von Rechtsanwalt Boris Hoeller
Die Bilanz ist eher erschreckend. Fragt man sich, wann es eigentlich einmal eine kohärente Regelung des bundesdeutschen Glücksspielwesen gab, drängt sich ein Verdacht auf: „Gar nicht“.
Und in der Tat. Legt man die Erkenntnisse zugrunde, die das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung „Sportwetten“ postuliert hat, erhärtet sich der Verdacht zur mit an Sicherheit grenzenden Gewißheit.
Die Regelungen für eine strafbarkeitsausschließende Erlaubnis für öffentliches Glücksspiel lassen sich in 6 Phasen einteilen.
1. Individual-landesgesetzliche Regelungen: Nachkriegsdeutschland – 2004
2. Lotteriestaatsvertrag: 2004 – 2006
3. Übergangszeit nach dem Sportwettenurteil des BVerfG: 2006 – 2008
4. Glücksspielstaatsvertrag 2008 – 2012
5. postglücksspielstaatsvertragliche Ländergesetze 2012 –
6. Erster Glücksspieländerungstaatsvertrag 2012 –
Rückblende:
- Bis zur Entschließung der Bundesländer zu einer staatsvertraglichen Regelung des öffentlichen Glücksspiels im Jahre 2002 gab es in den Bundesländern unterschiedliche Gesetze. Teils waren dies die als Landesrecht fortgeltende Verordnung über die Genehmigung öffentlicher Lotterien und Ausspielungen vom 6. März 1937 (RGBl I S. 283 ), teilweise wurden Landesgesetze erlassen. Allen Gesetzen war gleich, dass Gegenstand der Prüfung über die Genehmigung zur Veranstaltung von Glücksspiel eine sog. Bedürfnisprüfung war. Daran scheiterte regelmäßig der Versuch der privaten Initiative in den Genuss einer Erlaubnis für öffentliches Glücksspiel zu gelangen. Der angerufenen Gerichte stellten fest, dass die Feststellung eines hinreichenden öffentlichen Bedürfnisses nicht justiziabel sei, da den Behörden ein nicht gerichtlich überprüfbarer Beurteilungsspielraum zur Verfügung stehe. Als sich Ende des Jahrtausends eine Kehrtwende abzeichnete – eine Umweltlotterie hatte sich nach jahrelangen Rechtsstreitigkeiten gegen die behördlichen Verweigerungshaltungen verwaltungsgerichtlich durchsetzen können, sah man sich zum Handeln gezwungen. Das Kind der Initiative hieß: „Lotteriestaatsvertrag“.
- Dieses auf rechtliche Absicherung eines staatlichen Veranstaltermonopoles gerichtetes Länderabkommen hielt der verfassungsrechtlichen Überprüfung ebenso wenig stand, wie die Vorgängerregelungen. Leitsätzlich hielt das Bundesverfassungsgericht fest: „Ein staatliches Monopol für Sportwetten ist mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG nur vereinbar, wenn es konsequent am Ziel der Bekämpfung von Suchtgefahren ausgerichtet ist.“
Wer das Staatsmonopol anordne, der müsse inhaltliche Kriterien betreffend Art und Zuschnitt des Glücksspiels sowie Vorgaben zur Beschränkung seiner Vermarktung treffen. Die Werbung für das Glücksspielangebot habe sich zur Vermeidung eines Aufforderungscharakters bei Wahrung des Ziels, legale Wettmöglichkeiten anzubieten, auf eine Information und Aufklärung über die Möglichkeit zum Glücksspiel zu beschränken. Die Vertriebswege seien so auszuwählen und einzurichten, dass Möglichkeiten zur Realisierung des Spieler- und Jugendschutzes genutzt werden.
Geboten seien Maßnahmen zur Abwehr von Suchtgefahren, die über das bloße Bereithalten von Informationsmaterial hinausgingen. Schließlich habe der Gesetzgeber die Einhaltung dieser Anforderungen durch geeignete Kontrollinstanzen sicherzustellen, die eine ausreichende Distanz zu den fiskalischen Interessen des Staates aufwiesen. Der Lotteriestaatsvertrag war damit vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert, aber die Länder wollten das Monopol beibehalten und entwickelten den Glücksspielstaatsvertrag, der schließlich Anfang 2008 in Kraft trat.
- Am 8. September 2010 kam dann auch das finale „Aus“ für den Glücksspielstaatsvertrag. Der Europäische Gerichtshof monierte bereits konzeptionell, dass es nicht anginge, das von dem Suchtgefahrengrad gefährliche Spielautomatenspiel Gegenstand privater Unternehmungen sein zu lassen, aber bei graduell weniger gefährlichem Spiel ein Staatsmonopol anzuordnen. Zudem dürfe bei Anordnung und Aufrechterhaltung eines Monopolsystems aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses nicht feststellbar sein, dass aus der Monopolsphäre heraus darauf abgezielt wird, den Spieltrieb der Verbraucher zu fördern und sie zwecks Maximierung der aus den entsprechenden Tätigkeiten erwarteten Einnahmen zu aktiver Teilnahme am Spiel zu stimulieren.
- Seit dem 1.1.2012 besteht eine Übergangsphase, die von der Fortgeltung des unionsrechtswidrigen Glücksspielstaatsvertrages, einer liberalen Länderregelung in Schleswig-Holstein und der Inkraftsetzung des Ersten GlüÄndStV in 14 Bundesländern zum 1. Juli 2012 geprägt ist.
Für die Zeit bis zum 30.06.2012 bestätigt sich damit der ursprüngliche Verdacht. Die Anwendung der einschlägigen Strafnormen §§ 284 und 287 StGB wird für den Zeitraum durchweg abgelehnt.
Die Verwaltungsgerichte haben – jedenfalls – zuletzt durchweg gegen behördliche Untersagungsverfügungen entschieden.
Doch was bringt die Zukunft?
Die Ministerpräsidenten haben ihren Länderparlamenten erklären lassen, dass der Erste Glücksspieländerungsstaatsvertrag „die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs umsetzt und ein den Anforderungen des Unions- und Verfassungsrechtsrechts entsprechendes Glücksspielrecht schafft“ (vgl. etwa Landtag NRW Drucksache 16/17 S. 2).
Träfe diese Einschätzung zu, so hätte dies zur Konsequenz, dass die strafrechtlichen Verbote wieder Wirksamkeit entfalten könnten und behördliche Untersagungsverfügungen, die sich auf eine fehlende Binnenerlaubnis stützen, von Hause nicht für rechtswidrig erklärt werden könnten. Darauf lauern bereits viele Lottobosse, die in den vergangenen Jahren das Staatsmonopol gelobpreist haben, aber selbst der Sünde überführt worden sind. Für sie beginnt jetzt die Zukunft. Die Glücksspielaufsicht soll es richten. Diejenigen, die über eine behördliche Erlaubnis oder Konzession verfügten, hätten zwar – bis zu einem sofort vollziehbar erklärten Widerruf wegen vermeintlicher Unzuverlässigkeit – eine vorläufige Daseinsberechtigung, allen anderen könnten – zumeist ebenfalls sofort vollziehbar – lauterkeits- wie verwaltungsrechtlich mit Verbotsverfügungen überzogen werden und müssten strafrechtliche wie strafprozessuale Maßnahmen fürchten. In der Praxis heißt dies u.a. Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen, auch bei Finanzinstituten sowie möglicherweise Geschäftsraumversiegelungen.
Träfe die Einschätzung nicht zu, wäre dies eine vollständigen Brüskierung der Ministerpräsidenten und deren Beamtenstäbe. Denn die Kritik an dem neuem Regelungswerk war deutlich. Doch lassen Deutschlands Gerichte das zu? Wirksames Glücksspielstaatsversagen, statt wirksamer Glücksspielstaatsvertrag? „In dubio pro libertas“, ein solcher Rechtssatz dürfte im Glücksspielwesen kaum Gelteung erlangen können. „Jetzt im Zweifel gerade für den wirksamen Staatsvertrag“, dürfte die Devise der Gerichte nach der jüngeren Vergangenheit sein. Man sehnt sich – nach der Historie, nach Rechtsmäßigkeit im Glücksspielwesen.
Wer sich zur Verteidigung gezwungen sieht, sollte gut vorbereitet sein. Denn nach den bisherigen Erfahrungen werden festgestellte Verstöße gegen das Vertriebs- und Werberecht gerne als Ausreißer und Einzelfälle dargestellt und zur Darlegung eines strukturellen Vollzugsdefizits als unzureichend erachtet. Welche genauen Maßstäbe relevant sind, sagt einem keiner. Auch nicht die Gerichte, denn diese machen oftmals ihre Entscheidung an vermeintlichen Defiziten in der Darlegung fest. Oftmals zum Nachteil der Rechtssuchenden – und die Rechtsmittelgerichte halten gerne solche Entscheidungen. Das Glücksspielwesen kennt eben auch das ungeschriebene Gesetz, „der doch im Ergebnis richtigen Entscheidung“.
„Klotzen statt kleckern“ kann daher wohl nur das Motto sein, will man prozessual überleben. Zur Darlegung, dass die Werbemaßnahmen des Inhabers eines Glücksspielmonopols für von ihm angebotene Arten von Glücksspielen nicht auf das begrenzt bleiben, was erforderlich ist, um die Verbraucher zum Angebot des Monopolinhabers hinzu lenken und sie damit von anderen, nicht genehmigten Zugangskanälen zu Spielen wegzuführen, sondern darauf abzielen, den Spieltrieb der Verbraucher zu fördern und sie zwecks Maximierung der aus den entsprechenden Tätigkeiten erwarteten Einnahmen zu aktiver Teilnahme am Spiel zu stimulieren, bedarf es umfassender und genauer Beweisführung.
Zur Darlegung des strukturellen Vollzugsdefizits muss es demgemäß auch strukturelle Überlegungen geben. Der Verweis auf eine sicherlich unsachliche Werbung unter Ausnutzung des Aberglaubens ohne jegliche Aufklärungs- und Warnhinweisen, wie die Nachstehende
könnte zwar zur gerichtlichen Darlegung ein wichtiges Element sein, könnte aber auch als bloße Wiedergabe einer einmal geschalteten Werbung unzureichend sein (Übrigens, die Werbung stammt von der online Plattform einer Internetseite eines Mitglieds des DLTB im Juli 2012, der ein Dispens von dem Internetwerbeverbot nicht erteilt worden ist und daher potenziell Eignung hätte).
Wer die Gesetze der Höchstvorsorglichkeit beachten will, sollte davon ausgehen, dass bei den Gerichten nur das zählt, was aktenkundig und gut aufbereitet dargelegt wird.
Der Showdown wird kommen, darüber sollte sich jeder Akteur jenseits der staatlichen Veranstaltersphäre im Haifischbecken des Glücksspielwesens gewahr sein. Mag die Overtüre noch auf sich warten lassen, bis sich alle Staatlichen unter dem Dach des Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrages versammelt wähnen. Doch wer dann nicht über ein ausreichendes Datenportfolio verfügt, mit dem die Inkohärenzen des deutschen Glücksspielwesens unter dem Ersten glücksspielstaatsvertrag dargelegt werden können und zwar nicht nur aktuell, sondern auch zeitlich strukturell, der wird wohl eher den Schutz der Götter erflehen müssen.
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