Holländisches Glücksspiel vor dem EuGH: Generalanwalt Yves Bot kämpft weiter pro Glücksspielmonopol – auf verlorenem Posten?

Von Rechtsanwalt Dr. Michael Hettich und Rechtsanwältin Andrea Stumbaum, Hambach & Hambach Rechtsanwälte

Generalanwalt Yves Bot hat die Monopolisten auch in den Schlussanträgen zu den niederländischen Vorabentscheidungsverfahren nicht enttäuscht. Erwartungsgemäß orientierten sich die Schlussanträge vom 17. Dezember 2009 an dem vorangegangenen Beispiel seiner Schlussanträge im Verfahren C-42/07 (Liga Portuguesa) vom 14. Oktober 2008. Sie ergingen erneut klar zulasten der grenzüberschreitend tätigen Glücksspielanbieter, wobei hier die in UK ansässigen Anbieter Betfair (Rechtssache C-203/08) und Ladbrokes (Rechtssache C-258/08) betroffen waren. Weite Teile der Schlussanträge, insbesondere die Darstellung der Kohärenzproblematik, erfolgten im gewohnt strengen Ton des Generalanwalts, der spätestens seit den Verfahren C-169/07 (Hartlauer), C-171/07 sowie C-172/07 (Doc Morris II) und C-42/07 (Liga Portuguesa) für seine etatistische Grundhaltung wohl bekannt ist. Dem kritischen Betrachter drängt sich die Frage auf, ob der Ausgang der im Jahr 2010 Schlag auf Schlag zu erwartenden Schlussanträge und Urteile im Bereich des Glücksspielrechts von der Unwägbarkeit der Geschäftsverteilung (Zuordnung eines neutralen Generalanwalts) abhängt, was paradoxerweise einem „Glücksspiel“ gleich käme.

I. Analyse der Schlussanträge

Nur einen Monat nach der mündlichen Verhandlung vom 12. November 2009 verkündete der Generalanwalt Yves Bot seine Schlussanträge zu den niederländischen Vorabentscheidungsverfahren. Obwohl die in den zwei Verfahren zur Entscheidung vorgelegten Fragen durchaus Differenzen aufweisen, wurde nicht nur am gleichen Tag mündlich verhandelt, auch die Schlussanträge wurden zusammen verkündet.

Eine Gemeinsamkeit beider Verfahren ist die Frage, ob die Dienstleistungsfreiheit eine gegenseitige Anerkennung von Erlaubnissen für Glücksspielveranstaltungen zwischen den Mitgliedsstaaten erfordert. Des Weiteren sind in beiden Verfahren Anbieter mit Sitz in UK betroffen, die über das Internet Glücksspiele in den Niederlanden anbieten wollen. Sowohl Betfair als auch Ladbrokes können hierfür von den niederländischen Behörden keine Erlaubnis erlangen, da das niederländische Glücksspielrecht jeweils nur eine Lizenz für jeweils einen Anbieter im entsprechenden Glücksspielbereich vorsieht. Solange sich die bisherigen Inhaber der Lizenzen als zuverlässig und gesetzestreu erweisen, besteht keine Möglichkeit, dass die jeweilige Lizenz auf ein anderes Unternehmen übergeht. Sie wird immer wieder verlängert.

Im Verfahren C-203/08 (Betfair) war diese intransparente Lizenzvergabe sowie die regelmäßige Verlängerung der Laufzeit bestehender Lizenzen ein zentraler Punkt der Vorlage. Demgegenüber wurde in den Fragen des Verfahrens C-258/08 (Ladbrokes) unter anderem die Frage der europarechtlich erforderlichen Kohärenz der niederländischen Glücksspielregulierung in den Vordergrund gestellt. Entscheidend ist insbesondere, ob es europarechtskonform ist, dass der jeweilige Lizenzinhaber für sein Glücksspielangebot wirbt, obwohl mit der niederländischen Glücksspielregulierung das Ziel der Zügelung der Spielabhängigkeit und der Betrugsvorbeugung verfolgt wird.

Yves Bot begründet seine Antworten auf die Vorlagefragen wie folgt:

1. Kohärenz der glücksspielrechtlichen Regelungen

Zur Kohärenzproblematik übernimmt Yves Bot ganze Passagen seiner Argumentation aus seinen umfangreichen Schlussanträgen zu dem Verfahren C-42/07 (Liga Portuguesa). Dies überrascht, da der Gerichtshof bereits in seinem diesbezüglichen Urteil klargestellt hat, dass er den Ansätzen von Yves Bot nicht folgt.

Der Generalanwalt legt beispielsweise in den Randnummern 58 bis 60 der Schlussanträge nach wie vor ein besonderes Augenmerk darauf, dass eine Öffnung des Glücksspielmarktes „keine Quelle für Fortschritt und Entwicklung“ sei und Spiele nur dann funktionieren könnten, wenn die Spieler „mehr verlieren als sie gewinnen“. Nach seiner Ansicht würde ein Wettbewerb zwischen den Dienstleistungserbringern „Haushalte womöglich dazu verleiten, mehr als ihre für das Vergnügen verfügbaren Mittel auszugeben“.

Diese Ansätze finden sich nicht in der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes im Glücksspielbereich und werden auch diesmal nicht in das Urteil eingehen, da ansonsten die Dienstleistungsfreiheit willkürlich ausgehöhlt würde. Dies gilt auch aufgrund des Wortlautes der Vorlagefragen im Verfahren C-258/08 (Ladbrokes). Dort wird als Prämisse vorausgesetzt, dass „die mit den betreffenden nationalen Regelungen verfolgten Ziele, nämlich die Zügelung der Spielabhängigkeit und die Betrugsvorbeugung, dadurch erreicht werden, dass dank des regulierten Angebots von Glücksspielen der Umfang des Spielens (viel) begrenzter bleibt als es ohne das nationale Regulierungssystem der Fall wäre“. Die Frage der Kohärenz wird eng begrenzt auf die Überprüfung, ob es mit den Zielen vereinbar sei, wenn es dem Inhaber der Genehmigung erlaubt ist, sein Angebot durch neue Spiele attraktiv zu machen und umfangreich zu bewerben. Damit ist die Vorlagefrage so eng formuliert, dass der EuGH voraussichtlich auch nur zu der speziellen Thematik Stellung beziehen wird.

Die Beurteilung durch Yves Bot, inwieweit eine Glücksspielregulierung kohärent sein muss, fällt seiner etatistischen Grundhaltung entsprechend zugunsten eines weiten Ermessensspielraums der Mitgliedsstaaten aus. Dabei widerspricht insbesondere seine Argumentation zur Rechtfertigung der niederländischen Glücksspielregulierung in Bezug auf das Ziel der Spielsuchtbekämpfung der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes. Soweit geprüft wird, ob eine Regulierung geeignet ist, die Spielsucht zu verhindern oder einzudämmen, ist jedes staatlich genehmigte Glücksspielangebot, das Werbemaßnahmen zulässt, kontraproduktiv und europarechtswidrig. Der Gerichtshof fordert in diesen Fällen, dass die Glücksspielregulierung tatsächlich dazu dient, die Gelegenheiten zum Glücksspiel zu vermindern (vgl. C- 338/04 u. a. Placanica, Rdnr. 53; C-243/01 Gambelli, Rdnrn. 62, 67; C-67/98 Zenatti, Rdnrn. 35, 36). Mit Werbemaßnahmen wird jedoch das Gegenteil erreicht.

Yves Bot verstößt in seinen Schlussanträgen auch bei der Festlegung der Beweislastverteilung hinsichtlich der Frage, ob überhaupt eine Gefahrenlage besteht, die eine Regulierung erfordert, gegen die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes. Yves Bot hat sich hier ausdrücklich gegen die Auffassung der Kommission und gegen die im Urteil zur Rechtssache C-42/02 (Lindman) aufgestellten Grundsätze ausgesprochen. Er ist der Ansicht, dass bereits eine „potenzielle Gefahr“ für Betrügereien bei Glücksspielveranstaltungen dafür ausreicht, dass der Mitgliedsstaat die Dienstleistungsfreiheit einschränken kann. Diese Argumentation erinnert an die weltweit bestehenden Versuche konservativer Kräfte aufgrund von Ängsten vor Straftaten, insbesondere vor Terrorakten, Freiheiten der Bürger einzuschränken. Zur Begründung zieht Yves Bot vollkommen verfehlt die Rechtsprechung des Gerichtshofes heran, die im Bereich des Gesundheitsschutzes ergangen ist.

Zum einen spielt der Bereich des Gesundheitsschutzes deshalb eine Sonderrolle, da der Gerichtshof aufgrund der Wichtigkeit des zu schützenden Rechtsgutes schon immer einen möglichst hohen präventiven Schutz angestrebt hat.

Zum anderen entfällt der Nachweis der Gefahr auch im Bereich des Gesundheitsschutzes nicht. Der Gerichtshof hat in Rdnr. 30 der Rechtssache C-171/07 und C-172/07 (Doc Morris II) lediglich erklärt, dass der Nachweis für das tatsächliche Bestehen dieser Gefahren „nicht vollständig“ erbracht werden muss. Die Niederlande haben jedoch überhaupt keinen Nachweis dafür erbracht, dass ohne ein Glücksspielmonopol eine maßgebliche Betrugsgefahr besteht.

Es ist von essentieller Bedeutung für die effektive Durchsetzung der Grundfreiheiten, dass sich diese Erfindung von Yves Bot – eine „potenziellen Gefahr“ als Rechtfertigung für Beschränkungen der Grundfreiheiten – nicht in der Rechtsprechung des Gerichtshofes niederschlägt. Ansonsten wäre jeder Wirtschaftsbereich, in dem ein Betrug potenziell möglich ist, der Gefahr der willkürlichen staatlichen Monopolisierung ausgesetzt. Die Mitgliedsstaaten könnten wirtschaftlich interessante Dienstleistungszweige, wie beispielsweise die gesamte Versicherungswirtschaft, monopolisieren, da hier ebenfalls immer eine potenzielle Betrugsgefahr besteht. Der Vergleich macht deutlich, dass den Grundfreiheiten nur dann eine Restbedeutung in der EU zukommen kann, wenn mehr als nur potenzielle Betrugsgefahren vorliegen müssen, um Beschränkungen zu rechtfertigen.

2. Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung

Die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Lizenzen zwischen Mitgliedsstaaten in einem nichtharmonisierten Bereich (wie dem der Glücksspielveranstaltungen) lehnt Yves Bot, der Entscheidung in der Rechtssache C-42/07 (Liga Portuguesa) folgend, ab. In diesem Punkt ist der Gerichtshof gewissermaßen gezwungen, in seiner Entscheidung dem Generalanwalt zu folgen, da er sich ansonsten in Widerspruch zu der Entscheidung vom September letzten Jahres setzen würde.

3. Grundsatz der Gleichbehandlung und des Transparenzgebots bei der Vergabe von Lizenzen

Hinsichtlich der Frage, ob es europarechtlich geboten ist, bei der Vergabe einer einzigen Konzession an einen Glücksspielanbieter durch eine öffentliche Stelle ein Mindestmaß an Transparenz und Gleichbehandlung zu gewähren, folgt Yves Bot der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes.

Auch Yves Bot verlangt, dass die konzessionserteilende Stelle zugunsten aller potenziell interessierten Unternehmen einen angemessenen Grad an Öffentlichkeit sicherstellen muss. Damit wird der öffentliche Auftrag oder die Dienstleistungskonzession dem Wettbewerb geöffnet und die Nachprüfung ermöglicht, ob die Vergabeverfahren unparteiisch durchgeführt worden sind.

Der Generalanwalt unterstützt in diesem Punkt klar die Stellung der grenzüberschreitend tätigen Anbieter Betfair und Ladbrokes. Dies überrascht aber nur auf den ersten Blick. Bei näherer Betrachtung entspricht diese Argumentation von Yves Bot vollkommen seiner etatistischen Grundhaltung:

Aus den Schlussanträgen kann man ableiten, dass nach der Wunschvorstellung von Yves Bot das Glücksspiel direkt durch eine Behörde veranstaltet werden würde oder zumindest durch einen Betrieb, über den die Behörde eine Kontrolle ausübt wie über eine eigene Dienststelle. In diesen Fällen wäre keine Ausschreibung oder sonstige Öffentlichkeit der Konzessionsvergabe erforderlich. Daher entsteht der Eindruck, dass nach Auffassung von Yves Bot die Mitgliedsstaaten, die die Chance vertan haben, die Glücksspiele durch eigene Behörden anzubieten, auch nicht mehr die Vorteile einer freien Vergabe der Konzessionen erhalten sollen.

Unabhängig von den Spekulationen der Motivation von Yves Bot sind seine Ausführungen im Bereich der Gleichbehandlung und Transparenz in jedem Fall begrüßenswert. Sie berücksichtigen den Grundgedanken der Verkehrsfreiheiten und die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes.

II. Prognose mit Blick auf die mündliche Verhandlung

Die Leitung der mündlichen Verhandlung vom 12. November 2009 ließ in den niederländischen Vorabentscheidungsersuchen Ladbrokes C-258/08 und Betfair C-203/08 klare Rückschlüsse auf die Schwerpunktsetzung der jeweiligen Richter zu.

Die Fragen des Gerichtshofes zielten vor allem darauf ab herauszufinden, ob die staatlich eingesetzten Monopolunternehmen sowie deren Regulierung tatsächlich im Allgemeininteresse liegende Ziele erfüllen. Jeder Anhaltspunkt in den Vorträgen der Beteiligten, der den Anschein erweckte, dass im Rahmen der jeweiligen Monopolstellungen rein kommerzielle Interessen im Vordergrund stehen oder verschleiert werden, wurde aufgegriffen und hinterfragt.

Die Nachfragen des Vorsitzenden José Narciso da Cunha Rodrigues und des Richters Allan Rosas betrafen unter anderem die Rechtsform, in der die Monopolunternehmen organisiert sind. Des Weiteren wurde danach gefragt, inwiefern den lizenzierten Glücksspielunternehmen hoheitliche Rechte zustehen. Nachdem aus den Antworten ersichtlich wurde, dass sogar ein amerikanisches, rein privatwirtschaftlich organisiertes und handelndes Unternehmen eine Lizenz hält, war erkennbar, dass zumindest einige Richter des Gerichtshofes eine derartige Glücksspielregulierung strikt ablehnen.

Des Weiteren konnten die Vertreter der Monopolunternehmen nicht erklären, warum trotz einer gegenteiligen Weisung des Justizministeriums im Jahr 2004 der Umfang der Werbemaßnahmen bei dem Monopolanbieter De Lotto nicht reduziert und im Jahr 2005 der Gesamtumsatz sogar gesteigert wurde. Spätestens hier war erkennbar, dass einige Richter unter diesen Umständen nicht mehr annehmen, dass eine ernsthafte Verfolgung der Spielsuchtbekämpfung im Vordergrund steht.

Insgesamt hinterließ die mündliche Verhandlung den Eindruck, dass der Gerichtshof im Gegensatz zu Yves Bot keineswegs davon überzeugt ist, dass sich die niederländische Glücksspielregulierung an den Gemeinwohlzielen der Betrugsbekämpfung und Verhinderung von Spielsucht orientiert, sondern klare Anhaltspunkte dafür erkennen konnte, dass wirtschaftliche Interessen des Staates eine wesentliche Rolle spielen.

III. Fazit und Ausblick

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sowohl die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes als auch die Äußerungen der Richter in der mündlichen Verhandlung dafür sprechen, dass den Monopolunternehmen auch künftig kein Freibrief ausgestellt wird, um ihre Gewinne ungestört unter dem Deckmantel potenzieller Gefahren zu vermehren. Soweit Yves Bot eine andere Auffassung vertritt, ist es sehr wahrscheinlich, dass der Gerichtshof dem spätestens im Frühjahr 2010 eindeutig entgegentreten wird.

Für die weiteren nun anstehenden Vorabentscheidungsverfahren im Glücksspielbereich, die von deutschen, österreichischen, schwedischen und italienischen Gerichten vorgelegt wurden, besteht die begründete Hoffnung, dass sich bereits die Schlussanträge zum Vorteil der grenzüberschreitend tätigen Anbieter an der Rechtsprechung des Gerichtshofes orientieren – es sei denn, Yves Bot ist der zugewiesene Generalanwalt.

Quelle: TIME LAW NEWS 1/2010 (www.timelaw.de) Hambach & Hambach Rechtsanwälte