Bußgeldtatbestände des GlüStV AusfG NRW verfassungswidrig

Rechtsanwalt Dieter Pawlik
Rechtsanwalt Dieter Pawlik

Die landesrechtlichen Bußgeldtatbestände des Ausführungsgesetzes zum Glücksspielstaatsvertrag für das Land NRW sind verfassungswidrig. Zu diesem Ergebnis gelangt ein Rechtsgutachten der Universität Heidelberg. Unabhängig von der Frage, ob die neue Rechtslage den Maßgaben des Bundesverfassungsgericht vom 28.03.2008 entspricht oder nicht, kommt Herr Prof. Dr. Gerhard Dannecker, Lehrstuhl für Straf und Strafprozessrecht von der Universität Heidelberg zu dem Ergebnis, dass der Landesgesetzgeber derartige Bußgeldnormen nicht erlassen durfte, weil der Bundesgesetzgeber diese Materie abschließend geregelt hat.

Dannecker führt dazu wörtlich aus:

„I. Zur Umsetzung des Glücksspielstaatsvertrags haben zahlreiche Bundesländer Ordnungswidrigkeitstatbestände für diesen Bereich geschaffen. Einzelne dieser Tatbestände wiederholen nur die Regelungen der §§ 284 ff. StGB, andere gehen in ihrem Anwendungsbereich über die bundesrechtlichen Strafvorschriften hinaus.

II. Das Strafrecht fällt gemäß Art. 72 Abs. 1 i.V.m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung. Die Verfassungsmäßigkeit der neuen landesrechtlichen Bußgeldregelungen hängt daher gemäß Artikel 4 Abs. 2 EGStGB, der den Maßstab des Artikel 72 Abs. 1 GG konkretisiert, davon ab, ob die Straftatbestände der §§ 284 ff. StGB die Materie des unerlaubten Veranstaltens von Glücksspielen, Lotterien und Ausspielungen abschließend regeln.

1. Der Begriff der Materie im Sinne des Artikel 4 Abs. 2 EGStGB bezeichnet dabei ein zusammenhängendes Sachgebiet, eine an demselben Rechtsgut orientierte Deliktsgruppe. Wann die Regelung einer Materie durch den Bundesgesetzgeber abschließend ist, ist durch Gesamtwürdigung des betreffenden Normenkomplexes zu ermitteln. Hierfür bedarf es der Auslegung des betreffenden Bundesgesetzes unter Berücksichtigung der abstrakten Beziehung desselben zu dem geregelten Lebenssachverhalt. Dabei ist zum einen der Wille des historischen Gesetzgebers (sog. subjektiv-historische Methode) und zum anderen der objektive Gesetzeswille (sog. objektiv-teleologische Methode) zu beachten. Für die Auslegung sind die betreffenden Gesetzesentwürfe heranzuziehen, da in ihnen die in der Rechtsgemeinschaft vorherrschenden Vorstellungen zum Ausdruck kommen. Der amtlichen Begründung zum EGStGB ist hierzu zu entnehmen, dass der Bund bereits durch eine einzelne Norm eine Materie abschließend regeln kann. Wenn der Bundesgesetzgeber durch die abschließende Regelung einer Materie im StGB von seiner Gesetzgebungskompetenz aus Artikel 72 Abs. 1 GG Gebrauch gemacht, ist den Bundesländern für diese Materie die Gesetzgebungskompetenz vollständig entzogen.

2. Zum Bereich des Strafrechts im Sinne des Artikel 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gehören sowohl das Kriminalstrafrecht als auch das Ordnungswidrigkeitenrecht. Daher wird die Schaffung jeglicher Vorsatz- und Fahrlässigkeitsstrafdelikte bzw. –ordnungswidrigkei ten ausgeschlossen. Dieser Ausschluss gilt auch, soweit das Strafgesetzbuch Strafbarkeitslücken lässt. Hinsichtlich dieser Fälle liegt eine „stillschweigend negative Regelung“ vor.

3. Daraus folgt, dass die abschließende Regelung einer Materie des Besonderen Teils des StGB, die keine der in Artikel 4 Abs. 3 bis 5 EGStGB aufgeführten Ausnahmen betrifft, den Ländern die Gesetzgebungszuständigkeit für diese Materie vollständig entzieht. Auch lediglich wiederholende oder interpretierende Regelungen der Länder können nicht mehr geschaffen werden.

III. Die Vorschriften der §§ 284 ff. StGB regeln die Materie des unerlaubten Veranstaltens von Glücksspielen, Lotterien und Ausspielungen abschließend. Diese Normen wurden unter anderem im Zuge des Gesetzes gegen die Bekämpfung der organisierten Kriminalität (1992) und des 6. Strafrechtsreformgesetzes (1998) geändert und ergänzt. Es war ein erklärtes Ziel des 6. StrRG, die vorhandenen Strafvorschriften zu ergänzen, um Strafbarkeitslücken zu schließen. Dass es sich bei den §§ 284 ff. StGB nur um vier Gesetzesnormen handelt, steht der Annahme einer abschließend geregelten Materie nicht entgegen. Daher enthalten diese Normen abschließende Regelungen. Das juristische Schrifttum gelangt zu dem gleichen Ergebnis. Es nimmt an, dass nahezu alle strafrechtlich relevanten Materien abschließend geregelt sind.

IV. Den Ländern fehlte daher die Kompetenz, Straf- oder Ordnungswidrigkeitstatbestände zu schaffen, soweit die von den §§ 284 ff. StGB und den jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften behandelte Materie übereinstimmen. Dies ist im Hinblick auf die vom Glücksspielstaatsvertrag geschützten Rechtsgüter der Fall. Eine Erweiterung der straf- bzw. bußgeldbewehrten Handlungen, etwa durch Ausdehnung des Glücksspielbegriffs oder durch die Hinzunahmen weiterer Handlungen, wie etwa dem Vermitteln von Lotterieverträgen, war den Ländern auf Grund der fehlenden Gesetzgebungskompetenz nicht möglich. Ebenso fehlt die Gesetzgebungskompetenz der Länder für Ordnungswidrigkeitentatbestände, welche die bundesrechtlichen Verbote lediglich wiederholen.

Das Gleiche gilt für sonstige Vorschriften der Umsetzungsgesetze, die nicht die Materie der §§ 284 ff. StGB betreffen, wenn der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit aus Artikel 72 Abs. 1; 74 Abs. 1 Nr. 1 GG abschließend Gebrauch gemacht hat. Dies ist bei den Regelungen der § 6 i.V.m. § 28 I Nr. 7 und 8 JuSchG der Fall.

V. Die fehlende Gesetzgebungskompetenz der Länder führt zur Nichtigkeit der gesetzlichen Regelungen. Deshalb sind die Regelungen in § 21 Abs. 1 lit. a, b, c, d, f, k AusfG-NRW mangels Gesetzgebungskompetenz des Landes Nordrhein-Westfalen verfassungswidrig.

VI. Gleiches gilt für die vergleichbaren Regelungen der anderen Bundesländer, die Sanktionstatbestände zur Bekämpfung des Glücksspiels erlassen haben.“

Dannecker gelangt zu diesem Ergebnis nach umfangreicher Auswertung der einschlägigen Gesetzesmaterialen des Bundes- und Landesrechts unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie der Strafsenate des BGH. Das Gutachten zeigt einmal mehr, wie dilettantisch die Landesgesetzgeber bei der Schaffung der neuen Gesetze gehandelt haben.

Dieter Pawlik
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