Weitsicht für den Online-Glücksspielmarkt: Anhörung zum Entwurf des Glücksspielstaatsvertrags in Kiel – Gute Chancen für den Erhalt des Lottomonopols bei gleichzeitiger Liberalisierung anderer Glücksspiele

von Andreas Schultheis

Kiel, September 2010 – Es könnte ein Meilenstein gewesen sein auf dem Weg zu einem neuen Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV): Mit rund 80 Vertretern aus Landesparlamenten, von Lotto- und Wettanbietern, Sportverbänden, Wissenschaft, Medien und Werbewirtschaft hat eine Anhörung zum schleswig-holsteinischen Entwurf für einen neuen Glücksspielstaatsvertrag der bundesweiten Diskussion neue Nahrung gegeben. Die Spitzen der Kieler Regierungsfraktionen zeigten sich daher auch zuversichtlich, „dass jetzt flächendeckend die ernsthafte Auseinandersetzung mit unserem Vorschlag beginnen wird“, resümierten CDU-Fraktionschef Christian von Boetticher und sein FDP-Kollege Wolfgang Kubicki. Die Kernpunkte ihres Entwurfs sind die Beibehaltung des Lotteriemonopols sowie die Möglichkeiten der Bewerbung, die Aufhebung des Internetverbots sowie die Zulassung von privaten Sportwetten, Poker- und Casino-Angeboten via Internet – ein so genanntes duales System nach dem Vorbild anderer europäischer Länder, wobei die Monopolstellung für das Lottoangebot mit der vergleichsweise großen Manipulationsgefahr begründet wird.

Rückläufige Umsätze der Lottoanbieter – eine aktuelle Studie der Wirtschaftsberatung Deloitte spricht von 19 Prozent Verlust zwischen 2005 und 2008 – sowie wegbrechende Mittel für die Breitensportfinanzierung hatten bereits in den letzten Monaten immer wieder Kritiker des Monopols auf den Plan gerufen. Und die aktuelle Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), wonach der deutsche Glücksspielstaatsvertrag gegen Europarecht verstößt, verliehen der Anhörung im Kieler Landeshaus zusätzliche Brisanz und Bedeutung. Mit der Anhörung wie mit dem vorliegenden Vertragsentwurf „hat Schleswig-Holstein bereits Maßstäbe gesetzt“, befand Christian Dürr, liberaler Fraktionschef im benachbarten Niedersachsen. Lässt man Detail- und praktische Umsetzungsfragen sowie unterschiedliche Bewertungen der Besteuerung außer Acht, attestierten die Experten dem Vertragsentwurf großen Praxisbezug und Weitsicht. Die künftige Regelung müsse, so formulierte es bwin-Direktor Jörg Wacker, „alle Vertriebskanäle berücksichtigen“ und auch den derzeit nicht kontrollierten und besteuerten Bereiche wie Sportwetten und Online-Poker Rechnung tragen. Eine Fortführung der geltenden Regelung, so die Warnung des Bochumer Lotto-Unternehmers und Präsidenten des Deutschen Lottoverbandes, Norman Faber, bedrohe letztlich zehntausende Arbeitsplätze und zahlreiche Unternehmen. Auch die Vertreter der Klassenlotterien (SKL/NKL) werteten den auf dem so genannten dänischen Modell basierenden Gesetzesentwurf aus Schleswig-Holstein einhellig als Schritt in die richtige Richtung, während sie die starre Haltung des Deutschen Lotto- und Totoblocks (DLTB) als schädlich und rückwärtsgewandt betrachteten.

„Der 8. September war ein guter Tag“, kommentierte Dr. Peter Reinhardt, Geschäftsführer für Deutschland und Zentraleuropa bei der Onlinewettbörse Betfair, die Verkündung des Luxemburger Urteils. Wie viele andere Branchenexperten verwies er die Suchtgefahr als Begründung des staatlichen Lottomonopols ins Reich der Fabel. Zudem könne man Online-Angebote, die millionenfach genutzt würden, nicht verbieten. Deshalb sollte man sie, wie es der Kieler Vertragsentwurf vorsieht, lizenzieren, damit Kontrollmöglichkeiten schaffen und Steuereinnahmen generieren. Schließlich tragen die Angebote im Web zu einem enormen Teil zur Wertschöpfung der gesamten Branche bei. Und die Tendenz sei zweifellos steigend.

Dr. Michael Schmid, Senior-Consultant des Beratungshauses Goldmedia, hatte hierzu konkrete Zahlen mitgebracht, die das Unternehmen für eine Studie zusammengestellt hat: „Ohne Onlinevertrieb ist der Glücksspielmarkt heute nicht mehr zeitgemäß. Zudem bewirken die aktuellen Regelungen, dass neben dem regulierten und erlaubten Markt vor allem der sogenannte ‚unregulierte’ Markt weiter anwächst – ein Bereich, der von privaten Anbietern überwiegend mit Lizenzen im Ausland betrieben wird und heute rund 1,5 Mrd. Euro, damit ca. 25 Prozent der Bruttospielerträge ausmacht. Mit dem Schwarzmarkt, der sich im Bereich der Sportwetten entwickelte, sind es sogar 1,7 Mrd. Euro. Diese Marktanteile könnten nach Deutschland zurückgeholt werden”, so seine Prognose.

Auch Sven Stiel (Pokerstars.de, Isle of Man) hält den vorliegenden Vorschlag für „sehr pragmatisch“. Er unterstrich die Notwenigkeit einer kontrollierten Marktöffnung und verwies auf das enorme Marktpotenzial des Online-Pokers, das Experten etwa auf die Größe des Sportwettenmarktes und damit auf bis zu 7,8 Milliarden Euro beziffern. Die Attraktion des Online-Pokers und die zukunftsträchtige Entwicklung belegte er auch mit dem Erfolg des Angebotes von Pokerstars: In der letzten Woche wurde hier die 50-Milliardenste Poker-Hand ausgespielt. Bedenken, dass die Anbieter auch nach einer Liberalisierung vom Ausland aus operieren, trat er entschieden entgegen: Alle großen Anbieter haben sich auch in anderen europäischen Ländern wie Frankreich erfolgreich um Lizenzen bemüht und zahlen entsprechende Steuern. Gleiches werde für Deutschland gelten. Insbesondere der Blick ins europäische Ausland zeigt für den Münchener Rechtsanwalt Dr. Wulf Hambach von der Kanzlei Hambach & Hambach, „dass im Glücksspielmarkt heute ganz andere Standards gelten als die bislang in Deutschland praktizierten. Die Beispiele England und Italien beweisen, dass legalisierte Märkte besser kontrollierbar sind: In Großbritannien beispielsweise existiert seit Jahren ein liberalisierter, aber kontrollierter Markt, der sowohl den Belangen der Spielsuchtprävention wie auch dem Jugendschutz und der Betrugsvorbeugung gerecht wird“, so der Gaming Law Experte. Das nun vorgeschlagene duale System mit starker Orientierung am Modell Dänemarks biete die Chance, sowohl aus Fehlern wie aus Erfolgen der europäischen Nachbarn zu lernen.

Der Verband Privater Rundfunk und Telemedien e. V. (VPRT) sieht im vorgelegten Entwurf eine Win-win-win-Situation, weil der Staat, die privaten Medienunternehmen als Werbepartner und die Wettanbieter profitieren. Ein duales System würde nach den Worten von Dr. Matthias Kirschenhofer die Verdrängung der Umsätze in den Grau- und Schwarzmarkt beenden und stärke die Wettbewerbsfähigkeit der Medienunternehmen im europäischen Markt.

Andreas Schultheis
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