Ein Beitrag von Rechtsanwalt Rolf Karpenstein/Hamburg
OLG Hamm, Beschluss vom 16. April 2024, I-14 W 9/24
Das OLG Hamm bestätigt, dass nur die Rechtsprechung des EuGH, nicht aber vergangene oder zukünftige (Fehl-)Entscheidungen des BGH die Instanzgerichte binden und hat deshalb eine Aussetzungsentscheidung aufgehoben. Das Landgericht hatte die Spielerklage in Erwartung der BGH-Entscheidung zu I ZR 53/23 ausgesetzt. Die Beklagte hatte aber lediglich beantragt, das Verfahren in Erwartung der EuGH-Entscheidung zu C-440/23 auszusetzen, weil die mit Spielerklagen befassten Gerichte (nur) an Urteile des EuGH, nicht aber an (Fehl-)Entscheidungen des BGH gebunden sind.
Das ist ein schwerer Schlag für die Spieler, die sich nicht an die Verkehrssitte halten, dass Spielschulden Ehrenschulden sind. Die Hoffnung zur Durchsetzung ihrer treuwidrigen und rechtsmissbräuchlichen Spielerklagen beruht bekanntlich nicht auf dem EuGH, sondern auf den Fehlentscheidungen des Ersten Senats beim BGH.
Zwar hatte der Erste Senat beim Bundesgerichtshof in dem unionsrechtlich geprägten Bereich der Sportwetten und des Glücksspiels früher durchaus lichte Momente. So bestätigte er 2008 z.B., dass aus der vom Bundesverfassungsgericht in 1 BvR 1054/01 festgestellten Verfassungswidrigkeit selbstredend die Unionsrechtswidrigkeit des (aus § 284 StGB hergeleiteten) Erlaubnisvorbehaltes folgt (BGH I ZR 13/06). Das war richtig, politisch aber unkorrekt.
Politisch unkorrekte, aber richtige Entscheidungen gibt es seitdem beim Ersten Senat im Bereich des Glücksspiels oder der Sportwette nicht mehr. Alle Entscheidungen in Streitigkeiten zwischen staatlichen Lotterieunternehmen und ihren privaten Wettbewerbern waren seit 2010 falsch und vielfach von Willkür geprägt. Die Willkür ging so weit, dass er die Veranstaltererlaubnisse der DDR dem Verwaltungsakt eines Bundeslandes gleichstellte, um das politisch gewollte Ergebnis zu erreichen (BGH, I ZR 30/10, Rn. 30 ff.). Dabei war die DDR bei Erteilung der DDR-Erlaubnisse nicht in Bundesländer unterteilt.
Auch die Vorlage des Ersten Senats in der Sache Digibet (BGH I ZR 171/10) war tendenziös zugunsten der Bundesländer und ihrer illegitimen fiskalischen Absichten. Dem schob der Gerichtshof in C-156/13 zwar einen Riegel vor; der BGH müsse zuerst die Erforderlichkeit und Geeignetheit der deutschen Beschränkungen prüfen. Die Vorlage nach Luxemburg legte aber die Schlussfolgerung nahe, dass es dem Ersten Senat nicht um die richtige Auslegung des Unionsrechts, sondern um das Ergebnis zum Nachteil des freien Dienstleistungsverkehrs geht. In zwei Beschlüssen vom Januar 2023 erfand der Erste Senat beim BGH dann die abwegige These, die Dienstleistungsfreiheit verlange, dass sich der von einer deutschen Konzession ausgeschlossene Dienstleister um eine zusätzliche deutsche Lizenz „bemüht“. Zwar gab er diese These nach entsprechendem Protest auf. In zwei Beschlüssen vom 8. November 2023 erfand der BGH aber die noch abwegigere These, das bloße Fehlen einer zusätzlichen deutschen Lizenz genüge für die Negation des freien Dienstleistungsverkehrs (I ZR 79/22, Rn. 7ff.). Der Erste Senat hebelt so den Anwendungsvorrang aus. Er sieht es nicht als seine Aufgabe, die Vereinbarkeit des deutschen Erlaubnisvorbehaltes mit dem höherrangigen Unionsrecht zu prüfen (Zitat).
„Sinn und Zweck des Erlaubnisvorbehaltes liefen leer, wenn in einem zivil-(oder straf-)rechtlichen Verfahren, in dem es um die Durchsetzung der Rechtsfolgen formal illegalen Verhaltens geht, nicht allein das Vorliegen einer Erlaubnis, sondern die materiell-rechtlichen Erlaubnisvoraussetzungen und deren Unionsrechtskonformität zu prüfen wären. … Wären von den Zivil- oder Strafgerichten die einschlägigen Erlaubnisvoraussetzungen auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht zu prüfen, käme es zudem zu einer Verschiebung der gesetzlichen Prüfungs- und Entscheidungszuständigkeiten von den (spezialisierten) Verwaltungsbehörden und -Gerichten auf Zivil- oder Strafgerichte.“
Man muss das nicht kommentieren.
In einer Zwischen-Verlautbarung in BGH I ZR 88/23 prüft der Erste Senat dann doch die Erlaubnisvoraussetzungen und setzt sich zugleich an die Stelle der Verwaltungsbehörden und -Gerichte, um das politisch gewollte Ergebnis zu erreichen.
Weidemann hat das kommentiert (Spielerklagen: Kritik am Hinweisbeschluss des BGH zu Sportwettangeboten).
All diese (Fehl-)Entscheidungen des Ersten Senats beim BGH sind rechtsphilosophisch interessant, rechtlich aber irrelevant. Die mit Spielerklagen und dem EU-Recht befassten Gerichte sind nicht an (Fehl-)Entscheidungen des BGH, sondern an das Unionsrecht und an die Rechtsprechung des EuGH gebunden. Dies hat das OLG Hamm dankenswerterweise bestätigt.
Kontakt:
Rechtsanwalt Rolf Karpenstein
Gerhofstraße 40
20354 Hamburg