Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Sportwetten – Fakten und Konsequenzen des Urteils

Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG

Arendts Rechtsanwälte
Perlacher Str. 68
D - 82031 Grünwald (bei München)
Ergänzend zu unserem heutigen Live-Bericht aus Karlsruhe sollen angesichts der zahlreichen Deutungen und Fehldeutungen des Urteils zum Einen die Fakten noch einmal dargestellt und zum Anderen die möglichen rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen angesprochen werden.

1. Die Fakten:

Was hat das Bundesverfassungsgericht entschieden?

Das staatliche Wettmonopol in seiner bisherigen Form ist vom Bundesverfassungsgericht klar für verfassungswidrig erklärt worden. Fiskalische Gründe, auch die Sportförderung, können ein staatliches Monopol nicht rechtfertigen. Die bisherige Rechtslage und die Praxis ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.

Nur eine effektive Suchtbekämpfung, die von den staatlichen Anbietern bislang nicht betrieben wurde, kann den Ausschluss privater Anbieter und damit ein staatliches Monopol rechtfertigen.

Bis Ende 2007 muss das Recht der Sportwetten neu geregelt werden. Diese Neuregelung muss nicht durch die Länder, sondern kann auch durch den Bund erfolgen. Der Bund hat hierfür grundsätzlich die Gesetzgebungskompetenz, da es sich nicht nur um Ordnungsrecht, sondern um Wirtschaftrecht handelt.

Für die zukünftige Regelung hat der Gesetzgeber zwei Alternativen. Entweder ein staatliches Monopol, allerdings mit klaren Beschränkungen bei der Vermarktung und dem Vertrieb, oder die Freigabe des Marktes auch für private Anbieter (und damit das Ende des Staatsmonopols).

Für das staatliche ODDSET-Sportwettenangebot darf zukünftig nicht mehr geworben, sondern es darf nur noch sachlich informiert werden.

Laut Bundesverfassungsgericht darf die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten in der Übergangszeit verwaltungsrechtlich verboten werden.

Was hat das Bundesverfassungsgericht nicht entschieden?

Zur Strafbarkeit hat das Bundesverfassungsgericht keine Aussage getroffen. Über die verwaltungsakzessorische Vorschrift des § 284 StGB („unerlaubtes Glücksspiel“) sollen in der Übergangszeit die Strafgerichte entscheiden.

Zum europäischen Gemeinschaftsrecht konnte und durfte das Bundesverfassungsgericht keine Aussage treffen. Es gilt natürlich weiterhin der Vorrang des Gemeinschaftsrechts. Festgehalten hat das Gericht jedoch, dass die Tätigkeit als privater Sportwettanbieter und -vermittler im Gemeinschaftsrecht anerkannt und nicht nur der öffentlichen Hand vorbehalten ist. Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht das Gambelli-Urteil inhaltlich zitiert und darauf hingewiesen, dass die Rechtfertigungsprüfung insoweit parallel zum Gemeinschaftsrecht laufe.

2. Die Konsequenzen der Entscheidung:

Mehr Unsicherheit als vorher

Kurzfristig ist die rechtliche Lage für die derzeit aktiven Wettvermittler und -anbieter in der „Übergangszeit“ bis zu einer gesetzlichen Neuregelung unsicherer als zuvor. Während bislang Wettannahmestellen von den Ordnungsbehörden geduldet wurden, ist zukünftig verstärkt mit Untersagungsverfügungen zu rechnen. Für die zahlreichen Börsenaspiranten (vor allem Ketten von Wettannahmestellen) bedeutet diese Unsicherheit gravierende Probleme, da die Tragfähigkeit deren Geschäftsmodells derzeit nicht einschätzbar ist.

Ein „ungezügeltes Wachstum“ privater Anbieter und Vermittler (so die Befürchtung der staatlichen Anbieter) wird es nicht geben. Umgekehrt können die staatlichen Anbieter ihre gesamte Glücksspielwerbung „einstampfen“. Bereits das Sponsoring der WM dürfte höchst problematisch sein.

Es zeichnet sich ein zunehmender Konflikt zwischen nationalem deutschen Recht und dem von deutschen Gerichten und Verwaltungsbehörden des Öfteren grob missachteten Europarecht ab. Das vorrangige europäische Gemeinschaftsrecht kennt – anders als das Bundesverfassungsgerichtsgesetz – keine Übergangsregelung. Der derzeitige Zustand in Deutschland bleibt nach meiner Einschätzung trotz der Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts (Werbeverbot für das staatliche Angebot) gemeinschaftsrechtswidrig. Untersagungsverfügungen und Strafverfahren dürften daher am Vorrang des Gemeinschaftsrechts scheitern (spätestens dann, wenn der Europäische Gerichtshof einen deutschen Fall zu entscheiden hat). Insoweit geht die rechtliche Auseinandersetzung verstärkt weiter.

Klarheit für „Altfälle“?

Für alle bisherigen Verfahren ist die klare Feststellung hinsichtlich der Verfassungswidrigkeit der bisherigen Sach- und Rechtslage hervorzuheben. Eine Strafbarkeit für alle bisherigen Fälle scheidet daher nach meiner Ansicht aus. Nur für die Übergangszeit hat das Verfassungsgericht die strafrechtliche Beurteilung den Strafgerichten überlassen. Ermittlungs- und Strafverfahren für sämtliche Altfälle sind damit einzustellen.

Nicht haltbar sind damit – unabhängig von dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts –

auch alle bisherigen Verwaltungsmaßnahmen und Urteile, die sich auf eine angebliche Strafbarkeit nach § 284 StGB stützen.

Umsetzung der Vorgaben des Verfassungsgerichts

Es ist zu hoffen, dass der Gesetzgeber die aus meiner Sicht mehr als großzügig bemessene Übergangszeit trotz der erheblichen fiskalischen und politischen Brisanz nicht voll ausnützen wird. Vor allem aus Respekt vor dem Gesetzgeber hat das Gericht zwei Alternativen genannt. Bei einem „kastrierten“ Monopol mit eingeschränktem Vertrieb und Werbeverbot dürfte es sich rein faktisch um eine Scheinalternative handeln, da ein derartiges staatliches Angebot nicht wirtschaftlich wäre und die Kunden verstärkt zu nicht kontrollierbaren Internet-Anbieter treiben würde. Das Gericht hat die Meßlatte für ein derartiges Monopol so hoch gehängt, das es am Markt nicht mehr bestehen könnte.

Die „sauberste“ Lösung wäre insbesondere angesichts des Wirrwarrs der bisherigen Ausführungsgesetze der einzelnen Bundesländer zum Lotterie-Staatsvertrag eine klare Regelung durch ein Bundesgesetz. In einem Bundesglücksspielgesetz könnten die Zulassungskriterien für private Anbieter einheitlich (und europarechtskonform) geregelt werde. Den 16 Landesgesetzgebern ist dies nicht zuzutrauen.

Neuregelung des gesamten Glücksspielrechts?

Die langfristigen Konsequenzen des Urteils auf den gesamten Glücksspielmarkt werden nach meiner Einschätzung dramatisch sein. Letztlich kann ein staatliches Monopol für sämtliche Formen von Glücksspielen nur durch die Spielsuchtbekämpfung als allein für eine Rechtfertigung noch maßgebliches Gemeinwohlziel begründet werden. Dabei hat das Verfassungsgericht in seinen Ausführungen darauf hingewiesen, dass die Suchtgefahr bei Automatenspielen und Casinospielen deutlich höher ist als bei Sportwetten. Wetten seien auch deutlich transparenter als andere Glücksspiele. Die Täuschungsgefahr bei Wetten sei geringer.

Letztlich kann dies als Aufforderung verstanden werden, auch das Recht der Glücksspielautomaten und anderer Glücksspiele mit Suchtgefahr (wie etwa „Quicky“) neu zu regeln. Auch dürfte die bisher für staatliche Lotterien und andere Glücksspiele betriebene massive Werbung nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts verfassungswidrig sein. Auch hier ist entweder ein Zurückführen auf einen noch verfassungsgemäßen Zustand oder die Zulassung privater Veranstalter zu fordern, wenn man die Ausführungen des Gerichts weiter denkt.

Rechtsanwalt Arendts steht für weitere Auskünfte zu der Bedeutung und den Konsequenzen des Urteils gerne zur Verfügung (Tel. 0700 / W E T T R E C H T).