Verwaltungsgericht Köln legt deutschen Sportwetten-Fall dem Europäischen Gerichtshof vor

Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG

Arendts Rechtsanwälte
Perlacher Str. 68
D - 82031 Grünwald (bei München)
Bedeutung und Konsequenzen für die Rechtsentwicklung

In Deutschland sind derzeit weit über 2.000 Gerichtsverfahren bezüglich des binnengrenzüberschreitenden Angebots von Sportwetten anhängig. Hierbei geht es vor allem um die durch den EG-Vertrag garantierte Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit und deren Kollision mit dem derzeit in Deutschland bestehenden Sportwettenmonopol. Erstmals hat nunmehr ein deutsches Gericht eine Vorlagefrage hierzu dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) entsprechend Art. 234 EG-Vertrag vorgelegt. Der EuGH hatte bereits 2003 in seinem Gambelli-Urteil maßgebliche Kriterien zu diesem Spannungsverhältnis aufgestellt.

Das Verwaltungsgericht (VG) Köln will vom EuGH mit Beschluss vom 21. September 2006 (Az. 1 K 5910/05) wissen, ob nationale Regelungen (hier das nordrhein-westfälische Sportwettenmonopol) trotz Verstoßes gegen die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit für eine Übergangszeit weiter angewandt werden dürfen. Hintergrund hierfür war eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), das trotz festgestellten Verstoßes dieses Monopols gegen Gemeinschaftsrecht entgegen der ständigen Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendung der Grundfreiheiten eine Übergangsregelung „erfunden“ hatte (Beschluss vom 28.6.2006, Az. 4 B 961/06, vgl. Sportwettenrecht aktuell Nr. 36). In ähnlicher Weise hatten auch andere Verwaltungsgerichte in Deutschland argumentiert, darunter der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, und wie das OVG NRW Schließungsverfügungen aufgrund des Staatsmonopols gegen Wettannahmestellen ausländischer Sportwettenanbieter bestätigt. Dieses europarechtswidrige Vorgehen hält das VG Köln offenkundig für nicht haltbar.

Die grundlegenden materiellrechtlichen Fragen wird der EuGH voraussichtlich bereits in dem unmittelbar bevorstehenden Urteil in den Rechtssachen Placanica u. a. (Rs. C-338/04, C-359/04 und C-360/04) klären und hierbei die „Gambelli-Kriterien“, d. h. die Vorgaben für eine Einschränkungen der Grundfreiheiten durch ein Monopol, fortentwickeln. Die Vorlage des VG Köln ergänzt jedoch die am 3. Oktober 2006 vor dem EuGH verhandelten Vorlagefragen bezüglich des effektiven Rechtsschutzes gegen eine gemeinschaftsrechtswidrige nationale Regelung (Rechtssache C-432/05, Unibet ./. Justitiekanslern). In diesem, den Buchmacher Unibet betreffenden schwedischen Fall ging es insbesondere um vorläufigen Rechtsschutz. Der EuGH muss dabei entscheiden, ob europarechtlich ein vorläufiger Rechtsschutz gegen eine gegen Gemeinschaftsrecht verstoßende nationale Vorschrift möglich sein muss (vgl. Sportwettenrecht aktuell Nr. 44).

Eine Entscheidung des EuGH in der deutschen Sache wird nicht vor zwei Jahren und damit nach der Unibet-Entscheidung und weit nach der vom deutschen Bundesverfassungsgericht zur Neuregelung des Wettmonopols gesetzten Übergangsfrist (neue gesetzliche Regelung bis Ende 2007) ergehen. Dennoch wird es der offenkundig dringend erforderlichen Klarstellung dienen. Maßgebliche Vertreter der deutschen Bundesländer haben offen erklärt, sich nicht an „italienische“ Entscheidungen (Gambelli, Placanica & Co.) halten zu wollen. Hier wird die Bedeutung des Vorlageverfahrens grob verkannt, bei dem der EuGH keinen nationalen Fall entscheidet, sondern die europarechtliche, auch für Deutschland unmittelbar verbindliche Rechtslage klärt. Bedeutung dürfte das Urteil des EuGH auch für die nunmehr anstehenden Schadensersatzprozesse der von Schließungsverfügungen massiv betroffenen Buchmachern aus anderen Eu-Mitgliedstaaten und deren Annahmestellen haben. Bei einem offenkundigen Verstoß von Behörden- und Gerichtsentscheidungen gegen Europarecht stehen den Betroffenen nach ständiger Rechtsprechung des EuGH Schadensersatzansprüche, u.a. auch hinsichtlich des entgangenen Gewinns, zu (vgl. Sportwettenrecht aktuell Nr. 32).

Die vom Europäischen Gerichtshof zu entscheidenden Vorlagefragen des Verwaltungsgerichts Köln:

1. Sind Art 43 und 49 EGV dahingehend auszulegen, dass nationale Regelungen für ein staatliches Sportwettenmonopol, die unzulässige Beschränkungen der in Art. 43 und 49 EGV garantierten Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit enthalten, weil sie nicht entsprechend der Rechtsprechung des Gerichtshofs (Entscheidung vom 6.11.2003 – Rs. C-243/01 „Gambelli-Urteil“) in kohärenter und systematischer Weise zur Begrenzung der Wetttätigkeit beitragen, trotz des grundsätzlichen Anwendungsvorrangs unmittelbar geltenden Gemeinschaftsrechts ausnahmsweise für eine Übergangszeit weiterhin angewandt werden dürfen?

2. Bei Bejahung der Frage 1: Welche Voraussetzungen gelten für die Annahme einer Ausnahme vom Anwendungsvorrang und wie ist die Übergangszeit zu bemessen?