Die steuerliche Behandlung von Pokergewinnen in Deutschland

Michael Keiner
Poker-Experte
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Eine Aktualisierung anhand der schriftlichen Urteilsbegründung des Finanzgerichts Köln

Kaum beachtet von der Öffentlichkeit wurde 2 Tage vor Weihnachten die schriftliche Urteilsbegründung im Fall Eddy Scharf gegen das Finanzamt online veröffentlicht. Hier der Link zum Nachlesen.

Auch wenn ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass es sich dabei um eine Einzelfallentscheidung handelt und wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Revision vor dem Bundesfinanzhof zugelassen wurde, hat dieses Urteil eine besondere Brisanz. Erstmalig wurde ein Pokerspieler in Deutschland gerichtlich dazu verurteilt, auf seine Pokergewinne Einkommens- und Gewerbesteuer abzuführen. Da ich selbst unmittelbar Betroffener bin und seit über 3 Jahren meine eigenen Grabenkämpfe zu diesem Thema mit den zuständigen Finanzbehörden habe ich mich gleich mit meinem Anwalt, Herrn RA Norbert Hölting zusammengesetzt und die Urteilsbegründung Punkt für Punkt erörtert.
Rechtsanwalt Hölting befasst sich seit Ende der 90er Jahre intensiv mit dem Thema Glücksspielrecht und hat auch schon zahlreiche Pokerspieler gerichtlich vertreten. Genauso wichtig ist für mich aber der Umstand, dass er seit über 20 Jahren selbst erfolgreicher Pokerspieler ist. Mit mehr als 30 Hendon Mob Einträgen (dortige Schreibweise: Norbert Hoelting) in den vergangenen 15 Jahren, darunter ein 2. Platz bei einem WSOP Braceletevent (US$ 2.500 Potlimit Omaha) besitzt er zweifelsohne genügend Kernkompetenz, um die Materie nicht nur als Rechtsanwalt aufarbeiten zu können.

Zunächst einmal muss man anerkennen, dass sich der berichterstattende Richter wirklich intensiv und tiefgreifend mit der Materie auseinander gesetzt und eine – per se – auf 14 Seiten mit 77 Absätzen logische Argumentationsfolge abliefert, warum die Pokergewinne von Eddy Scharf steuerpflichtig sein sollten. Allerdings basieren die Argumente des Gerichts auf einigen gravierenden Fehlannahmen, die auch in der Revision eine gewichtige Rolle spielen dürften. Exemplarisch hat Herr Rechtsanwalt Hölting 3 Punkte aufgegriffen und im nachfolgenden Interview erläutert.

Michael Keiner: Warum geht das Gericht davon aus, dass das Pokerspiel für Herrn Scharf ein Geschicklichkeitsspiel und für den Durchschnittsspieler ein Glücksspiel ist?

RA Hölting: Meines Erachtens nach legt das Gericht in Bezug auf die von Herrn Scharf gespielten und in den Preisgeldrängen beendeten Turniere einen unkorrekten Sachverhalt zugrunde. Im Absatz 67 der Urteilsbegründung geht das Gericht sogar davon aus, dass in der Hendon Mob Database fast alle Turniere erfasst sind, an denen Eddy Scharf teilgenommen hat. Was die Richter nicht akzeptieren wollten, ist der Umstand, dass Turniere, die er gespielt, aber außerhalb des Preisgelds beendet wurden, nicht in der Hendon Mob Database erfasst werden. In Absatz 70 geht der Richter sogar noch einen Schritt weiter. Zitatanfang: „Dass das Ergebnis aus diesen nicht gelisteten Turnieren insgesamt negativ ist, hat der Kläger allerdings nicht nachvollziehbar dargelegt. Dies erscheint bei Betrachtung der Fähigkeiten und bekannten Erfolge des Klägers auch unwahrscheinlich.“ Zitatende.
Jeder, der auch nur einmal an einem Pokerturnier teilgenommen hat, weiß aber, dass ein beendetes Turnier außerhalb der Preisgeldränge immer ein negatives Ergebnis mit sich bringt, nämlich das Buyin plus EntryFee und Reisekosten. Wenn ein Spieler beispielsweise an 10 etwa gleichartigen Turnieren teilnimmt und nur einmal einen Preisgeldrang erreicht, kann man grundsätzlich davon ausgehen, dass er über durchschnittliche Pokerfähigkeiten verfügt und seine Gewinn- bzw. Verlustrechung hauptsächlich vom Faktor Glück beeinflusst wird. Erreicht er jedoch neun von zehnmal das Preisgeld, kann ich zu Recht einen erheblichen Geschicklichkeitsanteil voraussetzen. Der Pokerspieler, der diese Relation schafft, muss aber erst noch geboren werden.

Michael Keiner: Aber warum geht das Gericht ausgerechnet bei Eddy Scharf von derart überragenden Fähigkeiten aus?

RA Hölting: Grundlage der Fehlannahme ist eine komplett falsche Einschätzung der Wahrscheinlichkeitsrechnung und deren Übertragbarkeit auf das Pokerspiel. In Absatz 64 formuliert das Gericht: Zitatanfang „Als Flugkapitän bei der F verfügt er insbesondere über Kenntnisse der Elektrotechnik, Aerodynamik, Navigation und Meteorologie, also stark mathematisch geprägter Fachgebiete. Damit hatte er die erforderliche Wissensgrundlage für die Erstellung auch schwierigerer Wahrscheinlichkeitsberechnungen.“ Zitatende
Was das Gericht dabei nicht berücksichtigt, ist auch der Punkt, dass ich insbesondere bei großen Turnieren oftmals 6 und mehr Coinflips überstehen muss, um als Sieger nach Hause zu gehen. Die Wahrscheinlichkeit, einen Coinflip zu gewinnen, ist 50 Prozent. Um ohne Unterbrechung 6 davon nacheinander zu gewinnen, sinkt die kumulierte Wahrscheinlichkeit unter 2 %. Wie soll das ohne Glück möglich sein?

Michael Keiner: Wie vereinbart sich das Urteil mit der oft zitierten und durch das Grundgesetz abgesicherten Einheitlichkeit der Rechtssprechung?

RA Hölting: Der Rechtsstaat gibt sich durch das Parlament Gesetze. Diese Gesetze sind Regeln, die generell abstrakt formuliert sind, da sie für alle Bürger gleichermaßen gelten sollen. Die Übertragung der generell abstrakten Regel auf den konkret individuellen Einzelfall ist dann die Aufgabe der Gerichtsbarkeit. Wenn jedoch ein Bürger aufgrund seiner persönlichen Fähigkeiten für exakt die gleiche Tätigkeit steuerpflichtig sein soll und ein anderer hingegen nicht, werden zwei deutsche Staatsbürger unterschiedlich beurteilt aufgrund derselben gesetzlichen Norm. Insofern wird hier zumindest der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt. Richtig kompliziert wird es unter folgender Annahme: Zwei relative Pokeranfänger spielen ein großes Turnier und gewinnen beide 300.000 €, ohne vorher jemals in Erscheinung getreten zu sein. Der eine entschließt sich nach dem Gewinn, nie mehr Karten in die Hand zu nehmen und beendet sofort seine Pokerkarriere. Kein Finanzamt in Deutschland würde ernsthaft auf die Idee kommen, diesen Gewinn zu besteuern. Der Zweite entscheidet sich für eine intensive Ausweitung seiner Turnierteilnahmen und reist fortan in Sachen Poker um die Welt. Erfolg vorausgesetzt, wird hier das Finanzamt Steuern von den Gewinnen einfordern, auch unter Einbeziehung des Erstgewinns. Obwohl beide Spieler zum Zeitpunkt des ersten großen Gewinnes identische Voraussetzungen hatten, werden sie rückwirkend völlig unterschiedlich beurteilt.

Michael Keiner: Vielen Dank für die Ausführungen!