Keine größeren Gefahren durch Internet-Glücksspiel – neue Meta-Studie widerlegt bisherigen Befund des Gesetzgebers

Ein Artikel von Rechtsanwalt Dr. Thomas Würtenberger LL.M.

Das Bundesverwaltungsgericht geht in seinen Entscheidungen vom 26. Oktober 2017 (8 C 18/16 und 8 C 14/16) von einer besonderen Gefährlichkeit des Glücksspiels über das Internet aus: Der Gesetzgeber hätte 2012 das Online-Verbot von Casinospielen beibehalten. Bei diesen Spielen bestünden ein herausragendes Suchtpotenzial, eine hohe Manipulationsanfälligkeit und eine Anfälligkeit zur Nutzung für Geldwäsche. Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Entscheidung maßgeblich darauf gestützt, dass nicht erkennbar sei, dass „sich an diesem Befund zwischenzeitlich etwas geändert hätte“. Dies sei weder gerichtlich festgestellt noch vorgetragen worden oder sonst ersichtlich (vgl. 8 C 18/16, Rn. 32).

Durch die aktuell veröffentlichte Lischer-Studie (s. ZfWG, Sonderbeilage 4/18, S. 2 ff.) ist diese Entscheidungsgrundlage aufgehoben. Die Studie trägt unter Auswertung der einschlägigen nationalen wie internationalen Studien den aktuellen Stand der Wissenschaft und Forschung zusammen im Hinblick auf das Gefährdungspotenzial von Internet-Glücksspielen. Ausgewertet wurden 122 (!) wissenschaftliche Publikationen. Die Meta-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Risiken von Online-Casinospielen nicht stärker ausgeprägt sind als die Risiken von vergleichbaren Spielen, die im stationären Vertrieb angeboten werden: Es „haben sich im internationalen Vergleich die mit der Verbreitung von Online-Glücksspielen verknüpften Befürchtungen einer sprunghaften Erhöhung der Prävalenzraten glücksspielbezogener Probleme nicht bewahrheitet. Das heißt freilich nicht, dass der Vertriebskanal Internet keine Risiken birgt. Diese gehen allerdings nicht über die Risiken von vergleichbaren stationären Glücksspielangeboten hinaus und können in einem regulierten Markt mit gezielten Spielerschutzmaßnahmen reduziert werden.“

Der Befund des Gesetzgebers aus dem Jahr 2012 ist damit (zwischenzeitlich) überholt. Das Bundesverwaltungsgericht könnte seine Entscheidung heute nicht mehr auf diese Grundlage stützen. Die Begründung des Gerichts ist hinfällig.

Die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bestätigt dies. Er betont immer wieder im Bereich der Glücksspielregulierung, dass das Bestehen einer tatsächlichen Gefahr auf der Grundlage von relevanten wissenschaftlichen Untersuchungen zu beurteilen ist und daraufhin laufend zu überprüfen ist. In der Admiral Casinos-Entscheidung hat er dies in seinem Leitsatz wie folgt formuliert: „Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass es bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer restriktiven nationalen Regelung im Bereich der Glücksspiele nicht nur auf die Zielsetzung dieser Regelung im Moment ihres Erlasses ankommt, sondern auch auf die nach ihrem Erlass zu bewertenden Auswirkungen.“ (Urteil vom 30. Juni 2016 – C464/15). Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit kann sich mithin nicht auf die Analyse der Ausgangslage im Moment des Erlasses der betreffenden Regelung beschränken. Das (nationale) Gericht muss vielmehr im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit dynamisch vorgehen. Die Entwicklung der Umstände nach dem Erlass einer gesetzlichen Regelung sind zu berücksichtigen. Dies gilt für die Prüfung der Kohärenz, aber vor allen Dingen auch für die Prüfung der Geeignetheit und Erforderlichkeit, mithin auch für einen veränderten Stand der Wissenschaft und Forschung.

An diesem Punkt stehen wir nunmehr: Heute ist der Befund des Gesetzgebers aus dem Jahr 2009, auf den er sich bei Erlass des 1. GlüÄndStV stützte, überholt. Die Länder haben sich seinerzeit auf eine Meta-Studie aus dem Juli 2009 berufen. Der Stand der Wissenschaft ist heute knapp 10 Jahre weiter. In den Erläuterungen zum Glücksspieländerungsstaatsvertrag heißt es dazu, dass in einer international vergleichenden Analyse des Glücksspielwesens die hohe Suchtgefahr des Internetglücksspiels aus gesundheitswissenschaftlicher Sicht bestätigt worden sei, wobei dies vor allem für Casinospiele, aber auch für Sportwetten gelten würde. Schon damals hat die von den Ländern in Auftrag gegebene Studie aber auch festgestellt, dass, soweit eine effektive Kontrolle des Zugangs zu Glücksspielen im Internet nicht zu realisieren sei, sei der restriktiven Zulassung unter staatlicher Kontrolle der Vorzug zu geben (Erläuterungen zum 1. GlüÄndStV unter Ziffer I.3. zu den Ergebnissen der Evaluierung, abgedruckt z.B. unter BayLT-Drs. 16/11995, S. 16 [17]).

Diese knapp 10 Jahre alte Einschätzung ist zwischenzeitlich überholt. Die Lischer-Studie zeigt, dass der bisherige Rechtfertigungsgrund für eine Verhältnismäßigkeit des Online-Verbots von Casinospielen weggefallen ist. Das aktuelle Verbot ist daher unverhältnismäßig und unionsrechtswidrig.

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