nicht eine völlige Aufgabe dieses Vertriebsnetzes gefordert. […] Gerade weil die nicht erlaubten Wettanbieter über das Internet einen leichten Zugang zum Kunden haben, konnte es der Gesetzgeber als notwendig ansehen, das bestehende kundennahe Vertriebssystem für die staatliche Sportwette aufrecht zu erhalten, um eine Verlagerung des Wettgeschehens in den illegalen Bereich zu verhindern.“

Werberestriktion für Sportwetten

Ebenso wie zuvor das OVG Münster (Beschluss v. 22.02.2008, Az. 13 B 1215/07), so stellt auch der Bayerische VGH fest, dass einer breit angelegten Werbung, wie sie das Bundesverfassungsgericht in der Oddset-Entscheidung kritisiert hatte, durch den Glücksspielstaatsvertrag der Boden entzogen worden sei. Entscheidend ist hier, dass nach § 5 Abs. 1 und 2 GlüStV sich Werbung auf Information und Aufklärung über die Möglichkeit zum Glücksspiel beschränken müsse und nicht zur Teilnahme am Glücksspiel auffordern oder ermuntern dürfe. Da darüber hinaus Werbung für öffentliches Glücksspiel im Fernsehen, Internet oder über Telekommunikationsanlagen verboten sei (§ 5 Abs. 3 GlüStV), geht der Bayerische VGH auch an dieser Stelle davon aus, dass der Gesetzgeber im Glücksspielstaatsvertrag die entsprechenden Anweisungen des Bundesverfassungsgerichts in verfassungskonformer Weise umgesetzt hat.

Europarechtskonformität

Mit bemerkenswerter Deutlichkeit verneint der Bayerische VGH auch einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit aus Art. 43 und 49 EGV. Mit seinen Ausführungen liegt der Bayerische VGH dabei ganz auf der Linie zu jüngsten Stellungnahme der EU‑Kommission in deren Stellungnahme an den EuGH vom 10.12.2007 (abgedr. in ZfWG 2008, 94 ff.). Überzeugend wird der Einwand zurückgewiesen, dass sich eine Europarechtswidrigkeit des Sportwettenmonopols aus einem vermeintlichen Widerspruch zu Regelungen in anderen Glücksspielbereichen ergebe. Nach Auffassung des Bayerischen VGH kommt es allein auf die Verhältnismäßigkeit und Widerspruchsfreiheit im spezifischen Sektor der Sportwetten an. Dies begründet der Beschluss wie folgt:

„Dies folgt schon daraus, dass auch der Europäische Gerichtshof in der Vergangenheit bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung keine Gesamtuntersuchungen angestellt hat. Beispielsweise hat er bei der Frage der Lotteriewerbung in Großbritannien den sehr restriktiven Kurs des Vereinigten Königreiches nicht mit dem Argument in Frage gestellt, dass dort Sportwetten in großem Umfang zugelassen werden (vgl. EuGH, NJW 1994, 2013 – Schindler). Ebenso wenig hat der Europäische Gerichtshof in der Gambelli-Entscheidung Untersuchungen zur Verbreitung von gewerblichen Spielhallen, öffentlichen Spielkasinos oder TV- bzw. Radio-Glücksspielen in Italien angestellt oder verlangt (vgl. EuGH, NJW 2004, 139 – Gambelli). Vielmehr hat der Gerichtshof betont, dass bei der Festlegung der staatlichen Ziele in Bezug auf das Glücksspielwesen die sittlichen, religiösen und kulturellen Besonderheiten eines Landes eine Rolle spielen können (vgl. EuGH, NJW 2007, 1515 – Placanica).“

Ergänzen ließe sich hier allenfalls, dass auch das Bundesverfassungsgericht stets konkret für eine konkrete Glücksspielart deren verfassungskonforme Ausgestaltung geprüft hat, wie sich am Sportwetten-Urteil vom 28.03.2006 (NJW 2006, 1261 ff.) einerseits und dem Spielbankenbeschluss (GewArch 2007, 242 ff.) ersehen lässt. Auch der EFTA-Gerichtshof (ZfWG 2007, 218 f – Ladbrokes) sowie die EU-Kommission vertreten diese Ansicht.

Abschließend hält der BayVGH fest, dass die durch den Glücksspielstaatsvertrag verfolgten und verfassungskonform ausgestalteten Ziele nicht durch ein striktes Kontrollsystem gegenüber privaten Wettanbietern ebenso gut verwirklicht werden können, weil der Gesetzgeber ein solches Kontrollsystem im Hinblick auf den zu erwartenden Kontrollaufwand bei der Beteiligung privater Anbieter im Rahmen des ihnen zustehenden Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums als weniger effektiv ansehen durfte (vgl. EuGH, DVBl. 2000, 111 – Läärä; EuGH, DVBl. 2007, 894 – Rosengren). Auch das Bundesverfassungsgericht ist in st. Rspr., ebenso wie nunmehr der Bayerische VGH, der Auffassung, dass sich eine Kontrolle des Glücksspiels und damit die Ausrichtung der Werbemaßnahmen an den Vorgaben aus § 5 GlüStV sowie die Durchsetzung des Jugendschutzes und des Teilnahmeverbots gesperrter Spieler in einem staatlichen Monopol mit einer einheitlichen Vertriebsstruktur wesentlich effektiver durchsetzen lasse als bei mehreren Marktteilnehmern, die an der Ausweitung ihrer Gewinne interessiert sind (vgl. BVerfG, GewA 2007, 242 ff.).