Deutsches Glücksspiel vor dem EuGH: Das Plädoyer Carmen für die Dienstleistungsfreiheit im Internet

Von Univ.-Prof. Dr. jur. Koenig LL.M., Universität Bonn und Rechtsanwalt Dr. Michael Hettich, Hambach & Hambach Rechtsanwälte

In der Pressemitteilung „Verwaltungsgericht Schleswig sieht – wie die EU-Kommission – EU-Recht verletzt und legt europarechtliche Fragen zum neuen Sportwettenmonopol dem EuGH vor“ informierte die Kanzlei Hambach & Hambach erstmalig die Öffentlichkeit über die von ihr betreute EuGH-Rechtssache Carmen Media (C-46/08) http://www.timelaw.de/cms/front_content.php?idcat=12&idart=468〈=1.

Nur knapp zwei Jahre danach wurde La Grande Salle des Europäischen Gerichtshofes am 8. Dezember 2009 zum Zentrum des Glücksspiel(-europarecht)s: In insgesamt sieben deutschen Vorabentscheidungsverfahren plädierten 27 Prozessvertreter vor der Großen Kammer des Gerichtshofes.

Nach der großen Enttäuschung über die geringe Aussagekraft des lang erwarteten Urteils in der Rechtssache C-42/07 (Liga Portuguesa), war es das Anliegen aller Beteiligten, dem Gerichtshof in den deutschen Vorabentscheidungsverfahren eine Leitentscheidung abzuringen, die zur (Europa-) Rechtsfortbildung und (Europa-) Rechtsklarheit beiträgt. Aufgrund der sehr präzisen Fragen der vorlegenden Gerichte stehen die Chancen hierfür so gut wie schon lange nicht mehr.

Die durch den Gerichtshof bereits im Vorfeld der mündlichen Verhandlung an die Beteiligten gerichteten Fragestellungen ließen klar erkennen, dass die rechtliche und tatsächliche Ausgestaltung der Glücksspielregulierung in Deutschland im Fokus des Gerichtshofes steht. Somit war es Ziel der Vertreter der privaten Glücksspielunternehmer möglichst anschaulich darzustellen, dass die Vorgaben des deutschen Glücksspielrechts bereits von vornherein ungeeignet sind, um das angestrebte Gemeinwohlziel der Spielsuchtbekämpfung zu erreichen.

Einen direkten Einblick in die mündliche Verhandlung gibt der folgende Abdruck der Vortragsmanuskripte der Prozessvertreter für die Carmen Media Ltd. im Verfahren C-46/08. Diesem Verfahren kam am 8. Dezember 2009 insofern eine Sonderrolle zu, als dass es als einziges Verfahren reine Internetglücksspielveranstaltungen zum Gegenstand hatte und erst nach Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrages zur Vorabentscheidung vorgelegt wurde:

Univ.-Prof. Dr. jur. Christian Koenig LL.M.

Herr Präsident, hoher Gerichtshof, Herr Generalanwalt!

Die in der 2. Vorlagefrage thematisierten Inkohärenzen der unverhältnismäßigen deutschen Regulierung wird die Klägerin nun zum einen mit Blick auf eine fehlende empirische Beschränkungsgrundlage darlegen. Zum anderen legt die Klägerin dar, dass die zersplitterten Organisationsstrukturen in der deutschen Glücksspielregulierung zum Systemversagen des Staatsmonopols führen.

Der nach dem deutschen Glücksspielstaatsvertrag von den Ländern eingesetzte Fachbeirat Spielsucht hat in seinem Jahresbericht 2008 selbst betont, dass keine integrale gattungsübergreifend belastbare Studie zur Spielsucht in Deutschland existiert. Sie finden dieses Eingeständnis des staatlich eingesetzten Fachbeirates Spielsucht im Internet unter www.fachbeirat-gluecksspielsucht.hessen.de. Ich zitiere nun wörtlich die Kernaussagen des Fachbeirates Spielsucht:

„Für Deutschland fehlt – im Gegensatz zu vielen europäischen Nachbarländern – eine aussagefähige repräsentative epidemiologische Studie zur Verbreitung des problematischen und pathologischen Glücksspielens.“

Der Fachbeirat Spielsucht hat mit seinem ergänzenden Beschluss vom 14. November 2008 nochmals und bisher vergebens die dringende Durchführung einer epidemiologischen Studie zur Glücksspielsucht in Deutschland angemahnt, wiederum abrufbar unter www.fachbeirat-gluecksspielsucht.hessen.de. Ich zitiere daraus:

„Der Fachbeirat nimmt zur Kenntnis, dass derzeit keine ausreichenden finanziellen Mittel zur Umsetzung der Empfehlung des Fachbeirats vom 26. Mai 2008 zur Verfügung stehen. (…)“

Die von dem Fachbeirat Spielsucht geforderte Studie ist mangels finanzieller Zuwendungen seitens der Länder nicht in Auftrag gegeben worden. Trotz der staatlichen Glücksspieleinnahmen von 5 Mrd. € pro Jahr haben die Länder keine ausreichenden Mittel bereitgestellt.

Damit haben es die deutschen Bundesländer bereits vorgelagert versäumt, die Gefahrenzusammenhänge empirisch nachzuweisen. Erst auf einer solchen empirischen Grundlage kann der Mitgliedstaat nachgelagert das Schutzniveau kohärent festlegen. Der empirische Defekt der in Bezug auf Sportwetten lediglich pauschal behaupteten, aber nicht ermittelten Gefahrenzusammenhänge, korreliert zudem mit erheblichen Kohärenzbrüchen in den Verbotsregelungen des Glücksspielstaatsvertrages: Der Glücksspielstaatsvertrag verbietet die Veranstaltung und Vermittlung von Lotterien und Sportwetten im Internet. So werden Anbieter aus anderen Mitgliedstaaten von einem Angebot in Deutschland ausgeschlossen. Dagegen ist eine Erlaubnisgewährung für gewerbliche Anbieter und ein Online-Angebot für gefährlichere Glücksspiele, wie Pferdewetten und Automatenglücksspiele, möglich. Die liberale Regulierung der Automatenglücksspiele steht im krassen Widerspruch zu dem Beschluss des Fachbeirates Spielsucht vom 12. März 2008 zur Verminderung der von Geldspielgeräten ausgehenden Gefahren. Ich zitiere wieder hieraus:

„Der Fachbeirat empfiehlt den Ländern, über den Bundesrat eine Gesetzesinitiative für eine Änderung der Gewerbeordnung zu ergreifen. Geldspielgeräte weisen unter allen Glücksspielarten die höchste Suchtgefahr auf. Der Anteil von pathologischen Spielern gemessen an den Geldeinsätzen beträgt bei Geldspielgeräten bis zu 40 Prozent.“

Der Gesetzgeber hat indes dem Beschluss des Fachbeirates Spielsucht zur Verminderung der von Geldspielgeräten ausgehenden Gefahren nicht entsprochen. Damit bleibt das regulatorische Schutzniveau im gesamten deutschen Glücksspielsektor durch eklatante Inkohärenzen geprägt.

Das Land Schleswig-Holstein hat die Konsequenz aus der Unhaltbarkeit des Staatsvertrages schon gezogen. Die neue Landesregierung wird den Staatsvertrag laut ihrem Koalitionsvertrag kündigen.

Warum die deutschen Bundesländer die Empfehlungen des Fachbeirates Spielsucht ignorieren wird verständlich, wenn man die Organisationsstrukturen des staatlichen Glücksspielmonopols betrachtet. Ein Punkt um deren Auskunft der Gerichtshof in seinen Verfahrenshinweisen besonders gebeten hat:

Die Lottogesellschaften sind in allen Bundesländern außer Berlin und Bayern in der Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung organisiert.

Die „maßgebliche mittelbare Beteiligung“ nach § 10 Absatz 2 des Staatsvertrages muss kohärent im Sinne eines effektiven Kontrolleinflusses des Staates zur epidemiologisch wirksamen und systematischen Spielsuchtbekämpfung gestaltet sein. Die Zersplitterung der Organisationsformen des deutschen Glücksspielmonopols vereitelt jedoch eine kohärente Spielsuchtbekämpfung.

In Schleswig-Holstein werden die Anteile an der NordwestLotto Schleswig-Holstein GmbH & Co. KG zu 100% von der landeseigenen Investitionsbank Schleswig-Holstein gehalten. Die Geschäftsführung obliegt einer rein privatrechtlichen Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Anteile wiederum zu 100% von der Investitionsbank Schleswig-Holstein gehalten werden. Investitions- und Landesbanken dürfen ausschließlich die Vermögensverwaltungsinteressen ihrer Träger und Kunden wahrnehmen. Nach § 2 der Satzung der Investitionsbank ist – ich zitiere – „(…) eine allgemeine Geschäftsbank. Unternehmensgegenstand der Gesellschaft sind Bank-und Finanzgeschäfte aller Art“. Kontrollaufgaben in der Glücksspielsuchtbekämpfung nimmt die geschäftsführende Investitionsbank satzungsgemäß nicht wahr.

In anderen Bundesländern wird die Voraussetzung „maßgeblicher mittelbarer Beteiligung“ nach dem Staatsvertrag noch großzügiger ausgelegt: Hier halten auch Sportbünde Anteile, in Rheinland-Pfalz bis letztes Jahr sogar 100%, jetzt noch 49%.

An der Lotto Rheinland-Pfalz GmbH ist jetzt zu 51% das Land und der Landessportbund Rheinland-Pfalz und Rheinhessen zu 49% beteiligt. Das ist deshalb pikant, weil die Sportbünde, denen die Einnahmen teilweise direkt oder über Stiftungen zukommen, objektiv kein Interesse an der Suchtbekämpfung haben können. Die Belege hierzu sind im Internet abrufbar unter www.gluecksspielstaatsvertrag.de und hier nachfolgend von dieser Homepage wörtlich zitiert:

„Das Monopol beim Glücksspielangebot ist gesichert und damit die Existenz des Landessportbundes. Der Staat gewährleistet auf diese Weise die Grundlage für 7.800 Vereine und 53 Verbände in Hessen, sie bilden das Gerüst des gesamten Sports. Aus der Sicht der Landesregierung besteht aktuell und absehbar keine Alternative zur bestehenden Finanzierung. Weder der Landeshaushalt und noch weniger andere öffentliche Haushalte können die knapp 20 Mio. € zusätzlich im Jahr aufbringen.“

Warum die deutschen Bundesländer die Empfehlungen des Fachbeirates Spielsucht ignorieren, wird durch diese, die wahren Regulierungsziele enthüllenden Zitate der durch Monopolrenten mitfinanzierten Landessportverbände nachvollziehbar. Da ist kein Platz für eine epidemiologisch wirksame Glücksspielsuchtbekämpfung!

Das höchst inkohärente System der Glücksspielregulierung in Deutschland wirkt noch chaotischer, wenn man die Organisationsstrukturen der Spielcasinos betrachtet. Die Casinos sind in vier von 16 Bundesländern in privater Hand.

Die faktische und rechtliche Organisationszersplitterung aufgrund der so genannten „mittelbaren Beteiligung“ nach dem Glücksspielstaatsvertrag führt zum Systemversagen des Staatsmonopols. Zwar gibt es Glücksspielaufsichtsbehörden. Diese sind jedoch bislang nicht tätig geworden und hätten auch eine nur sehr eingeschränkte Einwirkungsmöglichkeit, insbesondere, wenn die Geschäftsführung wie in Schleswig-Holstein faktisch bei der Landesinvestitionsbank liegt. Auch die willkürliche Beteiligung Privater und besonders der durch Monopoleinnahmen mitfinanzierten Landessportbünde schwächt erheblich den Kontrolleinfluss des Staates. Eine kohärente und systematische Spielsuchtbekämpfung kann es unter den in Deutschland vorherrschenden Bedingungen nicht geben. Die deutsche Organisationszersplitterung des staatlichen Glücksspielmonopols unterscheidet sich fundamental von der einheitlichen und systematischen Organisation von Santa Casa im Falle Liga Portuguesa.

Mein Kollege, Herr Rechtsanwalt Hettich wird nun zur besonderen Unverhältnismäßigkeit des Internetverbotes vortragen.

Dr. jur. Michael Hettich

Herr Präsident, hoher Gerichtshof, Herr Generalanwalt!

Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut gemacht. Wenn der deutsche Staat das Internetglücksspiel partiell verbietet, fragt man sich, ob er es nur gut mit sich selbst meint. In jedem Fall macht er es falsch.

2006 wurde Carmen Media die Erlaubnis versagt, deutschen Bürgern Internetsportwetten anzubieten. Ich werde in meinem Vortrag erstens zeigen, dass diese Versagung europarechtswidrig ist und die Begründung der Versagung nicht stimmt. Ein Internetveranstaltungsverbot für Sportwetten und Lotterien soll zwar die Spielsucht bekämpfen. In der Wirklichkeit wird der Spieler aber gerade auf gefährlichere Internetangebote gelenkt. Zweitens werde ich zeigen, wie man Spielsucht durch Regulierung gerade ohne Totalverbote viel effektiver bekämpfen kann.

Zu erstens: Meiner Mandantin die Erlaubnis zu versagen, deutschen Bürgern Internetsportwetten anzubieten, ist europarechtswidrig.

Wieso verwehrt man meiner Mandantin, Internetsportwetten in Deutschland anzubieten, wenn gleichzeitig das Staatsunternehmen Westlotto in Luxemburg über die Webseite www.loterie.lu anbietet? Damit nimmt Westlotto in Kauf, auch an Spielsüchtige anzubieten. Die Verhinderung und Bekämpfung der Glücksspielsucht im Internetbereich wird so zur Farce.

Kann der deutsche Staat durch ein nationales Internetverbot die Spielsucht verhindern? Nein!

Denn im Internet ist die Staatsgrenze mit nur einem Mausklick überwunden.

Auch die Webseite von Carmen Media ist weltweit abrufbar. Die Welt schließt hier Gibraltar mit ein, um Missverständnissen vorzubeugen, dass Spielangebote in Gibraltar verboten seien. Die früheren steuerrechtlichen Offshore-Regelungen bestehen nicht mehr. In Gibraltar ist es damit für Carmen Media seit Ende 2006 ohne Einschränkungen erlaubt, Internetglücksspiele anzubieten.

Ob Gibraltar oder Luxemburg, als deutscher Spieler kann ich über die weltweit verfügbaren Internetangebote ein nationales Verbot ganz einfach umgehen. Und das kann ich auch durch eine Teilnahme an dem Angebot www.loterie.lu.

Westlotto umgeht mit dem Angebot auf www.loterie.lu das Internetverbot. Besonders zynisch ist, dass Westlotto letztes Jahr meine Mandantin Carmen Media wegen einem angeblichen Wettbewerbsrechtsverstoß in Bezug auf ihr Internetangebot verklagt hat. Der Gerichtshof sollte bei der Urteilsfindung und Abfassung der Urteilsgründe die Bedeutung seiner Entscheidung für solche rechtsmissbräuchlichen Verfahren wie gegen meine Mandantin im Blick behalten.

Außer Westlotto verstoßen auch andere staatliche Glücksspielunternehmen sehenden Auges aus fiskalischen Gründen gegen das Internetverbot und verklagen gleichzeitig ihre privaten Wettbewerber.

Dazu drei Verstöße wie man z. B. bei www.lotto.de rechtswidrig Spieler anwirbt:

  • Erstens wird auf der Webseite laufend die Höhe des aktuellen Jackpots eingeblendet.
  • Zweitens wird die Ziehung der Lottozahlen live im Internet übertragen.
  • Drittens wird eine Statistik der am häufigsten gezogenen Zahlen veröffentlicht. Das ist besonders suchtfördernd, da die Statistik den Eindruck vermittelt, der Spieler hätte die Möglichkeit zu gewinnen, wenn er nur die am häufigsten gezogenen Zahlen tippt.

Ähnliche Verstöße gegen das Internetverbot finden Sie auf der Webseite www.skl.de. Dort können Sie sogar Lotterielose bestellen. Eine klare Umgehung des Internetverbots für Lotterien.

All diese Verstöße unterbindet die staatliche Glücksspielaufsicht nicht. Das Recht der Glücksspielaufsicht ist, wie mein Vorredner und Kollege Koenig dargelegt hat, in Deutschland unsystematisch und inkohärent kodifiziert, so dass eine wirksame staatliche Glücksspielaufsicht gegen die angeführten Rechtsverstöße geradezu versagen muss.

Nun hat der Vertreter des Landes Baden-Württemberg in seinem Vortrag soeben eingewendet, dass das Internetverbot zur Kriminalitätsbekämpfung nötig sei und stützt sich dabei auf das Urteil Liga Portuguesa.

Die Erläuterungen zum Glücksspielstaatsvertrag zeigen jedoch, dass der deutsche Staat mit dem Internetverbot für Lotterien und Sportwetten weder die Kriminalitätsbekämpfung noch den Jugendschutz verfolgen wollte.

Ich zitiere: „Das Glücksspiel im Internet soll verboten werden, weil es (…) in besonderem Maße suchtgefährdend ist (…).“ Es geht nicht um Kriminalitätsbekämpfung.

Hier unterscheidet sich unser Fall wiederum erheblich von der Rechtssache Liga Portuguesa:

Alleiniger Maßstab für die Geeignetheit und Erforderlichkeit des Internetverbotes für Lotterien und Sportwetten ist in Deutschland eine kohärente und systematische Spielsuchtbekämpfung. Demgegenüber erfolgte die Beschränkung in Portugal auf den einen Anbieter Santa Casa ausschließlich zur Kriminalitätsbekämpfung.

Und wie wollen Sie Spielsucht bekämpfen, wenn Deutschland trotz Glücksspieleinnahmen von 5 Mrd. € pro Jahr keine finanziellen Mittel bereitstellt, um ausreichende Studien erstellen zu lassen?

Und selbst wenn der Staat solche Studien durchführen würde, wird man feststellen, dass durch das Internetverbot die Spielsucht nicht zurückgegangen ist.

Warum?

Die Deutschen setzten z. B. 2008, während ein Internetverbot für Sportwetten bestand, 1,6 Mrd. € für Internetsportwettangebote von Anbietern aus dem Ausland ein.

Die Deutschen können momentan auf ca. 3000 Internetseiten ihre Sportwetten platzieren.

Insgesamt wurden für 2008 Umsätze von 5,6 Mrd. € im Bereich der nach dem Glücksspielstaatsvertrag verbotenen Glücksspiele erzielt. Das ist genau soviel wie der Staat mit den durch ihn eingesetzten Glücksspielunternehmen erzielt hat.

Auf Nachfrage des Gerichtshofes möchte die Klägerin auf das Systemversagen des partiellen Internetverbotes gesondert hinweisen:

Nach den Erkenntnissen der Experten und Forscher weichen die suchtgefährdeten Spieler bei Verboten auf die nur mit einem Mausklick entfernten Angebote aus dem Ausland aus. Das hat sogar soeben Prof. Dietlein als Vertreter des Staatsmonopols in seinem Vortrag bestätigt. Oder sie setzen auf Pferderennen und Geldspielautomaten, die alle in inkohärenter Weise auch in Deutschland im Internet nicht verboten werden.

Wir möchten an dieser Stelle zur Vertiefung auf die detaillierten Ausführungen von Carmen Media in ihrer schriftlichen Stellungnahme sowie auf den Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichts Schleswig-Holstein verweisen.

Dass die Spieler so leicht auf andere Angebote ausweichen können, liegt auch bereits an den technischen Gegebenheiten des Internets.

Seit der Einführung des partiellen Internetverbotes für Lotterien und Sportwetten am 1. Januar 2008 ist keine einzige Webseite eines ausländischen Lotterie- oder Sportwettenanbieters vom Staat abgeschaltet oder gesperrt worden. Das staatliche Aufsichtsversagen gegenüber dem Medium Internet liegt in dessen technischem Aufbau begründet. Die spezifisch dezentrale Architektur des Computernetzwerkes Internet eröffnet über die Servertechnik unzählige digitale Umgehungswege gegenüber staatlichen Sperrverfügungen. Milliarden von elektronischen Knotenpunkten ermöglichen anders als die klassische Telekommunikationsleitung unzählige Datenübertragungswege. Eine staatliche Sperrverfügung muss sich in dieser Unendlichkeit der Übertragungswege zwangsläufig verlieren.

Soviel zu Punkt eins. Ich komme zum zweiten Punkt: Wie kann man Spielsucht im Internet verhindern und bekämpfen?

Dass eine zentrale staatliche Aufsichtsbehörde das Spielen im Internet erlauben und gleichzeitig kontrollieren kann, zeigt u. a. der wichtigste Technische Überwachungsverein, der TÜV Rheinland, in einer Studie, zu finden unter: www.tuv.com/de im Ordner „Systeme“, Unterordner „Zertifizierung/Gutachten zur IT Sicherheit“.

Und wie funktioniert diese Kontrolle technisch?

Jeder Mausklick hinterlässt seine Spuren und ist vom Anbieter nachvollziehbar. Jeder Spieler kann durch ein Programm direkt mit dem Server des Spielanbieters verbunden werden. Alle Aktionen des Spieles können deshalb entsprechend ausgewertet und – wie in Italien oder England – den Aufsichtsbehörden in Echtzeit übermittelt werden. Das ist ähnlich wie beim Internetbanking: wenn das Limit überschritten ist, hat man keinen Zugriff auf sein Konto.

Und so kann der Staat bei Erreichen von Limits mit Spielersperren, Einsatzbegrenzungen und ähnlichen Maßnahmen den Spielsuchtgefährdeten schützen oder schützen lassen.

Die weiteren zur Beurteilung wichtigen technischen Details werden wir auf Nachfrage des Gerichtshofes vortragen.

Wir fassen zusammen:

Wer die Spielsucht effektiv bekämpfen will, darf das Internetspiel nicht verbieten, sondern muss es auf der Basis einer kohärenten und systematischen Regulierung erlauben und zwar in Kombination mit technisch geeigneten Auflagen. Das wäre gut gemacht.

Schließlich bestätigt dies auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestages in seiner Stellungnahme vom 27. Februar 2009 durch Herrn Dr. Martin Limpert. Der wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestages empfiehlt eine Abschaffung des Glücksspielstaatsvertrages und eine einheitliche Regelung auf Bundesebene.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Der Kampf um das deutsche Glücksspielmonopol geht vor dem EuGH bald in die nächste Runde: Die Schlussanträge des Generalanwalts Paolo Mengozzi werden bereits am 3. März 2010 ergehen.

Quelle: TIME LAW NEWS 1/2010 (www.timelaw.de) Hambach & Hambach Rechtsanwälte