Hessischer Verwaltungsgerichtshof bringt staatliches Wettmonopol erneut ins Wanken

Rechtsanwalt Dr. Wulf Hambach

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Sportlich gesehen dürfte es in den rechtlichen Auseinandersetzungen hinsichtlich ausländischer Buchmacher nunmehr unentschieden stehen. Nach einigen, kurz nach dem Gambelli-Urteil ergangenen negativen Entscheidungen gibt es eine aktuelle, umfassend begründete Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, der – wie bereits das LG München I und das AG Heidenheim – die Anwendung des § 284 StGB wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts ausdrücklich abgelehnt hat (Beschluss vom 9. Februar 2004, Az. 11 TG 3060/03). Der Hessische Verwaltungsgerichtshof analysiert sorgfältig das Gambelli-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sowie die vorherige Rechtsprechung des EuGH und führt dann aus:

„Auch die (…) Strafbestimmung gemäß § 284 StGB scheidet (…) derzeit als Rechtsgrundlage aus. (…) Jedenfalls kann nach derzeitigem Sachstand § 284 StGB mit Blick auf die dargestellte Rechtsprechung des EuGH zu den vergleichbaren Strafbestimmungen des italienischen Rechts auf die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten in Deutschland nicht angewendet werden. Eine Strafverfolgung des hier ansässigen Vermittlers wäre aus den dargelegten Gründen mit einem unzulässigen Eingriff in die gemeinschaftsrechtlich gewährleistete Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit des ausländischen Wettanbieters verbunden.“

Auf längere Sicht dürfte das staatliche Monopol daher aus europarechtlichen Gründen wohl nicht zu halten sei. Der „Wilde Westen“ wird allerdings nicht kommen. Vielmehr muss es nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs ein geordnetes Verfahren für die Vermittler „vor Ort“ geben. Insoweit gab das Gericht dem Vermittler auf, umgehend eine Genehmigung zu beantragen.

Spannend dürfte auch die bevorstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage sein, ob die Einschränkungen der Berufsfreiheit verfassungsrechtlich gerechtfertigt sind.

Hessischer Verwaltungsgerichtshof bringt staatliches Wettmonopol erneut ins Wanken – dargestellt und kommentiert von RA Wulf Hambach

Der aktuellen Entscheidung (Beschluss vom 9. Februar 2004, Az. 11 TG 3060/03) lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Antragsteller bzw. Beschwerdeführer betrieb in einer hessischen Stadt ein Geschäftslokal, in dem Wettkunden Sportwetten abschließen konnten. Die Wetten vermittelte der Antragsteller an einen englischen Buchmacher (Wetthalter) weiter.

Die zuständige Ordnungsbehörde untersagte dem Wettvermittler die Ausübung seiner Tätigkeit unter Berufung auf den § 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über staatliche Sportwetten, Zahlenlotterien und Zusatzlotterie in Hessen (SpW/LottG), wonach allein das Land Hessen zur Veranstaltung von Sportwetten befugt ist. In der Untersagungsverfügung vom 19. September 2003 ordnete die Behörde die sofortige Vollziehung der Maßnahme an. Vor dem Verwaltungsgericht Kassel beantragte der Vermittler von Sportwetten, sein Geschäft bis zur Klärung im Hauptsacheverfahren weiter betreiben zu dürfen, was das VG Kassel jedoch durch Beschluss vom 24. Oktober 2003 unter Berufung auf § 1 SpW/LottG ablehnte.

Gegen diese Entscheidung richtete sich die Beschwerde des Vermittlers von Sportwetten, über die der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes als Gericht der letzten Instanz zu entscheiden hatte.

Mit Beschluss 9. Februar 2004 hat der VGH entschieden, dass der Widerspruch des Antragsstellers eine aufschiebende Wirkung hat, weil eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spreche“, dass die Untersagungsverfügung einer Überprüfung im Hauptsacheverfahren nicht standhalte. Hierzu führt der Hessische VGH aus:

„Die (…) Untersagung der Veranstaltung von Sportwetten wird im Verfahren zur Hauptsache deshalb aufzuheben sein, weil die Regelung gem. § 1 SpW/LottG (…) auf die sich die Antragsgegnerin in der Untersagungsverfügung gestützt hat, nach derzeitiger Erkenntnislage mit vorrangigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts unvereinbar ist. Wegen dieses Widerspruchs zu höherrangigen europarechtlichen Bestimmungen wird § 1 (…) als Ermächtigungsgrundlage für die ergangene Untersagungsverfügung keine Anwendung finden können.“

Der VGH folgert aus der Nichtanwendbarkeit des § 1 SpW/LottG, dass die Untersagungsverfügung „einer tauglichen Rechtsgrundlage entbehrt und daher rechtwidrig ist“.

Die Rechtswidrigkeit des § 1 SpW/LottG sieht das Gericht darin begründet, dass dem englischen Wetthalter generell verboten wurde, einen Vertrag mit einem deutschen Wettvermittler (wie mit dem Antragsteller) abzuschließen sowie Werbematerial in Deutschland anzubieten. Dies stelle unter Berufung auf die letzten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes nicht nur einen Eingriff in die Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit dar. Vielmehr sei dieser Eingriff auch nicht gerechtfertigt:

„Die Einschränkungen könnten nur aufgrund des Vorbehalts der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit in Art. 46 Abs. 1 des EG-Vertrages oder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein. (EuGH, Urteile (…) Zenetti, (…) Schindler (…)).“

Der VGH beruft sich im Folgenden auf die entscheidenden Passagen der Gambelli-Entscheidung (Rn. 60, 62, 67) und legt sie dem Sinn und Zweck entsprechend aus:

„Der EuGH fordert, dass die Beschränkungen geeignet sein müssen, die die Verwirklichung dieser Ziele in dem Sinne zu gewährleisten, dass sie kohärent und systematisch zur Begrenzung der Wetttätigkeiten beitragen. Überdies müssen sie tatsächlich dem Ziel dienen, die Gelegenheit zum Spiel zu vermindern. Die Finanzierung sozialer Aktivitäten durch Einnahmen aus monopolisierten staatlichen Veranstaltungen (…) darf nur eine erfreuliche Nebenfolge, nicht aber der eigentliche Grund der betriebenen restriktiven Politik sein.

(…) für den Senat (…) bestehen durchgreifende Zweifel daran, dass das dem Land für die Veranstaltung von Sportwetten gesetzlich eingeräumte Monopol und die daraus folgende Begrenzung der Vermittlung von Sportwetten auf staatlich zugelassene Annahmestellen seiner eigentlichen Zielsetzung nach tatsächlich darauf ausgerichtet ist, mögliche Wettinteressenten vor der finanziellen Ausnutzung durch die Veranstalter und die Gefahren durch übermäßige Teilnahme an Sportwetten zu bewahren, und die durch die Sportwetten erzielten Einnahmen folglich nur als erwünschte Nebenfolge der gesetzlichen Einschränkungen zu betrachten sind.“

Das Gericht macht deutlich, dass nicht das generelle Verbot der Zulassung privater Wettveranstalter eine der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit entsprechende Maßnahme sei, sondern es wäre diesen Grundsätzen „bereits durch einen an die Verpflichtung zur Gewinnausschüttung gekoppelten Genehmigungsvorbehalt für die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten hinreichend entsprochen.“

Der VGH sieht einen Verstoß dieser Marktabschottungsstrategie der Länder (z.B. durch das Erlassen einer Vorschrift wie die des § 1 SpW/LottG) gegen das Gemeinschaftsrecht als gegeben an, weil staatliche Lotteriegesellschaften „im gesamten Bundesgebiet (…) in Sportstätten und Medien eine breit angelegte Werbung zur Teilnahme an Oddset-Sportwetten (…) betreiben, um mit den Einnahmen kostenintensive öffentliche Vorhaben und Veranstaltungen; u.a. die Fußballweltmeisterschaft 2006, zu finanzieren oder zu unterstützen und Haushaltsdefizite auszugleichen“.

Schließlich nimmt das VGH noch zur Stafrechtsnorm des § 284 StGB (unerlaubtes Glückspiel) Stellung, mit der die Ordnungsbehörde den Erlass ihrer Ordnungsverfügung begründete:

„(…) § 284 StGB (kann) mit Blick auf die dargestellte Rechtssprechung des EuGH (…) auf die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten in Deutschland nicht angewendet werden. Eine Strafverfolgung des hier ansässigen Vermittlers wäre (…) mit einem unzulässigen Eingriff in die gemeinschaftsrechtlich gewährleistete Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit des ausländischen Wettanbieters verbunden.“

Kommentar von RA Wulf Hambach:

Zwar gab es letzter Zeit aus Sicht der (ausländischen) Buchmacher eine eher negative Entwicklung auf dem deutschen Glücksspielmarkt, die sich in den zumeist negativen Gerichtsentscheidungen sowie im harten Durchgreifen von Seiten der Ordnungsbehörden und Polizei gegen Buchmacher ohne deutsche Lizenz widerspiegelte.

Der 11. Senat des VGH Hessen hat sich mit dieser Entscheidung dem Negativ-Trend widersetzt.

Ähnlich wie die im letzten Newsletter dargestellte Entscheidung des VG Stuttgart ist auch die Entscheidung des Hessischen VGH (auf 9 Seiten) ausführlich begründet und folgt dem Rechtsgrundsatz, dass bei schwerwiegenden Eingriffen in die Rechte des (EU-)Bürgers eine ausführliche Stellungnahme zu diesen Eingriffen erfolgen muss, indem es alle rechtlichen Probleme eingehend erörtert.

Die Argumentationslinie, die das Gericht hier verfolgt, berücksichtigt die europarechtlichen Vorgaben durch den Europäischen Gerichtshof (vgl. dazu auch Fragen und Antworten zum Gambelli-Urteil in den Newslettern Nr. 4 und Nr. 6). Die deutschen Gerichte sind an den Prüfungsmaßstand und die Prüfungskriterien des Europäischen Gerichtshofs gebunden. Dabei sind nicht nur die für das betreffende einschränkende Gesetz genannten Ziele zu berücksichtigen (so die nach unserer Auffassung fehlerhafte Ansicht des Bayerischen Obersten Landesgerichts), sondern die tatsächliche konkrete Umsetzung (hier die vom VGH angeführte breit angelegte Werbung für das staatliche Sportwettenangebot).

Diese Entscheidung sollte (ausländische) Wettunternehmer ermutigen, sich durch eine Rechtsanwaltskanzlei dahingehend beraten zu lassen, ob im konkreten Fall eine Genehmigung für das Veranstalten bzw. Vermitteln von Sportwetten bei der zuständigen Ordnungsbehörde beantragt werden sollte. Der Hessische VGH fällte nämlich diese wettunternehmerfreundliche Entscheidung unter der Auflage, dass der betreffende Sportwettenvermittler umgehend bei dem Land Hessen einen Antrag auf Zulassung der Vermittlung von Sportwetten zu stellen habe. Dem Land Hessen gab das Gericht auf, „unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu entscheiden und die Vermittlungstätigkeit bis zur Entscheidung über den Antrag zu dulden.“

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur staatlichen Beschränkung des Glücksspielmarktes noch in diesem Jahr erwartet

In unserem Newsletter Nr. 3 berichteten wir, dass bereits seit 1999 bei dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mehrere Verfassungsbeschwerden in Sachen Sportwetten anhängig sind. Gerügt wird von den Beschwerdeführern vor allem die Einschränkung der Berufsfreiheit (Art. 12 Grundgesetz).

Kürzlich erhielten wir vom BVerfG die Mitteilung, dass eine Entscheidung über diese Beschwerden noch im laufenden Jahr erwartet werde.

Man darf gespannt sein, auf welche Seite sich das BVerfG – gerade auch angesichts der Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs – schlagen wird. Fest steht nur eines: Der Ausgang dieser Verfahren ist völlig offen.

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