Seit einiger Zeit versuchen die Ordnungsbehörden der Länder – allen voran Bayern, Niedersachsen und Hessen – massiv gegen ihre privaten Konkurrenten im Sportwettenmarkt vorzugehen. Anders als mit sofort vollziehbaren Verbotsverfügungen und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, die ab und an dazu missbraucht werden, im Rahmen einer „Durchsuchung“ das gesamte Inventar eines Sportwettvermittlungsbüros erst einmal „mitzunehmen“, wissen sich die Behörden offenbar nicht zu helfen.
Das verwundert wenig: Der staatliche Sportwettenanbieter ODDSET verfügt nicht nur über wenig attraktive Gewinnquoten, sondern ist zudem – wie nicht zuletzt der Wettskandal in der Fußball-Bundesliga gezeigt hat – in mehrfacher Hinsicht schlecht gemanagt. Risikovorsorge findet nicht statt und dass bei einem Wettveranstalter, dessen Monopol offiziell gerade auch der Betrugsvorbeugung dient. Zudem nimmt ODDSET wenig Rücksicht auf die Wünsche seiner Kunden und bietet insbesondere keine innovativen Wettprodukte an. Zudem werden Wetten über Lottoannahmestellen in wenig attraktivem Ambiente vertrieben.
So bleibt dem Staat scheinbar nur der Weg, sein Wettmonopol mit staatlichen Machtmitteln zu sichern. Probates Mittel sind dabei Untersagungsverfügungen, deren sofortige Vollziehung angeordnet wird. Solche Verfügungen müssen die Betroffenen grundsätzlich sofort befolgen. Sie haben aber die Möglichkeit, sich über gerichtliche Eilverfahren dagegen zu wehren. Vor den Verwaltungsgerichten stehen dazu zwei Instanzen zur Verfügung.
Wer dort unterliegt, was in der letzten Zeit vor allem in Bayern und Niedersachsen vermehrt vorkommt, hat noch eine allerletzte Möglichkeit: Er
kann das Bundesverfassungsgericht mit einer Verfassungsbeschwerde anrufen. Zudem besteht die Möglichkeit, bei dem höchsten deutschen Gericht einen Antrag auf einstweilige Anordnung zu stellen. Hat man Erfolg, so darf bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache die Untersagungsverfügung nicht vollzogen werden.
In einem solchen Verfahren (Aktenzeichen: 1 BvR 223/05) hatte ein privater Wettvermittler nun Erfolg. Vor dem Hintergrund, dass spätestens seit dem Gambelli-Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2003 sehr fraglich ist, ob das staatliche Sportwettenmonopol vor den europäischen
Grundfreiheiten Bestand haben kann, hat das Bundesverfassungsgericht nun ein „Machtwort“ gesprochen. Nachdem die Ordnungsbehörden der Länder Bitten des Gerichts, auf Vollzugshandlungen bis zu einer endgültigen Entscheidung erst einmal zu verzichten, ignoriert hatten, hat es nun im Beschlusswege entschieden, dass private Wettvermittlungsbüros nur noch dann geschlossen werden dürfen, wenn eine konkrete Gefahr für das Gemeinwohl besteht. Die bloße Tatsache der Strafbarkeit des (angeblich) verbotenen Glücksspiels allein reiche dafür nicht aus. Die Verfassungsrichter begründen dies damit, dass das deutsche Sportwettenrecht auf europarechtlicher Ebene mit „erheblichen Zweifeln“ behaftet sei.
Was bedeutet dies nun für die Praxis?
Die Betreiber privater Wettvermittlungsbüros müssen in Zukunft eine Schließung nur noch fürchten,wenn im Einzelfall Gefahren für das Gemeinwohl bestehen, die über die bloße Wettvermittlung hinausgehen. Dies ist aber nur in einer Minderheit der Fälle der Fall. „Schwarze Schafe“, die sich bisher vor allem deshalb im Wettmarkt halten konnten, weil die Behörden nicht speziell gegen sie, sondern gegen alle Privaten vorgegangen sind, werden es in Zukunft schwerer haben. Die große Mehrheit der Wettvermittler aber kann aufatmen. Sollte ihnen der weitere Betrieb durch die Behörden untersagt werden, werden sie weit einfacher als bisher gerichtlichen Rechtschutz schon vor den Verwaltungsgerichten erhalten. Möglicherweise verzichten die Länder künftig sogar ganz auf die Anordnung der sofortigen Vollziehung. Insgesamt dürfte sich die Lage erst einmal beruhigen.
Wie geht es weiter?
Für den Sommer wird die endgültige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Hauptsache erwartet. Die Pressesprecherin des höchsten deutschen Gerichts ließ kürzlich verlauten, es sei noch nicht planbar, ob dies vor oder nach der Sommerpause in der Fußballbundesliga geschehe. Eine Entscheidung steht in jedem Falle kurz bevor.
Wie wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden?
Diese Frage lässt sich zwar noch immer nicht mit völliger Sicherheit beantworten. Es ist aber höchstwahrscheinlich, dass sich die privaten Wettvermittler auch endgültig über eine Entscheidung zu ihren Gunsten freuen dürfen. Zwar steigt das Bundesverfassungsgericht im Eilverfahren noch nicht in eine Sachprüfung ein. Aber Fälle, in denen eine einstweilige Anordnung ergeht, in denen in der Hauptsache dann doch anders entschieden wird, sind sehr selten. Die Verfassungsrichter bedenken regelmäßig schon bei ihrer Eilentscheidung, wie sie sich später endgültig votieren werden.
Es wird also zu einer Liberalisierung des deutschen Sportwettenrechts kommen. Die Entwicklung bleibt weiter spannend. Welche Richtung sie aber
nehmen wird, dürfte jetzt schon feststehen.
Rechtsanwälte Robert Dübbers und Jusuf Kartal