Online-Spiele: Von „Gambelli“ über „Placanica“ bis zur Dienstleistungsrichtlinie

Ein Artikel von Ewout Keuleers (LL.M)

Nicht ganz ein Jahr nach der wegweisenden „Gambelli“-Entscheidung ist ein neuer Rechtsstreit zum Thema Online-Spiele vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) anhängig. Während die abschließende Entscheidung im Fall „Gambelli“ noch vor dem zuständigen nationalen Gericht anhängig ist, mussten Gerichte in verschiedenen Mitgliedsstaaten über die faktische Konsistenz der nationalen Spielpolitik und ihrer Kompatibilität mit dem Gemeinschaftsrecht urteilen. Die Zusammenfassung von einem Jahr Rechtsprechung nach „Gambelli“ ist, dass die in den Fällen „Gambelli“ und „Lindman“ gestellten Anforderungen sehr unterschiedlich angewendet werden. Im Berufungsverfahren „Betfair“ wurde sogar unterstellt, dass die im „Gambelli“-Urteil aufgestellten Kriterien nicht relevant waren!

1. Überblick über die Rechtsprechung nach der „Gambelli“-Entscheidung

In Finnland, den Niederlanden, Schweden, Belgien, Italien und Deutschland, wurden die Obersten Gerichtshöfe und die Verfassungsgerichte ersucht, ihre Ansichten zu liefern.
Im Gegensatz zu dem schwedischen Obersten Verwaltungsgericht („Regeringsrättens“) meinte der deutsche Bundesgerichtshof (BGH), dass der Herausgeber einer (in Deutschland ansässigen) Online-Zeitung für die Verwendung eines Links auf die Seite eines österreichischen Buchmachers, der die für Österreich notwendige Erlaubnis zum Anbieten von Wetten besaß, nicht verantwortlich gemacht werden könne. Außerdem stellte der BGH ausdrücklich die Frage, ob die gegenwärtige deutsche Spielpolitik mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts vereinbar ist. Schließlich hat es Hinweise darauf gegeben, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bald ein Urteil fällt, das ein wichtiger Schritt zur Öffnung des deutschen Spielmarktes werden könnte.

In den Niederlanden ist die Situation verwirrender. Am 18. Februar 2005 wies der Oberste Gerichtshof der Niederlande die in einem Eilverfahren („Ladbrokes“) eingelegte Beschwerde gegen eine September 2003 ergangene Entscheidung der Vorinstanz zurück, die dem holländischen Wettenanbieter De Lotto das ausschließliche Recht zum Vertrieb von Wetten zuerkannte. Mit dieser Entscheidung scheint die Debatte in den anhängigen Eilverfahren zu einem Ende gekommen zu sein. Jedoch ist die Situation in den Hauptverfahren anders, wenn nicht sogar gegensätzlich.

In seinem bemerkenswerten Urteil vom 2. Juni 2004 verlangte das Gericht von Arnhem einen Beweis für eine konsistente Spielpolitik des Staates. Für das Gericht steht die Unbeständigkeit der holländischen Spielpolitik aus einer Vielzahl von Gründen fest:

An erster Stelle zeigten die Jahresabschlussberichte von De Lotto, dass es das vornehmliche Ziel des Wettenanbieters war, seinen Umsatz zu erhöhen. Dies wurde vor allem durch die Erschließung neuer Absatzmärkte und der Gewinnung neuer Kunden bewirkt. Hingegen fehlten Maßnahmen, die zum Schutz der Verbraucher vor übermäßigem Spielen oder gar Spielsucht dienen.
Zweitens waren die Marketing-Kampagnen der holländischen Lizenznehmer, insbesondere die direkte und indirekte Förderung des Spielbetriebs durch Radio- und Fernsehwerbung, allgegenwärtig.
Das Arnhemer Gericht zog daraus die Schlussfolgerung, dass das Marketing, insbesondere die „Geld-zurück-Garantie“ bei Nichtgewinn für neue Teilnehmer, dazu dienten, die Nachfrage nach Spielen anzuregen, selbst wenn eine solche Nachfrage bis dahin noch nicht zu verzeichnen war. Eine abschließende Entscheidung in den Hauptverfahren wird für April 2005 erwartet.

In Italien setzte sich das Höchste Gericht mit der im April 2004 gefällten Entscheidung in der Rechtssache „Bruno Corsi“ in direkten Widerspruch gegen die Entscheidung des EuGH im Fall „Gambelli“. Das Tribunale (Landgericht) di Larino legte wegen des offenkundigen Widerspruchs zwischen der EuGH-Rechtsprechung und der Entscheidung des Höchsten Gerichts im Rechtsstreit über einen bei ihm anhängigen, dem „Gambelli“-Fall ähnlichen Fall dem Europäischen Gerichtshof die Frage vor, ob die italienischen Spielbeschränkungen mit den europäischen Binnenmarktgrundregeln vereinbar seine. In seiner Vorlage unterstreicht das Gericht den Unterschied zwischen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, (vor allem das „Gambelli“-Urteil) und der Rechtsprechung des italienischen Höchsten Gerichts.

2. Der Bedarf nach einer gemeinschaftsrechtlichen Vereinheitlichung

Nicht nur wegen des neuen „Placanica“-Falls, der vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig ist, scheint es, als ob 2005 ein sehr wichtiges Jahr für die europäische Onlinespielindustrie wird. Neben von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen wissenschaftlichen Bericht über das Spielen wird die zweite Überarbeitung der E-Commerce-Richtlinie, aber auch die berühmte Dienstleistungsrichtlinie im Europäischen Parlament debattiert. Sowohl die E-Commerce-Richtlinie als auch der Richtlinienvorschlag zur Dienstleistungsrichtlinie enthalten das Prinzip des Herkunftslandes. Entsprechend dieser Grundregel unterliegt ein Spieleanbieter nur den gesetzlichen Anforderungen seines Herkunftslandes und kann nicht durch Behörden des Mitgliedsstaates, in dem er tätig ist, verpflichtet werden, mit zusätzlichen Anforderungen für das grenzüberschreitende Bereitstellen und Anpreisen seiner Dienstleistungen belastet zu werden.

Die Einbeziehung dieser Grundregel im Bereich der Dienstleistungs- und der E-Commerce-Richtlinie sind ein wichtiger Schritt in Richtung zu einem vereinigten europäischen Onlinespiele – Markt. So könnte beispielsweise ein maltesischer Buchmacher, der seine Tätigkeit nur abhängig von der maltesischen Gesetzgebung ausübt, in Holland tätig werden und die holländische Behörden müssen diese Tätigkeit an den Vorgaben messen, die das maltesische Gesetz fordert. Daher bedarf es in diesem Fall auch nicht einer holländischen Spiellizenz.

Allerdings ist nicht zu vernachlässigen, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass die Regulierungen, die derzeit in Großbritannien, Malta und der Slowakei existieren, zu ernsten Verzerrungen des Binnenmarkts führen. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer europäischen Initiative im Bereich der Onlinespiele und der damit verbundenen Dienstleistungen. Schon anlässlich des ersten Berichtes über die Anwendung der E-Commerce-Richtlinie bestätigte die Europäische Kommission, dass „Online spielen (…) ein neuer Bereich [ist], in dem eine Tätigwerden der Gemeinschaft wegen der bedeutenden Binnenmarktprobleme erforderlich sein könnte und dass sie die Notwendigkeit an einer möglichen neuen EU-Initiative überprüfen werde.“

Letztlich ist es möglicherweise zu optimistisch, davon auszugehen, dass die Europäische Kommission völlig den europäischen Spielmarkt liberalisiert. Jedenfalls steht aber außer Frage, dass die Mitgliedsstaaten die Praxis beenden müssen, Spielbeschränkungen durch Gründe des allgemeinen Wohls zu rechtfertigen, während die tatsächliche ausgeübte Genehmigungspraxis nur dazu dient, den Schutz der nationalen Märkte vor fremder Konkurrenz zu gewährleisten.