von Bettina Brenner, LL.M., Hambach & Hambach Rechtsanwälte
Besprechung des aktuellen Aufsatzes „Unionsrechtliche Kohärenzfragen zu der regulatorischen Disparität zwischen dem in Schleswig-Holstein und dem in den anderen Bundesländern anwendbaren Glücksspielrecht“, ZfWG 2013, S. 153 ff. von Prof. Dr. Koenig LL.M. (Direktor am Zentrum für Europäische Integrationsforschung) und Matti Meyer (wissenschaftlicher Referent am selbigen Zentrum).
Koenig/Meyer führen in ihrem aktuellen Aufsatz aus, dass die horizontale Kohärenzpflicht die Koordinierung einer abgestimmten glücksspielrechtlichen Regulierung zur Rechtfertigung von Beschränkungen der Grundfreiheiten verlangt. Folgt man den Europarechtsexperten, ist der Glücksspielstaatsvertrag voraussichtlich unionsrechtswidrig.
Im Einzelnen:
Der Weg zum deutschen Regulierungsdurcheinander
Am 1. Juli 2012 ist der Erste Staatsvertrag zur Änderung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland (im Folgenden: GlüStV) in Kraft getreten. Zuvor veröffentlichte bereits Schleswig-Holstein ein eigenes, an der dänischen Fassung orientiertes Gesetz zur Neuordnung des Glücksspiels (im Folgenden: GlSpielG SH), das zum 1. Januar 2012 in Kraft trat. Auf Grundlage des GlSpielG SH wurden vom Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein insgesamt 25 Online-Sportwetten-, 23 Online-Casino-Genehmigungen, sowie 16 Genehmigungen für die gewerbliche Spielvermittlung erteilt. Diese sind sechs bzw. acht Jahre gültig.
Nach einem politischen Machtwechsel trat Schleswig-Holstein am 25. Januar 2013 dem GlüStV der anderen 15 Bundesländer durch das „Gesetz zur Änderung glücksspielrechtlicher Gesetze“ bei. Seit 8. Februar 2013 entfaltet der GlüStV nun in allen 16 Bundesländern Geltung. Allerdings bleibt in Schleswig-Holstein auch das GlSpielG SH weiterhin für alle lizenzierten Anbieter anwendbar. Somit bestehen auch nach dem Beitritt Schleswig-Holsteins zum GlüStV zwei unterschiedliche Regulierungssysteme in Deutschland.
Horizontale Kohärenzverpflichtung: Abstimmungsbedürfnis zwischen den Bundesländern
In ihrer aktuellen Veröffentlichung knüpfen Koenig/Meyer an diese Unterschiede im landesrechtlichen Regulierungsgebilde des Glücksspiels an. Ohne dabei in Abrede zu stellen, dass grundsätzlich unterschiedliche Regelungen auf Länderebene auch im Bereich des Glücksspiels möglich sind, weisen sie zutreffend darauf hin, dass vor der Implementierung unterschiedlicher glücksspielrechtlicher Vorschriften durch die Bundesländer, eine Evaluierung durch die Normgeber erforderlich ist (horizontale Kohärenzprüfung). Es sei Voraussetzung für die Ausübung mitgliedstaatlicher Autonomie, dass die Mitgliedstaaten auf der Tatbestandsseite die Gefahren-, Gefährdungs- und Risikolagen ermitteln und beurteilen. Dabei obliege den Mitgliedstaaten zwar im nicht-harmonisierten Bereich des Glücksspiels ein weiter Erkenntnis- und Gestaltungsspielraum. Auch unterschiedliche Regulierungen durch die Länder seien möglich. In der inhaltlichen Ausgestaltung der Regulierungen hätten die Länder hingegen abgestimmte Regulierungen zu erlassen, damit die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit gewahrt wird (vgl. BGH, Beschl. v. 24.1.2013 – I ZR 171/10, Rn. 21).
Eine Beschränkung der Prüfungspflicht auf eine lediglich vertikale Kohärenzverpflichtung widerlegen Koenig/Meyer durch Evaluierung der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union. Auch die Pflicht der Europäischen Union nach Art. 4 Abs. 2 S. 1 EUV, die jeweilige nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten, steht – wie Koenig/Meyer zutreffend postulieren – einer horizontalen Kohärenzverpflichtung unionsrechtlich nicht entgegen. Insgesamt stehen die landesrechtlichen Glücksspielregulierungen, der GlüStV und das GlSpielG SH, daher auf dem kohärenzrechtlichen Prüfstand.
Zweifel an der Kohärenz aufgrund paralleler, sich widersprechender Regulierungskonzepte in Deutschland hatte schon der Bundesgerichtshof geäußert und dem EuGH entsprechende Fragen vorgelegt, die dieser nun zu beantworten hat. So heißt es wörtlich im Vorlagebeschluss des BGH (Beschl. v. 24.1.2013 – I ZR 171/10, Rn. 16 f.):
„Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Liberalisierung von Internetvertrieb und -werbung für Glücksspiele in Schleswig-Holstein die Eignung der entsprechenden Verbote in den anderen Bundesländern zur Erreichung der mit dem Glücksspielstaatsvertrag 2012 verfolgten legitimen Allgemeininteressen mehr als nur unerheblich beeinträchtigt.
So ist fraglich, ob sich die Teilnahmemöglichkeit an Glücksspielen über das Internet wirksam auf das Bundesland Schleswig-Holstein beschränken lässt. Auch die nunmehr in Schleswig-Holstein unbeschränkt mögliche Werbung für Glücksspiele in Fernsehen, Rundfunk und Internet kann aufgrund der Natur dieser Medien nicht wirksam auf dieses Bundesland begrenzt werden.“
Auch die deutschen Verwaltungsgerichte hegen Zweifel an der Kohärenz der glücksspielrechtlichen Regelungen. So hatte der VGH Mannheim bereits am 10. Dezember 2012 in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren die aufschiebende Wirkung einiger Klagen angeordnet, da er es für möglich hält, dass die strikten Internet- und Werbeverbote des neuen GlüStV einerseits und die parallelen, weniger restriktiven Regelungen des GlSpielG SH anderseits zur Inkohärenz führen (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 10. Dezember 2012, 6 S 3335/11).
Darüber hinaus deutete die Europäische Kommission in ihrer Stellungnahme zum „Gesetz zur Änderung glücksspielrechtlicher Gesetze“ des Landes Schleswig-Holstein ausdrücklich die Inkohärenz des Nebeneinanders zweier unterschiedlicher Regelungssysteme an.
Es ist also nicht allein auf das Regulierungskonzept eines Bundeslandes abzustellen, sondern – so auch Koenig/Meyer – die Sicht eines in seinen Grundfreiheiten beeinträchtigten EU-Anbieters von Glücksspielen entscheidend, der in Deutschland seine Dienstleistungen anbieten möchte.
Verstoß gegen die Kohärenzverpflichtung
Koenig/Meyer führen ein Beispiel an, das indiziert, dass eine Abstimmung nicht stattgefunden hat und der GlüStV folglich gegen das Inkohärenz-Erfordernis verstößt:
Nach dem GlüStV ist Veranstaltungsort bei Glücksspielen im Internet grundsätzlich der Ort, an dem der Spieler das Internetangebot aufruft (Ort der Teilnahme i.S.v. § 3 Abs. 4). Das GlSpielG SH setzt hingegen am Wohnort des Spielers an (§ 3 Abs. 9 GlSpielG SH). Koenig/Meyer legen in ihren Ausführungen nun den Fall zugrunde, „dass ein Spieler aus Schleswig-Holstein in einem Münchner Hotel online pokert“. Dieser Spieler pokert innerhalb der Grenzen, die durch das GlüSpielG SH vorgegeben sind und somit legal in Bayern, da nach § 3 Abs. 9 GlüSpielG SH nur der Wohnsitz des Spielers von Bedeutung ist. Dasselbe Angebot erfolgt andererseits nach dem GlüStV und den ausführungsgesetzlichen Bestimmungen des Freistaates Bayern „ohne Erlaubnis“.
Ein weiteres Beispiel horizontaler Inkohärenz liefern die 25 Sportwettengenehmigungen in Schleswig-Holstein auf Basis des GlSpielG SH: In Schleswig-Holstein sind nach dem GlSpielG SH mehr Anbieter zugelassen, als deutschlandweit nach dem GlüStV zulässig sind. Denn nach § 10a Abs. 3 GlüStV heißt es: „Die Höchstzahl der Konzessionen wird auf 20 festgelegt.“ Außerdem gilt für die 25 Anbieter mit Sporwettgenehmigung aus Schleswig-Holstein – wie festgestellt – auch nach dem Beitritt Schleswig-Holsteins zum GlüStV nach wie vor der Regulierungsrahmen des GlSpielG SH. Möglich sind danach etwa auch sog. Ereigniswetten, die nach dem GlüStV gerade ausgeschlossen sein sollen (vgl. § 21 Abs. 4 Satz 3 HS 2 GlüStV).
Betrachtet man das Kohärenzgebot aus dem Blickwinkel eines Glücksspielanbieters mit Sitz in der Europäischen Union, erscheint es zudem willkürlich, warum in manchen Teilen Deutschlands Casino- und Pokerspiele rechtlich als so gefährlich eingeschätzt werden, dass diese im Internet zu verbieten sind, in einem anderen regionalen Teil Deutschlands hingegen gerade nicht. Insoweit ist kein Grund ersichtlich, wieso die Schutzwürdigkeit der Einwohner in Schleswig-Holstein einerseits und in den andern Ländern andererseits unterschiedlich zu bewerten sein soll. Dieser Befund konterkariert die absoluten Internet- und damit verbundenen Werbeverbote des neuen GlüStV hinsichtlich ihrer inhaltlichen Überzeugungskraft.
Diese exemplarische Evaluierung deutet darauf hin, dass die glücksspielrechtlichen Regelungen wohl inkohärent und damit unionsrechtswidrig sind.
Quo vadis Glücksspielstaatsvertrag
Auch im nichtharmonisierten Bereichen wie dem Glücksspielsektor ist – wie Koenig/Meyer detailliert darlegen – nicht zuletzt aufgrund des Gebotes der nichtdiskriminierenden und gleichen Anwendung von Beschränkungen der Grundfreiheiten eine kohärente Regulierung auch auf Länderebene erforderlich.
Wie Koenig/Meyer zutreffend darstellen, enthalten die deutschen Glücksspielregulierungen Diskrepanzen, die letztendlich eine horizontale Inkohärenz nahelegen. Daher ist fraglich, ob der GlüStV sein planmäßiges Ende am 30. Juni 2021 tatsächlich erleben wird. Zur Frage der horizontalen Kohärenz wird letztendlich der Gerichtshof der Europäischen Union im Rahmen der Vorlagefrage des BGH eine Entscheidung treffen.
Die Regulierer sollten sich allerdings heute schon Gedanken machen, ob sie ihren GlüStV grundlegend überarbeiten und sich dabei am GlSpielG aus Schleswig-Holstein orientieren. Der Verwandte dieses Landesgesetzes, das dänische Regulierungsmodell, hat sich schließlich über geraume Zeit bewährt. Im Gegensatz zum GlüStV äußerte die Kommission ferner keine Kritik am schleswig-holsteinischen Regulierungsmodell. Überdies bestehen bereits 64 schleswig-holsteinische Glücksspiellizenzen, die bis Ende 2018/Anfang 2019 Gültigkeit entfalten und deren Transfer auf die anderen Bundesländer letztlich ein überwindbares formales Hindernis darstellt.
Quelle: TIME Law News 02/2013 (Hambach & Hambach Rechtsanwälte)