Vorlagebeschluss der 4. Kammer des VG Stuttgart: Kontra gegen BVerfG, VGH Baden-Württemberg und Präsidialkammer

Rechtsanwalt Dr. Manfred Hecker
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
CBH - Rechtsanwälte
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Als nunmehr drittes Verwaltungsgericht in Deutschland hat die 4. Kammer des VG Stuttgart mit Beschluss vom 24.07.2007 dem Europäischen Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung im Bereich des Sportwettenrechts vorgelegt.
„Fehl gehen die Ausführungen der 4. Kammer zum länderübergreifenden Internetauftritt der Staatlichen Lotteriegesellschaften. Mit Ausnahme der Toto-Lotto Niedersachsen GmbH bietet keine Lotteriegesellschaft im Internet die Möglichkeit an Glücksspielen teilzunehmen.“
Bemerkenswert an diesem Vorgang ist die Tatsache, dass nicht einmal zwei Wochen zuvor die 1. Kammer des VG Stuttgart (Beschluss vom 12.07.2007, 1 K 1652/05) unter Vorsitz der Präsidentin des VG in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg entschieden hatte, dass die gewerbliche Vermittlung von Sportwetten an private Wettveranstalter derzeit in Baden-Württemberg untersagt werden kann. Das in Baden-Württemberg bestehende staatliche Monopol für Sportwetten in seiner derzeitigen Ausgestaltung verletze nicht Verfassungs- und europäisches Gemeinschaftsrecht. Die 1. Kammer des VG Stuttgart stellt fest, dass es weder eine von einem Hoheitsträger der früheren Deutschen Demokratischen Republik noch eine von einem EU-ausländischen Hoheitsträger erteilte gewerbliche Erlaubnis zum Veranstalten von Sportwetten zu festen Gewinnquoten rechtfertigen könne, solche Glückspiele in Baden-Württemberg zu veranstalten oder zu vermitteln.

Die erste Vorlagefrage der 4. Kammer des VG Stuttgart an den EuGH beschäftigt sich mit der Figur der „kohärenten und systematischen Politik zur Beschränkung des Glückspiels“. Diese vor allem von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften herangezogene Rechtsfigur wird mittlerweile allerdings von der EU-Kommission selber offensichtlich nicht mehr ernsthaft vertreten. Würde die EU-Kommission das Erfordernis der Kohärenz tatsächlich so verstehen, dass alle denkbaren Glückspielvarianten in der normativen Umsetzung gleichartig behandelt werden müssten, so hätte sie kaum vorschlagen können, den spezifischen Bereich der Sportwetten zu liberalisieren und einen anderen Bereich, nämlich die Lotterien, weiterhin in staatlicher Monopolregie zu betreiben, wie u.a. in FOCUS (http://www.focus.de/magazin/kurzfassungen/focus_aid_66625.html) berichtet wurde. So dürfte das Konsistenzgebot entgegen der 4. Kammer des VG Stuttgart dahingehend zu verstehen sein, dass hinsichtlich des jeweiligen im Monopol betriebenen Glücksspiels die nach EU-Recht erforderlichen Voraussetzungen vorliegen müssen. Das jeweilige Glücksspiel muß also im Staatsmonopol konsistent unter den Gesichtspunkten des Spielerschutzes verwaltet – nicht bewirtschaftet – werden. So führt das OVG Hamburg (09.03.2007, 1 Bs 378/06, ZfWG 2007, 162 ff) aus, hinsichtlich des vom EuGH verlangten Kohärenzgebotes komme es nicht darauf an, dass in allen Sektoren des Glücksspielmarktes das Ziel einer Verminderung der Spielgelegenheit verfolgt werde. Der EuGH, der eine Kontrolle der jeweiligen einzelnen Regelungen verlange, spreche ausdrücklich von den „Glücksspielsektoren“. Es sei daher zulässig, „auch Gefahren in einem Sektor der Glücksspiele zu bekämpfen, wenn es an einem kohärenten Gesamtkonzept für die gleichzeitige Suchtprävention in anderen Glücksspielbereichen fehle. […] Da es sich um unterschiedliche Märkte mit einem unterschiedlichen Suchtpotential handelt, darf der Staat für die einzelnen Bereiche Einzelkonzepte entwickeln.“ (so auch OVG Niedersachsen v. 21.03.2007, 5 B 334/06).

Mit der Vorlage stellt sich die 4. Kammer des VG Stuttgart darüber hinaus indirekt auch gegen den jüngsten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Thema Spielbanken. Das Bundesverfassungsgericht hatte mit Beschluss vom 26.03.2007 (1 BvR 2228/02) das Bayerische Spielbankengesetz für verfassungskonform befunden. Es ist daher überraschend, dass die 4. Kammer des VG Stuttgart ihre Zweifel an einer „Gesamtkonsistenz des Glückspiels“ mit Hinweis u. a. auf das Spielbankenrecht begründet, ohne sich mit den diesbezüglichen Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts auch nur ansatzweise auseinanderzusetzen.

Auch der Verwaltungsgerichtshof des Landes Baden-Württemberg als Berufungsinstanz des VG Stuttgart hat längst anders entschieden, was der Vorlagebeschluss verschweigt. An den Beschluss des VGH vom 28.03.2007 (Az.: 6 S 1972/06) fühlt sich die 4. Kammer des VG Stuttgart – anders als die 1. Kammer – offenbar nicht gebunden. In jener Entscheidung des übergeordneten Gerichts heißt es indes wörtlich: „Die Vermittlung von Sportwetten an private Veranstalter, die (lediglich) im Besitz einer von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft erteilten Konzession sind, kann in Baden-Württemberg während der vom Bundesverfassungsgericht bestimmten Übergangszeit auch nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 06.03.2007 – Rs. C-338/04, C-359/04 u. C-360/04 [Placanica] – ohne Verstoß gegen Verfassungsrecht und europäisches Gemeinschaftsrecht untersagt werden (Fortführung der Senatsrechtsprechung an den Beschluss vom 28.07.2006 – 6 S 1987/05 -, VBl. BW 2006, 424).“

Auch die Entscheidung des BVerfG vom 29.08.2006 (Az.: 1 BvR 2772/04) scheint der 4. Kammer des VG Stuttgart unbekannt zu sein, denn sie wird mit keinem Wort erwähnt. In jener Entscheidung hat aber das BVerfG die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des VGH Baden-Württemberg zurückgewiesen, in dem es feststellt, dass auch in der Übergangszeit bis zum 31.12.2007 in Baden-Württemberg bereits damit begonnen worden ist, eine hinreichend konsistente Beschränkung des Wettangebots und seiner Bewerbung in Baden-Württemberg herzustellen. Wenn schließlich allein aus der Nennung der Jackpothöhe der Schluss gezogen wird, auf diese Weise werde beim Publikum die „wenig realistische Vorstellung vermittelt, den Jackpot selbst knacken zu können“, so hätte sich das Gericht zumindest in diesem Zusammenhang mit der Rechtsprechung des BVerfG auseinandersetzen sollen, das aus Gründen der Verhältnismäßigkeit gerade kein vollständiges Werbeverbot verlangt, sondern eine sachliche Information zulässt, die selbstverständlich auch die Gewinnhöhe umfasst.

Fehl gehen die Ausführungen der 4. Kammer zum länderübergreifenden Internetauftritt der Staatlichen Lotteriegesellschaften. Mit Ausnahme der Toto-Lotto Niedersachsen GmbH bietet keine Lotteriegesellschaft im Internet die Möglichkeit an Glücksspielen teilzunehmen.

Auch ignoriert die 4. Kammer des VG Stuttgart die gegenwärtig vorliegenden, zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen zur Gefährlichkeit von Sportwetten (z.B. Mayer/Hayer, Universität Bremen, 2005; Grüsser/Plötzke/Albrecht/Mörsen, Charité Berlin, 2007; Kalke/Farnbacher/Verthein/Haasen, Universitätskrankenhaus Hamburg; vgl. zu Lotterien die detaillierte Auseinandersetzung mit diesen Gutachten in VG Düsseldorf v 14.03.2007, ZfWG 2007, 233 ff) und unzutreffend unterstellt, die Zweckmäßigkeit einer Einschränkung des Sportwettenangebots sei nicht wissenschaftlich belegt.

Die zweite Vorlagefrage dürfte durch die bisherige nationale und EU- Rechtsprechung bereits geklärt und daher überflüssig sein. Auch hier befindet sich die 1. Kammer des VG Stuttgart mit ihrer diametralen Entscheidung vom 12.07.2007 in bester höchstinstanzlicher Gesellschaft. So hat der EFTA-Gerichtshof noch am 30.05.2007 (E-3/06) entschieden, dass ein Mitgliedsstaat das Recht habe, das Anbieten und Vermarkten von Glückspielen aus dem Ausland zu untersagen, unabhängig davon, ob die betreffenden Glückspiele im jeweiligen Heimatstaat des Anbieters rechtmäßig veranstaltet werden oder nicht. Der EFTA-Gerichtshof ist in jener Entscheidung (Rdn. 88) sogar noch einen Schritt weitergegangen, wenn er ausführt: „Soweit das nationale Gericht zu der Auffassung gelangt, dass die […] Verbote für gewerbsmäßige Anbieter irgendeiner Form von Glückspielen nicht gerechtfertigt sind, muss die Frage dahin gehend beantwortet werden, dass im Hinblick auf mögliche Unterschiede im Schutzniveau innerhalb des EWR dennoch ein Konzessionserfordernis festgelegt werden kann.“

Der BGH (Beschluss vom 08.05.2007, KVR 31/06) ist der gleichen Auffassung, wenn er die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften wie folgt auslegt: „Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat bestätigt, dass den Mitgliedsstaaten die Beurteilung obliegt, ob es im Rahmen der von ihnen verfolgten Ziele notwendig ist, Glückspiele vollständig oder teilweise zu verbieten, oder ob es genügt, sie zu beschränken und zu diesem Zweck mehr oder weniger strenge Kontrollen vorzusehen; für die gemeinschaftsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung sei deshalb ohne Belang, dass ein Mitgliedsstaat weniger einschränkende Regelungen als ein anderer getroffen habe (EuGH, Urteil vom 11.09.2003 – C-6/01, Slg. 2003, I-8621 Tz. 79 ff. – Anomar).“ (Rdn. 37)

Diese Rechtsprechung scheint der 4. Kammer des VG Stuttgart nicht bekannt zu sein. Ebenso zieht die 4. Kammer des VG Stuttgart die falschen Schlüsse aus der Placanica-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes. Die zweite Vorlagefrage der 4. Kammer des VG Stuttgart war dem Europäischen Gerichtshof – wie das Gericht selber feststellt – bereits durch den Generalanwalt beim EuGH in der Rechtssache Placanica gestellt worden. Bereits die Tatsache, dass der Europäische Gerichtshof auf diese Frage nicht explizit eingegangen ist, obwohl der Generalanwalt dies ausdrücklich gefordert hatte, scheint richtungsweisend. Dass es den von der 4. Kammer angenommenen Grundsatz der „gegenseitigen Anerkennung mitgliedsstaatlicher Erlaubnisse“ im Europarecht nicht gibt, folgt jedoch mit hinreichender Klarheit aus der Tatsache, dass der EuGH in der Placanica-Entscheidung im Ergebnis eine Neuausschreibung der italienischen Sportwettenkonzessionen verlangt hat. Dies wäre allerdings nicht erforderlich gewesen, wenn sich die Kläger (u.a. Herr Placanica) mit der Ansicht der 4. Kammer auf die dort vorliegende Erlaubnis der englischen Firma Stanleybet Ltd. hätten berufen können, so wie sie es klageweise geltend gemacht hatten. Im Übrigen stellt der EuGH in Rdn. 65 fest, dass die beanstandeten Kontrollen und die fortwährende Überwachung durch den Mitgliedstaat als eine „ohne Weiteres verhältnismäßige Maßnahme“ anzusehen sei.

Dr. Manfred Hecker