Umsatzsteuer: Bestandskräftige USt.- Bescheide

Hintergründe und Rechtsmittel zur Geltendmachung von gemeinschaftsrechtswidrig erhobener Umsatzsteuer auf Umsätze aus dem Betrieb von Glücksspiel mit Geldeinsatz (Glücksspielgeräte gem. § 33c GewO) Übersicht der möglichen Rechtsmittel aus UAVD– Sicht:

1. Finanzgerichtsverfahren

1. a) Einspruch gegen die bestandskräftigen aber gemeinschaftsrechtswidrigen USt.- Bescheide mit Verweis auf die sog. „Emmott´sche Fristenhemmung“
1. b) Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit von gemeinschaftsrechtswidrigen USt.- Bescheiden
1. c) Antrag auf Erlass von gemeinschaftsrechtswidrig erhobener Umsatzsteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen
2. Beanspruchung der ordentlichen Gerichtsbarkeit Staatshaftungsklage gegen die BRD vertreten durch das Bundesministerium der Finanzen
1. a) Einspruch gegen die bestandskräftigen aber gemeinschaftsrechtswidrigen USt.- Bescheide mit Verweis auf die sog. „Emmott´sche Fristenhemmung“

Am 4. September 2008 hat Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zum Az. 2 BvR 1321/07, ein weiteres Mal eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) bzgl. der Durchbrechung der Bestandskraft von gemeinschaftsrechtswidrigen Umsatzsteuerbescheiden nicht zur Entscheidung angenommen. Somit wurde dieser nationale Rechtsweg ausgeschöpft und führte nicht zum Erfolg.

1. b) Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit von gemeinschaftsrechtswidrigen USt.-Bescheiden

Es ist zwar grundsätzlich Sache des Steuerpflichtigen, seine Rechte durch Einlegung von fristgerechten Einsprüchen selbst zu wahren. – Absolute Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der Steuerpflichtige bzw. sein steuerrechtlicher Berater „seine Rechte“ kennt, bzw. überhaupt die Möglichkeit hat, seine Rechte aus den nationalen Gesetzen zu erkennen. In diesem Fall war dieses Recht lediglich im Gemeinschaftsrecht verankert. Es ist jedoch die Pflicht der Mitgliedstaaten, dieses Gemeinschaftsrecht ordnungs- und fristgemäß in nationales Recht umzusetzen. Die hier in betracht kommenden Umsatzsteuerbescheide wurden jedoch vorsätzlich unter Anwendung eines gemeinschaftsrechtswidrigen nationalen Steuergesetzes erlassen (vgl. EuGH- Urteil v. 17.02.2005, Linneweber). Das nationale Steuergesetz hätte somit nicht angewandt werden dürfen, wodurch die darauf beruhenden Steuerbescheide nichtig sind. Laut § 125 AO Abs. 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist.

Die Umsatzsteuerbescheide leiden unter einen besonders schwerwiegenden Fehler, welcher für die verantwortliche Steuerbehörde offensichtlich war/ist, weil dieser offenkundige Verstoß gegen Art. 13 Teil B Buchstabe f der 6. EG- Richtlinie, bzw. die offenkundige Missachtung des gemeinschaftsrechtlichen Neutralitätsgrundsatzes u. a. unzweideutig durch die zeitlich uneingeschränkte Wirkung des Urteils vom 17.02.2005 vom EuGH bestätigt wurde. Der besonders schwerwiegende und für die Steuerbehörde offenkundige Fehler ergibt sich in objektiver Hinsicht aus dem Urteil des EuGH v. 17.02.2005 (Rechtssachen C-453/02 und C- 462/02). Von subjektiver Seite stellt sich die Frage, für wen der besonders schwerwiegende Fehler offensichtlich, also leicht erkennbar war. Nach den Gesetzen der Logik kann sich die Offensichtlichkeit nur auf diejenigen beziehen, die es angeht, also diejenigen Regierungsbehörden, welche für die frist- u. ordnungsgemäße Umsetzung von EGRichtlinien in nationales Recht verantwortlich sind. Der besonders schwerwiegende Fehler begründet sich, weil hier eindeutig und offensichtlich bei der Umsatzsteuerveranlagung ein vorsätzlich rechtswidriges Handeln der Veranlagungsbehörde durch wissentlichen Verstoß gegen das den Steuerpflichtigen begünstigende europäische Gemeinschaftsrecht vorliegt. Diese vorsätzliche offensichtliche Missachtung des gemeinschaftsrechtlichen Neutralitätsgrundsatzes wurde durch die explizit hervorgehobene zeitlich uneingeschränkte Wirkung des Urteils vom 17.02.2005 vom EuGH
bestätigt.

Das Niedersächsische Finanzgericht setzte sich zwar bereits in dem Urteil vom 30.06.2005 (AZ.: 5 K 128/04) mit der Frage der Nichtigkeit auseinander und stütze sich bei seiner Entscheidung u.a. auf die BFH-Rechtsprechung (v. 11. 8. 1993, II R 83/89, BFH/NV 1994, 263), wonach ein Verstoß gegen materielles Steuerrecht in der Regel keine Nichtigkeit begründen würde, hierbei ließ das FG jedoch absolut das vorsätzliche Handeln der Veranlagungsbehörde bei der Beurteilung der Schwerwiegendheit des krassen Rechtsfehlers unberücksichtigt. Es mag richtig sein, dass ein Verstoß gegen materielles Steuerrecht in der Regel keine Nichtigkeit begründet, im hier vorliegenden konkreten Fall wird jedoch diese angebliche Regel durch das vorwerfbare subjektive Merkmal des vorsätzlichen planmäßigen rechtswidrigen Handelns der Veranlagungsbehörde zum Nachteil des Steuerpflichtigen deutlich unterbrochen.

Durch diese maßgeblichen und nachgewiesenen Darlegungen hinsichtlich der Eindeutigkeit und der Offenkundigkeit der unbestreitbaren vorsätzlichen schwerwiegenden Rechtsfehler bei der Erhebung von Umsatzsteuern auf Umsätze aus dem Betrieb von Glücksspielen, ist die Finanzbehörde gem. § 125 AO verpflichtet, die auf einem gemeinschaftsrechtswidrigen nationalem Gesetz basierenden Umsatzsteuerbescheide, welche somit zweifelsfrei ohne gültige nationale Gesetzesgrundlage erlassen wurden, für nichtig zu erklären.

1. c) Antrag auf Erlass von gemeinschaftsrechtswidrig erhobener Umsatzsteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen

Der Rechtsweg bzgl. der Durchbrechung der Bestandskraft über den mit der sog. „Emmott´schen Fristenhemmung“ begründeten Einspruch und Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wurde mit der Zurückweisung von zwei Verfassungsbeschwerden ausgeschöpft. Hierdurch ist nunmehr der Rechtsweg über den „Antrag auf Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen“ frei geworden. Bereits im März 2008 wurden zwar diesbezügliche Verfahren vom Finanzgericht Münster abgewiesen und die Revision gegen diese Urteile nicht zugelassen. Da sich das FG in seiner Urteilsbegründung aber sehr schwach bzw. völlig unzureichend mit dem diesen Anträgen zugrunde liegenden BFH-Urteil auseinandergesetzt hat und in Anlehnung an das „Linneweber-Urteil“ die Voraussetzungen für diese Anträge aus unserer Sicht eindeutig und offensichtlich gegeben sind.
Nach § 227 AO 1977 können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden.
Die Einziehung von Steuern kann aus persönlichen oder sachlichen Gründen unbillig sein. Unbillig aus sachlichen Gründen ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH dann anzunehmen, wenn ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zwar nach dem gesetzlichen Tatbestand besteht, seine Geltendmachung aber mit dem Zweck des Gesetzes oder der Rechtsprechung nicht oder nicht mehr zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen (hier: dem Institut der steuerlichen Neutralität) zuwiderläuft (vgl. zum Beispiel BFH-Urteil v. 15.10.1998, IV R 69/97). Dabei kommt es nicht darauf an, ob nach der seinerzeit geltenden Gesetzeslage eine Berichtigung möglich gewesen wäre. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann eine falsche Steuerfestsetzung jedenfalls dann zu einem Billigkeitserlass führen, wenn die Fehlerhaftigkeit offensichtlich und eindeutig ist und wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich oder nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit zu wehren (BFH-Urteile VI R 169/78, VII R 121/84, III R 8/94). Die Steuern sind zu berichtigen, weil es den Steuerpflichtigen unzumutbar war gegen die Umsatzsteuerbescheide zu klagen, da die Steuerfestsetzungen dem nationalen Gesetzeswortlaut entsprachen, das Linneweber-Urteil seinerzeit noch nicht ergangen war und es Aufgabe des Gesetzgebers war, die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die ordnungsgemäße Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Umsatzsteuerbefreiungsvorschrift laut Titel IX Kapitel 3 Artikel 135 (1) i) in Verbindung mit Titel XIV Kapitel 4 Artikel 401 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 (vormals Art. 13 Teil B Buchst. f in Verbindung mit Art. 33 der 6. USt- RL) zu schaffen. Solange dies nicht geschehen ist, kann ein Steuerpflichtiger nicht darauf hingewiesen werden, er müsse seine Rechte im Steuerfestsetzungsverfahren mit ungewissem Ausgang geltend machen.

Gegen die Urteile gegen die unter Pkt. 1. b) und c) erklärten Rechtswege wurde beim BFH die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt. Aus der noch ausstehenden Entscheidung ergeben sich zwei Alternativen:

1.) Die Revision wird zugelassen. – Die Hauptsacheverfahren kommen somit zum BFH.
2.) Die Revision wird abgewiesen. – Dann würde eine möglicherweise Negativentscheidung über die dann folgende Verfassungsbeschwerde den Weg einer Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) frei machen.
2. Beanspruchung der ordentlichen Gerichtsbarkeit Staatshaftungsklage gegen die BRD vertreten durch das Bundesministerium der Finanzen. Unter Beachtung des vorrangigen Primärrechtsschutzes dürfte sich laut Meinung von europarechtserfahrenen Rechtsanwälten die dreijährige Verjährungsfrist zur Einreichung einer Staatshaftungsklage erst nach Vorlage einer rechtskräftigen höchstrichterlichen
Entscheidung über die finanzgerichtlichen Verfahren in Gang setzen. Zur Absicherung der individuellen Rechtsansprüche sollte sich jeder betroffene Automatenaufstellunternehmer mit seinem vertrauten Rechtsanwalt über die komplexe Problematik beraten lassen.

Schlusswort

Bei alledem sollte berücksichtigt werden, dass durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Rechtssache Linneweber mit Urteil vom 17.02.2005, verb. Rs. C- 453/02 und C-462/02, Slg. 2005, I-1131, die offenkundige Missachtung des
gemeinschaftsrechtlichen Neutralitätsgrundsatzes un missverständlich bestätigt wurde. Für die verantwortlichen Regierungsbehörden war das gemeinschaftsrechtswidrige Handeln seit dem 01.01.1979 sogar so offenkundig, dass der EuGH die zeitliche Wirkung des Urteils, ausdrücklich nicht beschränkte (vgl. Randnummern 41 und 45 des Urteils). Diesbezüglich möchten wir an die massiven Anstrengungen eines bestimmten Personen und Verbandskreises erinnern, welche zum Ziel hatten, dass dieses Verfahren im Interesse der Bundesregierung entschieden werden sollte und somit etwa 6.000 Automatenaufstellunternehmer um ihren Rückerstattungsanspruch von vorsätzlich gemeinschaftsrechtswidrig erhobenen Umsatzsteuern gebracht werden sollten. Zur Erinnerung hier ein Auszug aus den Schlussanträgen der damaligen GENERALANWÄLTIN:

Unter Randnummer 20. der Schlussanträge vom 8. Juli 2004 heißt es:

„Frau Linneweber vertritt – anders als im Ausgangsverfahren – vor dem Gerichtshof die Ansicht, dass die Besteuerung von Umsätzen aus den von ihrem Ehegatten betriebenen Geldspielautomaten nicht gegen Artikel 13 Teil B Buchstabe f verstoße, weil sich diese maßgeblich von den in den öffentlichen Spielbanken aufgestellten Geldspielautomaten unterschieden.“ (vgl. auch Rdnrn.: 21 und folgende) Bekanntermaßen ist weder die Generalanwältin noch der EuGH dieser manipulierten „Rechtsmeinung“ gefolgt. Aus diesem Grund können wir nur dringend davon abraten, Anträge auf Ruhen Ihrer eigenen Verfahren in Abhängigkeit von Verfahren zu stellen, deren Zielsetzungen und Klagebegründungen sie nicht genau kennen, bzw. zu deren Klägervertretern Sie kein Vertrauen haben. – ES GEHT UM IHR PERSÖNLICHES RECHT!
Weitere Hintergründe und Informationen finden Sie im UAVD– Mitgliederbereich.
Ihr UAVD e.V.
Verbandsjustiziar Assessor jur. Jur. Lutz Wöhler
1. Vorsitzender H.- Dieter Freise