Spielhallen: Hamburger Wirtschaftsbehörde erwägt Aussetzung des Erfordernisses einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis

Von Rechtsanwalt Rolf Karpenstein

In der Hamburger Wirtschaftsbehörde wird aktuell erwogen, von dem unionsrechtswidrigen Erfordernis einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis nach dem GlüÄndStV und dem Hamburger Spielhallengesetz abzusehen.

Hintergrund ist nicht nur die Erkenntnis, dass das Erfordernis einer glückspielrechtlichen Erlaubnis nicht mit Artikel 56 AEUV vereinbar ist und dass die Anwendung des GlüÄndStV und des Hamburger Spielhallengesetzes zu Amts- und unionsrechtlichen Staatshaftungsansprüchen in beachtlicher Höhe führen wird. Vielmehr ist der Hamburger Wirtschaftsbehörde aufgefallen, dass das Hamburger Spielhallengesetz in dem maßgeblichen Aspekt der Mindestabstandsregelung widersprüchlich und deshalb nicht handhabbar ist. Der Mindestabstand ist gleichzeitig als Soll- und als Ist-Vorschrift geregelt.

Der Widerspruch im Hamburger Spielhallengesetz beim Mindestabstand ist derart offenkundig, dass unerfindlich ist, wie dieser Widerspruch der Bürgerschaft entgangen sein konnte.

In § 2 Abs. 2 S. 2 HmbSpielhG ist bestimmt, dass der Abstand einer Spielhalle zu weiteren Unternehmen 500 m nicht unterschreiten „soll“. Die materiell-rechtliche Mindestabstandsregelung ist also „nur“ eine „Sollvorschrift“. Diese Sollvorschrift belässt der Behörde ein Ermessen. Der Amtswalter kann daher – z.B. zur Gewährleistung der Effektivität des freien Dienstleistungsverkehrs – die Mindestabstandsregelung in Einklang mit dem nationalen Recht unangewendet lassen.

Gemäß § 2 Abs. 5 Ziffer 4. HmbSpielhG hingegen „ist“ die Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis zu versagen, wenn „der Abstand zu weiteren Unternehmen gemäß Abs. 2 S. 2 unterschritten wird.“ Ein Ermessen, z.B. zur Gewährleistung der Effektivität des freien Dienstleistungsverkehrs, ist in dieser Regelung zum Mindestabstand nicht vorgesehen. In der Gesetzesbegründung heißt es, dass § 2 Abs. 5 Nr. 4 klarstellt, „dass der Mindestabstand gemäß Abs. 2 S. 2 einzuhalten ist. Eine Erlaubnis darf nicht ausgesprochen werden, wenn dieser Abstand unterschritten wird“ (Bü-Drs. 20/5877, S. 27).

Die vom GlüÄndStV geforderte Mindestabstandsregelung ist also in ein und demselben Gesetz einmal als Soll-Vorschrift mit dem unionsrechtskonform anzuwendenden Ermessen der Behörde ausgestaltet, ein andermal als Ist-Vorschrift ohne Ermessen. Das Hamburger Spielhallengesetz verstößt dadurch gegen die verfassungsrechtlichen und unionsrechtlichen Gebote der Bestimmtheit sowie der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Das Gesetz ist deshalb auch eine gegen Artikel 56 AEUV verstoßende Beschränkung, die von vornherein nicht durch zwingende Erfordernisse des Gemeinwohls legitimiert sein kann.

Kommt es zu einem Konflikt unter Spielhallen wegen des Abstandes, steht der Rechtanwender vor einem unlösbaren Konflikt. Wendet er das Gesetz als Soll-Vorschrift im Sinne von § 2 Abs. 2 S. 2 an, verstößt er gegen die Ist-Vorschrift des § 2 Abs. 5 Nr. 4 HmbSpielhG. Wendet der Beamte das Gesetz als Ist-Vorschrift an, verstößt er gegen die Soll-Vorschrift. Die Gesetzesanwendung ist also immer falsch.

Aufgrund seiner widersprüchlichen Ausgestaltung darf das Hamburger Spielhallengesetz insgesamt nicht zum Nachteil der Träger von Grundrechten und Grundfreiheiten angewendet werden. Wird das Hamburger Spielhallengesetz dennoch angewandt und von Spielhallenbetreibern eine glücksspielrechtliche Erlaubnis gefordert, unterliegt die Freie und Hansestadt Hamburg Staatshaftungsansprüchen (Amtshaftung, unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch).

Allerdings haftet nicht lediglich die Freie und Hansestadt Hamburg, sondern auch der einzelne Beamte als Rechtsanwender. Die gegenüber dem Bürger gem. § 34 GG haftende Freie und Hansestadt Hamburg muss nämlich den rechtswidrig handelnden Beamten in Regress nehmen (§ 48 BeamtStG). Die Anwendung des widersprüchlichen Gesetzes erfolgt vorsätzlich, weil sich der Widerspruch im Hamburger Spielhallengesetz schon beim allerersten Blick ins Gesetz aufdrängt und in diesem Artikel explizit dargestellt wird.

Die Haftung des einzelnen Beamten im Wege des Regresses durch die FHH gilt auch dann, wenn die Anwendung des widersprüchlichen Gesetzes auf einer Dienstanweisung beruht. Jeder Beamte ist durch Artikel 56 AEUV und durch die unionsrechtlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit eigenständig verpflichtet, ein widersprüchliches unionsrechtswidriges Gesetz ebenso wie unionsrechtswidrige Dienstanweisungen von sich aus unangewendet zu lassen (EuGH, Ciola, Rn. 27 ff.).

Vor diesem Hintergrund ist nicht nur der Hamburger Gesetzgeber aufgerufen, das Spielhallengesetz unter Beachtung der unionsrechtlichen Vorgaben abzuschaffen. Vielmehr sind die mit der Sache befassten Amtswalter zur Vermeidung der eigenen Haftung verpflichtet, den Grundrechten und Grundfreiheiten der Spielhallenbetreiber den Vorrang vor dem widersprüchlichen Hamburger Spielhallengesetz und erst recht gegenüber Dienstanweisungen der Wirtschaftsbehörde einzuräumen („Remonstration“).

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