Eine Hydra namens Netzsperre: Neuer Glücksspielstaatsvertrag ruft Gegner aller Couleur erneut auf den Plan

– Überparteiliche Front gegen Glücksspielregelung der 15 Bundesländer wächst
– Experten sagen Scheitern voraus

Berlin/Kiel, Mai 2011 – Es ist ein bundesländerspezifischer Wettbewerb ganz besonderer Art: Während Schleswig-Holstein bereits grünes Licht aus Brüssel bekommen hat für seinen Entwurf für die Neuordnung des Glücksspielgesetzes, haben die anderen 15 Bundesländer ihren im April gemeinsam verabschiedeten Entwurf zur Notifizierung an die Europäische Kommission gegeben. Und während Experten das Modell der Kieler Regierungsfraktionen von CDU und FDP als richtungsweisend und wettbewerbsfähig bewerten, häufen sich die Stimmen derjenigen, für die der Entwurf der 15 markt- und realitätsfern ist.

Hatte sich die Republik im Kontext der Vorratsdatenspeicherung gerade erst vom Thema Netzsperren verabschiedet, steht dieses Instrument zur Bekämpfung ausländischer Glücksspielanbieter auf dem deutschen Markt nun wie der Kopf einer Hydra wieder bedrohlich auf der Agenda – zum Entsetzen der Fachwelt: „Die Diskussion um Internet-Zugangssperren ist zuletzt im Zusammenhang mit dem Zugangserschwerungsgesetz ausführlich und intensiv geführt worden. Selbst in dem dort betroffenen Bereich der Bekämpfung kinderpornographischer Angebote sind der Gesetzgeber und die Bundesregierung letztlich zu dem Ergebnis gekommen, dass das Instrument der Internetsperren weder geeignet, noch verhältnismäßig ist, um illegale Inhalte im Internet wirksam zu bekämpfen“, heißt es beispielsweise in einer Stellungnahme des Verbandes der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM) http://www.vatm.de, der dieses Instrument gestrichen sehen möchte. Gleiches fordert der eco Verband der deutschen Internetwirtschaft http://www.eco.de: Demnach bestehe das Ziel des Glücksspielstaatsvertrags darin, „fairen Wettbewerb im Internet zu verhindern. Die zu seiner Durchsetzung geplanten Grundrechtseingriffe halten wir für unverhältnismäßig und somit verfassungswidrig“, erläutert eco-Vorstandsvorsitzender Professor Michael Rotert mit Blick auf die Internetsperren. „Jeder Laie kann Internetsperren in wenigen Sekunden umgehen, sie erfüllen also die beabsichtigte Wirkung überhaupt nicht“, beschreibt Rotert das Problem. „Für ein völlig ineffektives Mittel nehmen die Länderchefs tiefe Grundrechtseingriffe in Kauf, die die ganze Bevölkerung betreffen. Das ist völlig unverhältnismäßig, und wir lehnen dies entschieden ab.“ Ein wesentlich besseres Mittel gegen illegales Glücksspiel im Internet sei es, über realistisch gesetzte Rahmenbedingungen einen legalen Markt zu schaffen.

Netzsperren sollen staatliches Monopol erhalten

Diese Rahmenbedingungen setzt der Gesetzentwurf aus Schleswig-Holstein. Hans-Jörn Arp, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU http://www.cdu.ltsh.de an der Kieler Förde, bemängelt, dass 15 von 16 Bundesländern sich jedoch weitgehend der Linie des Deutschen Lotto- und Totoblocks angeschlossen hätten. „Es war und ist das Ziel des Lotto- und Totoblocks, über hohe Steuern in Verbindung mit Netzsperren und der Kontrolle von Zahlungsströmen sein Wettmonopol faktisch zu erhalten. Leider sind die anderen 15 Bundesländer diesem Vorschlag gefolgt“, so Arp. „Wir haben immer davor gewarnt, dass der offensichtlich aus der Feder des Lotto-Totoblocks stammende  Vorschlag der 15 Länder sich nur mit Netzsperren realisieren lässt.“ So hatte Erwin Horak als Präsident der Staatlichen Lotterieverwaltung Bayern in der Vergangenheit wiederholt die Möglichkeit von Netzsperren ins Feld geführt. Arps Prognose: „Die EU-Kommission hat unserem Vorschlag zugestimmt. Der Vorschlag der 15 Länder begrenzt die Zahl der zugelassenen Anbieter auf sieben. Er sperrt im europäischen Ausland zugelassene Anbieter aus. Das wird vor den Europäischen Institutionen niemals Bestand haben.“

Für Wolfgang Kubicki, den Vorsitzenden der FDP-Landtagsfraktion http://www.fdp-sh.de in Kiel, sind „ Netzsperren einerseits ein Mittel der Zensur und laden regelrecht zum Missbrauch ein, während sie andererseits leicht zu umgehen sind und keine wirksame Schutzmaßnahme darstellen. Auf einer Marktabschottung durch Internet-Sperren basiert aber der Glückspielstaatsvertragsentwurf der 15 Länder. Der kürzlich von uns durchgesetzte Grundsatz ‚Löschen statt Sperren‘ hat sich bei der Bekämpfung der Kinderpornographie als wirksames Mittel erwiesen, weil diese international geächtet ist“, unterstreicht der liberale Frontmann im Norden. Dies könne beim Internet-Glücksspiel jedoch nicht funktionieren, da es weder in der überwiegenden Mehrzahl der Staaten ein Straftatbestand noch international geächtet sei. „Ausländische Provider würden nur verständnislos mit dem Kopf schütteln, sollten derartige Löschforderungen an sie herangetragen werden“, so Kubickis Prognose.

Nicht zustimmungsfähig: Grüne lehnen Netzsperren ab

Am Rande des Bundesparteitages der Liberalen in Rostock hat sich die Konferenz der FDP-Fraktionsvorsitzenden ebenfalls in diesem Sinne positioniert und hinterfragt auch die Beschränkung auf sieben Konzessionen für Glücksspielanbieter, die der Entwurf der 15 vorsieht: „Eine Begrenzung der Zahl der Konzessionen im Sportwettenbereich sowie die praktische Durchsetzung dieser Begrenzung mit Hilfe von Netzsperren sind abzulehnen, weil damit ein Placebo geschaffen werden soll, was in Wahrheit das Staatsmonopol manifestiert“, so der Beschluss der Fraktionschefs, die von den Ländern einen neuen Entwurf auf Grundlage des europarechtskonformen Kieler Modells fordern. Unterdessen gibt es auch im rot-grünen Lager, das sich lange Zeit jeder Liberalisierung des Marktes verschloss, Anzeichen für ein Umdenken. So hat sich beispielsweise die Fraktion von Büdnis90/Die Grünen in der Bremischen Bürgerschaft ebenfalls gegen Netzsperren ausgesprochen. Für die medienpolitische Sprecherin Anja Stahmann ist demzufolge der von den 15 Bundesländern vorgelegte Entwurf des Glücksspielstaatsvertrages „nicht zustimmungsfähig! Die im Entwurf vorgesehenen, durch die Länder verfügten Internetsperren sind weder wirksam noch sinnvoll. Ich fordere klare Veränderungen in diesem Bereich, ehe der Staatsvertrag beschlossen wird.“ Auch die Koalitionsverträge der neuen rot-grünen Landesregierungen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz enthalten Bekenntnisse zur Ablehnung von Netzsperren.

Entwurf der 15 ist nicht wettbewerbsfähig

Pokerstars-Direktor Sven Stiel http://www.pokerstars.de sieht die aktuelle Entwicklung ebenfalls kritisch. Er ist nicht nur entsetzt darüber, dass die deutsche Politik mit dem vorliegenden Staatsvertragsentwurf rund vier Millionen deutsche Online-Pokerspieler und damit den zweitgrößten Markt der Welt schlichtweg ignoriert, sondern sieht auch die Gefahr, „dass Deutschland sich selbst einmauert und Millionen von Nutzern in den Schwarzmarkt treibt.“ Zum positiven Signal aus Brüssel in Bezug auf den Kieler Entwurf bestätigt er bereits früher gemachte Aussagen: „PokerStars wird unter den ersten sein, die eine Lizenz in Schleswig-Holstein beantragen und diese vollumfänglich umsetzen.“

Die Praxisrelevanz des Entwurfs der 15 Ministerpräsidenten steht aber auch an anderer Stelle in Frage. Der Münchener Rechtsanwalt und Branchenexperte Dr. Wulf Hambach von der Kanzlei Hambach & Hambach Rechtsanwälte http://www.timelaw.de beispielsweise verweist auf eine aktuelle Studie der Beratungsgesellschaft H2 Gambling Capital, wonach die Änderung des Glücksspielstaatsvertrages nach Lesart der Ministerpräsidentenkonferenz gerade einmal sieben Prozent des gesamten deutschen Online-Glücksspielmarktes abdeckt. Demgegenüber hätten die Regulierungen in Italien oder Frankreich über 20 Prozent der jeweiligen Märkte aus dem Schwarzmarktsektor zurückgeholt. „Wird die aktuell diskutierte Version des Glücksspielstaatsvertrages umgesetzt“, so Hambach, „wird wohl kaum ein Anbieter tatsächlich eine Lizenz in Deutschland beantragen, auch weil der Steuersatz von 16,66 Prozent auf den Spieleinsatz alles andere als wettbewerbsfähig ist und den Anbietern die Luft zum Atmen nimmt.“

Demgegenüber entspricht eine Besteuerung von 20 Prozent auf den so genannten Rohertrag viel eher den Marktrealitäten und ebenso der Position der großen Sportverbände und der organisierten Profi-Ligen, wie der Kieler Sportrechtler Professor Martin Nolte bestätigt. Der Entwurf Schleswig-Holsteins liegt nach seiner Einschätzung „in einem weit höheren Maße auf der Linie des organisierten Sports als dies etwa beim aktuellen Entwurf eines Glücksspielstaatsvertrages, in dessen Richtung sich die 15 Ministerpräsidenten am 6. April 2011 verständigten, der Fall ist.“ Das Lenkungsziel, die illegalen Angebote in den legalen Markt zu überführen, sei im Kieler Entwurf ausgewiesen und das vormals prädominante Ziel der Bekämpfung von Spiel- und Wettsucht in seiner Bedeutung relativiert. Zudem finde das Interesse des Sports, die Integrität seiner Wettkämpfe zu schützen, erstmals ausdrückliche Berücksichtigung.

Dem so gewürdigten Vertragsentwurf könnten sich schon bald die 15 übrigen Ministerpräsidenten anschließen. Denn Ende Juni wird das Kieler Modell wohl Gesetzeskraft erlangen, wenn die zweite Lesung im Landtag ansteht. Nach der bereits erfolgten Notifizierung durch die EU-Behörden wird das Land zwischen den Meeren dann das einzige Bundesland sein, das über ein EU-rechtskonformes und international wettbewerbsfähiges Glücksspielrecht verfügt.
(Andreas Schultheis)

Andreas Schultheis
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