Vier Forderungen der Wissenschaft zum künftigen Glücksspielstaatsvertrag / Land Baden-Württemberg sichert Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim
Der Entwurf des neuen Glücksspielstaatsvertrages in Deutschland liegt vor, eine gemeinsame Glücksspiel-Behörde der Länder ist in Aussicht. Das birgt die Chance, den Vollzug gegen illegale Anbieter im Internet zu verbessern. Damit die neue Behörde dabei kein zahnloser Tiger wird, fordern die Glücksspiel-Forscherinnen und -Forscher unter anderem, dass sie befugt sein muss, Rechtsverordnungen zu erlassen, um rasch reagieren zu können. Das geht aus einem aktuellen Positionspapier hervor, das die Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim in Stuttgart veröffentlicht hat. Anlass war das jährliche Glücksspiel-Symposium vom 4. bis 5. März 2020. Eine gute Nachricht gab es besonders für Baden-Württemberg: Das Land sichert dauerhaft den Fortbestand der Forschungsstelle Glücksspiel – ein Vorbild für andere Länder.
Es ist eine der vier Forderungen aus dem Positionspapier: die Stärkung der wissenschaftlichen Glücksspiel-Forschung. Zumindest in Baden-Württemberg findet sie jetzt Gehör. Das Land wird die Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim künftig dauerhaft sichern mit einer finanziellen Unterstützung von jährlich 100.000 Euro.
„Mit der zusätzlichen Ausstattung für die Forschungsstelle Glücksspiel sichert das Wissenschaftsministerium die bundesweit führende Position Baden-Württembergs bei der wissenschaftlichen Forschung im Bereich des Glückspielwesens“, sagt Ulrich Steinbach, Amtschef des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg. „Die Arbeit der Forschungsstelle kann damit dauerhaft ausgebaut werden. Damit geht Baden-Württemberg bundesweit mit gutem Beispiel voran.“
Auch die Staatliche Toto-Lotto GmbH Baden-Württemberg wird sich zunächst in den kommenden zwei Jahren in die Forschung einbringen. Sie engagiert sich ebenfalls mit jährlich 100.000 Euro. „Hohenheim soll bundesweiter Leuchtturm in der Glücksspiel-Forschung bleiben“, bringt Lotto-Geschäftsführer Georg Wacker die Motivation hinter dem finanziellen Engagement auf den Punkt. „Der Glücksspielmarkt wandelt sich rasant. Mit den zusätzlichen Mitteln kann die Forschungsstelle diese Entwicklung weiter eingehend beleuchten. Sie wird dabei so arbeiten, wie wir es kennen und schätzen gelernt haben: wissenschaftlich-unabhängig, fundiert, manchmal auch unbequem für Marktteilnehmer und Politik“, so Georg Wacker weiter. Den Lotto-Chef freut es besonders, dass mit der Unterstützung des Landesunternehmens eine Doktorandenstelle finanziert werden kann.
„Ich freue mich sehr, dass die Arbeit der Forschungsstelle damit auf festen Füßen steht und langfristig gesichert ist“, erklärt der Rektor der Universität Hohenheim, Prof. Dr. Stephan Dabbert. „Wir danken dem Land Baden-Württemberg für diese vorbildliche Förderung. Unser Dank geht auch an Lotto Baden-Württemberg für ihr großes Engagement.“ Die Universität Hohenheim selbst wird künftig ebenfalls einen finanziellen Anteil beitragen, um die Arbeit der Forschungsstelle zu sichern.
Glücksspielstaatsvertrag in Aussicht
Im Januar haben sich die Ländervertreter auf einen neuen Entwurf des Glücksspielstaatsvertrags geeinigt. „Mitte nächsten Jahres wird er wohl in Kraft treten. Demnach wird voraussichtlich eine ‚Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder‘ eingerichtet – wie wir sie seit 2015 fordern“, freut sich Prof. Dr. Tilman Becker, Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel. „Das eröffnet Möglichkeiten, effektiver gegen illegale Anbieter im Internet vorzugehen.“
Damit das aber wirklich funktioniert, bedürfe es noch einiger wesentlicher Verbesserungen, so der Experte. „Wir haben daher vier Forderungen zusammengestellt, die notwendig sind, um den Vollzug in der Praxis zu stärken.“
Forderung Nr. 1: Geplante Glücksspielbehörde muss befugt sein, Rechtsverordnungen zu erlassen
Die technische Welt ändert sich heutzutage rasch: „Es gibt immer neue Formen des Glücksspiels mit neuen technischen Entwicklungen“, gibt Prof. Dr. Becker zu bedenken. „Beispiele wären die Anwendung der Blockchain-Technologie und Methoden der Künstlichen Intelligenz, Gaming und Gambling fließen ineinander, und das internetgestützte Affiliate-Marketing breitet sich aus. Weitere Entwicklungen sind jetzt noch gar nicht vorhersehbar.“
Um dem gerecht zu werden, müsse die Glücksspielbehörde rasch reagieren können: „Dafür muss sie ermächtigt werden, selbst Rechtsverordnungen zu erlassen – ein besonderes flexibles Instrument der Rechtssetzung“, erläutert der Jurist Prof. a.D. Dr. Armin Dittmann von der Universität Hohenheim. „Mit dieser Ermächtigung beträte man in der Staatspraxis zwar Neuland, bewegte sich jedoch auf solidem verfassungsrechtlichem Boden.“
Forderung Nr. 2: Änderung des Rennwett- und Lotteriegesetzes, so dass illegale Internet-Angebote die gleiche Steuerlast haben wie legale
Legale Lotterieanbieter haben oft eine Steuer- und Abgabenlast von fast 47 Prozent: Sie zahlen fast 17 Prozent Lotteriesteuer, Anbieter wie zum Beispiel die Fernsehlotterie oder die Aktion Mensch müssen zusätzlich 30 Prozent für gemeinnützige Zwecke abgeben. Ähnliches gilt für Spielbanken: Umsatzsteuer und Spielbankabgabe belasten sie mit 52 Prozent.
Illegalen Online-Anbietern dagegen bleibt das erspart: Sie zahlen keine vergleichbaren Steuer oder nur die Umsatzsteuer auf den Bruttospielertrag. Um diesen Anreiz zu reduzieren, muss die steuerliche Ungleichbehandlung abgeschafft werden. „Dazu muss die Bundesregierung im Rennwett- und Lotteriegesetz einen Steuertatbestand für illegale Glücksspiele einführen“, so Prof. Dr. Becker. „Ziel ist es, dass die Steuer- und Abgabenlast für Online-Casinospiele und für andere illegale Glücksspiele wie schwarze Lotterien nicht geringer ausfällt als bei einem vergleichbaren legalen Angebot.“
Forderung Nr. 3: Änderung des Strafgesetzbuches, um auch strafrechtlich gegen illegale Online-Anbieter vorgehen zu können
Das Strafgesetzbuch stellt zwar das Angebot illegaler Glücksspiele unter Strafe, deckt jedoch nicht das Online-Angebot von ausländischen Glücksspielanbietern ab. „Der entsprechende Paragraph entstand zu einer Zeit, zu der das unerlaubte Anbieten von Glücksspielen über das Internet noch keine große Bedeutung hatte“, berichtet Prof. Dr. Tilman Becker.
„Ein Problem ist, dass das Strafgesetzbuch auf Deutschland beschränkt ist, aber das Internet natürlich nicht“, erläutert Prof. Dr. Tilman Becker. „Die Rechtslage ist kompliziert, doch es gibt mögliche Anknüpfungspunkte, etwa wenn ein Angebot in deutscher Sprache erfolgt oder die Internetseite auf .de endet. Eine Umformulierung im Strafgesetzbuch könnte daher hilfreich sein.“
Forderung Nr. 4: Stärkung der wissenschaftlichen Glücksspiel-Forschung
Bei dieser Forderung sind die Bundesländer gefragt: Sie sollen die wissenschaftliche Forschung zu Glücksspiel sicherstellen, um Suchtgefahren zu vermeiden und abzuwehren. „Doch nicht nur die Suchtprävention, sondern auch die Betrugs-, Manipulations- und Kriminalitätsprävention sind Ziele der Glücksspielregulierung“, betont Prof. Dr. Becker.
„Eine sinnvolle Regulierung sollte auf wissenschaftlicher Basis konzipiert werden und laufend wissenschaftlich evaluiert werden“, empfiehlt Prof. Dr. Becker. „Nur so kann man sicherstellen, dass die ergriffenen Maßnahmen auch wirklich geeignet sind, die angestrebten Ziele zu erreichen.“ Bisher hatte die Förderung der wissenschaftlichen Glücksspiel-Forschung in der Mehrzahl der Bundesländer wenig oder gar keine Bedeutung. „Andere Länder sollten sich das gute Beispiel Baden-Württembergs zu Herzen nehmen und nachziehen.“
Das vollständige Positionspapier der Forschungsstelle Glücksspiel finden Sie hier.
Quelle: Universität Hohenheim - Forschungsstelle Glücksspiel