Bayerischer Verfassungsgerichtshof bestätigt Verfassungswidrigkeit des GlüÄndStV und des Glücksspielkollegiums

Ra. Rolf Karpenstein zum wirklichen Inhalt des Urteils vom 15. September 2015

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat in seinem oft zitierten aber selten zu Ende gelesenen Urteil vom 15.9.2015 – über seine wohlformulierten acht Leitsätze hinausgehend – in Rn. 150 den GlüÄndStV und das Kollegium für verfassungswidrig erklärt. Wie der BayVerfGH klarstellt, fehlt die demokratische Legitimation des allmächtigen Glücksspielkollegiums, wenn die vom Gericht vorgeschlagene verfassungskonforme Lesart des § 9 a Abs. 6 S. 1 und 2 GlüÄndStV, demnach nur diejenigen Bundesländer im Kollegium über andere Bundesländer mitregieren dürfen, die dem Staatsvertrag beigetreten sind, nicht möglich ist. Und diese, vom BayVerfGH in Rn. 150 vorgeschlagene verfassungskonforme Lesart ist nicht möglich, weil die Bundesländer schon im Mai 2012 vertraglich geregelt haben, dass jedes Bundesland über seinen Vertreter im Kollegium selbst dann über andere Bundesländer mitregieren soll, wenn es den Staatsvertrag nicht ratifiziert hat.

Das ging zu schnell? Nunmehr zum Mitschreiben:

Das Bayerische Ministerium des Innern hat mit dem „Glücksspielkollegium“ ein bemerkenswertes Konstrukt geschaffen, dessen verfassungsrechtliche Legitimation heftig umstritten ist, weil ein Bundesland über ein anderes bestimmt und damit seine verfassungsrechtliche Selbstbestimmung in Frage stellt. Z. B. muss sich Hessen dieses Kollegiums „als Organ“ im Rahmen des Konzessionsverfahrens und bei der Glücksspielaufsicht bedienen und kann nicht unabhängig nur nach Recht und Gesetz agieren.

Nach seiner Geschäftsordnung führt das Kollegium „seine Geschäfte nach Maßgabe der Vorschriften des GlüÄndStV sowie der Verwaltungsvereinbarung über die Zusammenarbeit der Länder bei der Glücksspielaufsicht nach § 9 Abs. 3 und die ländereinheitlichen Verfahren nach § 9 Buchst. a GlüÄndStV“. Diese Verwaltungsvereinbarung hat es in sich. Sie wird daher vom BayVerfGH nicht erwähnt. Aber dazu später.

Wer im Kollegium mitbestimmt, ist im GlüÄndStV in § 9a Abs. 6 S. 1 und 2 geregelt. Demnach besteht das Kollegium aus 16 Mitgliedern. Weiter heißt es, dass jedes Land je ein Mitglied benennt. Nimmt man diese Regelung beim Wort, können Vertreter von Bundesländern, die dem Staatsvertrag nicht beigetreten sind, im hessischen Konzessionsverfahren oder bei der Bayerischen Glücksspielaufsicht mitregieren. Bekanntlich hatten das aufrechte VG Wiesbaden und der VGH Kassel deshalb Bedenken angemeldet. Zu Recht? Ja, befindet auch der BayVerfGH! Die im GlüÄndStV geschriebene Regelung ist verfassungswidrig. Im Kollegium dürften nur diejenigen Repräsentanten aus Bundesländern mitbestimmen, die sich dem Joch des GlüÄndStV unterworfen haben. In Rn. 150 des Urteils vom 15.09.2015 heißt es daher:

„Das Glücksspielkollegium ist ein von den vertragsschließenden Ländern gebildetes Kollegialorgan, das einen ländereinheitlichen Vollzug bestimmter staatsvertraglicher Vorschriften gewährleisten soll. Diese interne Koordinationsfunktion kann nur von Vertretern solcher Länder erfüllt werden, die an den Vertrag gebunden sind.“

Regieren also im Glücksspielkollegium Vertreter solcher Bundesländer mit, die nicht oder nicht mehr an den Staatsvertrag gebunden sind, fehlen die verfassungsrechtliche Legitimation des Kollegiums und des GlüÄndStV. Deshalb ist eine Regelung im GlüÄndStV, die vorsieht, dass das Glücksspielkollegium „immer“ aus 16 Mitgliedern besteht, so zu Recht der BayVerfGH, verfassungswidrig. Der Freistaat heißt Freistaat, weil er frei ist – mia san mia. Würde die Sportwetten- und Glückspielpolitik des Freistaates durch ein Gremium bestimmt, in dem der Vertreter eines Bundeslandes sitzt, das sich nicht der Knechtschaft des GlüÄndStV unterwirft, sondern ein Las Vegas des Nordens betreibt, ist dies inakzeptabel und verfassungswidrig.

Der BayVerfGH sieht mithin, dass die Verfassungswidrigkeit in der Konstruktion des Staatsvertrages selbst angelegt ist. Der Staatsvertrag regelt gerade nicht, dass die „Koordinationsfunktion“ des Kollegiums nur von Vertretern derjenigen Länder erfüllt werden darf, die an den Vertrag gebunden sind. Der Staatsvertrag regelt in § 9 a Abs. 6 S. 1 und 2 ganz im Gegenteil, dass „das Kollegium aus 16 Mitgliedern besteht“ und dass „*jedes* Land je ein Mitglied“ in das Kollegium entsendet und mit „jedes“ Land kann nur jedes der 16 Bundesländer gemeint sein.

Der BayVerfGH stand daher vor der Frage, ob sich dieser zur Verfassungswidrigkeit des Staatsvertrags führende Konstruktionsfehler beheben lässt.
Ja, meint der BayVerfGH. Man müsse die Regelung in § 9a Abs. 6 S. 1 GlüÄndStV verfassungskonform dahin lesen, dass das Kollegium aus „bis zu“ 16 Mitgliedern besteht. Dann wäre die demokratische Legitimationskette gewahrt und über den Freistaat könnte nicht durch Vertreter von Bundesländern mitregiert werden, die sich nicht dem Staatsvertrag unterworfen haben. § 9 a Abs. 6 S. 1 GlüÄndStV müsse „so gelesen werden, dass das Glücksspielkollegium je nach Anzahl der aktuell am Vertrag beteiligten Bundesländer – aus „bis zu 16 Mitgliedern“ besteht“ heißt es deshalb beim BayVerfGH in Rn. 150 wörtlich.

Diese verfassungskonforme Lesart ist brillant, und nichts anderes erwartet man von bayerischen Verfassungsrichtern. Die Richter erkennen die den Staatsvertrag prägende konstruktive Verfassungswidrigkeit und liefern einen Ausweg, der auf den ersten Blick jedenfalls nicht unvertretbar erscheint, gleich mit.

Wäre da nicht der zweite Blick.

Die verfassungskonforme Lesart des BayVerfGH widerspricht dem in der Verwaltungsvereinbarung vom 28.5.2012 vereinbarten Willen und Interesse aller 16 Bundesländer.

Weil sich die „verfassungskonforme Lesart“ eines Staatsvertrages nicht über eine entgegenstehende vertragliche Vereinbarung hinwegsetzen kann, muss sich der BayVerfGH eingestehen, die Verfassungswidrigkeit des GlüÄndStV in seiner Gesamtheit bestätigt zu haben.

Der BayVerfGH hat sogar gleich zwei Tatsachen übersehen, die seiner verfassungskonformen Lesart entgegenstehen:

  • Es besteht eine vertragliche Vereinbarung zwischen allen 16 Bundesländern, die seiner verfassungskonformen Lesart widerspricht (1)
  • Es gibt eine Praxis aller 16 Bundesländer, die seiner verfassungskonformen Lesart widerspricht (2).
  1. Alle 16 Bundesländer haben in der VwVGlüStV vom 23.5.2012 vereinbart, dass die Mitbestimmung im Kollegium unabhängig vom Beitritt zum Staatsvertrag ist. Die Verwaltungsvereinbarung vom 23.5.2012 regelt die Arbeitsweise des Glücksspielkollegiums und die Zusammenarbeit der Glücksspielaufsichtsbehörden aller 16 Bundesländer. In § 1 ist geregelt, dass dem Glücksspielkollegium die Beurteilung aller Anträge auf Erlaubnisse und Konzessionen sowie aller Fragen der Glücksspielaufsicht („von nicht unerheblicher Bedeutung“) obliegt. In § 21 ist entgegen der Lesart des § 9a Abs. 6 S. 1 und 2 GlüÄndStV durch den BayVerfGH geregelt, dass jedes Bundesland einen Repräsentanten ins Glücksspielkollegium entsendet, der unabhängig von der Beteiligung seines Bundesandes am GlüÄndStV über die anderen Bundesländer mitregiert. Die demokratische Legitimationskette, die der BayVerfGH in Rn. 148 ff. verlangt, wird also von allen 16 Bundesländern einvernehmlich durchbrochen. Wörtlich heißt es in § 21 VwVGlüStV:
    „Länder, die dem Glücksspielstaatsvertrag nicht beigetreten sind, können gleichwohl im Rahmen ihrer glücksspielrechtlichen Regelungen an der Zusammenarbeit nach dieser Verwaltungsvereinbarung teilnehmen.“

    Ebenso wie § 2 der Verwaltungsvereinbarung, demnach jedes Land – und nicht, entsprechend der verfassungskonformen Leseart des BayVerfGH, lediglich die aktuell am Staatsvertrag beteiligten Länder – gegenüber der Geschäftsstelle des Kollegiums ein Mitglied für die Mitbestimmung und Beschlussfassung im Kollegium benennt, ist die Regelung in § 21 vollkommen eindeutig. Alle 16 Länder wollen, dass alle 16 Länder über alle am Staatsvertrag aktuell beteiligten Länder – einschließlich des Freistaates, sollte dieser nicht kündigen – im Rahmen der allumfassenden Befugnisse des Glücksspielkollegiums unabhängig davon mitbestimmen, ob sie sich den Beschränkungen des Staatsvertrages unterworfen haben oder ein unionsrechtskonformes Regime betreiben. Alle 16 Länder haben einvernehmlich geregelt, dass § 9a Abs. 6 S. 1 und S. 2 GlüÄndStV so gemeint sind, wie sie geschrieben stehen: „Das Kollegium hat 16 Mitglieder – und mitnichten lediglich „bis zu“ 16 Mitglieder – und jedes der 16 Bundesländer entsendet ein Mitglied ins Kollegium“.

    Sollte also ein rechtsstaatlich orientiertes Bundesland, nehmen wir als fiktives Beispiel das Saarland, seine Mitgliedschaft im Staatsvertrag kündigen und ohne Internetjäger ein Las Vegas des Westens errichten, kann jenes Bundesland nach dem Willen aller 16 Bundesländer weiterhin über das Schicksal der am GlüÄndStV beteiligten Bundesländer mitregieren, ohne selbst den Beschränkungen des GlüÄndStV unterworfen zu sein. Und dies – so auch der BayVerfGH – ist eine nicht heilbare verfassungswidrige Konstruktion des GlüÄndStV.

  2. Diese für die Monopolisten tragische Tragweite der Verwaltungsvereinbarung wird durch die vom bayerischen Verfassungsgerichtshof ebenfalls „übersehene“ Praxis im Kollegium vor dem Beitritt von Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein zum GlüÄndStV bestätigt. Alle Bundesländer haben diese Verwaltungsvereinbarung so praktiziert wie sie geschrieben steht, bevor Schleswig-Holstein und NRW dem Staatsvertrag beigetreten sind. Alle 16 Bundesländer waren damit einverstanden, dass die Vertreter von Schleswig Holstein und NRW im Kollegium über die am Staatsvertrag beteiligten Länder mitregieren, bevor NRW und Schleswig-Holstein dem Staatsvertrag beigetreten sind.

    Die Vertreter aller 16 Bundesländer trafen sich z. B. am 11. Juli 2012 im Kollegium, um sich zu konstituieren. Dabei regierte in Schleswig Holstein noch das sog. Glücksspielgesetz und es wurden bis in den Januar 2013 hinein Genehmigungen für Online-Casino und Sportwetten vergeben.

    Mit bindender Wirkung für den Freistaat wurde im Juli 2012 im Kollegium u.a. auch beschlossen, dass Hessen zu einem Fachgespräch am 2.8.2012 nachmittags in Wiesbaden einladen soll. Mit dabei waren Vertreter aus NRW und SH, obwohl jene Bundesländer dem Staatsvertrag nicht beigetreten waren. 16 Vertreter der Bundesländer legten dann im Rahmen ihrer Zusammenarbeit im Glücksspielkollegium im Juli 2012 die Grundzüge des Konzessionsverfahrens fest und verdeutlichten, dass die verfassungskonforme Lesart des § 9a Abs. 6 S. 1 GlüÄndStV durch den BayVerfGH gerade nicht gewollt ist.

Ob den bayerischen Verfassungsrichtern die Verwaltungsvereinbarung der 16 Bundesländer vom 23.5.2012 und die seiner verfassungskonformen Lesart entgegenstehende Praxis der 16 Bundesländer im Kollegium bekannt waren, mag man glauben oder nicht. Fest steht jedenfalls, dass das Urteil des BayVerfGH im Unterschied zur EuGH-Entscheidung in der Rs. C-336/14 auf einem unvollständig ermittelten Sachverhalt beruht und um den Leitsatz ergänzt werden muss, dass die gesamte Konstruktion des Staatsvertrages um das Kollegium herum verfassungswidrig und damit nichtig ist. Die verfassungskonforme Lesart der für den Staatsvertrag maßgeblichen Regelung in § 9a Abs. 6 S. 1 und 2 GlüÄndStV widerspricht nämlich dem schriftlich niedergelegten Willen sowie der in Protokollen manifestierten Praxis der Bundesländer im Kollegium.

Fazit: Das Glücksspielkollegium hat sich nicht nur verfassungswidrig unter Beteiligung zweier Fremdkörper konstituiert, sondern hat auch in der Folge verfassungswidrig über das Konzessionsverfahren und andere Dinge entschieden. Damit nicht genug. Der GlüÄndStV weist einen nicht behebbaren Konstruktionsfehler auf, weil das Kollegium nach dem vertraglich niedergelegten Willen aller 16 Bundesländer „immer“ aus 16 Repräsentanten aller 16 Bundesländer besteht, so dass der Freistaat ohne demokratische Legitimationskette durch andere Bundesländer, die sich nicht dem Joch des GlüÄndStV unterworfen haben, fremdbestimmt werden kann.

Mit dem Urteil des BayVerfGH bricht der Staatsvertrag einmal mehr auseinander. Mit der Unions- und Verfassungswidrigkeit der Experimentierklausel und des Konzessionsverfahrens bleibt das verfassungs- und unionsrechtswidrige Wettmonopol mit den Restriktionen übrig, die sich nur an die nicht grundrechtsfähigen staatlichen Lotterieunternehmen wenden. Unter dem Joch des Staatsvertrages stöhnen somit auch aus Sicht des BayVerfGH nur die fiskalisch ausgerichteten staatlichen Lotterieunternehmen.

Private Anbieter von Sportwetten oder Glücksspielen hingegen dürfen sich auf der Grundlage ihrer Genehmigung im EU-Ausland ohne deutsche Erlaubnis – im Rahmen der EU-konformen öffentlich-rechtlichen deutschen Regelungen – betätigen. Sie sind angesichts der Regelungswut des deutschen und des EU-Gesetzgebers zwar alles andere als frei in ihrer Betätigung; sie müssen zum Beispiel das Bundesjugendschutzgesetz beachten und die EU-Regelungen über Arbeitszeiten und den Arbeitsschutz. Im Schutzbereich des Artikels 56 AEUV brauchen private Anbieter aber nicht die spezifischen Beschränkungen des GlüÄndStV einzuhalten. Diese fachspezifischen Beschränkungen richten sich, auch wenn dies Verwaltungsträger nicht gerne lesen, nur an die wenigen in Deutschland nach dem GlüÄndStV oder den Ausführungsgesetzen der Länder erlaubten Anbieter. Das sind derzeit nur die staatlichen Lotterieunternehmen. Die zahlreichen Beschränkungen des GlüStV und des GlüÄndStV wurden nämlich geschaffen, um zu legitimieren, dass nach dem Genehmigungsregime des Staatsvertrages nur staatliche Wettanbieter und allenfalls – dies aber nur in der grauen Theorie – einige wenige sog. Konzessionäre (vgl. § 10 a GlüÄndStV, „Experimentierklausel“) Sportwetten anbieten dürfen.

Wie der EuGH – auch unter Berücksichtigung der schriftlichen Stellungnahme der Bundesregierung – in der Rechtssache C-336/14 bestätigt, dürfen die unionsrechtswidrig von einer deutschen Erlaubnis ausgeschlossenen privaten Glücksspiel- und Wettanbieter nicht in einem – so die Worte des EuGH (vgl. Rn. 29) – „fiktiven Erlaubnisverfahren“ verpflichtet werden, die zur Legitimation des Monopols/Oligopols geschaffenen Vermarktungsbeschränkungen einzuhalten. So meinte das vom vorlegenden AG Sonthofen benannte BVerwG in einem Urteil vom 16.5.2013, eine Untersagung dürfe „präventiv“ darauf gestützt werden, dass die Einhaltung der im GlüStV bestimmten „ordnungsrechtlichen Anforderungen insbesondere des Jugend- und des Spielerschutzes“ nicht (jedenfalls nicht für die Untersagungsbehörde „erkennbar“) eingehalten sind. Dieser bedenklichen richterlichen Praxis ist der EuGH in Beantwortung der ersten Vorlagefrage entgegengetreten und hat verdeutlicht, dass die materiell-rechtlichen Beschränkungen des Staatsvertrages selbstverständlich nicht zur Grundlage staatlicher Eingriffe gemacht werden dürfen.

Auch das Bundesverwaltungsgericht hatte in seinen beiden Urteilen vom 24.11.2010 (8 C 14.09, 15.9, Rn. 26 – 35) bestätigt, dass sich die materiell-rechtlichen Beschränkungen im GlüStV selbstredend nur an die nicht durch die Grundfreiheiten des AEUV begünstigten staatlichen Lotterieunternehmen und allenfalls (gäbe es ein verfassungskonformes rechtskräftig abgeschlossenes Konzessionsverfahren) an die Konzessionäre richten. Diese Systematik des GlüStV wurde durch die Experimentierklausel im GlüÄndStV nicht geändert. Die Vermarktungsbeschränkungen sollen weiterhin legitimieren, dass entweder nur staatliche Anbieter oder – temporär – nur ein geschlossener Kreis von Konzessionären Sportwetten in Deutschland legalisiert anbieten darf.

Wer also meint, der Staatsvertrag habe mit seinem das Monopol ergänzenden „Experiment“ seine Systematik geändert, unterliegt einem Irrtum. Dies gilt umso mehr, weil die Experimentierklausel ohnehin unrechtswidrig (EuGH, C-336/14) und verfassungswidrig (VGH Kassel, Beschl. v. 5.1.2016) ist und deshalb dem Schicksal der Nichtigkeit und der Unanwendbarkeit unterfällt.

Auch unsere Kanzlerin bestätigt, dass die Vermarktungsbeschränkungen und die Vorgaben über Art und Zuschnitt von Sportwetten nur auf die erlaubten oder konzessionierten Glücksspiel- und Sportwettanbieter angewendet werden dürfen, weil eben nur diese ihren in der – deutschen – Genehmigung liegenden Wettbewerbsvorteil gegenüber nicht genehmigten Anbietern legitimieren müssen. Wie die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme an den EuGH ausführt, müssten diejenigen Anbieter von Sportwetten oder Glücksspielen, die sich auf Artikel 56 AEUV berufen, die zu ihrem Schutze vor einem fiskalischen Monopol/Oligopol geschaffenen Vermarktungsbeschränkungen nur dann einhalten, wenn sie eine der nach dem Staatsvertrag vorgesehenen Genehmigungen erhalten. Die Stellungnahme der Bundesregierung sei – erneut – zitiert:

„So haben die derzeit „illegal“ am Markt tätigen privaten Sportwettveranstalter ein erhebliches Interesse daran, eine rechtskräftig abgeschlossene Konzessionserteilung zu verhindern, da sie dann – (nur) im Falle eines Konzessionserhalts – den durch den Glücksspielstaatsvertrag vorgegebenen Beschränkungen unterliegen würden bzw. – (nur) im Falle einer Ablehnung – wieder ernsthaft damit rechnen müssten, dass die jeweiligen Aufsichtsbehörden gegen ihr illegales Sportwettangebot vorgehen würden.“

Auch Skeptiker werden einräumen, dass die schriftliche Stellungnahme unserer Kanzlerin an den EuGH mehr Überzeugungs- und Durchsetzungskraft hat als die von illegitimen fiskalischen Interessen geleiteten Thesen des DLTB und seiner Gesellschafter, demnach sich der GlüStV ohnehin stets bewährt hat.

Um Missverständnisse zu vermeiden, sei die Erläuterung der Systematik des GlüÄndStV durch die Kanzlerin gegenüber dem EuGH, mit ergänzenden Worten aber identischem Content, wiederholt:

„Private Wett- und Glücksspielanbieter, die in Ermangelung eines verfassungs- und unionsrechtkonformen Genehmigungsverfahrens in Deutschland ohne eine deutsche Erlaubnis legal auf der Grundlage ihrer EU-Genehmigung tätig sind, haben – nachvollziehbar – kein gesteigertes Interesse an einer Konzession für Sportwetten, „da sie dann – (nur) im Falle eines Konzessionserhalts – den durch den Glücksspielstaatsvertrag vorgegebenen Beschränkungen unterliegen würden bzw. – (nur) im Falle einer Ablehnung – wieder ernsthaft damit rechnen müssten, dass die jeweiligen Aufsichtsbehörden gegen ihr durch das Unionsrecht, das das Vorliegen einer deutschen Erlaubnis gleichsam fingiert, geschütztes, aber nach deutschem Recht illegales Sportwettangebot vorgehen würden.“

Die Bundesregierung hat ihre Stellungnahme an den EuGH übrigens mit Vertretern der Länder abgestimmt. Auch deshalb wird niemand unterstellen, die Kanzlerin habe den EuGH über die deutsche Sach- und Rechtslage falsch informiert. Wer dennoch behauptet, die zur Legitimation der restriktiven Genehmigungsvergabe geschaffenen materiell-rechtlichen Beschränkungen des Staatsvertrages dürften nach dem gewollten Scheitern eines Genehmigungsverfahrens für Wettveranstalter als Eingriffsgrundlage herangezogen werden, ignoriert nicht nur die Systematik des Staatsvertrages, die Urteile des BVerwG vom 24.11.2010 in 8 C 14.09 und 15.09 und den EuGH, sondern auch die schriftlich niedergelegten Worte unserer Bundesregierung.

Anbietern von Glücksspielen- oder Sportwetten mit Lizenz im EU-Ausland ist deshalb zu empfehlen, unverzüglich Staatshaftungsansprüche geltend zu machen, sollte es zu staatlichen Übergriffen kommen, die auf den GlüÄndStV oder auf Ausführungsgesetze gestützt sind. Zwar ist die Staatshaftung in der Praxis deutscher Gerichte mühsam durchzusetzen. Spätestens nach den Entscheidungen des BayVerfGH vom 15.09.2015 und des EuGH in C-336/14 ist aber von Vorsatz und von Schädigungsabsicht auszugehen, sollte der GlüÄndStV für staatliche Beschränkungen gegenüber EU-Anbietern von Glücksspielen oder Sportwetten herangezogen werden.

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