Die Erfahrungen der letzten zwei Jahrzehnte im Glücksspielrecht haben gezeigt, dass sich die Bundesländer außerordentlich schwertun, Glücksspielregulierungen unionsrechtskonform umzusetzen. Das verwundert wenig, berücksichtigt man, dass die Bundesländer selbst Anbieter auf dem Glücksspielmarkt sind und ihre äußerst lukrative, wenn auch unionsrechtlich zweifelhafte Rolle als Monopolisten um keinen Preis aufgeben wollen. Wiederholt werden deshalb die Grundregeln des freien Wettbewerbs und des freien Dienstleistungsverkehrs missachtet. In Bezug auf die Vergabeverfahren von Konzessionen zur Veranstaltung von Sportwetten wurde die unionsrechtswidrige Vergabepraxis sogar zweifach gerichtlich gerügt. Auch griffen die Gerichte ein, als das Land Hessen versuchte, private Anbieter in ein (Duldungs-)Erlaubnissystem zu pressen.
Nun findet das nächste Vergabeverfahren statt, in dem sich über die unionsrechtlichen Vorgaben bewusst hinweggesetzt wird: Das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt führt derzeit – anstelle der noch im Aufbau befindliche Gemeinsame Glückspielbehörde –Erlaubnisverfahren für die Veranstaltung virtueller Automatenspiele durch. Dabei hat die Behörde angekündigt, Konzessionen in zeitlicher Hinsicht willkürlich ohne im Voraus festgelegte und bekannt gemachte Kriterien zu vergeben. Dies stellt einen klaren Verstoß gegen den unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz dar.
Dieses Vorgehen sollte überraschen: Wie das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt weiß, hat nämlich eben dieses Vorgehen das Verwaltungsgericht Darmstadt im Jahr 2020 veranlasst, ein Vergabeverfahren als intransparent zu stoppen. In dem sog. Vierklee-Beschluss hat das Verwaltungsgericht Darmstadt unter Verweis auf den unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz die Konzessionsvergabe untersagt, da keine klaren und bekannt gemachte Fristen im Voraus bekannt gemacht wurden (VG Darmstadt, Beschluss vom 1. April 2020, 3 L 446/20).
Über diese klare Rechtslage setzt sich das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt aber bewusst hinweg. Kürzlich hat die Behörde in einem Eilverfahren vor dem VG Halle geäußert, dass sie kein transparentes und diskriminierungsfreies Verfahren durchführen werde. Die dortige Antragstellerin hatte geltend gemacht, dass jedenfalls für diejenigen Dienstleister, die innerhalb einer im Voraus bekannt gegebenen angemessenen Frist eine Konzession beantragt haben, Konzessionen nur zeitgleich vergeben werden dürfen. Anders sei es nicht möglich, Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern und den unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zu wahren. Die Behörde entgegnete darauf, dass sie an der willkürlichen Vergabepraxis festhalten werde und Wettbewerbsverzerrungen billigend in Kauf nehmen werde. Ferner vertritt die Behörde die fehlerhafte Ansicht, dass dies ein unionsrechtskonformes Verhalten sei. Die entsprechenden Passagen aus dem Schriftsatz der Behörde vom September 2021 seien zitiert:
„Anträge auf Erteilung einer Erlaubnis können jederzeit gestellt werden und werden grundsätzlich – abhängig von ihrer Vollständigkeit – in der Reihenfolge ihres Eingangs bearbeitet und beschieden. Das Unionsrecht vermittelt auch kein Recht auf zeitgleiche Entscheidung einer Behörde über glückspielrechtliche Erlaubnisse. … Die Annahme, dass ein transparentes und diskriminierungsfreies Verfahren durchzuführen sei, ist insoweit von vornherein fehlerhaft.“
Die Behörde sieht sich also an das Transparenzgebot und den unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht gebunden. Damit verstößt sie gegen die Vorgaben der Dienstleistungsfreiheit zum Nachteil der Marktteilnehmer aus dem EU-Ausland.
Darüber, warum die Behörde diese Auffassung nur schriftsätzlich gegenüber dem Gericht kommuniziert, nicht aber gegenüber Interessenten kommuniziert, kann man nur mutmaßen.
Jedenfalls ist dringend erforderlich, den derzeitig eingeschlagenen Weg der Vergabepraxis nicht fortzuführen, sondern stattdessen ein neues und unionsrechtskonformes Verfahren durchzuführen und aus den Fehlern des RP Darmstadts zu lernen.
Denn dieses ist ohnehin erforderlich: In dem derzeitigen Vergabeverfahren können aufgrund der Unionsrechtswidrigkeit überhaupt keine rechtmäßigen Entscheidungen über Konzessionsanträge getroffen werden.