Zur Regulierung von Lootboxen – wie aus einer Aufgabe für den Gesetzgeber eine Herausforderung für die Rechtsprechung wurde

Ein Artikel von Rechtsanwalt Dr. Andreas H. Woerlein, LL.M.

Die Forderung nach einer umfangreichen und vor allem am Jugend- und Spielerschutz orientierten Regulierung von Lootboxen1 steht seit Jahren auf der politischen Agenda, sie ist bislang jedoch weitgehend gescheitert. Währenddessen ist der mit den In-Game-Käufen generierte jährliche Umsatz kontinuierlich gestiegen und beläuft sich hierzulande mittlerweile auf mehrere Milliarden Euro.2 Die politisch Verantwortlichen tun sich schwer, eine allgemeingültige und adäquate Lösung für ein Problem zu finden, das längst Einzug in die Kinderzimmer unserer Republik gehalten hat. Millionen Jugendliche und junge Erwachsene „investieren“ immer größere Summen in Lootboxen, stets getrieben von der Hoffnung, einen seltenen Skin, eine stärkere Waffe oder einen begehrten Fußballspieler zu erhalten. Dass die Hoffnung dabei allzu oft der Enttäuschung weichen muss, ist einer der Gründe, weshalb die regulatorische Debatte immer auch von der Frage begleitet wurde, ob das Angebot von Lootboxen in Videospielen ein illegales Glücksspiel i.S.d. Glücksspielstaatsvertrages (GlüStV) darstellt.

Von einem Glücksspiel ist nach dem in § 3 Abs. 1 S. 1 GlüStV festgesetzten Begriffsverständnis auszugehen, „wenn im Rahmen eines Spiels für den Erwerb einer Gewinnchance ein Entgelt verlangt wird und die Entscheidung über den Gewinn ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt.“ Illegal ist das Glücksspiel immer dann, wenn es ohne eine entsprechende behördliche Erlaubnis öffentlich angeboten wird.3 In der rechtswissenschaftlichen Literatur der vergangenen Jahre war man sich zunächst weitgehend einig, dass Lootboxen generell nicht vom GlüStV erfasst sind.4 Zwischenzeitlich erfreut sich die gegenläufige Auffassung einer zunehmenden Beliebtheit.5 Dennoch kann nach der wohl (noch) herrschenden Meinung davon ausgegangen werden, dass es Lootboxen zumindest an dem Merkmal eines möglichen Totalverlustes fehlt.6 Während der Spieler etwa beim Roulette durchgehend mit der Gefahr konfrontiert ist, dass er seinen Einsatz vollständig verlieren kann, erhält der Käufer von Lootboxen stets eine vorher festgelegte Anzahl von virtuellen Gegenständen zur Nutzung innerhalb des entsprechenden Videospiels. Doch auch das Erfordernis eines möglichen Totalverlusts wird von der neueren Literatur zunehmend kritisch bewertet und könnte künftig zu Fall gebracht werden. Eine hierfür erforderliche Gerichtsentscheidung eines nationalen Gerichts gibt es bisher jedoch nicht.

In Österreich hingegen existiert mit dem inzwischen rechtskräftigen Urteil des Bezirksgerichts Hermagor vom 26.2.2023 (bislang unveröffentlicht) eine erste deutschsprachige Entscheidung, die Lootboxen als illegales Glücksspiel i.S.d. österreichischen Glücksspielgesetzes (GSpG) einordnet.7 Obwohl das Begriffsverständnis des GSpG im Ansatz durchaus vergleichbar mit dem des GlüStV zu sein scheint,8 verbietet sich eine vollständige Übernahme der Rechtsauffassung aus Kärnten nicht nur aufgrund der territorialen Wirkungsgrenzen des GSpG, sondern auch aufgrund der Besonderheiten des nationalen Begriffsverständnisses. Dennoch ist zumindest davon auszugehen, dass die mediale Aufmerksamkeit hinsichtlich der Lootbox-Entscheidung aus Österreich dafür sorgen wird, dass ein erstes zivilgerichtliches Verfahren in Deutschland nicht mehr lange auf sich warten lässt. Eine sichere Prognose über den Ausgang des Prozesses kann angesichts der nun zwiegespaltenen Literatur nur schwer getroffen werden. Bereits vor Jahren wurde in den Plenarsälen unseres Landes darüber diskutiert, wie die regulatorische Zukunft von Lootboxen aussehen kann. Zuletzt vertraute man auf eine Novellierung des Jugendschutzgesetzes,9 von der man sich Dinge versprach, die bereits damals in einem krassen Widerspruch zur Marktrealität standen. So sind die einschlägigen Videospiele bis heute nicht erst ab 18 Jahren freigegeben, sondern weisen – nach wie vor – meist überhaupt keine Altersbeschränkung auf. Der Verband der deutschen Games-Branche (game) sprach deshalb durchaus nachvollziehbar von einer „verpassten Chance für einen modernen Jugendschutz“.10 Ein durch den GlüStV bedingtes generelles Verbot von Lootboxen war in den letzten Jahren von der politischen Mehrheit aber offensichtlich nicht gewollt. Dennoch haben sich die Gesetzgeber durch regulatorische Versäumnisse in der Vergangenheit nun in eine Lage manövriert, die eine gerichtliche Entscheidung im Zusammenhang mit einem möglichen glücksspielrechtlich bedingten Verbot von Lootboxen unausweichlich gemacht hat.

In anderen europäischen Ländern sind die regierenden Parlamentarier präventiv ihrer Verantwortung nachgekommen und haben diese nicht auf die Judikative abgewälzt. So kann hierbei etwa auf die Niederlande und Belgien verwiesen werden, die Lootboxen frühzeitig als lizenzpflichtiges Glücksspiel nach den jeweils geltenden nationalen Bestimmungen eingeordnet haben.11 Zur ganzen Wahrheit gehört dabei aber auch, dass es neben Deutschland zahlreiche weitere EU-Mitgliedstaaten gibt, die eine klare Positionierung und eine damit einhergehende Regulierung von Lootboxen ebenfalls vermissen lassen. Als Beispiel kann etwa auf Frankreich, Schweden, Dänemark, Irland und letztlich auch Österreich verwiesen werden.12 Auffallend ist dabei, dass beinahe sämtliche Regierungen die Problematik von Lootboxen erkannt haben, sich mit einer funktionierenden und alle Marktinteressen in Einklang bringenden Regulierung aber ebenfalls schwer tun.

Zu begrüßen ist deshalb der Vorstoß des EU-Parlaments, das einheitliche Regelungen für Lootboxen erarbeiten möchte, bei denen ein nachhaltiger Verbraucherschutz gewährleistet werden soll.13 Inwieweit hierbei die Gefahr einer Überregulierung besteht, bleibt abzuwarten. Bis dahin gilt es jedoch festzuhalten, dass die Regulierung in den einzelnen Mitgliedstaaten mittlerweile derart unterschiedlich bzw. unübersichtlich ausgestaltet ist, dass das EU-Parlament ein Einschreiten für notwendig erachtet. Eine Rechtssicherheit schaffende nationale Umsetzung dieser in den kommenden Monaten zu erarbeitenden einheitlichen europäischen Regelungen dürfte für die in Deutschland tätigen Publisher und Konsolenhersteller allerdings zu spät kommen. Ihnen droht vielmehr eine Klagewelle, deren finanzielles Gesamtvolumen auf einen zweistelligen Milliardenbetrag geschätzt werden kann und die nationalen Gerichte die kommenden Jahre beschäftigen dürfte.

1) Bei Lootboxen handelt es sich um „virtuelle Kisten, die ent- geltlich erworben werden können und eine zufällige Auswahl von unterschiedlich seltenen, virtuellen Gegenständen für ein Computerspiel enthalten“, Nickel/Feuerhake/Schelinski, MMR 2018, 586 (586).
2) So lag der Umsatz von Lootboxen allein für Deutschland im Jahr 2021 bei 4,24 Mrd. Euro, vgl. https://www.business- on.de/gamingindustrie-womit-wird-der-meiste-umsatz-gene- riert.html (zuletzt eingesehen am 6.4.2023).
3) Vgl. Reeckmann, ZfWG 2015, 106 (106).
4) So etwa Schippel, WRP 2018, 409 (411); Ehinger/Schadomsky, K&R 2018, 145 (146); Nickel/Feuerhake/Schelinski, MMR 2018, 586 (589); Hopf, ZUM 2019, 8 (12).
5) So etwa Krainbring/Röll, ZfWG 2018, 235 (240); Maties, NJW 2020, 3685 (3689).
6) So etwa Schippel, WRP 2018, 409 (410); Nickel/Feuerhake/ Schelinski, MMR 2018, 586 (588); Seckelmann/Woerlein, ZfWG 2021, 339 (341); andere Ansicht Rehder, ZfWG 2021, 358 (362 f.).
7) Siehe hierzu etwa Redaktionsmeldung, MMR-Aktuell 2023, 456250; Redaktionsmeldung beck-aktuell, becklink 2026344.
8) Vgl. etwa den Glücksspielbegriff des § 3 Abs. 1 GlüStV mit dem der Ausspielung in § 2 Abs. 1 GSpG.
9) Vgl. Zweites Gesetz zur Änderung des Jugendschutzgesetzes vom 9.4.2021, BGBl. I 2021, Nr. 16, S. 742.
10) Pressemitteilung des game-Verbandes vom 4.3.2021, abrufbar unter https://www.game.de/grosse-koalition-verpasst- chance-fuer-einen-modernen-jugendschutz/(zuletzt eingesehen am 6.4.2023).
11) Siehe hierzu etwa Wittig, MMR 2023, 180 (183).
12) Hierzu ebenfalls Wittig, MMR 2023, 180 (183 ff.), dabei neben den angezeigten Ländern auch auf die Regulierung von Lootboxen außerhalb der EU eingehend.
13) Vgl. etwa die Pressemitteilung des Europäischen Parlaments vom 17.1.2023, abrufbar unter https://www.europarl. europa.eu/news/de/headlines/society/20230112STO66402/funf- wege-wie-das-europaische-parlament-online- spieler-schutzen-will (zuletzt eingesehen am 6.4.2023).