Rechtsanwalt Rolf Karpenstein zur Pressemitteilung des VG Berlin vom 24.09.2015
Das VG Berlin hat in einem Beschluss vom 17.09.2015 den Eilantrag gegen eine auf Berlin beschränkte Verbotsverfügung von online-Casino und online-Poker aufgrund einer Abwägung der gegenseitigen Interessen zurückgewiesen. Die 23. Kammer meint anscheinend, das Interesse der Bundesländer an der Maximierung der Staatseinnahmen durch das Glückspielmonopol überwiege das höherrangige Recht des EU-Bürgers am freien Dienstleistungsverkehr. Diese Meinung teilt die 23. Kammer des VG Berlin zwar mit Finanz-Senator Kollatz-Ahnen, nicht aber mit dem Recht. Wenn’s ums Geld geht, scheint gar manchem das Hemd näher als das Recht, dann wird das Recht schon mal gerockt.
Wie dem auch sei. Die Pressemitteilung lässt keinen lesenswerten Beschluss erwarten. Noch in der Digibet-Entscheidung (C-156/13) hatte der EuGH Deutschland und seinen Gerichten unmissverständlich aufgegeben, die Verhältnismäßigkeit eines auf das Fehlen einer Erlaubnis für den Internetvertrieb gestützten Verbotes zu prüfen. Diese Verhältnismäßigkeitsprüfung hat das VG Berlin – vorbehaltlich einer genauen Sichtung der amtlichen Begründung der Entscheidung – anscheinend auf die Frage beschränkt, ob ein systematischer und kohärenter Vollzug des deutschen Genehmigungsvorbehaltes für online-Casino und online-Poker geplant ist. „Dem Vorgehen gegen einzelne Anbieter lägen gemeinsam verabschiedete Leitlinien der Länder zu Grunde“, heißt es in der Pressemitteilung. Man gehe zunächst gegen die großen Anbieter vor.
Dies beruhe auf einem planvollen Vorgehen, belehrt uns das VG Berlin in seiner Pressemitteilung weiter, „mit dem Ziel einer einheitlichen Vollzugspraxis“. Das VG Berlin stellt also auf eine unterstellte Absicht der Bundesländer ab, in (ferner) Zukunft eine einheitliche Vollzugspraxis an den Tag zu legen, nicht auf die gegenwärtige uneinheitliche Vollzugspraxis, die einem vollständigen Vollzugsverzicht gleichkommt. Das seit fünf Jahren auf den Vollzug des Genehmigungsvorbehaltes faktisch bundesweit verzichtet wird, scheint dem Verwaltungsgericht gleichgültig zu sein. Dieser legale und zwingend erforderliche Vollzugsverzicht, der nur durch die streitgegenständliche regional beschränkte Verbotsverfügung und zwei oder drei andere auf Bundesländer beschränkte Verbotsverfügungen durchbrochen wird, beruht auf der weisen Einsicht, dass das Fehlen einer deutschen Erlaubnis für den Internet-Vertrieb nicht zum Anlass für Behinderungen des freien Dienstleistungsverkehrs genommen werden darf.
Diesen in jeder Hinsicht rechtmäßigen Vollzugsverzicht hatten die Bundesländer nicht nur gegenüber der Europäischen Kommission eingeräumt, sondern schon letzten Herbst auch gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht. Wenn das VG Berlin nunmehr aus Absichten der Länder, zukünftig einen unionsrechtswidrigen Vollzug aufzunehmen, für die Gegenwart einen unionsrechtskonformen Rechtszustand herleitet, klaffen Soll und Ist nicht nur im Tatsächlichen, sondern auch im Rechtlichen auseinander. Die zukünftige Gesinnung, planvoll „mit dem Ziel“ einer einheitlichen unionsrechtswidrigen Vollzugspraxis die Grundfreiheiten zu verletzen, kann nicht ernsthaft herangezogen werden, um einen gegenwärtig rechtswidrigen Eingriff zu legitimieren. Das Gericht hätte mit der gleichen Überzeugungskraft von der Notwendigkeit einer „temporären Suspendierung des Anwendungsvorrangs wegen inakzeptabler Vollzugslücken“ sprechen können. Damit hätte es sich immerhin auf historisch gesichertem Terrain bewegt. Hätte hätte Fahrradkette.
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