Der Gerichtshof erklärt es für gemeinschaftswidrig, dass in Italien Vermittler, die für Rechnung ausländischer Unternehmen Wetten sammeln und an diese weitervermitteln, mit Strafe bedroht sind Ein Mitgliedstaat darf keine Strafe wegen Nichterfüllung einer Verwaltungsformalität verhängen, deren Erfüllung er unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht abgelehnt oder vereitelt
Der Europäische Gerichtshof hatte darüber zu entscheiden, ob dass in Italien eingeführte Konzessionsmodell, wonach privatrechtliche Kapitalgesellschaften grundsätzlich von der dortigen Lizenzausschreibung ausgeschlossen waren, mit den Grundfreiheiten des europäischen Gemeinschaftsrechts, insbesondere den Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheiten, vereinbar sind.
Dabei stellte der Gerichtshof zunächst noch einmal fest, dass es zwar grundsätzlich möglich sei, aufgrund sittlicher, religiöser und kultureller Besonderheiten und im Hinblick auf die vermeintlichen sittlichen und finanziell schädlichen Folgen nationale Beschränkungen zu rechtfertigen. Die Beschränkungen müssen aber den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügen. Insoweit hat der Gerichtshof das seinerzeitige italienische Konzessionsmodell an diesem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit überprüft.
In dem nunmehr vorliegenden Urteil der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofes (C 338/04, C 359/04, C 360/04) vom 06.03.2007 wird festgestellt, dass nationale Regelungen – wie diejenige in Italien – wonach ein privatrechlichtes Unternehmen eine Lizenz nach den gesetzlichen Rahmenbedingungen schon dem Grunde nach nicht erhalten kann und die nationale Behörde es unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht abgelehnt hat, entsprechende Lizenzen zu erteilen, gemeinschaftswidrig sind. Das Fehlen einer Konzession dürfe dann nicht zum Anlass für strafrechtliche Sanktionen gegen die betroffenen Betreiber genommen werden.
Zudem macht der EuGH deutlich, dass der Anwendbarkeit einer nationalen Strafnorm das Gemeinschaftsrecht entgegensteht, wenn nach den gesetzlichen Regelungen des Mitgliedstaates eine Genehmigung erforderlich sei, diese aber aufgrund gemeinschaftswidriger Regelungen nicht erteilt werden könne. Wegen einer nicht erfüllten „Verwaltungsformalität“ dürften auch keine strafrechtlichen Sanktionen verhängt werden.
Grundsätzlich könne ein Konzessionssystem, welches neben dem staatlichen Anbieter auch private Anbieter in beschränktem Maße zulässt, zwar ein geeignetes Mittel sein, um eine nationale Beschränkung unter ganz engen Vorraussetzungen zu rechtfertigen. Dieses Konzessionssystem muss jedoch in seiner konkreten Ausgestaltung auch erforderlich sein. Das heißt, die Anforderungen, die erfüllt sein müssen, um nach einem solchen Modell als privater, eu-konzessionierter Vermittler eine Konzession zu erhalten, dürfen nicht über das erforderliche Maß hinausgehen. Sie müssen also verhältnismäßig sein. Diesbezüglich hat der EuGH in seiner Entscheidung 2 wesentliche Punkte aufgegriffen, nämlich die festgelegte Zahl der zu vergebenden Konzessionen und den vollständigen Ausschluss von Kapitalgesellschaften von der Ausschreibung für die Konzessionsvergabe. Zur Frage der Anzahl der zu vergebenden Konzessionen führt der EuGH aus, dass zur Beantwortung der Frage, ob der Markt nicht auch weitere Anbieter zulasse, keine ausreichenden tatsächlichen Angaben zum Markt in Italien vorlägen, so dass es zur konkreten Beantwortung dieses Punktes die Angelegenheit an die Ausgangsgerichte zurück verwiesen hat. Jedoch stellt der EuGH sodann unzweifelhaft fest, dass der gänzliche Ausschluss von Kapitalgesellschaften auf jeden Fall über das erforderliche Maß hinausgeht und insoweit gegen europäisches Gemeinschaftsrecht verstößt und damit rechtswidrig ist. Mindestens unter Auflagen, die ein ordnungsgemäßes Kontrollsystem ermöglichen, sei auch diesen Gesellschaften der Marktzugang zu ermöglichen.
Soweit derzeit Betreiber am Markt tätig sind, die nach dem aktuellen Konzessionssystem weiterhin grundsätzlich vom Markt ausgeschlossen sind (so sieht es auch nach den derzeitigen und erneut beabsichtigten Regelungen in Deutschland aus), weil sie den Anforderungen des Konzessionsmodells nicht entsprechen und damit weder an der Vergabe der Konzessionen teilhaben, noch die in Italien zusätzlich erforderliche polizeiliche Genehmigung erhalten können, so dürfen diese betroffenen Betreiber wegen des Fehlens einer Genehmigung nicht mit Sanktionen belegt werden. Auch dürfe die italienische Republik gegen diese Personen strafrechtlich nicht vorgehen. Letztlich läge das Fehlen einer solchen Genehmigung nur daran, dass den Betreibern die Beschaffung einer Genehmigung unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht versagt worden wäre. In der Presseerklärung heißt es hierzu:
„Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang bekräftigt, dass ein Mitgliedsstaat keine strafrechtlichen Sanktionen wegen einer nichterfüllten Verwaltungsformalität verhängen darf, wenn er die Erfüllung dieser Formalität unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht abgelehnt oder vereitelt hat. Die italienische Republik darf daher gegen Personen, wie die in dem Ausgangsverfahren Beschuldigten, keine Strafen wegen der Ausübung einer Tätigkeit des organisierten Sammelns von Wetten ohne Konzession oder polizeiliche Genehmigung verhängen.“
Auch unterscheidet der EuGH also zwischen strafrechtlichen Sanktionen und solchen Sanktionen, die aufgrund fehlender Genehmigung im Rahmen des Konzessionssystems den jeweiligen Betreibern auferlegt worden sind. Insoweit geht die Entscheidung über die strafrechtlichen Auswirkungen hinaus und betrifft auch die Modalitäten des Genehmigungsverfahrens (Konzession + Genehmigung) selbst.
Was bedeutet dies für die Rechtslage in Deutschland?
Betrachtet man nunmehr das beabsichtigte deutsche Modell (Entwurf eines Staatsvertrages), so gilt es zunächst festzustellen, dass dieser Entwurf „erst recht“ gegen europäisches Gemeinschaftsrecht verstößt, wenn er neben dem staatlichen Anbieter keinen weiteren privaten Anbieter am Markt zulässt, der über eine EU-rechtliche Konzession in seinem Mitgliedsstaat verfügt. Denn wenn der EuGH an dem italienischen Konzessionsmodell bereits bemängelt, dass ein vollständiger Ausschluss von Kapitalgesellschaften unverhältnismäßig sei, weil diese Regelung über das erforderliche Maß hinausgehend, so muss dies erst recht bei Ausschluss sämtlicher privater Anbieter gelten. Auch weist der EuGH ausdrücklich nochmals darauf hin, dass den vermeintlichen Gefahren des Glücksspiels auch durch ausreichende Kontrollen (Auflagen), insbesondere auch der privaten Anbieter genüge getan werden kann.
Ferner ist hervorzuheben, dass der Gerichtshof klarstellt, dass eine Beschränkung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit grundsätzlich nur aufgrund gesicherter Analysen und Tatsachen hinsichtlich der Gründe, die grundsätzliche eine nationale Beschränkung ermöglichen, zulässig sei. Hier gilt für Deutschland eindeutig festzuhalten, dass bereits das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 28.03.2006 darauf hingewiesen hat, dass das Suchtpotential bezüglich der Oddset-Wette kaum erforscht sei. Hinsichtlich der weiteren von deutschen Behörden vorgebrachten Gründe, wie der Kriminalisierung der Tätigkeit (Begleitkriminalität) der Vermittlung von Sportwetten, fehlt es an jeglichem gesicherten Kenntnisstand. Solche Tatsachen werden in den Verfahren nicht einmal vorgetragen, sondern lediglich pauschal behauptet. Im Übrigen ließe sich auch hier mit weniger einschränkenden Maßnahmen als einem Monopol – wie der EUGH ausführt – eine gemeinschaftskonforme Regelung unter Einbeziehung privater Anbieter erzielen.
Eine Sanktionierung, sei es nun verwaltungsrechtlicher oder strafrechtlicher Natur, ist wegen Verstoßes gegen das europäische Gemeinschaftsrecht demnach auch weiterhin in Deutschland unzulässig und rechtswidrig. Dies wird durch den Europäischen Gerichtshof nunmehr in aller Deutlichkeit festgestellt. Dabei macht der Gerichtshof erstmalig auch deutlich, dass insbesondere eine getrennte Betrachtung der Strafnorm des § 284 StGB einerseits und der verwaltungsrechtlichen Normen des Lotteriestaatsvertrages oder der sonstigen sportwettgesetzlichen Regelungen andererseits nicht zulässig ist. Wie auch schon vom Bundeskartellamt in dessen Beschluss aus dem Monat August 2006 hervorgehoben, steht und fällt die Anwendbarkeit der deutschen Strafvorschrift mit der Frage der Gemeinschaftskonformität der zugrundeliegenden Verwaltungsvorschriften. Wenn man also mit dem Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 28.03.2006 (1 BvR 1054/01) zur Verfassungswidrigkeit und Gemeinschaftswidrigkeit der verwaltungsrechtlichen Normen im Sportwettbereich kommt (das BVerfG spricht von einem Regelungsdefizit) so folgt daraus nach den nunmehr klarstellenden Ausführungen des EuGH unmittelbar auch die Unanwendbarkeit des § 284 StGB. Dies war bereits in der Vergangenheit durch zahlreiche Strafgerichte (darunter OLG München, LG Hamburg, LG Köln, LG Bochum, LG Kassel, LG Darmstadt, LG Regensburg u.v.a., das Bundeskartellamt oder auch die EU-Kommission und zahlreiche Verwaltungsgerichte, darunter beispielsweise Verwaltungsgerichte in Köln oder Arnberg) festgestellt worden.
Als Folge des Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht gibt der EuGH den nationalen Regierungen unter Hinweis auf das EU-Recht die Pflicht auf, die sich aus dem Verstoß ergebenden negativen Auswirkungen für die privaten Anbieter (Ausschluss vom Markt + strafrechtliche Verfolgung) zu beseitigen und durch nationale (EU-konforme) Regelungen sicherzustellen, dass die Ausübung der durch das Gemeinschaftsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird.
Ordnungsverfügungen gegen Wettvermittler erweisen sich spätestens jetzt als rechtswidrig. Strafrechtliche Ermittlungsverfahren dürften spätestens jetzt – soweit noch nicht geschehen – einzustellen sein.
Der Entwurf des neuen Staatsvertrages würde die Ausübung der Rechte offensichtlich unmöglich machen, so dass die ohnehin auch vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigte Alternative einer kontrollierten Liberalisierung des Sportwettmarktes nunmehr die einzig mögliche – auch der Rechtsprechung des EUGH entsprechende Alternative – darstellt.
Guido Bongers
Peter Aidenberger
Rechtsanwälte